Altersabstufung einer Witwenrente
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 31.05.2017, Aktenzeichen 11 Sa 856/16
Wird in einer Pensionsordnung die Altersabstufung einer betrieblichen Witwenrente vorgesehen, so ist diese gerechtfertigt, wenn sie objektiv und angemessen ist.
Ein leitender Mitarbeiter in der Motorsportsparte war mit einer 29 Jahre jüngeren Frau verheiratet. Nach seinem Tod erhielt seine Frau eine betriebliche Witwenrente, entsprechend der betrieblichen Pensionsordnung (PO). In der Pensionsordnung ist eine Verringerung der Witwenrente vorgesehen, wenn die Frau mehr als 15 Jahre jünger ist als ihr verstorbener Ehemann. Die normale Witwenrente beträgt 55% der Monatsrente, die der Mann bezogen hätte. Für jedes Jahr, das den Altersunterschied von 15 Jahren übersteigt, wird eine Verminderung der Witwenrente um 5% des für sie vorgesehenen Betrages angesetzt.
Mit ihrer Klage wandte sich die Witwe gegen die Minderung der Witwenpension bei einem Altersunterschied von mehr als 15 Jahren. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Kürzung der Witwenrente aufgrund des Alters sei objektiv und angemessen, sowie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt. Die Klausel zum Altersunterschied diene nicht nur dem wirtschaftlichen Eigeninteresse der Arbeitgeberin. Sie diene auch dem Erhalt einer angemessen Witwenversorgung künftiger Angestellter.
Die Witwe legte Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Der Zweck der Witwenpension, den ehelich erworbenen Lebensstandard zu wahren, werde mit der Altersabstufung nicht erfüllt. Im fortgeschrittenen Alter der Witwe entfalle die Möglichkeit, die Kürzungen durch eigene Einkünfte aufzufangen. Die Witwe forderte, die Arbeitgeberin habe bisher erbrachten Pensionsleistungen bis zur Höhe von 55% der Monatsrente ihres verstorbenen Ehemannes nachzuzahlen. Für die Zukunft sei festzustellen, dass sie einen Anspruch auf 55% der Pension ihres verstorbenen Ehemannes habe.
Die Arbeitgeberin beantragte die Klageabweisung. Die Altersabstandsklausel knüpfe nicht an ein bestimmtes Lebensalter, sondern an die Altersdifferenz. Nachteile entstünden nicht für den verstorbenen Mitarbeiter, sondern lediglich für seinen überlebenden Ehepartner. Die Versorgungsordnung verfolge nicht die Sicherung des Lebensstandards. Die Hinterbliebenenversorgung diene lediglich der Ergänzung der sozialen Sicherung. Mit der Altersabstandsklausel sollen die Leistungspflichten der Arbeitgeberin begrenzt werden. Die Altersabstandsklausel bezwecke, die für die Hinterbliebenenversorgung zur Verfügung gestellten Mittel einem eingegrenzten Personenkreis ungekürzt und in angemessener Höhe zugutekommen zu lassen. Ohne diese Begrenzung bestehe die Gefahr der Reduzierung der Versorgungszusage für künftige Mitarbeiter zur Vermeidung eines finanziellen Ungleichgewichts.
Das LAG schloss sich in vollem Umfang dem Urteil des Arbeitsgerichts an. Die vorgenommene Kürzung der Witwenpension um 70% aufgrund des Altersunterschieds von 29 Jahren sei aus rechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Die Altersabstandsklausel begrenze das Leistungsrisiko für den Versorgungsschuldner anhand demographischer Kriterien. Die mit der Altersabstandsklausel bewirkte Ungleichbehandlung sei nach den allgemeinen Rechtfertigungskriterien des § 10 Satz 1 und 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) zulässig. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein.
Legitime Ziele im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 2000/78/EG (Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft) vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind im Rahmen sozial-, beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischer Belange nur solche, die auch den Interessen der Beschäftigten Rechnung tragen. Ausschließlich im Eigeninteresse des Arbeitgebers liegende Ziele, wie Kostenreduzierung und Kalkulierbarkeit der Kostenlast, können eine Diskriminierung wegen des Alters mangels legitimer Zielsetzung nach § 10 Satz 1 AGG nicht rechtfertigen. Bezwecke etwa eine sogenannte Spätehenklausel, die der Hinterbliebenenversorgung insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel nur einem eingegrenzten Personenkreis zukommen zu lassen, um diesem bei Eintritt des Versorgungsfalls eine Hinterbliebenenversorgung in angemessener, substantieller Höhe gewähren zu können, spreche viel dafür, dass diese Klausel durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Ein vollständiger altersbedingter Ausschluss aus dem Versorgungskreis im Falle einer Spätehenklausel sei hingegen nicht angemessen und erforderlich.
Es bestehe keine Rechtspflicht der Arbeitgeberin, eine Hinterbliebenenversorgung zu versprechen. Die Arbeitgeberin sei grundsätzlich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen berechtigt, Zugang und Höhe der Hinterbliebenenversorgung von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen.
Ohne Altersabstandsklausel in der Pensionsordnung sei bei typisierender Betrachtung davon auszugehen, dass sich der prognostizierte und kalkulierte Versorgungsaufwand für die Hinterbliebenenversorgung erhöht. Die mit der Altersabstandsklausel verbundene Zielsetzung des Erhalts einer Hinterbliebenenversorgung von 55 % auch für künftige Beschäftigungsverhältnisse unter Beachtung der freiwillig von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen sowie unter Berücksichtigung ihrer Interessen an verlässlicher Kalkulation und Risikobegrenzung sei legitim.
Der übliche Altersabstand zwischen Eheleuten betrug im Jahre 2012 3,9 Jahre. Nach den Sterbetafeln 2012/2014 besteht bezogen auf das vollendete 60. Lebensjahr eine unterschiedliche Lebenserwartung zwischen Frau und Mann von 3,7 Jahren. Die Arbeitgeberin übernimmt aufgrund der Altersabstandsklausel, die erst nach 15 Jahren einsetzt, Versorgungsrisiken, die über das hiernach gebotene übliche Maß an zu erwartender Dauer der Hinterbliebenenversorgung hinausgeht. Die Abschmelzung der Witwenpension nach 15 Jahren um 5 % für jedes weitere Jahr Altersunterschied sei unter Berücksichtigung der zu erwartenden Dauer des Leistungsbezugs angemessen, das Versorgungsinteresse des Angestellten im Hinblick auf den Hinterbliebenen werde hinreichend gewahrt. Die monatliche Reduzierung des Rentenbetrags werde durch die Dauer des zu erwartenden Leistungsbezugs kompensiert.
Die Witwe habe zum Zeitpunkt des Leistungsfalles unter Zugrundelegung der Lebenserwartung bei Vollendung des 40. Lebensjahres noch eine Lebenserwartung von nahezu 43 Jahren. Ausgehend von dem Ausgangsbetrag Stand Januar 2014 und ohne Berücksichtigung von Anpassungen entspricht dieser Betrag bei ungekürzter Hinterbliebenenrente einem Zeitraum von etwa 155 Monaten, mithin nahezu 13 Jahre, also deutlich mehr als die Summe der üblichen Differenz aus unterschiedlicher Lebenserwartung und üblichem Altersunterschied von Ehepartnern.
Eine unangemessene Benachteiligung wegen Ungleichbehandlung zu Ehen mit geringerem Altersabstand scheide aus, denn die Altersdifferenzierungsklausel der Pensionsordnung genüge den Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
Die Revision zu diesem Urteil wurde zugelassen.