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Urlaubsanspruch trotz mutterschutzrechtlichem Beschäftigungsverbot

Urlaubsanspruch bei mutterschutzrechtlichem Beschäftigungsverbot

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.08.2016, Aktenzeichen 9 AZR 575/15

Spricht die Arbeitgeberin ein mutterschutzrechtliches Beschäftigungsverbot aus, bleibt ein Urlaubsanspruch für diese Zeit auch dann bestehen, falls der Urlaub bereits genehmigt und keine zumutbare Ersatztätigkeit zugewiesen wurde.

Zu den Aufgaben einer Operatorin im Bereich der Blutspende zählte die Entnahme von menschlichem Blut und Blutbestandteilen.

Anfang Janaur 2013 beantragte die Operatorin mehrere Teilurlaube von insgesamt 17 Tagen in den Monaten Juli, August und Oktober. Die Urlaubswünsche wurden in den Urlaubsplan eingetragen und im Februar freigegeben.

Anfang Juni 2013 informierte die Operatorin ihre Arbeitgeberin über ihre Schwangerschaft. Drei Tage später sprach die Arbeitgeberin ein Beschäftigungsverbot auf der Grundlage von § 4 Mutterschutzgesetz (MuSchG) aus. Das Beschäftigungsverbot wurde mit dem erhöhten Infektionsrisiko beim Umgang mit potentiell infektiösem Material und dem einhergehenden Gesundheitsrisiko für das ungeborene Kind begründet. Das Beschäftigungsverbot galt mit sofortiger Wirkung ab dem 5. Juni. Die bewilligten 17 Urlaubstage seien laut Arbeitgeberin dem Beschäftigungsverbot anzurechnen.

Die Operatorin verlangte nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im Jahr 2014 von der Arbeitgeberin die finanzielle Abgeltung ihres Urlaubsanspruches. Sie beantragte beim Arbeitsgericht, die Arbeitgeberin zur Zahlung des finanziellen Urlaubsanspruches zu verurteilen.

Die Arbeitgeberin argumentierte, sie habe den Urlaubsanspruch durch tatsächliche Gewährung erfüllt. Der Urlaub sei durch Mitteilung des Urlaubsplanes verbindlich festgelegt worden. Der Operatorin seien nur Arbeiten im Sinne von § 4 Mutterschutzgesetz untersagt worden, jedoch nicht jegliche arbeitsvertragliche Tätigkeit. Durch die verbindliche Anordnung des Urlaubs nach § 275 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) sei die Arbeitgeberin von ihrer Leistungspflicht befreit.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück und verurteilte diese zur Zahlung des finanziellen Urlaubsanspruchs. Mit ihrer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin weiterhin die Klageabweisung.

Das BAG entschied, das LAG habe der Klage zu Recht stattgegeben. Die Arbeitgeberin sei verpflichtet, den Urlaubsanspruch für die streitigen 17 Urlaubstage finanziell abzugelten.

Der Urlaubsanspruch sei nicht durch Erfüllung nach § 362 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) untergegangen. Durch das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot bestand für die Operatorin keine Arbeitspflicht. Sie durfte die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen. Die Arbeitgeberin hatte ihr keine Ersatztätigkeit zugewiesen. Damit war die Operatorin weder in der Lage noch verpflichtet, eine Tätigkeit auszuüben, die nicht vom mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot erfasst war.

Es sei ohne Bedeutung, ob sich die Operatorin trotz des tätigkeitsbezogenen generellen Beschäftigungsverbots hätte erholen können, weil nur die zulässige Beschäftigung, aber nicht die Arbeitspflicht beschränkt war.

Der Urlaubsanspruch sei nicht nach § 275 BGB dadurch untergegangen, dass er nicht nachträglich gewährt werden könnte. Der Untergang des Urlaubsanspruches, der nach Festlegung des Urlaubszeitraumes wegen des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht beansprucht werden konnte, werde durch § 17 Satz 2 Mutterschutzgesetz verhindert.

Die Arbeitnehmerin könne laut Mutterschutzgesetz den vor dem Beginn des Beschäftigungsverbotes nicht erhaltenen Erholungsurlaub nach Ablauf der Fristen im laufenden Jahr oder im Folgejahr nehmen. Das Risiko der Leistungsstörung durch ein in den Urlaubszeitraum fallendes Beschäftigungsverbot liege bei der Arbeitgeberin. Die Arbeitnehmerin erhalte ihren Urlaub nicht bereits dadurch, dass der Urlaubszeitraum festgelegt wird.

Solle die Verpflichtung zur Urlaubserteilung nach § 362 Absatz 1 BGB erlöschen, dürfe nicht allein die Leistungshandlung vorgenommen werden, es müsse auch ein Leistungserfolg eintreten. Da eine Arbeitnehmerin den vor dem Beschäftigungsverbot nicht erhaltenen Urlaub nach § 17 Satz 2 MuSchG danach ungekürzt in Anspruch nehmen könne, folge die Wertung der gesetzgeberischen Absicht, dass Urlaub während des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes nicht erlöschen könne.

Ohne die Regelung im Mutterschutzgesetz würde die Arbeitnehmerin ihren Urlaubsanspruch nach § 274 BGB ersatzlos verlieren, falls ihr der Urlaub bereits vor dem Beschäftigungsverbot bewilligt wurde. Weise die Arbeitgeberin der Operatorin zur Vermeidung des Arbeitsausfalls keinen Ersatzarbeitsplatz zu, sei die Operatorin insgesamt von ihrer Leistungspflicht entbunden.

Der Resturlaub sei nicht zum Ablauf des 31.März des Folgejahres (2014) verfallen. Nach Ablauf des Beschäftigungsverbots im Folgejahr bestand der Urlaubsanspruch noch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2014. Deshalb sei der Urlaubsanspruch finanziell abzugelten.