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Entschädigung für Mobbing

Schadenersatz bei Mobbing durch leitende Mitarbeiter

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.09.2016, Aktenzeichen 8 AZR 351/15

Bei auf Mobbing gestützten Entschädigungsklagen ist der ideelle Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen. Der Entschädigungsanspruch setzt voraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt und dass die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann.

Eine Betreuerin für behinderte Personen war in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt. Nach 8 Jahren Diensttätigkeit vereinbarten Betreuerin und Arbeitgeberin die Fortbildung zur „Geprüften Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung in Werkstätten für behinderte Menschen“. Nach dem Erwerb der Zusatzqualifikation sollte die Betreuerin als Gruppenleiterin eingesetzt werden.

Während der Teilnahme an der Fortbildung entstanden Unstimmigkeiten zwischen der Betreuerin und dem Werkstattleiter, ihrem Vorgesetzten. Dabei ging es um die Frage der Vertretung während der Bildungsmaßnahme der Betreuerin.

Im Februar 2010 wurde die Betreuerin für den Zeitraum von einer Woche zum Einsatz im Fahrdienst an einem anderen Standort eingesetzt. Die Aufgabe der Betreuerin im Fahrdienst war es unter anderem, Essenwagen für das Mittagessen in einen Bus hinein und hinauszuschieben. Die Betreuerin brach diese Arbeit bereits am ersten Tag ab, da diese zu schwer für sie sei. Ab dem nächsten Tag wurde sie wieder am gewohnten Standort in der Werkstatt beschäftigt.

Wenige Tage später, Anfang März 2010 kündigte der Werkstattleiter die Ausbildungsvereinbarung. Im folgenden Monat wandte sich die Betreuerin an die Direktion der Stiftung, unter deren Schirmherrschaft die Werkstatt betrieben wurde. Im Schreiben erläuterte sie aus ihrer Sicht den Konflikt mit dem Werkstattleiter und bat um Mithilfe, die Zusatzausbildung wieder aufnehmen zu können.

Die Arbeitgeberin erteilte der Betreuerin im Mai eine Abmahnung. In der Abmahnung wurde auf den Abbruch des Einsatzes an einem anderen Standort Bezug genommen, sowie auf das Arbeitstagebuch der Betreuerin. Mit den darin enthaltenen Anschuldigungen gegen Mitarbeiter der Werkstätte habe sie zu einer erheblichen Verschlechterung des Betriebsklimas beigetragen. Die Arbeitgeberin habe der Betreuerin, entsprechend ihrem Wunsch eine Versetzung an einen anderen Standort angeboten.

Die Betreuerin habe zudem einen Beschwerdebrief an die Stiftung geschrieben, ohne den Dienstweg einzuhalten. Durch ihr Verhalten habe sie nachhaltig Betriebsfrieden und Arbeitsklima gestört, speziell durch ihre einseitigen zum Teil auch beleidigenden Aussagen und Verdächtigungen gegenüber Kollegen und Ihren Vorgesetzten.

Die Arbeitgeberin forderte die Betreuerin im Rahmen der Abmahnung auf, den Betriebsfrieden nicht mehr zu stören, sich in der Öffentlichkeit nicht mehr negativ über Arbeitskollegen zu äußern und den Beschwerdeweg über die Geschäftsführung einzuhalten.

Eine Woche nach der Abmahnung erklärte die Betreuerin, dass sie am bisherigen Standort bleiben wolle.

Vor dem Arbeitsgericht griff die Betreuerin die Abmahnung der Arbeitgeberin an. Sie verlangte weiterhin ihre Beschäftigung als Gruppenleiterin, die Übernahme der Fortbildungskosten und ihre Freistellung dafür.

Ende Mai 2010 mahnte die Arbeitgeberin erneut ab. Die Betreuerin habe ihre Arbeitsunfähigkeit nicht unverzüglich gemeldet. Im Dezember 2010 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin. Die Betreuerin griff diese Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht an. Das Verfahren führte zu einem Vergleich. Das Arbeitsverhältnis endete gegen Zahlung einer Abfindung von 10 000 Euro zum 30. Juni 2011. Mit Rechtskraft des Vergleichs war zudem die 1. Abmahnung vom Mai 2010 aus der Personalakte zu entfernen.

Im April 2013 machte die Betreuerin gegenüber der Arbeitgeberin Schandenersatz nach § 823 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) geltend. Die Betreuerin sei über einen langen Zeitraum Anfeindungen und Mobbing ausgesetzt gewesen. In deren Folge sei sie erkrankt. Die Arbeitgeberin lehnte die Forderung ab.

Im September 2013 klagte die Betreuerin vor dem Arbeitsgericht und verfolgte damit Ansprüche gegenüber der Arbeitgeberin auf Ersatz materiellen sowie immateriellen Schadens.

Die Arbeitgeberin sei ihr wegen Mobbings zum Schandenersatz verpflichtet. Sie sei systematischen Anfeindungen und Zermürbungen ausgesetzt gewesen, aufgrund derer sie ausweislich der vorgelegten ärztlichen Atteste an Depressionen erkrankt sei.

Ihr Vorgesetzter habe ihr jede Unterstützung für die Organisation einer Vertretung während der Bildungsmaßnahme versagt. Wegen ihrer deshalb offen geäußerten Kritik in der Mitgliederversammlung sei er offenbar persönlich gekränkt und beleidigt gewesen und habe sie deshalb ins Visier genommen. Man habe sie durch den Entzug der Gruppe und den Abbruch der Fortbildungsmaßnahme abstrafen wollen. Weitere zentrale Bestandteile des Mobbings seien die unberechtigten Abmahnungen, die außerordentliche Kündigung sowie ihre Versetzung an einen anderen Standort. Ihr sei dort eine Arbeit zugewiesen worden, die offensichtlich für sie körperlich völlig ungeeignet sei. Mehrfach sei sie gedrängt worden, das Arbeitsverhältnis durch einen Auflösungsvertrag zu beenden.

Die Arbeitgeberin sei zu verurteilen, an die Betreuerin 5 000 Euro zu zahlen. Zudem sei sie zu verpflichten, ihr allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aufgrund der streitgegenständlichen Mobbinghandlungen (des Entzugs der sonderpädagogischen Zusatzausbildung, der Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, den Abmahnungen sowie der Kündigung) noch entstehen werde, soweit der Anspruch nicht auf einen Versicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

Die Arbeitgeberin argumentierte in ihrer Klageabweisung, etwaige Ansprüche der Betreuerin seien nach § 23 AVR (Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes) verfallen. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit etwaige Depressionen der Betreuerin auf Schwierigkeiten im Betrieb oder aber auf sonstige Lebenssituationen zurückzuführen seien. Die Entscheidung, die Ausbildung abzubrechen, beruhe ausschließlich auf der mangelnden Eignung der Betreuerin, als Leiterin einer Gruppe behinderter Menschen tätig zu sein. Sie sei beispielsweise nicht in der Lage gewesen, für die Dauer ihrer Abwesenheit eine Vertretung für die Gruppe zu unterweisen.

Sie habe ihren Vorgesetzten in der Mitgliederversammlung verbal attackiert und bloßgestellt. Der Betreuerin seien wegen sprachlicher Probleme bei Bestellungen und Dispositionen häufig Fehler unterlaufen, für die sie unberechtigterweise andere Mitarbeiter verantwortlich gemacht habe.

Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens habe die Betreuerin schließlich mehrfach versucht, Einfluss auf die ihr zur Betreuung zugewiesenen behinderten Menschen zu nehmen und diese unter Druck gesetzt. Zudem habe die Betreuerin im März 2011 einem psychisch behinderten Beschäftigten beim privaten Einkauf angesprochen und ihm mitgeteilt, dass sie einen Rechtsstreit mit der Werkstatt führe. Dabei habe sie abfällig über ihren Vorgesetzten gesprochen. Dies habe zu einem endgültigen Vertrauensverlust geführt.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Berufung der Betreuerin zurück. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Betreuerin weiterhin ihre Anträge.

Das BAG urteilte, das Landesarbeitsgericht habe die Klage zurecht zurückgewiesen. Die Klage sei unbegründet. Die Betreuerin habe sich in den Instanzen ausschließlich darauf berufen, durch die Mobbinghandlungen der Arbeitgeberin in ihrer Gesundheit verletzt worden zu sein und ihre Klage zu keinem Zeitpunkt auf eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts gestützt.

Sie habe beispielsweise ausgeführt, sie sei infolge der von ihr vorgetragenen Mobbingtatbestände psychisch erkrankt, ihre Gesundheit sei erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden. Zudem habe sie darauf hingewiesen, wie sich ihre finanziellen Verhältnisse infolge ihrer Arbeitsunfähigkeit, die sie auf die Mobbinghandlungen zurückführe, darstellten. Auch zur Begründung zukünftiger materieller und immaterieller Schäden habe sie sich ausschließlich auf Gesundheitsschäden und Spätfolgen bezogen und dabei lediglich die aus den behaupteten Mobbinghandlungen resultierenden gesundheitlichen Folgen beschrieben.

Die Betreuerin verlange von der Arbeitgeberin ausschließlich Ersatz eines immateriellen Schadens, da es an jeglicher Darstellung zur Höhe eines materiellen Schadens fehle. Selbst wenn man die verlangte Zahlung von 5 000 Euro als Ersatz für materielle Schäden ansehen wollte, bliebe unklar, in welchem Umfang welche materiellen und immateriellen Schäden ersetzt werden sollten. Dem Klageantrag zur Zahlung der 5 000 Euro fehle die Bestimmtheit und sei deshalb abzuweisen.

Werde Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger materieller Schäden erhoben, die aus der Verletzung eines absoluten Rechtsguts, im vorliegenden Fall der Gesundheit, resultieren, liege ein Feststellungsinteresse vor, wenn zukünftige Schadensfolgen möglich, ihre Art und ihr Umfang, sowie ihr Eintritt aber noch ungewiss sind.

Das gelte auch für die begehrte Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige immaterielle Schäden, die aus einer Gesundheitsverletzung resultieren. Das rechtliche Interesse an einer alsbaldigen Feststellung sei dann gegeben, wenn eine nicht eben entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht durch Auftreten weiterer, bisher noch nicht erkennbarer und voraussehbarer Leiden bestehe.

Es stehe noch nicht fest, ob und welche Kosten aufgrund der Behandlung der von der Betreuerin behaupteten psychischen Erkrankung noch entstehen werden und ob und welche Verdiensteinbußen sie dauerhaft erleiden werde. Dennoch seien derartige künftige Schadensfolgen nicht von vornherein ausgeschlossen. Gleiches gelte im Hinblick auf eine etwaige Ersatzpflicht der Arbeitgeberin für künftige immaterielle Schäden. Nach dem Vorbringen der Betreuerin dauerte ihre psychische Erkrankung an, sodass die nicht nur entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht durch Auftreten weiterer, bisher noch nicht erkennbarer und voraussehbarer Leiden bestehe.

Das LAG habe die Berufung jedoch rechtsfehlerfrei zurückgewiesen. Die vorgetragenen Vorfälle seien nicht geeignet Schadenersatz- oder Entschädigungsansprüche auszulösen, weil sich insbesondere weder feststellen lasse, dass die Arbeitgeberin gegen ihre vertraglichen Pflichten verstoßen habe, noch, dass ihr Verhalten einen rechtswidrigen und vorwerfbaren Angriff auf die Gesundheit der Klägerin darstelle.

Zum Schadensersatz wegen Mobbings wäre die Arbeitgeberin nur verpflichtet, wenn sie arbeitsvertragliche Pflichten oder die Gesundheit der Betreuerin, die ein besonders geschütztes Rechtsgut darstellt, verletzt hätte.

Da bei auf Mobbing gestützten Entschädigungsklagen nicht der vermögenswerte Anteil, sondern der ideelle Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, setze der Anspruch allerdings voraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt und dass die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann.

Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliege, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, könne nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei deshalb nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse der Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiege.

Die Grenze zum nicht rechts- bzw. sozialadäquaten Verhalten sei allerdings dann überschritten, wenn Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen werde.

Das Berufungsgericht habe berechtigt angenommen, die von der Betreuerin vorgetragenen Vorwürfe stellten weder für sich betrachtet noch in ihrer Gesamtheit Verhaltensweisen dar, die die geltend gemachten Ansprüche begründen könnten.

Der Arbeitgeberin stehe ein Beurteilungsspielraum zu, ob eine Mitarbeiterin für die vorgesehene Position geeignet ist und sie in Folge die Ausbildungsmaßnahme dafür abbricht. Die Arbeitgeberin habe die Abmahnungen nicht als Mittel eingesetzt, um die Betreuerin zu disziplinieren und sie damit zu schikanieren. Die Vereinbarung zur Weiterbildung habe eine Kündigungsmöglichkeit ausdrücklich vorgesehen. Der Einsatz am anderen Standort sei sofort abgebrochen worden, nachdem die Betreuerin sich beschwert habe, die Arbeit sei für sie zu schwer.

Die Abmahnungen seien nicht mit der Zielrichtung erfolgt, die Betreuerin zu schikanieren und könnten deshalb nicht als Angriff auf ihre Gesundheit gewertet werden.

Auch für Entschädigungsansprüche aus der Kündigung komme es darauf an, ob diese mit der Zielrichtung ausgesprochen wurde, die Betreuerin zu schikanieren und damit als Angriff auf ihre Gesundheit gewertet werden könnte. Es fehle zudem an der Darlegung, dass die Arbeitgeberin bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass die Betreuerin aufgrund dieser Kündigung erkranken würde.