Mitbestimmung des Betriebsrats bei Festlegung der Arbeitszeit
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.08.2017, Aktenzeichen 1 ABR 5/16
Der Betriebsrat hat bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen. Der Zweck des Mitbestimmungsrechts besteht darin, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien und für die Gestaltung ihres Privatlebens nutzbaren Zeit, zur Geltung zu bringen.
In einer Niederlassung eines bundesweit tätigen Dienstleistungsunternehmens für die Zustellung von Brief- und Paketsendungen besteht ein Betriebsrat. Im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens machte der Betriebsrat im Wege mehrerer Anträge Unterlassungsbegehren geltend. Er vertrat die Auffassung, ihm stehe sowohl bei der konkreten Zuordnung der Stammarbeitnehmer zu den vereinbarten Saison- und Rahmendienstplänen als auch der neu eingestellten Arbeitnehmer zu den Rahmendienstplänen ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) zu.
Der Betriebsrat beantragte beim Arbeitsgericht, die Arbeitgeberin habe zu unterlassen, eingestellte Mitarbeiter zur Arbeitsleistung einzusetzen oder deren Arbeitsleistung zu dulden, solange nicht vorher über Beginn und Ende der für diese Mitarbeiter maßgeblichen täglichen Arbeitszeiten einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mit dem Betriebsrat eine Einigung erzielt wurde oder ein ersetzender Spruch der Einigungsstelle erfolgte.
Die Arbeitgeberin habe es zu unterlassen, ohne vorherige Einigung mit dem Betriebsrat oder den ersetzenden Spruch der Einigungsstelle, eingestellte Arbeitnehmer in einen bestehenden mitbestimmten Betriebsplan einzusetzen.
Hilfsweise sei festzustellen, dass die Arbeitgeberin vor Einstellungen von Arbeitnehmern verpflichtet ist, den Betriebsrat darüber zu unterrichten, in welchem konkreten mitbestimmten Dienstplan, aus dem sich der arbeitstägliche Arbeitsbeginn und das arbeitstägliche Arbeitsende sowie die Lage der Pausen ergeben, der Einsatz der Beschäftigten erfolgen soll und seine Zustimmung hierzu einzuholen. Die Unterrichtungsverpflichtung gelte auch für vorläufige Einstellungen.
Für jeden Fall der Zuwiderhandlung sei ein Ordnungsgeld in Höhe bis zu 10 000 Euro anzudrohen.
Die Arbeitgeberin beantragte Klageabweisung. Saison- und Rahmendienstpläne seien vereinbart. Ein weiteres Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe nicht. Die Einteilung der neu eingestellten Arbeitnehmer erfolge vor deren tatsächlicher Eingliederung in die Betriebsorganisation. Erst mit der Aufnahme der Tätigkeit an dem zugewiesenen Arbeitsplatz handele es sich um Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Zuvor bestehe kein Mitbestimmungsrecht.
Weiterhin enthielten die §§ 99, 100 BetrVG bei Neueinstellungen abschließende Regelungen. Anderenfalls könne der Betriebsrat im Falle einer Nichteinigung über die Zuweisung kurzzeitig Beschäftigter zu einem Dienstplan ein faktisches Beschäftigungsverbot erzwingen. Das verletze die Arbeitgeberin in ihren Grundrechten aus Artikel 12 und Artikel 14 GG (Grundgesetz). Schließlich überschreite die begehrte Unterlassung der Beschäftigung auch die Grenzen des Unterlassungsanspruchs.
Das Arbeitsgericht gab den Anträgen statt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Beschwerde der Arbeitgeberin zurück. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin weiterhin die Abweisung der Anträge des Betriebsrats.
Das BAG entschied, die Anträge des Betriebsrats seien teilweise begründet.
Das LAG habe verkannt, dass es für die von dem Unterlassungsantrag erfassten Fallgestaltungen, den Einsatz von Arbeitnehmern unabhängig von einer Zuordnung zu vereinbarten Saison- oder Rahmendienstplänen, an einer Wiederholungs- oder einer Erstbegehungsgefahr fehle, die Tatbestandsvoraussetzung eines Unterlassungsanspruchs sei.
Eine Wiederholungsgefahr ergebe sich bereits aus der erstmaligen Verletzung eines Mitbestimmungsrechts in einem konkreten betrieblichen Anlassfall. Der Betriebsrat mache aber selbst nicht geltend, die Arbeitgeberin habe Stammarbeitnehmer oder neu eingestellte Beschäftigte unabhängig von den mit ihm vereinbarten Saison- und Rahmendienstplänen, eingesetzt.
Der Betriebsrat könne sich für sein Unterlassungsbegehren auf eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Absatz 1 Nummer 2 BetrVG stützen. Nach ständiger Rechtsprechung könne sich der Betriebsrat gegen zu erwartende weitere Verstöße der Arbeitgeberin gegen ein Mitbestimmungsrecht im Wege eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs wehren.
Sowohl die Zuordnung der Stammarbeitnehmer als auch die der neu eingestellten Arbeitnehmer zu den lediglich arbeitsplatzbezogenen Rahmendienstplänen und den Saisondienstplänen fallen als Festlegung der konkreten Lage und Verteilung der Arbeitszeit unter das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Absatz 1 Nummer 2 BetrVG. Weder die Rahmendienstpläne noch die Betriebsvereinbarung Arbeitszeit regelten eine konkrete Zuordnung der einzelnen Arbeitnehmer. Sie enthielten auch keine konkreten Verfahrensgrundsätze, die von der Arbeitgeberin lediglich umgesetzt werden müssten.
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG habe der Betriebsrat bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen. Der Zweck des Mitbestimmungsrechts bestehe darin, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien und für die Gestaltung ihres Privatlebens nutzbaren Zeit, zur Geltung zu bringen. Das Beteiligungsrecht umfasse bei Dienstplänen wie den vorliegenden nicht nur deren Erstellung und Ausgestaltung bezogen auf Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie die Lage der Pausen, sondern auch die Bestimmung desjenigen Personenkreises, der seine Arbeitsleistung danach zu erbringen habe. Darüber hinaus erfasse das Mitbestimmungsrecht auch die Zuordnung der einzelnen Arbeitnehmer zu einem mitbestimmten Dienstplan.
Die Festlegung der Lage der Arbeitszeit und die der Pausen neu eingestellter Arbeitnehmer berühre typischerweise nicht nur deren Interesse, sondern auch das der Stammbelegschaft. Es gehe um die Frage, welche Arbeitnehmer zu welcher Zeit mit welchen anderen Arbeitnehmern ihre Arbeitsleistung erbringen. Diese Frage stelle sich auch in Bezug auf die neu eingestellten Arbeitnehmer unabhängig von deren Person und deren individuellen Wünschen. Damit liege ein kollektiver Tatbestand vor.
Das Mitbestimmungsrecht gelte also auch für neu eingestellte Arbeitnehmer. Es setze nicht die Aufnahme der Arbeit an einem vom Arbeitgeber zugewiesenen Arbeitsplatz voraus. Die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Absatz 1 BetrVG würden auch nicht durch die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats in den personellen Angelegenheiten verdrängt.
Die Beteiligungsbefugnisse des Betriebsrats erstreckten sich auf die Arbeitnehmer des Betriebs die in einem unmittelbaren Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen. Auf den Vollzug der Eingliederung in den Betrieb komme es nicht an.
Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in personellen sowie in sozialen Angelegenheiten andererseits beträfen unterschiedliche Regelungsgegenstände und seien mit anderen Konfliktlösungsmechanismen ausgestattet. Sie stünden selbstständig nebeneinander.
Mit der Zustimmung des Betriebsrats zu einer Einstellung oder deren Ersetzung im arbeitsgerichtlichen Verfahren sei keine Entscheidung über die konkrete Lage der Arbeitszeit und der Pausen dieses Arbeitnehmers verbunden.
Die Arbeitgeberin weise sowohl Stammarbeitnehmer als auch neu eingestellte Arbeitnehmer den mitbestimmten Saison- und Rahmendienstplänen zu, ohne den Betriebsrat an dieser Maßnahme zu beteiligen und verletze damit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
Die Betriebsparteien hätten weder in den Saison- und Rahmendienstplänen noch in der BV Arbeitszeit ein Zuweisungsverfahren geregelt, das die Arbeitgeberin lediglich vollziehen müsste. Ebenso wenig sei ersichtlich, dass der Arbeitgeberin in diesen Rahmendienstplänen oder durch die BV Arbeitszeit das Recht eingeräumt worden wäre, ohne Mitwirkung des Betriebsrats die erforderliche Zuordnung der Arbeitnehmer vorzunehmen.
Es sei unschädlich, dass der Betriebsrat in der Vergangenheit sein Mitbestimmungsrecht nicht in Anspruch genommen habe. Der Betriebsrat könne nicht auf die Ausübung eines Mitbestimmungsrechtes verzichten und könne es auch nicht verwirken.
Der Antrag des Betriebsrats sei kein unbegründeter Globalantrag. Der Unterlassungsanspruch beziehe sich auf das mitbestimmungswidrige Handeln der Arbeitgeberin, also auf die betrieblichen Anlassfälle. Diese seien durch mitbestimmte Saison- und Rahmendienstpläne sowie die Missachtung des Mitbestimmungsrechts durch Zuweisung der bereits beschäftigten und der neu eingestellten Arbeitnehmer ohne Beteiligung des Betriebsrats gekennzeichnet.
Verletze die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht, sei sie als Störer auf Unterlassung eines nicht mitbestimmten zeitlichen Einsatzes der Arbeitnehmer, als Verletzungshandlung, in Anspruch zu nehmen. Die Verbindung zwischen Rechtsverletzung und Rechtsschutzziel sei daher gewahrt. Dabei könne der „Personaleinsatz an sich“ nicht, wie die Arbeitgeberin meint, auf den einzelnen „Vollzug des privat-rechtlichen Arbeitsvertrags zweier anderer Personen“ verkürzt werden.
Das Recht auf unternehmerische Betätigung sei nicht schrankenlos gewährleistet. Die mögliche Beeinträchtigung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit durch mitbestimmte Regelungen über die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage begrenze nicht das Mitbestimmungsrecht. Diese Beschränkung sei vielmehr die im Gesetz angelegte Folge des Bestehens von Mitbestimmungsrechten. Die Zuerkennung des Unterlassungsanspruchs verletze die Arbeitgeberin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG,
Der Unterlassungsanspruch vereitele auch nicht den Kern der Unternehmensführung der Arbeitgeberin. Die Beschäftigung der Arbeitnehmer werde nicht gänzlich untersagt, sondern sei von einer mitbestimmten oder über die Einigungsstelle erzwingbaren Regelung der Betriebsparteien abhängig. Der Unterlassungsanspruch bezieht sich nicht auf das „Ob“, sondern das „Wie“ der Beschäftigung der Arbeitnehmer und dies auch nur für den Fall, dass die Arbeitgeberin keine Übereinkunft mit dem Betriebsrat, ggf. durch einen Spruch der Einigungsstelle über die Zuordnung der Arbeitnehmer zu den bestehenden Rahmen- und Saisondienstplänen herbeiführte.
Die Arbeitgeberin könne mit dem Betriebsrat allgemeine Grundregeln über die Dienstplangestaltung einschließlich der erforderlichen Kriterien, denen ein Dienstplan zu entsprechen hat, vereinbaren. Die Betriebsparteien könnten auch Verfahrensregelungen treffen, die ggf. eine erforderliche kurzfristige Entscheidung der Einigungsstelle herbeiführen.
Das Prozessgericht könne der Arbeitgeberin für den Fall, dass sie der Verpflichtung zuwiderhandelt, eine bestimmte Handlung zu unterlassen, gemäß § 890 Absatz 1 und Absatz 2 ZPO (Zivilprozessordnung) auf Antrag wegen einer jeden Zuwiderhandlung die Festsetzung von Ordnungsgeldern androhen. Die auch im Falle des allgemeinen Unterlassungsanspruchs zu beachtende Höchstgrenze des § 23 Absatz 3 Satz 5 BetrVG sei gewahrt. Es handele sich um ein Zwangsgeld, das die Arbeitgeberin zur Befolgung einer gerichtlichen Anordnung anhalten solle.