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Dürfen in der betrieblichen Altersversorgung Altersgrenzen gesetzt werden?

Rechtmäßigkeit von Altersgrenzen für betriebliche Altersversorgung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.09.2017, Aktenzeichen 3 AZR 72/16

In einem betrieblichen Versorgungssystem können Altersgrenzen festgesetzt werden, wenn sie einem legitimen Ziel dienen sowie angemessen und erforderlich sind.

Eine junge Frau trat vor dem Beginn ihrer Berufsausbildung zunächst als Verwaltungslehrling in den Dienst ihrer Arbeitgeberin, einer Ortskrankenkasse. Nach ihrer erfolgreichen Ausbildung wurde die junge Frau als Verwaltungssekretärin in ein Anstellungsverhältnis mit der Ortskrankenkasse übernommen. Später fanden Zusammenschlüsse der Ortskrankenkassen statt.

Die Verwaltungssekretärin ist seit August 2013 im Ruhestand und bezieht ein Ruhegehalt von der Arbeitgeberin. Zu diesem Zeitpunkt galt das Landesbeamtenversorgungsgesetz (LBeamtVG) für Nordrhein-Westfalen in der Fassung von 2013. Darin war bestimmt, dass Beschäftigungszeiten vor dem vollendeten 17. Lebensjahr nicht als ruhegehaltsfähige Zeiten gelten. Nachteile, die durch Zeiten der Kindererziehung entstehen, werden durch Zuschläge bei der Versorgung abgemildert, soweit dadurch die Höchstgrenze der Versorgung nicht überschritten wird.

Das Landesbeamtenversorgungsgesetz für Nordrhein-Westfalen wurde im Jahr 2016 neu gefasst. Es sieht keinen Ausschluss der Dienstzeiten vor dem 17. Lebensjahr vor. Ruhegehälter, die vor Juli 2016 ermittelt wurden, sollten entsprechend der letzten bestandskräftigen Festsetzung vor dem Juli 2016, unter Berücksichtigung der seither vorgenommenen Anpassungen, fortgezahlt werden.

Für die Verwaltungssekretärin wurde ein Ruhestandssatz von 53,81% ermittelt. Damit blieb sie deutlich unter dem Höchstversorgungssatz von 71,75%. Die Beschäftigungszeiten vor dem 17. Lebensjahr wurden nicht berücksichtigt. Hingegen wurden sämtliche Teilzeitarbeitszeiten mindernd berücksichtigt, sowie Beurlaubungen, die teilweise ohne Bezüge erfolgten.

Mit ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht strebte die Verwaltungssekretärin an, dass ihre Beschäftigungszeit vor dem vollendeten 17. Lebensjahr für die Berechnung des Ruhegehalts berücksichtigt wird.

Durch die Nichtberücksichtigung der vor der Vollendung des 17. Lebensjahres erbrachten Dienstjahre würden im Wesentlichen Frauen benachteiligt. Männer erreichten meist den höchstmöglichen Ruhegehaltssatz, sodass sich der Ausschluss der Zeiten vor der Vollendung des 17. Lebensjahres nicht auswirke. Die Regelung bewirke eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts und verstoße gegen das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab der Klage im Berufungsverfahren statt. Mit ihrer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) strebte die Arbeitgeberin die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils an.

Das BAG entschied, das LAG habe der Klage zu Unrecht stattgegeben.

Die Verwaltungssekretärin könne die Berücksichtigung ihrer vor der Vollendung des 17. Lebensjahres bei der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin zurückgelegten Beschäftigungszeiten nicht auf die für ihr Arbeits- und Versorgungsverhältnis geltenden Versorgungsregelungen stützen.

Der Ausschluss von Zeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit, die vor dem 20. Juli 1973 liegen, verstoße weder gegen §§ 1 und 3 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) noch gegen die im Unionsrecht und im nationalen Verfassungsrecht geltenden Verbote der Diskriminierung wegen des Alters oder des Geschlechts.

Das Versorgungsverhältnis der Verwaltungssekretärin richte sich nicht nach der Neufassung des Landesbeamtenversorgungsgesetzes NRW von 2016, sondern nach der Fassung von 2013. Diese schließe die Berücksichtigung von Dienst- und Ausbildungszeiten, die vor der Vollendung des 17. Lebensjahres liegen, als ruhegehaltfähige Dienstzeit aus.

Zum Beginn des Ruhestands der Verwaltungssekretärin war das Landesbeamtenversorgungsgesetz (LBeamtVG) NRW 2013 anzuwenden. Mit dieser Regelung sollte gewährleistet werden, dass für bereits im Ruhestand befindliche Beamtinnen und Beamte das zum Zeitpunkt ihrer Zurruhesetzung geltende Recht weiter anwendbar bleibe. Der dort geregelte Anrechnungsausschluss sei nicht nach § 7 Absatz 2 AGG unwirksam. Er bewirke keine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters oder des Geschlechts.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sei anwendbar und gelte auch für die betriebliche Altersversorgung, soweit das Betriebsrentenrecht nicht vorrangige Sonderregelungen enthalte.

Das Landesbeamtenversorgungsgesetz NRW 2013 knüpfe zwar unmittelbar an die Vollendung des 17. Lebensjahres an und schließe eine Berücksichtigung von Zeiten, die vor diesem Zeitpunkt liegen, bei der Berechnung des Ruhegehalts aus. Jedoch erreichten die hiervon erfassten Dienstordnungs-Angestellten ihre Höchstversorgung bei Vollzeitbeschäftigung bereits nach vierzig Dienstjahren, und somit spätestens mit der Vollendung des 57. Lebensjahres.

Der Anrechnungsausschluss von erbrachten Beschäftigungszeiten vor der Vollendung des 17. Lebensjahres könne sich jedoch nachteilig auswirken, wenn Erwerbsbiographien vorlägen, die beispielsweise eine langjährige Teilzeittätigkeit oder Zeiten aufweisen, die bei der ruhegehaltfähigen Dienstzeit nicht zu berücksichtigen seien, weil das Arbeitsverhältnis ruht.

Selbst wenn man zugunsten der Klägerin annähme, sie würde durch die Regelungen wegen ihres Alters unmittelbar benachteiligt, wäre dies nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt.

Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. Nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG ist dies der Fall bei der Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen.

Der Gesetzgeber habe zum Ausdruck gebracht, dass die Festsetzung von Altersgrenzen für den Anspruch auf Leistungen aus den dort aufgeführten betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit grundsätzlich objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel im Sinne von § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt ist. Die konkret gewählte Altersgrenze müsse allerdings angemessen und erforderlich sein. Soweit die Voraussetzungen von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG erfüllt sind, sei eine unterschiedliche Behandlung danach zwar grundsätzlich, aber nicht immer zulässig.

Die Festsetzung von Altersgrenzen für Altersbezüge im Rahmen von Systemen der betrieblichen Altersvorsorge stelle keine Diskriminierung wegen des Alters dar, solange dies nicht zu einer Diskriminierung wegen des Geschlechts führe.

Soweit das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in seinen Anforderungen an die Zulässigkeit von Altersgrenzen in betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit über das nach Unionsrecht Erforderliche hinausgehe, sei dies unionsrechtlich ohne Weiteres zulässig. Nach Artikel 8 Absatz 1 Richtlinie 2000/78/EG dürfen die Mitgliedstaaten Vorschriften einführen oder beibehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die in der Richtlinie 2000/78/EG vorgesehenen Vorschriften sind.

Unter diesen Voraussetzungen sei eine unmittelbare Benachteiligung der Verwaltungssekretärin wegen des Alters gerechtfertigt.

Mit der im LBeamtVG NRW 2013 enthaltenen Altersgrenze werde ein legitimes Ziel im Sinne von § 10 Satz 1 AGG verfolgt. Ziele, die im Rahmen von Anliegen der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes einen Ausgleich zwischen verschiedenen beteiligten Interessen schaffen sollen, um damit der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu dienen, seien als legitim im Sinne von § 10 Satz 1 AGG anzusehen. Dazu gehöre auch, den unternehmerischen Belangen einer begrenz- und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen. Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten.

Die Regelung sei aufgrund der Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten vor der Vollendung des 17. Lebensjahres geeignet, das mit ihr verfolgte Ziel einer Risikobegrenzung zu erreichen. Der Ausschluss der Anrechnung dieser Zeiten führe auch nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der Arbeitnehmer an der vollständigen Berücksichtigung sämtlicher erbrachter Beschäftigungszeiten. Denn diese Kappung der erbrachten Beschäftigungszeit belaste einen Arbeitnehmer, gemessen an der ihm bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze verbleibenden Zeit zum Aufbau einer Altersversorgung von mindestens 48 Jahren, nur unwesentlich.

Die Altersgrenze sei auch erforderlich. Sie gehe nicht über das hinaus, was zur Erreichung des angestrebten Ziels, der Begrenzung der Versorgungslast, notwendig ist. Nur durch die Einführung eines Mindestalters für den Erwerb von Versorgungsanwartschaften seien die von der Arbeitgeberin zu erbringenden Versorgungsleistungen hinreichend sicher kalkulierbar begrenzt.

Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts folge eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht daraus, dass bei der Arbeitgeberin mehr Frauen als Männer in Teilzeit arbeiten und Elternzeit sowie längerfristige Beurlaubungen, wie sie im öffentlichen Dienst aus familienpolitischen Gründen möglich sind, in Anspruch genommen haben. Hieraus könne nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass von der Begrenzung der anrechenbaren Dienstzeiten auf die Beschäftigungszeiten ab der Vollendung des 17. Lebensjahres deutlich mehr Frauen als Männer nachteilig betroffen seien. Das ergebe sich bereits daraus, dass vorliegend nicht auf die Gesamtzahl der zurzeit etwa 8.000 bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen ist, sondern lediglich auf die Gruppe von Dienstordnungs-Angestellten. Es sei nicht ersichtlich, dass sich in der Gruppe von Dienstordnungs-Angestellten deutlich mehr Personen eines Geschlechts befinden. Zudem trete die begrenzende Wirkung nur dann ein, wenn auch unter Berücksichtigung der Teilzeitbeschäftigung der Höchstversorgungssatz nicht erreicht werde.