Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.11.2016, Aktenzeichen 10 AZR 11/16
Ist neben dem Arbeitsort die Möglichkeit einer Versetzung im Arbeitsvertrag formuliert, so kann die Versetzung rechtswirksam von der Arbeitgeberin angewandt werden.
Eine Purserette (leitende Servicekraft im Passagierflugzeug) war von der Umstrukturierung des Unternehmens ihrer Arbeitgeberin betroffen. An ihrem Wohnort Hamburg befand sich auch ihr Einsatzort, an dem ihre Arbeitseinsätze begannen und endeten. Laut Arbeitsvertrag konnte die Purserette an einem anderen Arbeitsort und vorübergehend sogar in einem anderen Unternehmen eingesetzt werden.
Im Mai 2013 schloss die Arbeitgeberin mit der Personalvertretung für das fliegende Personal einen Interessenausgleich und Sozialplan ab. Damit sollten soziale Folgen, die aus der Schließung mehrerer Standorte resultieren, vermindert werden. Betriebsbedingte Kündigungen wurden im Interessenausgleich ausgeschlossen. Im Interessenausgleich war formuliert, die Arbeitgeberin werde betroffene Mitarbeiter zur Weiterbeschäftigung nach Frankfurt oder München versetzen bzw. ggf. eine Änderungskündigung aussprechen.
Anhand des Sozialplanes konnten die Mitarbeiter wählen ob sie das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung beenden, den Einsatzort an einen der beiden Hauptstandorte verlegen, im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung beim Tochterunternehmen am gleichen Standort weiterarbeiten, sofort zum Tochterunternehmen wechseln, befristet für zwei Jahre virtuell am bisherigen Standort oder am Stationierungsort Düsseldorf in einer gemischten Gruppe verbleiben.
Die Purserette entschied sich im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung für eine Versetzung an den Hauptstandort Frankfurt. Die Personalvertretung stimmte der Versetzung zu und die Arbeitgeberin sprach die Versetzung aus. Etwa 4 Wochen später, im Januar 2014 widersprach die Purserette der Versetzung. Im März 2014 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis vorsorglich außerordentlich mit sozialer Auslauffrist bis Ende September 2014. Gleichzeitig bot sie die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab 1. Oktober am Standort Frankfurt an. Die Purserette nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt an.
Vor dem Arbeitsgericht beantragte die Purserette festzustellen, dass die Versetzung unwirksam sei. Der Einsatzort in Hamburg habe sich über die Jahre verfestigt. Die Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag sei intransparent, weil es keine Unterscheidung zwischen Dienstort, Einsatzort und Arbeitsort gebe. Die Versetzungsentscheidung entspreche nicht billigem Ermessen. Die Arbeitgeberin habe keine Abwägung im Einzelfall vorgenommen. Es gebe allein schon wegen der Zubringerflüge weiterhin mehrere Hundert Flüge im Monat. Cockpit-Personal werde weiterhin von Hamburg aus eingesetzt.
Durch die Versetzungsmaßnahme entstünden gravierende Kosten für die Purserette, etwa die Anreisekosten nach Frankfurt am Main, Übernachtungskosten bei Anreise am Vortag oder Rückkehr ohne Rückflugmöglichkeit nach Hamburg. Ihr Lebensmittelpunkt Hamburg sei eingeschränkt. Ein Umzug sei mit Härten verbunden, und sei ihrer Familie nicht ohne Weiteres möglich.
Die Arbeitgeberin beantragte Klageabweisung. Die Maßnahmen entstanden aus ihrer Entscheidung zur strukturellen Reform des Direktverkehrs. Sie habe entschieden, die dezentralen Standorte Berlin, Hamburg und Stuttgart zum 30.04.2014 zu schließen und kein fliegendes Personal an diesen Orten zu stationieren. Die Versetzung entspreche billigem Ermessen. Sie habe die im Rahmen ihrer Ausübungsentscheidung wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt. Hierbei komme ihrer unternehmerischen Entscheidung zur Neuordnung der Stationierung von Flugbegleitern besonderes Gewicht zu.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderungskündigung fest und wies im Übrigen die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichtes. Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht begehrte die Purserette weiterhin festzustellen, dass ihre Versetzung unwirksam ist.
Das BAG stellte fest, die Versetzung sei wirksam. Die Arbeitgeberin durfte die Purserette mit Wirkung vom 1.Mai 2014 von Hamburg nach Frankfurt am Main versetzen.
Die arbeitsvertraglichen Regelungen seien rechtswirksam und ließen die Versetzung an einen anderen Einsatzort zu. Das vertragliche Weisungsrecht der Arbeitgeberin nach § 106 GewO (Gewerbeordnung) umfasse die Befugnis, der Purserette einen anderen Arbeitsort zuzuweisen.
Der Arbeitsvertrag sehe zwar Hamburg als Einsatzort vor, enthalte jedoch den Vorbehalt der Versetzung an einen anderen Ort.
Regelmäßiger Arbeitsort einer Flugbegleiterin sei das Flugzeug, nicht der Flughafen. Der Einsatzort ist deshalb der Ort, an dem das Flugpersonal seinen Dienst antrete. Der Umstand, dass die Purserette 17 Jahre am Einsatzort Hamburg tätig war, erfülle nicht den Tatbestand einer stillschweigenden Übereinkunft zum Einsatzort und ändere nicht die Vereinbarungen im Arbeitsvertrag.
Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen, entsprechend § 106 Satz 1 GewO und § 315 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) verlange eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung seien alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen.
Eine unternehmerische Entscheidung habe ein besonderes Gewicht für die getroffene Entscheidung. Arbeitsgerichte könnten vom Unternehmer keine ungewollten Organisationsentscheidungen verlangen. Besonders schwerwiegende, insbesondere verfassungsrechtlich geschützte Belange des Arbeitnehmers könnten der unternehmerischen Entscheidung dennoch entgegenstehen.
Das Landesarbeitsgericht durfte unter Berücksichtigung des unstreitigen Sachverhalts und des wechselseitigen Vortrags der Parteien annehmen, die Arbeitgeberin habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Direktverkehr strukturell zu reformieren, einen erheblichen Teil der Flüge – mit Ausnahme der Zubringerflüge – nicht mehr selbst durchzuführen und die meisten dezentralen Stationierungsorte, darunter den Stationierungsort Hamburg, vollständig zu schließen.
Die Organisationsentscheidungen der Arbeitgeberin seien umgesetzt worden. Kabinenpersonal sei von den zu schließenden Standorten versetzt worden. Räume seien gekündigt worden und stationäres Personal abgebaut. Die Flugumläufe der Zubringerflüge begännen in Frankfurt bzw. München. Es könne davon ausgegangen werden, dass die Maßnahmen auf Dauer ausgelegt seien.
Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die unternehmerische Entscheidung der Arbeitgeberin als willkürlich oder missbräuchlich zu betrachten wäre. Die Arbeitgeberin habe plausibel dargelegt, welche wirtschaftlichen Einsparungen sie mit der Umsetzung der Maßnahmen verbinde. Eine gerichtliche Kontrolle, wie die beschlossenen Maßnahmen in der Praxis greifen oder ob andere organisatorische Maßnahmen möglich gewesen wären, finde nicht statt. Dabei würde es sich um eine andere Organisation des Betriebs handeln, die der Arbeitgeberin nicht gegen ihren Willen auferlegt werden könne.
Die Kosten des Sozialplans seien den Einsparungen auch nicht gegenzurechnen. Selbst wenn diese die Einsparungen vorübergehend aufzehren oder zu Mehrbelastungen führen würden, könne nicht von einer willkürlichen unternehmerischen Entscheidung gesprochen werden.
Das Interesse der Purserette an der Beibehaltung ihres bisherigen Einsatzorts musste gegenüber den berechtigten Interessen der Arbeitgeberin an der Umsetzung ihrer Organisationsentscheidung zurücktreten. Die Purserette habe keine unzumutbare persönliche, familiäre oder sonstige außervertraglich entstandene Belastung vorgetragen. Eine Flugbegleiterin könne nach dem Vertragszweck nicht berechtigt erwarten, soziale und sonstige Vorteile eines dauerhaft ortsfesten Standortes in Anspruch zu nehmen. Zum Berufsbild gehörten längere Ortsabwesenheiten. Die Versetzung unterstreiche diese Besonderheiten. Die auftretenden Belastungen wie etwa zusätzliche Kosten für die Organisation der Kinderbetreuung müssten hingenommen werden. Arbeitnehmern werde regelmäßig zugemutet, die Belastung des Wegs zur und von der Arbeit zu tragen. Notfalls könne diesen Kosten mit einem Umzug begegnet werden.
Die für die Purserette entstehenden Nachteile seien durch die Regelungen des Sozialplans für die Zeit der virtuellen Stationierung in Hamburg weitestgehend beseitigt und im Folgenden für mehrere Jahre wirtschaftlich deutlich abgemildert.
Es ergebe sich auch nicht über die Bestimmungen des Sozialplans hinaus ein Anspruch auf eine dauerhafte virtuelle Stationierung in Hamburg. Die Purserette weise zwar zu Recht darauf hin, dass eine solche grundsätzlich möglich wäre. Sie wäre aber nicht mit der getroffenen Organisationsentscheidung vereinbar, sondern würde einen Teil der enthaltenen Maßnahmen wirtschaftlich entwerten und die Arbeitgeberin dauerhaft mit zusätzlichen Kosten belasten. Auch ein dauerhafter Einsatz auf Zubringerflügen sei zwar grundsätzlich möglich, aber nicht mit der Organisationsentscheidung der Arbeitgeberin vereinbar, da die Flugumläufe nicht mehr in Hamburg beginnen und der Personaleinsatz von den Einsatzorten München und Frankfurt aus erfolge.