Außergerichtlicher Vergleich rechtfertigt nicht ein befristetes Arbeitsverhältnis
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.03.2017, Aktenzeichen 7 AZR 369/15
Hat das Gericht am Abschluss des Vergleichs nicht durch einen eigenen Vergleichsvorschlag verantwortlich mitgewirkt, ist das durch den Vergleich der Parteien zustande gekommene befristete Arbeitsverhältnis unwirksam.
Eine Codiererin war über einen Zeitraum von rund 12 Jahren mit teilweise längeren Unterbrechungen auf der Grundlage befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. Gegen die Befristung, die im Mai 2012 enden sollte, erhob die Codiererin eine Befristungskontrollklage. Außergerichtlich erklärte sich die Codiererin bereit, einen Vergleich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung oder eine befristete Weiterbeschäftigung abzuschließen. Der Prozessbevollmächtigte der Codiererin übermittelte dem Arbeitsgericht einen Vergleichsentwurf.
Die Arbeitgeberin unterbreitete einen abweichenden Vergleichsvorschlag. Darin wurde nach weiteren Abstimmungen festgelegt, die Codiererin werde ab Juli 2012 bis zum Jahresende befristet zu den Bedingungen des vorherigen befristeten Arbeitsvertrages weiterbeschäftigt. Der streitgegenständliche Vertrag habe zum 26.05.2012 durch Fristablauf geendet. Nachdem sich die Parteien über den Inhalt des Vergleichs geeinigt hatten, stellte das Arbeitsgericht durch Beschluss das Zustandekommen des Vergleichs fest.
Im Dezember 2012 klagte die Codiererin beim Arbeitsgericht gegen die mit Vergleich zustande gekommene Befristung. Für die Befristung bestehe kein Sachgrund. Die Befristung beruhe nicht auf einem gerichtlichen Vergleich im Sinne des TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz). Das Arbeitsverhältnis sei nicht aufgrund der Befristung beendet worden, es bestehe zu unveränderten Bedingungen unbefristet fort.
Die Arbeitgeberin argumentierte, es sei ein gerichtlicher Vergleich im Sinne von § 14 Absatz 1 Satz 2 Nummer 8 TzBfG zustande gekommen. Nach Treu und Glauben sei es der Codiererin verwehrt, die auf ihrem Vergleichsvorschlag beruhende Befristung als unwirksam zu erklären. Die Codiererin sei zur Vertretung einer auf unabsehbare Zeit erkrankten Mitarbeiterin eingesetzt worden. Damit sei die Befristung sachlich gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die Arbeitgeberin legte Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Das LAG änderte das Urteil des Arbeitsgerichtes und wies die Klage ab. Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) begehrte die Codiererin die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichtes.
Das BAG entschied, mit der vom LAG gegebenen Begründung hätte die Klage nicht abgewiesen werden dürfen.
Die Befristung gelte nicht nach § 17 Satz 2 TzBfG und § 7 Halbsatz 1 KschG (Kündigungsschutzgesetz) als unwirksam. Die Klage sei rechtzeitig geltend gemacht worden.
Der gerichtliche Vergleich sei die Voraussetzung für den Sachgrund der Befristung nach § 14 Absatz 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG soweit eine Einigung über die Beendigung eines Kündigungsschutzverfahrens oder über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses erzielt wurde. Der gerichtliche Vergleich unterliege keiner weiteren Befristungskontrolle, da diese Funktion vom Arbeitsgericht durch seine ordnungsgemäße Mitwirkung erfüllt werde.
Im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle stehe dem Arbeitsgericht die Aufgabe zu, den Arbeitnehmer vor einen grundlosen Verlust seines Arbeitsplatzes zu bewahren und damit einen angemessenen Ausgleich der wechselseitigen, grundrechtsgeschützten Interessen der Arbeitsvertragsparteien zu finden. Diese Schutzpflicht wird auch durch eine gütliche Beilegung im Rahmen eines Vergleiches erfüllt. Sehe der Vergleich eine zeitlich begrenzte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vor, könne davon ausgegangen werden, dass die Befristung nicht deshalb gewählt wurde, um dem Arbeitnehmer grundlos den gesetzlichen Bestandschutz zu nehmen.
Ein Vergleich nach § 278 Absatz 6 ZPO (Zivilprozessordnung) erfülle die Voraussetzungen eines gerichtlichen Vergleiches nur dann, wenn das Gericht verantwortlich mitwirkte. Der Vergleich werde durch einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichtes, den beide Parteien annehmen, geschlossen. Das Gericht wirke durch den Vergleichsvorschlag verantwortlich mit.
Unterbreiten die Parteien dem Gericht einen übereinstimmenden schriftlichen Vergleichsvorschlag, fehle es in der Regel an der erforderlichen verantwortlichen Mitwirkung des Gerichtes. Der gerichtliche Beitrag sei bei dieser Form des Vergleiches auf eine Feststellungsfunktion beschränkt. Das Gericht würde lediglich auf Verstöße gegen das Strafgesetz prüfen.
Die Parteien hatten dem Gericht übereinstimmend den Vergleichsvorschlag unterbreitet. Das Gericht habe am Abschluss des Vergleichs nicht durch einen Vergleichsvorschlag verantwortlich mitgewirkt. Sein Beitrag sei auf die Feststellungsfunktion beschränkt gewesen. Das Arbeitsgericht habe lediglich das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs festgestellt.
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Das LAG habe zu prüfen ob die Befristung durch den Sachgrund der Vertretung, auf den sich die Arbeitgeberin beruft, gerechtfertigt ist.
Gerichte sind verpflichtet auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen, indem sie alle Umstände des Einzelfalls überprüfen. Es sei konkret zu prüfen, inwiefern die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge der Deckung eines zeitweiligen Bedarfs diene. Unter Prüfung aller Umstände des Einzelfalles sei nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs auch zu prüfen, ob eine nationale Vorschrift dazu missbraucht werde, einen ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarf der Arbeitgeberin zu decken. Für die Prüfung sei die Zahl aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge, die mit derselben Person abgeschlossen wurden, zu berücksichtigen. Es solle ausgeschlossen werden, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen, auch wenn diese angeblich zur Deckung eines Vertretungsbedarfs geschlossen wurden.
Die Kontrolle nach dem institutionellen Rechtsmissbrauch hänge maßgeblich von der Gesamtdauer der befristeten Arbeitsverträge sowie der Gesamtzahl der Vertragsverlängerungen ab. Es könne von Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit derselben Arbeitsaufgabe beschäftigt wurde oder ob es sich um wechselnde, unterschiedliche Aufgaben handele. Für eine missbräuchliche Ausnutzung der gesetzlichen Befristungsmöglichkeit spreche, wenn gegenüber einem bereits langjährig beschäftigten Mitarbeiter, trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung, immer wieder auf befristete Verträge zurückgegriffen werde.
Basiere die Befristung des Arbeitsverhältnisses auf einem Sachgrund, liege kein Missbrauch vor, solange die Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht 6 Jahre überschreite und nicht mehr als 9 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden. Überschreite die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses 8 Jahre oder wurden mehr als 12 Vertragsverlängerungen vereinbart, sei eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten.
Die Beschäftigungszeiten seit Januar 2011 begründeten jedoch keinen Anlass für eine Rechtsmissbrauchskontrolle. Von Januar 2011 bis Dezember 2012 war die Codiererin insgesamt etwa 14,5 Monate aufgrund von sieben befristeten Verträgen, einschließlich des Vergleichs, bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Die Beschäftigungszeiten vor Januar 2011 durften für die Prüfung eines institutionellen Rechtsmissbrauchs unberücksichtigt bleiben. Erhebliche Unterbrechungen schließen die Annahme aufeinanderfolgender Arbeitsverträge aus. Die Unterbrechung von Dezember 2008 bis Januar 2011 sei als erheblich zu betrachten.
In der Regel schließe eine Unterbrechung von mindestens zwei Jahren aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse und damit einen Rechtsmissbrauch aus. Bei derart langfristigen Unterbrechungen sei davon auszugehen, dass die Beschäftigung nicht der Deckung eines ständigen und dauerhaften Bedarfs an Arbeitskräfte diene. Längere Unterbrechungen gab es im vorliegenden Fall zusätzlich von Januar 2003 bis April 2006 und April bis Dezember 2011. Die Unterbrechungen zeigten, dass kein dauerhafter Beschäftigungsbedarf bestand.
Es verstoße nicht gegen Treu und Glauben, wenn eine Partei ein unter ihrer Beteiligung zustande gekommenes Rechtsgeschäft angreift. Der Umstand, dass die Codiererin den Abschluss eines Vergleichs über eine befristete Weiterbeschäftigung vorgeschlagen und den abgestimmten Vergleich dem Arbeitsgericht mitgeteilt habe, begründe kein schützenswertes Vertrauen.