Mitbestimmung bei betrieblicher Facebook-Seite
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2016, Aktenzeichen 1 ABR 7/15
Können Besucher über eine betriebliche Facebook-Seite Postings zum Verhalten und zur Leistung von Mitarbeitern öffentlich einstellen, handelt es sich um eine technische Einrichtung zur Überwachung von Mitarbeitern, die der betrieblichen Mitbestimmung unterliegt.
In einem Konzern der Blutspendedienste betreibt, ist die Arbeitgeberin das herrschende Unternehmen, in dem ein Gesamtbetriebsrat besteht. Gemeinsam mit den Betriebsräten der drei abhängigen Unternehmen hat der Gesamtbetriebsrat einen Konzernbetriebsrat gebildet. Zwischen Arbeitgeberin und Konzernbetriebsrat besteht eine Rahmenbetriebsvereinbarung zur EDV-Nutzung.
Die Arbeitgeberin betreibt seit April 2013 auf Facebook eine betriebliche Seite zur einheitlichen Präsentation des Konzerns. Registrierte Nutzer können Besucher-Beiträge einstellen, die für alle Besucher der Seite sichtbar sind. Eine betriebsübergreifende Gruppe von ca. 10 Arbeitnehmern betreut die Facebook-Seite, indem Beiträge eingestellt sowie Postings kommentiert und falls notwendig gelöscht werden. Die zunächst individuellen Administrator-Kennungen wurden während des laufenden Verfahrens auf eine zentrale Administrator-Kennung umgeändert.
In den Besucher-Beiträgen erschien eine Beschwerde über das Setzen der Injektionsnadel für eine Blutspende. Ein anderer Beitrag warf einem Arzt vor, keine regelrechte Untersuchung vor der Blutabnahme durchgeführt zu haben, was dazu geführt habe, dass eine Blutspenderin beinahe kollabiert sei.
Der Konzernbetriebsrat machte beim Arbeitsgericht geltend, die Anmeldung und der Betrieb der Facebook-Seite verstießen nach § 87 Absatz 1 Nummer 6 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) gegen sein Mitbestimmungsrecht. Über die Facebook-Seite könnten Daten über das Verhalten von Arbeitnehmern zusammengeführt werden. Zudem existierten weitere Auswertungsmöglichkeiten für Inhaber von Facebook-Konten. Die Leistungen der Arbeitnehmer, die mit der Pflege der Facebook-Seite betraut sind, könnten elektronisch erfasst und gespeichert werden. Nutzer könnten sich über das Verhalten und die Leistung von Beschäftigten gegenüber einem unbegrenzten Personenkreis ohne vorherige Kontrolle durch die Arbeitgeberin äußern.
Der Konzernbetriebsrat beantragte, die Facebook-Seite abzumelden, hilfsweise die Arbeitgeberin zu verpflichten es zu unterlassen die Seite zur Übermittlung von Postings ohne Zustimmung des Konzernbetriebsrats oder einem Spruch der Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen, hilfsweise festzustellen, dass die Arbeitgeberin bei der Eröffnung der Facebook-Seite ein Mitbestimmungsrecht des Konzernbetriebsrats nach § 87 Absatz 1 Nummer 6 BetrVG verletzt habe.
Die Arbeitgeberin beantragte die Klageabweisung. Mit der allgemeinen Administrator-Kennung sei nicht nachvollziehbar, welcher Mitarbeiter zu welchem Zeitpunkt Informationen eingestellt habe. Es bestehe jedoch die Möglichkeit, dass die Arbeitgeberin durch einen Besucher-Beitrag über Arbeitsleistungen informiert werde, die als mangelhaft empfunden werden. Diese Daten würden unaufgefordert von Dritten übermittelt und nicht von der Arbeitgeberin gesondert aufgezeichnet oder ausgewertet. Der Konzernbetriebsrat habe sein Mitbestimmungsrecht bereits durch den Abschluss der Rahmenbetriebsvereinbarung zur EDV-Nutzung ausgeübt.
Das Arbeitsgericht gab dem Antrag zur Abmeldung der Facebook-Seite statt. Die Arbeitgeberin legte Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Das LAG wies die Anträge des Konzernbetriebsrates insgesamt ab. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) begehrte der Konzernbetriebsrat die Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichtes.
Das BAG entschied, der Antrag des Konzernbetriebsrats, die Arbeitgeberin habe es zu unterlassen, die Facebook-Seite zur Übermittlung von Postings ohne Zustimmung des Konzernbetriebsrats oder einem Spruch der Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen, sei begründet.
Die örtlichen Betriebsräte und der Gesamtbetriebsrat waren an dieser Entscheidung nicht zu beteiligen, da es um die Mitbestimmung an einer Entscheidung gehe, die oberhalb der Ebene einzelner Betrieb und Unternehmen des Konzerns getroffen werde.
Die Facebook-Seite sei eine konzernweite Maßnahme zur Öffentlichkeitsarbeit und des Marketings, die nicht durch Gesamtbetriebsrat oder einzelne Betriebsräte geregelt werden könne.
Die verlangte dauerhafte Löschung des Facebook-Accounts der Arbeitgeberin könne der Konzernbetriebsrat nicht verlangen. Er könne sich für dieses Begehren nicht auf ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nummer 6 BetrVG stützen. Die derzeit vorgegebenen Funktionen der Facebook-Seite ermöglichten keine Überwachung und Auswertung des Verhaltens und der Leistung von Beschäftigten. Die Mitarbeiter, welche die Facebook-Seite betreuten, würden durch den Betrieb der Facebook-Seite ebenfalls nicht durch eine technische Einrichtung überwacht.
Die von Facebook bereitgestellte Funktion „Auswertung von Ergebnissen“ sei erkennbar nicht geeignet, das Verhalten und die Leistung einzelner im Konzern beschäftigter Mitarbeiter zu überwachen, da sie keine individuellen Auswertungen gestatte. Sind Beiträge und Kommentare der mit der Pflege der Facebook-Seite beschäftigten Mitarbeiter mit Datum und Uhrzeit versehen, folge daraus kein Mitbestimmungsrecht des Konzernbetriebsrats, da die Daten nicht einzelnen Mitarbeitern zugeordnet werden könnten. Ein Mitbestimmungsrecht über die Aufzeichnung der Gesamtleistung einer Gruppe komme nur dann in Betracht, wenn der auf die Gruppe ausgeübte Überwachungsdruck auf einzelne Mitarbeiter durchschlage. Wegen der verwendeten allgemeinen Administrator-Kennung sei die Identifizierung einzelner Arbeitnehmer ausgeschlossen.
Mit der Aktivierung der Option „Beiträge von anderen Personen auf dieser Seite deaktivieren“ könne die Arbeitgeberin dem zukunftsgerichteten Begehren des Konzernbetriebsrats nachkommen, den Nutzern die Seite nicht ohne Zustimmung des Konzernbetriebsrats zur Übermittlung von Informationen zur Verfügung zu stellen, da zwischen den Parteien streitig sei, nach welchen Kriterien Besucherbeiträge freigegeben werden sollen.
Die Arbeitgeberin könne der Forderung des Gesamtbetriebsrats nachkommen, indem sie die bestehenden Einstellungen ändert, ohne den Betrieb der Facebook-Seite insgesamt einstellen zu müssen.
Mit der Möglichkeit, Besucher-Beiträge auf der betrieblichen Facebook-Seite einzustellen, handele es sich um eine technische Einrichtung zur Überwachung der Leistung und des Verhaltens der bei der Arbeitgeberin beschäftigten Mitarbeiter im Sinne von § 87 Absatz 1 Nummer 6 BetrVG, mit der das Mitbestimmungsrecht des Konzernbetriebsrats verletzt wurde.
Durch die Eröffnung und den Betrieb eines Kontos für die Facebook-Seite habe die Arbeitgeberin die von Facebook bereitgestellte webbasierte Software als technische Einrichtung eingeführt und angewendet. Die von der Arbeitgeberin eingeführte Funktion „Besucher-Beiträge“ ermögliche eine Überwachung des Verhaltens und der Leistung der in ihrem Konzern beschäftigten Arbeitnehmer.
Je nach Inhalt der Beiträge könnten diese namentlich oder situationsbedingt bestimmten Arbeitnehmer zugeordnet werden. Die Arbeitgeberin gehe selbst davon aus, über diesen Weg Kenntnisse über Leistung und Verhalten von bei den Blutspendediensten eingesetzten Arbeitnehmern zu erhalten. Solche Besucher-Beiträge könnten in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der beschäftigten Arbeitnehmer eingreifen. Einzelne Personen hätten grundsätzlich selbst die Befugnis darüber zu entscheiden wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte veröffentlicht werden.
Durch die arbeitnehmerbezogene Veröffentlichung von Besucher-Beiträgen würden Arbeitnehmer einem ständigen Überwachungsdruck ausgeliefert. Beiträge zu ihrem Verhalten würden nicht nur der Arbeitgeberin, sondern einer unbegrenzten Anzahl von Personen offenbart.
Es sei unerheblich, dass die Seite nicht auf die Überwachung von Leistung und Verhalten der beschäftigten Arbeitnehmer ausgerichtet sei und die Besucher nicht aufgefordert werden, Beiträge zum Verhalten und zur Leistung von Beschäftigten einzustellen. Unabhängig davon, wie die Arbeitgeberin die erfassten Daten weiter verwendet, liege eine Überwachung bereits mit dem Sammeln von Daten vor. Dazu genüge es bereits, dass ein Posting, in Verbindung mit weiteren gewonnenen Erkenntnissen, eine Beurteilung ermögliche.
Die Überwachung erfolge mithilfe einer technischen Einrichtung auch dann, wenn die Daten durch die technische Einrichtung nicht automatisch erfasst werden, sondern von Besuchern eingegeben und von der Facebook-Software dauerhaft gespeichert und einem unbegrenzten Personenkreis zugänglich gemacht werden. Dieser Vorgang sei entgegen der Auffassung des LAG nicht mit einem Beschwerdebrief an die Arbeitgeberin zu vergleichen.
Das Mitbestimmungsrecht des Konzernbetriebsrats wurde nicht bereits mit dem Abschluss der EDV-Betriebsvereinbarung ausgeübt. Die von Facebook zur Verfügung gestellte webbasierte Software sei darin nicht erfasst. Dafür hätte sie in die Anlage 1 der Betriebsvereinbarung „neu eingesetzte Systeme“ hinzugefügt werden müssen.