Zwangsvollstreckung gegen Betriebsratsmitglieder
Landesarbeitsgericht, Urteil vom 17.01.2018, Aktenzeichen 17 TaBV/1299/17
Die Zwangsvollstreckung aus einem Handlungstitel gegen einzelne Betriebsratsmitglieder kann betrieben werden, sofern und soweit die Betriebsratsmitglieder zur Vornahme der Handlungen materiell-rechtlich verpflichtet sind.
Einige Betriebsratsmitglieder verlangten von anderen Mitgliedern des gleichen Betriebsrats Einsicht in die E-Mails an den Betriebsrat. Folgende Regelungen wurden getroffen:
Werden an den Betriebsrat gerichtete Nachrichten an die E-Mail-Adressen der einzelnen Betriebsratsmitglieder gesandt, sind diese an den oben genannten Account weiterzuleiten. Alle Betriebsratsmitglieder haben ein Einblicksrecht in diesen Account ohne zeitliche Verzögerung. Nachrichten, die an einzelne Betriebsratsmitglieder gesandt wurden, sind an den E-Mail-Account des Betriebsrats weiterzuleiten.
Der Betriebsrat besteht aus 21 Mitgliedern. Einige der Betriebsratsmitglieder begehren die Erteilung einer Vollstreckungsklausel zu einem gerichtlichen Vergleich, um die Zwangsvollstreckung gegen 5 Betriebsratsmitglieder, darunter der Vorsitzende des Betriebsrats und sein Stellvertreter, zu betreiben. Im März 2013 begehrten die antragstellenden Betriebsratsmitglieder, ihnen uneingeschränkte Einsicht in sämtliche Unterlagen des Betriebsrats zu gewähren. In einem Teilbeschluss verpflichtete das Arbeitsgericht den Betriebsrat, den antragstellenden Betriebsratsmitgliedern, jederzeit auf elektronischem Wege Einsichtnahme in sämtliche elektronisch gespeicherte Dateien im Zusammenhang mit der Betriebsratsarbeit zu gewähren. Antragsteller und Betriebsrat schlossen im Dezember 2014 dazu einen Vergleich. Darin wurde festgelegt, dass die E-Mail-Korrespondenz des Betriebsrats mit der Arbeitgeberin über einen separaten Account abgewickelt wird. Alle Betriebsratsmitglieder ist das Einblicksrecht in diesen Account ohne zeitliche Verzögerung zu gewähren.
In Juli 2015 forderten die Antragsteller beim Arbeitsgericht eine Vollstreckungsklausel zur Zwangsvollstreckung bezüglich des geschlossenen Vergleiches. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Eine Vollstreckungsklausel könne gegen einzelne Mitglieder des Betriebsrats erteilt werden, soweit diese materiell-rechtlich für die Erfüllung des gegen den Betriebsrat gerichteten Titels einzustehen haben. Die beklagten Betriebsratsmitglieder seien zur Vornahme der in dem Vergleich Dezember 2014 genannten Handlungen verpflichtet.
Gegen dieses Urteil legten die Beklagten Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Sie hielten die Klage für unzulässig. Die Antragsteller hätten nicht zuvor die Erteilung einer Vollstreckungsklausel im Klauselerteilungsverfahren vor dem Rechtspfleger beantragt und gegebenenfalls Rechtsmittel gegen dessen ablehnende Entscheidung eingelegt. Es lägen keine Voraussetzungen zur Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach § 731 Zivilprozeßordnung (ZPO) vor und es gäbe keinen Raum für deren Anwendung.
Die Stellung der einzelnen Betriebsratsmitglieder verbiete es, sie einer Zwangsvollstreckung in Bezug auf Handlungspflichten des Betriebsrats auszusetzen. Sie hätten zudem keinen Einfluss auf den Inhalt eines durch den Betriebsrat abgeschlossenen Vergleichs. Der Betriebsrat sei nicht berechtigt, einen Vergleich zulasten seiner Mitglieder abzuschließen und diese zu Handlungen zu verpflichten.
Der Vergleich vom Dezember 2014 enthalte keine konkrete Bezeichnung der Handlungspflichten und sei deshalb einer Zwangsvollstreckung nicht zugänglich. Die Beklagten seien materiell-rechtlich nicht zur Erfüllung des Vergleichs verpflichtet, der jedoch gleichwohl bei der Tätigkeit des Betriebsrats beachtet werde.
Die klagenden Betriebsratsmitglieder argumentierten, für die beklagten Betriebsratsmitglieder sei die geforderte Vollstreckungsklausel zu erteilen, weil eine Durchsetzung der im Vergleich vom Dezember 2014 titulierten Handlungspflichten sonst nicht möglich wäre. Hierfür gebe es keine Rechtfertigung. Die Beklagten seien nach Maßgabe der Geschäftsordnung des Betriebsrats zur Umsetzung des Vergleichs verpflichtet und müssten hierzu gegebenenfalls im Wege der Zwangsvollstreckung angehalten werden können.
Das LAG entschied, die Beschwerde des Betriebsrats sei unzulässig. Die Rechtsstellung des Betriebsrats werde nicht dadurch berührt, dass den Antragstellern eine Vollstreckungsklausel zur Durchführung der Zwangsvollstreckung gegen die beklagten Betriebsratsmitglieder erteilt werde. Denn die beabsichtigte Zwangsvollstreckung soll sich nicht gegen den Betriebsrat, sondern gegen einzelne seiner Mitglieder richten.
Die Beschwerde der beklagten Betriebsratsmitglieder ist nur teilweise begründet. Den Antragstellern war die Vollstreckungsklausel zu dem gerichtlichen Vergleich vom Dezember 2014 zur Zwangsvollstreckung gegen die Beklagten nur insoweit zu erteilen, wie diese in Ausübung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Funktionen zur Vornahme der in dem Vergleich geregelten Handlungen verpflichtet sind. Ein weitergehender Klauselantrag ist unbegründet. Dies führt zur Änderung des angefochtenen Beschlusses.
Der gestellte Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel sei zulässig und statthaft. Den Antragstellern fehle nicht das Rechtsschutzbedürfnis für den Klauselerteilungsantrag. Der Vergleich vom Dezember 2014 sei einer Vollstreckung zugänglich.
Der Betriebsrat habe sich danach verpflichtet, die E-Mail-Korrespondenz mit der Arbeitgeberin über einen bestimmten E-Mail-Account zu führen und an ihn gerichtete E-Mails, die an die E-Mail-Adressen einzelner Betriebsratsmitglieder gesandt werden, an diesen Account weiterzuleiten.
Der Vergleich diente der Beendigung der gerichtlichen Auseinandersetzung der Antragsteller mit dem Betriebsrat über das Einsichtsrecht in die im Zusammenhang mit der Betriebsratsarbeit gespeicherten Daten.
Der Rechtspfleger ist nach § 3 Nummer 3a in Verbindung mit § 20 Absatz 1 Nummer 12 Rechtspflegergesetz für die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigungen in den dort genannten Fällen zuständig, die im vorliegenden Verfahren jedoch nicht einschlägig sind. Die Antragsteller konnten daher eine Vollstreckungsklausel nicht außerhalb eines Verfahrens nach § 731 ZPO erhalten.
Es ist umstritten, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein gegen eine betriebsverfassungsrechtliche Stelle wie den Betriebsrat gerichteter Handlungstitel gegenüber den Mitgliedern der Stelle vollstreckt werden kann. In der Rechtsliteratur wird eine Zwangsvollstreckung sowohl abgelehnt als auch zugelassen, ebenso wie eine Titelumschreibung.
Das Bundesarbeitsgericht hat eine Zwangsvollstreckung gegen die Mitglieder des Betriebsrats aus einem gegen den Betriebsrat gerichteten Titel abgelehnt (BAG 7 ABR 36/12 vom 28 Mai 2014), ohne jedoch zu der Frage einer Umschreibung des Titels nach § 731 ZPO Stellung zu nehmen.
Die Beschwerdekammer des LAG hält eine Umschreibung des gegen den Betriebsrat gerichteten Handlungstitels nach § 731 ZPO zum Zwecke der Zwangsvollstreckung gegen die einzelnen Betriebsratsmitglieder für geboten, soweit diese materiell-rechtlich verpflichtet sind, die titulierte Handlungspflicht zu erfüllen. Es sei nicht erforderlich, dass sich der Titel irrtümlich gegen den Betriebsrat richtet.
Der völlige Ausschluss einer Umschreibung des gegen den Betriebsrat gerichteten Handlungstitels zum Zwecke der Zwangsvollstreckung sei mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Justizgewährungsanspruch nicht zu vereinbaren.
Der Betriebsrat ist als Organ der Betriebsverfassung im Rahmen seines betriebsverfassungsrechtlichen Wirkungskreises rechtsfähig und kann daher nicht nur Träger von Rechten, sondern auch von rechtlichen Verpflichtungen sein. Die staatliche Justizgewährung könne sich jedoch in einer rechtsstaatlichen Ordnung, die dem Staat das Zwangsmonopol zuweist und dem Vollstreckungsgläubiger Selbsthilfe verbietet, nicht in der Feststellung von Ansprüchen erschöpfen, sondern müsse auch ein wirkungsvolles Verfahren zur Durchsetzung der Ansprüche beinhalten. Andernfalls wäre es in das Belieben des Schuldners gestellt, ob er den gerichtlich festgestellten Anspruch erfüllt oder nicht. Dem Gläubiger würde entgegen rechtsstaatlichen Anforderungen ein substantieller Rechtsschutz verwehrt.
Vor diesem Hintergrund müsse es auch dem Gläubiger des Betriebsrats grundsätzlich möglich sein, einen Anspruch auf Vornahme einer Handlung notfalls zwangsweise durchzusetzen. Es sei rechtlich nicht überzeugend, dass der Betriebsrat anders als andere Schuldner selbst darüber befinden können soll, ob er eine Handlungsverpflichtung erfülle oder nicht. Der Betriebsrat selbst könne nicht durch Festsetzung eines Zwangsgeldes (§ 888 Absatz 1 ZPO) angehalten werden, seiner titulierten Handlungspflicht nachzukommen, weil er vermögenslos ist.
Ein gegen den Betriebsrat gerichteter Handlungstitel könne auch nicht ohne Weiteres durch eine Zwangsvollstreckung gegen die einzelnen Betriebsratsmitglieder durchgesetzt werden. Das einzelne Betriebsratsmitglied sei nicht in der Lage die Handlungen des Betriebsrats zu steuern. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen das einzelne Betriebsratsmitglied könnten bei dieser Sachlage ihren Zweck, den titulierten Anspruch durchzusetzen, nicht erreichen.
Ein Ausgleich zwischen dem Justizgewährungsanspruch eines Gläubigers des Betriebsrats einerseits und dem Ausschluss von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Betriebsrat zur Durchsetzung einer Handlungspflicht andererseits könne bei dieser Sachlage nur durch eine entsprechende Anwendung des § 731 ZPO erreicht werden, gerichtet auf die Erteilung einer Vollstreckungsklausel gegen die Mitglieder des Betriebsrats, die aufgrund materiell-rechtlicher Vorschriften verpflichtet sind, sich für den Betriebsrat in der titulierten Weise zu verhalten.
Nur durch ein Derartiges, über den Wortlaut des § 731 ZPO hinausgehendes Klauselerteilungsverfahren könne erreicht werden, dass sowohl eine Zwangsvollstreckung möglich bleibt als auch Betriebsratsmitglieder nicht ohne auch für sie bestehende rechtliche Verpflichtung Zwangsmaßnahmen unterworfen werden. Da es sich bei dem Klauselerteilungsverfahren um ein Erkenntnisverfahren handelt, werde zudem der erforderliche Rechtsschutz des in Rede stehenden Betriebsratsmitglieds gewährleistet. Das Gericht überprüfe von Amts wegen, ob das Betriebsratsmitglied zur Vornahme der Handlung für den Betriebsrat verpflichtet sei.
Den Antragstellern war danach, zu dem gerichtlichen Vergleich vom Dezember 2014, die Vollstreckungsklausel gegen die Beklagten zu erteilen. Die beklagten Betriebsratsmitglieder vertreten in ihren Funktionen als Vorsitzende bzw. stellvertretende Vorsitzende des Betriebsratsgremiums bzw. der einzelnen Ausschüsse den Betriebsrat und führen die Geschäfte dieser Gremien. Sie hätten deshalb ihre Funktionen in der Weise vorzunehmen, zu der sich der Betriebsrat in dem gerichtlichen Vergleich verpflichtet hat. Sie haben die E-Mail-Korrespondenz des Betriebsrats mit der Arbeitgeberin über den allgemeinen Betriebsratsaccount abzuwickeln und an den Betriebsrat gerichtete E-Mails, die ihnen im Zusammenhang mit ihren Funktionen an die eigene E-Mail-Adresse gesandt werden, an den allgemeinen Betriebsratsaccount weiterzuleiten.
Die beklagten Betriebsratsmitglieder hätten demgegenüber für weitergehende Handlungspflichten des Betriebsrats nicht einzustehen. Die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für weitergehende Handlungen komme nicht in Betracht. Das gelte insbesondere für die Behandlung der E-Mails des Betriebsrats, die sie als einfache Mitglieder des Betriebsrats bzw. einer seiner Ausschüsse und damit außerhalb ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Funktionen an die Arbeitgeberin senden oder erhalten.
Soweit den Beklagten durch die Anlage 2 der Geschäftsordnung des Betriebsrats bestimmte „Betreuungsbereiche“ zugewiesen wurden, stellen sie keine betriebsverfassungsrechtlichen Funktionen dar und sind deshalb materiell-rechtlich nicht zu den in dem Vergleich genannten Verhaltensweisen des Betriebsrats verpflichtet.
Bei den „Betreuungsbereichen“ handele es sich um betriebsverfassungsrechtlich nicht vorgesehene Einheiten, denen keine bestimmten Aufgaben zugewiesen wurden und die eigentliche Tätigkeit des Betriebsrats und seiner Ausschüsse allenfalls vorbereiten und begleiten können. Sie stellen im Gegensatz zu denen in Nr. 6 der Geschäftsordnung genannten „Kommissionen“ keine Ausschüsse des Betriebsrats im Sinne des § 28 BetrVG dar. Die beklagten Betriebsratsmitglieder werden daher für die „Betreuungsbereiche“ als einfache Betriebsratsmitglieder, nicht aber als betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger tätig.
Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil wurde zugelassen. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein gegen den Betriebsrat gerichteter Handlungstitel in entsprechender Anwendung des § 731 ZPO umgeschrieben werden könne, habe grundsätzliche Bedeutung.