Schadenersatz bei rechtswidriger betrieblicher Versetzung
Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom 10.11.2017, Aktenzeichen 10 Sa 964/17
Veranlasst eine Arbeitgeberin rechtswidrig eine Versetzung, steht dem betroffenen Arbeitnehmer ein Schadenersatzanspruch für die finanziellen Nachteile zu, die durch eine betriebliche Versetzung begründet sind.
Ein Metallbaumeister arbeitete als „Fachlicher Betriebsleiter für das Metallbauer-Handwerk“ für seine Arbeitgeberin. Seine Tätigkeit war in der Handwerksrolle der zuständigen Handwerkskammer eingetragen.
Ab November 2014 sollte der Metallbaumeister für mindestens 2 Jahre in einer Niederlassung der Arbeitgeberin eingesetzt werden, die ca. 487 km entfernt liegt. Gegen die Versetzung erhob der Metallbaumeister Klage beim Arbeitsgericht. Im Berufungsverfahren entschied das LAG (Hessisches Landesarbeitsgericht 10 Sa 231/15, Urteil vom 20.Mai 2016), die Versetzung sei unwirksam. Am 11. Oktober 2016 teilte die Arbeitgeberin mit, dass der Metallbaumeister wieder am ursprünglichen Standort arbeiten solle.
Seit Januar 2015 rechnete die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis nunmehr nach der Lohngruppe 6 ab, nicht mehr als Meisterlohn.
Der Metallbaumeister folgte der Aufforderung der Arbeitgeberin, in der entfernten Niederlassung zu arbeiten. Die Parteien trafen keine Vereinbarung zur Erstattung von versetzungsbedingten Umzugskosten oder Anmietung einer Wohnung. Bis Februar 2015 wurde ihm eine Dienstwohnung zur Verfügung gestellt. Direkt anschließend mietete er eine private Wohnung am Standort der entfernten Niederlassung an. Für die Heimfahrten an den Wochenenden nutzte er seinen privaten PKW, mit Fahrzeiten zwischen 5,5 und 6,5 Stunden. Nach dem Januar 2015 zahlte die Arbeitgeberin kein Urlaubsgeld mehr.
Vor dem Arbeitsgericht erhob der Metallbaumeister Klage zur Erstattung von Kosten, die durch seine Versetzung zum entfernten Einsatzort entstanden sind. Das Arbeitsgericht gab der Klage des Metallbaumeisters überwiegend statt. Die Arbeitgeberin habe die Differenz zur Meistervergütung von Januar 2015 bis April 2016 zu erstatten, da sie nicht ausreichend behauptete, die Parteien hätten sich auf eine andere Tätigkeit als die eines Meisters verständigt. Anspruch auf Urlaubsgeld auch nach der Versetzung ergebe sich aus betrieblicher Übung. Da der Metallbaumeister der Urlaubsgewährung im März 2015 ausdrücklich widersprochen habe, könne er Schadenersatz für die Gewährung von 5 nicht genommenen Urlaubstagen verlangen.
Weiterhin sprach das Arbeitsgericht einen Anspruch auf Vergütung der aufgewendeten Reisezeit zum entfernten Standort im Zeitraum von Juni bis September 2016 zu. Der Metallbaumeister habe auch einen Anspruch auf Zahlung von Tagegeld im gleichen Zeitraum. Die Kosten für die Unterkunft könne er für den Zeitraum von Juni bis November 2016 beanspruchen.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes legte die Arbeitgeberin beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berufung ein. In der mündlichen Verhandlung akzeptierte sie nunmehr die Vergütung als Meister.
Das Urlaubsgeld sei hingegen nicht im Arbeitsvertrag enthalten. Im Gegenzug zu höheren Tariflöhnen hätten die Arbeitsvertragsparteien das Urlaubsgeld ersatzlos fallen lassen. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht angenommen, die Arbeitgeberin habe die umstrittenen Urlaubstage gewährt. Die Vergütung für aufgewendete Reisezeit habe die Arbeitgeberin ebenfalls zu Unrecht zugesprochen. Ein Anspruch nach Tarifvertrag bestehe nur, wenn die Abwesenheitszeit länger als zwei Wochen dauere. § 670 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) sei nicht anwendbar, wenn es eine tarifliche Regelung gebe.
Die vom Arbeitsgericht zugesprochene Gewährung von Reisekosten sei ebenfalls ungerechtfertigt. Nach den tarifvertraglichen Regelungen sei vorgesehen, dass der Arbeitnehmer nur einen Betrag als Aufwand ersetzt erhalten könne, der der Höhe des Tarifs der zweiten Klasse der üblichen öffentlichen Verkehrsmittel entspricht. Dem Metallbaumeister stehe auch nur eine zweiwöchentliche Heimreise zu. Ihm hätte für die Heimfahrten jeweils ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestanden.
Die Gewährung von Tagegeld sei ungerechtfertigt, da der Metallbaumeister vor Ort eine Wohnung angemietet habe. Damit habe keine Abwesenheit von seinem Wohnraum vorgelegen. Die Kosten für die Anmietung einer Wohnung seien nicht zu erstatten, da der Metallbaumeister in einer Werkswohnung hätte wohnen können.
Das LAG hielt die Berufung für teilweise begründet.
Zum Ausgleich der finanziellen Einbußen, die sich aus der rechtswidrigen Versetzung ergeben haben, komme Schadenersatz in Betracht.
Das Arbeitsgericht habe zutreffend die Vergütung für die aufgewendete Reisezeit für Juli bis September 2016 zugesprochen, da die Arbeitgeberin erst ab Oktober 2016 ein Dienstfahrzeug zur Verfügung stellte. Ebenso seien die Tagesgeldzahlungen berechtigt. Mit der Anmietung einer Unterkunft am neuen Standort sei der Familienhausstand nicht aufgegeben worden. Die Anmietung einer Unterkunft sei notwendig gewesen, da zu dieser Zeit keine Dienstwohnung zur Verfügung stand.
Der Metallbaumeister habe Anspruch auf Differenzvergütung für den Zeitraum von Januar 2015 bis April 2016. Die Parteien hätten sich nicht ausdrücklich und auch nicht konkludent (durch schlüssiges Verhalten) darauf verständigt, dass der Metallbaumeister zukünftig nicht mehr als Meister beschäftigt werde. Seine Löschung als Betriebsleiter aus der Handwerksrolle der Handwerkskammer des bisherigen Standortes sei keine Einverständniserklärung dafür, dass der Metallbaumeister nicht mehr als Meister arbeiten wolle. Vielmehr habe er sich gegen die Versetzung gewandt und zunächst darum bemüht als Metallbaumeister am bisherigen Standort weiter beschäftigt zu werden. Die Arbeitgeberin habe zum Schluss gegen eine rückwirkende Meistervergütung keine Einwände mehr erhoben.
Der Anspruch auf Urlaubsgeld ergebe sich aus betrieblicher Übung. Die Gewährung von 5 Tagen Urlaub auf der Basis von Schadenersatz sei gerechtfertigt. Hat die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer nicht vor der Festlegung des Urlaubszeitraums nach seinen Wünschen gefragt, kann der Arbeitnehmer ein Annahmeverweigerungsrecht geltend machen. Der Urlaub wurde bereits am Folgetag vom Metallbaumeister schriftlich zurückgewiesen. Damit sei kein wirksamer Urlaub erteilt worden. Der Metallbaumeister sei wegen Auftragsmangel nach Hause geschickt worden. Zudem habe er der Ankündigung widersprochen, dass er zwei Wochen Urlaub haben werde.
Es entsprach der Praxis der Arbeitgeberin, dass Urlaub aus dem Vorjahr grundsätzlich nicht verfällt. Ist der Urlaub einvernehmlich in das Folgejahr übertragen worden, so folgt er den Regeln des aktuellen Kalenderjahrs und verfällt nicht zum 31. März. Da der Alturlaub aus dem Jahr 2015 zum 31. Dezember 2016 endgültig verfallen ist, habe sich der Urlaubsanspruch zwischenzeitlich in einen Schadensersatzanspruch umgewandelt. Dieser sei darauf gerichtet, dass die Arbeitgeberin nachträglich Urlaub gewähren muss.
Der Metallbaumeister könne für jeden Monat, in dem die Arbeitgeberin mit der Zahlung des Entgelts in Verzug geraten ist, 40 Euro geltend machen. Eine Beschränkung dahingehend, dass auch bei einem mehrmonatigen Rückstand die Pauschale nur einmal geltend gemacht werden könne, sei dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen. Dem Arbeitnehmer sei eine Verzugskostenpauschale zu gewähren, da der Arbeitnehmer unstreitig als Verbraucher anzusehen sei. Die Regelung geht auf die Richtlinie 2011/17/EU zurück, mit der erreicht werden soll, säumige Schuldner zu einer raschen Zahlung anzuhalten und nachlässiges Verhalten durch die Pauschale zu sanktionieren.
Die Reisekosten für die Monate Juni bis September könnten nur in verringertem Umfang geltend gemacht werden. Zur Berechnung der Reisekosten sei nicht der Manteltarifvertrag anzuwenden, da dort die Rechte der Arbeitnehmer bei Montagetätigkeit geregelt werden. Im vorliegenden Fall gehe es jedoch um die Frage der Erstattungsfähigkeit von Reisen von dem Erstwohnsitz zu dem dienstlich bedingten Zweitwohnsitz. Aufgrund der Versetzungsanordnung durfte es der Metallbaumeister im Grundsatz für erforderlich halten, einen Zweitwohnsitz zu begründen. Ein tägliches Pendeln war angesichts einer einfachen Wegstrecke von 487 km nicht zumutbar.
Die Wahl des Wohnsitzes gehöre in die Privatsphäre des Arbeitnehmers. Auch die Kosten für den Weg zur Arbeit trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer. Ein Anspruch ergebe sich aber aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzrechts, §§ 280 Absatz 1, 611 Absatz 1 in Verbindung mit 249, 251 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), da eine Pflichtverletzung der Arbeitgeberin vorlag.
Das Hessische Landesarbeitsgericht hat in einem Vorfahren entschieden, dass die Versetzung unwirksam war. Der Metallbaumeister war nicht gehalten, der unbilligen Weisung zunächst zu folgen, bis eine gerichtliche Leistungsbestimmung getroffen wurde.
Die Arbeitgeberin ist dem Arbeitnehmer im Falle einer rechtswidrigen, unbilligen Weisung dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hat ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt, indem sie den Metallbaumeister aufgrund einer rechtswidrigen Weisung im entfernten Standort einsetzte. Der Metallbaumeister musste, um der Weisung Folge zu leisten, Fahrten zum entfernten Standort unternehmen.
Die Arbeitgeberin hätte erkennen können, dass sie die Versetzung einem jüngeren Kollegen ebenso gut hätte zumuten können. In Bezug auf den Umfang des Schadensersatzes sei der Metallbaumeister grundsätzlich so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht rechtswidrig versetzt worden wäre. Dabei sind diejenigen Aufwendungen erstattungsfähig, die ein objektiver Dritter anstelle des Metallbaumeisters für erforderlich halten durfte.
Nach Auffassung des LAG ist für diesen verobjektivierten Maßstab auf die im öffentlichen Recht geltenden Regelungen als Leitbild abzustellen. Es erscheine sachgerecht, lediglich die Kosten 2. Klasse für eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln alle zwei Wochen zu erstatten. Dies entspreche dem Grundprinzip der Kostenerstattung bei Heimfahrten und gelte grundsätzlich auch bei Montagetätigkeiten. Für eine weitergehende Ersatzpflicht hätte es einer vertraglichen Zusage bedurft.
Es hätte dem Metallbaumeister offen gestanden, die Problematik der Fahrtkostenerstattung gegenüber der Arbeitgeberin anzusprechen und auf eine Vereinbarung mit ihr hinzuwirken. Wenn er dies unterlassen habe, müsse er auch damit rechnen, dass nicht in jedem Fall seine vollen durch die Nutzung des Privat-PKWs entstanden Kosten ausgeglichen würden. Er handelte auf eigenes Risiko.
Der Metallbaumeister werde insgesamt nicht unzumutbar schlecht gestellt, wenn nicht sämtliche tatsächlichen Aufwendungen erstattet werden. Die Kosten für einen dienstlich veranlassten Zweitwohnsitz sind steuerlich absetzbar. Aufwendungen, die er nicht von seiner Arbeitgeberin erstattet erhält, kann er nach § 9 Absatz 1 Ziffer 5 EStG (Einkommensteuergesetz) steuerlich geltend machen.
Die Wegezeiten einer Dienstreise gelten nicht als Arbeitszeit, wenn es dem Arbeitnehmer überlassen bleibt, welches Transportmittel er nutzt und wie er in einem öffentlichen Transportmittel die Zeit der Reise nutzt. Der Metallbaumeister hätte auch mit dem Zug fahren und dort einer Freizeitbeschäftigung nachgehen können.
In der Sozialversicherungsentgeltverordnung ist in der für das Jahr 2016 geltenden Fassung in § 2 Absatz 1 ein Sachbezug für Verpflegung von monatlich 236 Euro vorgesehen. Dieser sei anzuwenden.
§ 3 Abs. 4 Satz 1 TGV (Trennungsgeldverordnung) sieht vor, dass bei einer getrennten Haushaltsführung die Kosten einer angemessenen Unterkunft zu erstatten sind. Die beanspruchten Mietkosten erscheinen angemessen. Sie halten sich im Rahmen einer bescheidenen Wohnung ohne großen Luxus. Die Möglichkeit der Nutzung einer Dienstwohnung bestand nur bis Februar 2016.