Auflösende Bedingung einer Betriebsvereinbarung
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 06.12,2016, Aktenzeichen 12 Sa 528/16
Wird in einer Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung die Kündigung der Mitgliedschaft der Arbeitgeberin im Arbeitgeberverband als auflösende Bedingung vereinbart, so ist unter Kündigung der Zeitpunkt der Kündigungserklärung zu verstehen, nicht der Kündigungstermin.
Wirtschaftliche Schwierigkeiten waren der Anlass zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung abzuschließen. Darin wurde unter anderem eine Arbeitszeitverlängerung von 37,5 Wochenstunden auf 39,5 Wochenstunden ohne Lohnausgleich vereinbart. Tariflohnerhöhungen wurden teilweise ausgesetzt.
Die Betriebsvereinbarung trat mit einer Laufzeit von 4 Jahren am 1. April 2013 in Kraft. Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V., sowie die Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie erteilten ihre Zustimmung. Am 30.06.2015 erklärte die Arbeitgeberin die Kündigung ihrer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband zum 31.12.2015, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.
Im Jahr 2016 schloss die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste sowie einen Sozialplan zur Standortschließung und sprach betriebsbedingte Kündigungen aus.
Ein Mitarbeiter klagte vor dem Arbeitsgericht auf Differenzlohnansprüche und Arbeitszeitgutschriften für die Monate Juli und August 2015. Dem Mitarbeiter hätte ohne die Betriebsvereinbarung eine höhere Vergütung sowie basierend auf 37,5 Wochenstunden Arbeitszeit eine Arbeitszeitgutschrift zugestanden.
Die Betriebsvereinbarung habe mit der Kündigungserklärung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband am 30.06.2015 ihr Ende gefunden. Somit könnten Arbeitnehmer ab 01.07.2015 wieder ihre tariflichen Ansprüche ohne Einschränkung durch die Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung beanspruchen.
Punkt 8 der Betriebsvereinbarung enthielt folgende Formulierung:
„Im Falle des Verkaufs des Betriebs bzw. einer Kündigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband Chemie Rheinland e. V., endet diese Vereinbarung fristlos mit sofortiger Wirkung.“
Der klagende Mitarbeiter vertrat die Auffassung, für die Anspruchstellung spreche die Auslegung des Wortlautes von Ziffer 8 der Betriebsvereinbarung, besonders der Zusatz „fristlos mit sofortiger Wirkung“. Dieses Auslegungsergebnis entspreche auch dem Willen der Betriebsparteien bei Abschluss der Betriebsvereinbarung. Es sollte vermieden werden, dass die Arbeitgeberin ihre Kündigung beim Arbeitgeberverband als Druckmittel einsetze.
Die Arbeitgeberin erklärte in der Klageerwiderung, die Betriebsvereinbarung habe noch bis zum Kündigungstermin am 31.12.2015 Gültigkeit gehabt. Die tariflichen Entgeltsätze sowie die tarifliche Wochenarbeitszeit seien erst seit 01.01.2016 wieder auf das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis anzuwenden. Der Zeitpunkt der Beendigung der Betriebsvereinbarung bestimme sich durch den Kündigungstermin, nicht dem Zeitpunkt der Kündigungserklärung. Eine vorzeitige Beendigung stünde nicht im Interesse der Arbeitnehmer, da dann die Beschäftigungssicherung mit sofortiger Wirkung entfalle.
Das Arbeitsgericht wies die Klage in vollem Umfang ab. Die Betriebsvereinbarung sei erst zum Kündigungstermin ausgelaufen. Der Wortlaut Kündigung sei mehrdeutig und könne sowohl die Kündigungserklärung als auch den Kündigungstermin meinen. Der Sinn und Zweck der Betriebsvereinbarung ergebe jedoch, ein Gleichlauf zwischen Mitgliedschaft und Laufzeit der Betriebsvereinbarung sei gewollt. Die Rechtslage bei einer ordentlichen Kündigung werde erst mit Ablauf der Kündigungsfrist verändert. Für eine Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung sei es zweckwidrig, wenn die Arbeitgeberin einseitig von heute auf morgen durch die Kündigungserklärung an den Arbeitgeberverband sämtlichen Schutz der Beschäftigungssicherung beenden könne.
Der Mitarbeiter legte gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Berufung ein. Der Begriff Kündigung sei im allgemeinen Sprachgebrauch gleichbedeutend mit der Kündigungserklärung. Der Gesetzgeber verwende den Begriff in diesem Sinne, besonders in der sehr geläufigen Vorschrift des § 102 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Der ausdrückliche Zusatz „fristlos mit sofortiger Wirkung“ spreche für eine sofortige Beendung, nicht erst mit der rechtlichen Wirksamkeit der Beendigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband. Zeige die Arbeitgeberin durch die Austrittserklärung ihren Willen zur Abkehr, spreche das für eine bevorstehende Betriebsverlagerung. In Anbetracht der nicht mehr gesicherten Beschäftigung sei es dann den Arbeitnehmern nicht mehr zuzumuten, weiterhin auf Bestandteile des Entgelts zu verzichten.
Die Arbeitgeberin verteidigte ihre Auffassung, der Begriff Kündigung sei mit dem Beendigungszeitpunkt gleichzusetzen. Erst wenn die Arbeitgeberin nicht mehr tarifgebunden ist, trete die Störung des angemessenen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzstörung) ein. Auch beim parallel geregelten Fall des Verkaufes trete die Äquivalenzstörung erst ein, wenn die Leistungsmacht auf einen liquiden Erwerber übergehe, nicht bereits mit Abschluss des Verkaufsvertrages. Es sei zweckwidrig, wenn eine Arbeitgeberin eine Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung von heute auf morgen beenden könne. Die Betriebsvereinbarung sollte mit dieser Regelung zeitgleich mit der Beendigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne zusätzliche Kündigung enden.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) bestätigte den Anspruch des Mitarbeiters auf die ungekürzte tarifliche Vergütung sowie die Wiederherstellung der tariflichen Wochenarbeitszeit ab dem 01. Juli 2015. Die Betriebsvereinbarung ende mit dem Zeitpunkt der Erklärung der Kündigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband, nicht erst zum Kündigungstermin.
In der Betriebsvereinbarung sei nicht ausdrücklich und eindeutig geregelt ob deren Geltung mit der Erklärung oder bei zeitlicher Differenz mit dem Ende der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband enden solle. Beide Auslegungsergebnisse seien vertretbar. Nach Ansicht des LAG sprächen jedoch die überzeugenderen Gesichtspunkte für eine Beendigung der Geltung der Betriebsvereinbarung bereits mit dem Zeitpunkt der Kündigungserklärung.
Für die Auslegung der Betriebsvereinbarung seien wegen ihres normativen Charakters die Grundsätze der Gesetzesauslegung heranzuziehen. Wortlaut und Wortsinn sowie der wirkliche Wille der Vertragsparteien, soweit er im Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden habe, seien zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen sei auch der Gesamtzusammenhang der Regelungen.
Die Wortwahl „Kündigung“ für die Beendigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband sei nicht eindeutig. Im allgemeinen Sprachgebrauch sowie in der Wortwahl des Gesetzgebers sei üblicherweise die Kündigungserklärung und nur ausnahmsweise das Kündigungsenddatum gemeint.
Aus der betrieblichen Praxis war den Parteien der Begriff Kündigung etwa aus dem § 102 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) geläufig. Den Parteien sei bewusst, dass wegen der dortigen Regelung der Betriebsrat bereits vor dem Ausspruch der Kündigung anzuhören sei, nicht erst vor dem Wirksamwerden der Kündigung. Es sei nicht ersichtlich, weshalb in der Ziffer 8 der Betriebsvereinbarung von einer gegenteiligen Bedeutung ausgegangen worden sein sollte.
Im allgemeinen Sprachgebrauch sei es üblicher, unter Kündigung die Kündigungserklärung zu verstehen. In Kündigungsschutzverfahren gehe es etwa darum, die Feststellung zu beantragen, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Kündigung beendet wurde. Gemeint sei hier ganz klar die Kündigungserklärung.
Für die Auslegung des Wortlautes von Ziffer 8 Absatz 3 der Betriebsvereinbarung sei der Zusatz „fristlos mit sofortiger Wirkung“ entscheidend. Daraus lasse sich schwerlich ableiten, dass es bis zum Ende der Betriebsvereinbarung eine mehrmonatige Frist geben solle. Im Falle einer Kündigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband solle also die Betriebsvereinbarung fristlos mit sofortiger Wirkung enden.
Die historisch-subjektive Auslegung der Betriebsvereinbarung lasse nicht erkennen, dass die Parteien in Betracht gezogen hätten, es könne sich um zwei unterschiedliche, auseinanderfallende Punkte handeln.
Die systematische Auslegung der Betriebsvereinbarung spreche für Auslegung des Klägers. Eine Ausnahmeregelung sei grundsätzlich eher restriktiv auszulegen. Der Regelfall sei in einem Arbeitsverhältnis mit Tarifbindung die Geltung der tariflichen Vorschriften. Deren Einschränkung sei die Ausnahme.
Das LAG habe erhebliche Bedenken, einerseits den Austritt aus dem Arbeitgeberverband als Grund für eine vorzeitige Beendigung der Betriebsvereinbarung anzusehen, andererseits aber dem Betriebsrat nach Erklärung des Austritts kein Kündigungsrecht mit etwa der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG einzuräumen, sondern die Betriebsparteien über die dreimonatige Kündigungsfrist nach § 77 Absatz 5 BetrVG hinaus mit einer 6-monatigen Kündigungsfrist, die sich aus dem Verbandsrecht des Arbeitgeberverbandes ergebe und somit nicht dem Einfluss der Betriebsparteien unterliege, zu binden. Insbesondere mit der Wortwahl „fristlos mit sofortiger Wirkung“ könne das LAG die Argumentation der Arbeitgeberin einer systematisch schlüssigen Abweichung von § 77 Absatz 5 BetrVG nicht nachvollziehen.
Die Arbeitnehmer hätten mit der vorliegenden Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung vorübergehend Entgelteinbußen hinzunehmen, um langfristig die Beschäftigung zu sichern und Beendigungskündigungen zu vermeiden. Die Arbeitgeberin erspare sich damit vorübergehend Vergütungszahlungen, solle aber langfristig die Beschäftigung sichern. Die Zweckerreichung sei bereits mit dem Zeitpunkt der Austrittserklärung aus dem Arbeitgeberverband gefährdet. Dann solle die Arbeitgeberin ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr in den Genuss der Entgeltvorteile zur Beschäftigungssicherung kommen.
Letztlich sei auch entscheidend, dass weder der Verkauf des Betriebes noch die Kündigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband konkrete rechtliche Auswirkungen auf das hier streitgegenständliche betriebliche Bündnis zur Beschäftigungssicherung haben, die es rechtfertigen könnten, erst auf den Zeitpunkt des Eintritts derartiger Rechtsfolgen für die Beendigung der Betriebsvereinbarung abzustellen. Unmittelbare nachteilige rechtliche Auswirkungen eines Betriebsübergangs zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtsfolgen auf ein betriebliches Bündnis zur Beschäftigungssicherung können insofern nicht gesehen werden, da gemäß § 613a Absatz 1 Satz 2 BGB für einen Zeitraum eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs eine Veränderungssperre zum Nachteil der Arbeitnehmer bezüglich der durch Rechtsnormen eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung geregelte Rechte und Pflichten bestehe. Gleiches gelte auch für den Austritt aus dem Arbeitgeberverband. Die Rechtsnormen des Tarifvertrages gelten solange weiter, bis sie durch eine andere Vereinbarung ersetzt werden. Damit ändere sich für die bestehenden Arbeitsverhältnisse zunächst nichts zum rechtswirksamen Zeitpunkt des Austritts aus dem Arbeitgeberverband.
Austritt aus dem Arbeitgeberverband sowie ein Verkauf seien ausdrücklich in der Betriebsvereinbarung geregelte Sonderfälle für den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Beide Vorfälle seien als derart wesentliche Äquivalenzstörung anzusehen, dass die Betriebsvereinbarung dann mit sofortiger Wirkung enden solle. Den Betriebsparteien stehe es dann frei, über eine Nachfolgeregelung zu verhandeln. Basierend auf der emotionalen und nicht rationalen Zweckausrichtung von Ziffer 8 Absatz 3 der Betriebsvereinbarung trete die Äquivalenzstörung als Illoyalität der Arbeitgeberin bereits zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Verkauf bzw. Austritt feststehen.
Der Arbeitnehmerseite sei es bereits ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zuzumuten, unentgeltlich Mehrarbeit zu leisten und auf tarifliche Bestandteile zu verzichten.
Da die Betriebsvereinbarung mit dem Zugang der Kündigungserklärung zur Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband durch den Eintritt der auflösenden Bedingung der Ziffer 8 Absatz 3 der Betriebsvereinbarung beendet wurde, stehen den klagenden Arbeitnehmern für den streitgegenständlichen Zeitraum ab Juli 2015 alle tariflichen Ansprüche ungekürzt zu. Die tarifliche Arbeitszeit von 37,5 Wochenstunden findet ab diesem Zeitpunkt wieder Anwendung.
Der Zahlungsantrag des Mitarbeiters für die unstreitigen Differenzlohnansprüche und die Arbeitszeitgutschrift war in vollem Umfang begründet.
Die Revision zu dieser Entscheidung wurde nicht zugelassen.