Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.12.2016, Aktenzeichen 6 AZR 430/15
Wird eine Kündigung mit unzutreffender Kündigungsfrist ausgesprochen, gegen diese aber nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung widersprochen, ist die eigentlich unwirksame Kündigung wirksam.
Ein internationaler Vertriebsleiter im deutschsprachigen Raum mit Schwerpunkt Deutschland war bei einem schweizerischen Unternehmen beschäftigt. Seine Aufgabe bestand vorrangig darin, die Vertriebsteams in Deutschland und der Schweiz zu leiten und anzuleiten. Hauptsächlich war er im Büro unter seiner Privatanschrift in Heidelberg tätig. Nach seinem Wunsch galt für die Anwendung seines Arbeitsvertrages deutsches Recht.
Im August 2013 wurde das seit April 2013 bestehende Arbeitsverhältnis mit einer Frist von 4 Wochen zum Monatsende September 2013 aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. Am 29. Oktober 2013 machte der Vertriebsleiter gegenüber seiner schweizerischen Arbeitgeberin vergeblich den Fortbestand des Vertragsverhältnisses mindestens bis zum März 2018 geltend. Er bot seine Arbeitskraft an und forderte die Erstattung der vollen Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung. Zusätzlich forderte er die Übertragung von Aktien in Höhe von mindestens 10% des Aktienpaketes.
Am 12. Dezember 2013 reichte der Vertriebsleiter Klage beim Arbeitsgericht ein. Das Arbeitsverhältnis sei mit einer vertraglichen Mindestdauer geschlossen worden. Der Vertrag sei mit einer Kündigungsfrist von 12 Monaten ordentlich kündbar gewesen. Die Nichteinhaltung der zutreffenden Kündigungsfrist könne außerhalb der Klagefrist nach § 4 Satz 1 KschG (Kündigungsschutzgesetz) geltend gemacht werden.
Die Arbeitgeberin habe die ordentliche Kündigungsfrist wahren wollen. Dem Vertriebsleiter sei von einem Mitglied des Verwaltungsrates am Tag der Kündigung ausdrücklich zugesagt worden, dass selbstverständlich die richtige Frist gelten solle, falls die Frist im Kündigungsschreiben unzutreffend sei. Der Vertriebsleiter argumentierte, seine Vergütungsansprüche bestünden über den Kündigungstermin hinaus. Die Erstattung der vollen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ergäbe sich aus der mündlichen Zusage eines Verwaltungsratsmitgliedes im Rahmen des Arbeitsvertragsabschlusses. Der Aktienanspruch ergebe sich aus § 4 des Arbeitsvertrages.
Der Vertriebsleiter beantragte beim Arbeitsgericht festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht zum 30. September 2013 beendet wurde, sondern bis zum 31. März 2018 zu den bisherigen Bedingungen fortbestehe. Die Arbeitgeberin sei zu verurteilen, die vereinbarte Vergütung für den Zeitraum von Oktober 2013 bis Oktober 2014, sowie die im einzelnen benannten Zuschüsse für Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen. Zudem sei die Arbeitgeberin zu verurteilen, die im § 4 des Arbeitsvertrages bezeichneten Namensaktien des Unternehmens in genanntem Umfang an ihn zu übereignen, zu übertragen und zu übergeben.
Die Arbeitgeberin hielt die Kündigung für wirksam. Sie habe das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2013 beenden wollen und nicht zugesagt, dass die richtige Frist gelten solle. Es sei auch nicht zugesagt worden, die vollen Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung zu übernehmen.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) blieb erfolglos. Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Vertriebsleiter seine Ansprüche weiter.
Das BAG bestätigte, die Vorinstanzen hätten die Klage zurecht abgewiesen.
Der Vertriebsleiter gehe schon davon aus, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis auflöst. Sein Feststellungsantrag nehme nur mit dem Kündigungstermin 31. März 2018 einen späteren Zeitpunkt für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an.
Die Parteien hätten im Arbeitsvertrag die Geltung deutschen Rechts vereinbart, obwohl das anzuwendende Recht im Vertrag nicht ausdrücklich gewählt wurde. Der Vertrag nehme ausschließlich auf Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) Bezug. Die Vergütung war in Euro zu leisten. Die Arbeitgeberin habe sich auch auf die Klagefrist nach § 4 Absatz 1 KschG berufen.
Der Vertriebsleiter sei als Arbeitnehmer zu betrachten, da er den Weisungen des Verwaltungsrats unterlag und in die Betriebsabläufe eingegliedert war. Er sei abweichend vom Vertrag zu keinem Zeitpunkt Mitglied der Geschäftsleitung oder Organ (Verwaltungsrat) der Arbeitgeberin gewesen. Der Mittelpunkt der zu verrichtenden Tätigkeiten des Vertriebsleiters habe in Deutschland gelegen. Den größten Teil seiner Arbeitszeit habe er für das Vertriebsteam Deutschland aufgewandt und war im Wesentlichen vom Büro an seiner Privatanschrift tätig.
Der Vertriebsleiter sei aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste der Arbeitgeberin zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit gegen Entgelt verpflichtet gewesen. Diese Bewertung könne nicht durch eine Vertragsbezeichnung anders beurteilt und der Schutz des Arbeitnehmers dadurch eingeschränkt werden. Der Beschäftigungsvertrag war als CRO-Vertrag (CRO – Chief Relationship Officer – Verantwortlicher für externe Beziehungen) bezeichnet.
Das Landesarbeitsgericht habe zurecht angenommen, die Kündigung sei nach § 7 Halbsatz 1 KschG von Anfang an rechtswirksam. Der Vertriebsleiter habe sich nicht innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist nach § 4 Satz 1 KschG oder der verlängerten Anrufungsfrist nach § 6 Satz 1 KschG darauf berufen, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst habe. Er hätte auch keinen nachträglichen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage nach § 5 Absatz 1 Satz 1 KschG gestellt.
Nach dem Vertragstext sollte der Vertrag am 1. April 2013 beginnend für die Dauer von 5 Jahren geschlossen werden. Der Vertrag sollte zum 31. März 2018 enden, ohne dass es einer Kündigung bedurfte. Dennoch wurde kein befristetes Arbeitsverhältnis begründet, das ohne Vereinbarung nach § 15 Absatz 3 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) nicht ordentlich kündbar wäre. Es war bestimmt, dass sich die Geltungsdauer des Vertrages um weitere 36 Monate verlängere, wenn es nicht mit einer Frist von 12 Monaten von einer der beiden Parteien gekündigt werde. Daraus ergebe sich, die Parteien hätten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vereinbaren wollen, das sich zunächst um 36 Monate, danach um jeweils ein Jahr verlängern sollte, falls es nicht mit einer Frist von 12 Monaten gekündigt wurde.
Die Kündigung sei jedoch wirksam, weil der Vertriebsleiter die fehlerhafte Kündigungsfrist nicht innerhalb der Frist von 3 Wochen nach § 4 Satz 1 KSchG auf dem Weg der Klage geltend machte.
Ein Arbeitnehmer, der die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend machen möchte, muss innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung beim Arbeitsgericht den Antrag auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde.
Eine fristgerecht erhobene allgemeine Feststellungsklage nach § 256 Absatz 1 ZPO (Zivilprozessordnung), wie sie der Vertriebsleiter erhoben habe, wahre die Frist nach § 4 Absatz 1 KschG, wenn der Arbeitnehmer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz auf sie bezogen einen punktuellen Kündigungsschutzantrag stellt. Die Klage sei aber erst am 12. Dezember 2013 beim Arbeitsgericht eingegangen.
Die Kündigung könne nicht als ordentliche Kündigung mit zutreffender Kündigungsfrist ausgelegt werden. Das unwirksame Rechtsgeschäft könne wegen der versäumten Klagefrist nicht umgedeutet werden. Damit werde die unwirksame Kündigung nach § 7 Halbsatz 1 KschG wirksam.
Der Arbeitnehmer müsse mit seiner fristgebundenen Klage geltend machen, dass die objektiv richtige Kündigungsfrist einer ordentlichen Kündigung nicht gewahrt sei. Das sei der Fall, wenn sich die mit zu kurzer Frist erklärte Kündigung nicht als Kündigung mit der rechtlich gebotenen Frist auslegen lässt.
Die zu kurz erklärte Kündigung beende das Arbeitsverhältnis zum falschen Termin, wenn sie nicht innerhalb von drei Wochen als anderer Rechtsunwirksamkeitsgrund innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung in Form einer Klage geltend gemacht wurde.
Gegen eine Auslegung der Kündigung zum 31. März 2018 spreche, dass in der als ordentliche betriebsbedingte Kündigung bezeichneten Erklärung ausdrücklich das Datum 30. September 2013 benannt wurde. Die Arbeitgeberin sei davon ausgegangen, es sei eine vierwöchige Kündigungsfrist zum Monatsende zu berücksichtigen. Gegen eine bloße fehlerhafte Berechnung spreche, dass die nach dem Arbeitsvertrag einzuhaltende zwölfmonatige Kündigungsfrist die gewählte Kündigungsfrist um ein Vielfaches übersteige. Die Arbeitgeberin sei von der Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 622 Absatz 1 BGB ausgegangen, ohne die Mindestdauer des Vertrages zu berücksichtigen.
Für den Vertriebsleiter als Kündigungsempfänger habe nach dem Text der Kündigungserklärung kein Anhaltspunkt bestanden, dass die Arbeitgeberin trotz des genannten Kündigungstermines in jedem Fall die zutreffende Kündigungsfrist wahren wollte.
Selbst wenn die strittige Aussage zutreffen würde, dass der Vertriebsleiter nach Erhalt der Kündigung auf die Mindestlaufzeit von 5 Jahren hingewiesen habe, ergebe sich nicht, dass die Arbeitgeberin im Zeitpunkt der Übergabe der Kündigung, die nach dem Arbeitsvertrag richtige Frist habe einhalten wollen.
Die Willensänderung des Verwaltungsratsmitgliedes, die nach Behauptung des Vertriebsleiters aufgrund seines Einspruchs nach Durchsicht der Kündigung eingetreten sei, hätte nur zusätzlich mit einer Umdeutung die Kündigungsfrist und den Kündigungstermin ändern können. Soll eine Kündigung umgedeutet werden, müsse die Klagefrist nach § 4 Absatz 1 KschG gewahrt werden, um zu verhindern, dass die Kündigung nach § 7 Halbsatz 1 KschG gültig wird. Die Klagefrist wurde nicht eingehalten.
Der Vertriebsleiter sei Arbeitnehmer gewesen. Deshalb falle der Antrag zur Feststellung des Fortbestandes eines freien Dienstverhältnisses nicht zur Entscheidung an. Die Arbeitgeberin schulde auch keine Vergütung im Sinne von Annahmeverzug über den Kündigungstermin hinaus, da das Arbeitsverhältnis zum 30. September geendet habe. Das gelte auch für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge.
Selbst wenn die Behauptung des Vertriebsleiters sich als wahr präsentieren würde, dass die Arbeitgeberin mündlich im Rahmen des Abschlusses des Arbeitsvertrages die Zahlung der vollen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zugesagt habe, begründe dies keine Ansprüche.
Im schriftlichen Vertrag sei in § 13 formuliert, dass bei Vertragsabschluss keine mündlichen Nebenabsprachen bestanden. Der Vertrag stünde deshalb nicht im Widerspruch dazu, dass nach § 305b BGB Individualvereinbarungen Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben. Die Parteien hätten die behauptete Individualabsprache durch § 13 des Arbeitsvertrages aufgehoben.