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Arbeitsunfähigkeit als Anlass für eine Kündigung

Kündigung veranlasst durch Arbeitsunfähigkeit

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.03.2018, Aktenzeichen 10 Sa 1507/17

Steht die Kündigung der Arbeitgeberin in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit des betroffenen Mitarbeiters, wird davon ausgegangen, dass die Arbeitsunfähigkeit der Anlass für die Kündigung war.

Ein Kfz-Schlosser erkrankte noch im Monat seiner Einstellung arbeitsunfähig. Nach einer Woche Arbeitsunfähigkeit wurde die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit für voraussichtlich mehr als zwei weitere Wochen festgestellt. Am gleichen Tag setzte der Kfz-Schlosser die Arbeitgeberin von der Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit telefonisch in Kenntnis. Ebenfalls an diesem Tag kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zu einem Termin, der zwei Kalendertage vor dem Ende der voraussichtlichen weiteren Arbeitsunfähigkeit lag.

Die zuständige Krankenkasse machte vor dem Arbeitsgericht gegenüber der Arbeitgeberin Anspruch auf Erstattung von Krankengeld geltend, das durch die Krankenkasse für den Kfz-Schlosser bezahlt wurde. Die Krankenkasse ging dabei davon aus, dass die Kündigung wegen der fortgesetzten Arbeitsunfähigkeit des Kfz-Schlossers erfolgt sei. Ihren Anspruch machte die Krankenkasse aus übergegangenem Recht nach § 115 Absatz 1 SBG X (Sozialgesetzbuch 10) in Verbindung mit §§ 8 Absatz 1 Satz 1 und 3, sowie Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) geltend.

In ihrer Klageerwiderung begründete die Arbeitgeberin die Kündigung mit einer schlechten Leistung des Kfz-Schlossers kurz vor seiner Krankschreibung. Er habe die Bremsenreparatur eines Fahrzeuges unzureichend erledigt, sodass ein anderer Kollege die erneut festgestellten Mängel am gleichen Tag beseitigt habe.

Das Arbeitsgericht entsprach der Klage der Krankenkasse. Die Arbeitgeberin habe das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt. Sie habe nicht die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) erforderliche Frist von 3 Tagen abgewartet. Die 12-tägige Wartezeit zwischen der schlechten Leistung und der Kündigung habe die Arbeitgeberin nicht erklären können. Als alleiniger Grund für die Kündigung könnte auch nicht gelten, dass die Arbeitgeberin den Schlosser zum Erwerb einer besonderen Kraftfahrerqualifikation aufforderte und dieser der Aufforderung bisher nicht nachkam. Die Arbeitsunfähigkeit sei zumindest als eine der Ursachen für die Kündigung anzusehen.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes legte die Arbeitgeberin Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Das Arbeitsgericht habe die Darlegungs- und Beweislast fehlerhaft eingeschätzt. Die Arbeitgeberin habe noch innerhalb der Probezeit gekündigt. Die Schutzfunktion der Probezeit werde umgangen, wenn die Darlegungslast so hoch angesetzt werde. Die Stelle des Schlossers sei drei Jahre unbesetzt gewesen. Deshalb müsse man der Arbeitgeberin vor dem Ausspruch der Kündigung eine Zeit des Wartens und Überlegens zusprechen.

Die Krankenkasse argumentierte vor dem LAG, der Arbeitgeberin sei es nicht gelungen, den Anschein des Zusammenhanges zwischen Krankheit und Kündigung zu widerlegen. Mangelnde Fachkenntnisse, die behauptete schlechte Leistung sowie die Qualifikationsvereinbarung würden ausschließlich bestritten. Vor dem Ausspruch der Kündigung seien diese nicht thematisiert worden. Für die Wartezeit von 12 Tagen gäbe es weiterhin keine plausible Erklärung.

Das LAG entschied, die Berufung sei nicht begründet. Die Plicht zur Fortzahlung des Entgelts ende für die Arbeitgeberin generell mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Anderes gelte nur, falls die Arbeitgeberin aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündige.

Dafür genüge es, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für die Kündigung gegeben hat. Die Arbeitsunfähigkeit müsse nicht alleiniger Grund für die Kündigung sein. Es genüge, dass sie Anlass für die Kündigung gewesen sei und den Kündigungsentschluss wesentlich beeinflusst haben.

Die Beweispflicht für eine Anlasskündigung liegt beim Arbeitnehmer oder dessen rechtlichem Vertreter. Steht die Kündigung in engem zeitlichen Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit, gilt der Anscheinsbeweis. Es gehe zulasten der Arbeitgeberin, falls sie beim Ausspruch der Kündigung nicht von der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit gewusst habe. Nach dem Ende der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit habe die Arbeitgeberin 3 Tage abzuwarten ob der Arbeitnehmer eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit anzeigt. Innerhalb dieser Frist könne sich die Arbeitgeberin nicht darauf berufen, von der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nichts gewusst zu haben.

Da die Arbeitgeberin nicht die 3-Tage Frist abgewartet habe, spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit zumindest mitursächlich für die Kündigung gewesen ist. Der Anscheinsbeweis wurde von der Arbeitgeberin nicht ausreichend entkräftet.

Weshalb ein einmaliger Fehler bei der Arbeitsausführung, der ohne größere Folgen blieb, nach 12-tägiger Bedenkzeit zum Kündigungsentschluss führe, sei nicht erkennbar. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Arbeitgeberin das Fehlverhalten beanstandet und abwartet, ob sich ein entsprechender Fehler während der Probezeit wiederholt. Das insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Arbeitgeberin seit fast drei Jahren die Stelle des Schlossers besetzen wollte.

Die Arbeitgeberin forderte den Schlosser mehrmals zum Erwerb der Grundqualifikation als Berufskraftfahrer auf, jedoch ohne eine Kündigung anzudrohen. Vor der Arbeitsunfähigkeit des Schlossers führte die nicht erfolgte Anmeldung zum entsprechenden Lehrgang nicht zu einem Kündigungsentschluss. Es erschließe sich nicht, warum der fehlende Erwerb einer nicht zwingend notwendigen Zusatzqualifikation zwar ohne Folgen blieb, aber nach 12-tägiger Bedenkzeit den Kündigungsentschluss erbrachte haben soll.

Nach Prüfung dieser Umstände folgte das LAG dem Beschluss des Arbeitsgerichtes und wies die Berufung zurück.

Eine Revision zu dieser Entscheidung wurde nicht zugelassen.