Arbeitnehmerüberlassung oder Dienstvertrag
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.06.2017, Aktenzeichen 9 AZR 133/16
Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt dann vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen.
Eine öffentlich rechtliche Rundfunkanstalt entschied, ihr Fotoarchiv zu digitalisieren. Zunächst wurden diese Arbeiten ab Anfang 2002 von einer eigenen Mitarbeiterin ausgeführt. Für den Zeitraum Februar 2003 bis April 2003 wurde eine Praktikantin im Anschluss an ihr Praktikum in Krankheitsvertretung als Sachbearbeiterin zur Aushilfe eingesetzt. Die Arbeitszeit betrug 50% einer Vollzeitarbeitskraft.
Die Arbeitgeberin entschloss sich im ersten Halbjahr 2003 die Arbeiten zur Betreuung des Fotoarchivs an ein 100%-tiges Tochterunternehmen zu übertragen. Ende Mai schloss das Tochterunternehmen mit der Sachbearbeiterin einen befristeten Arbeitsvertrag für den Zeitraum Juni bis Dezember 2003 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden ab. Im November 2003 wurde der Arbeitsvertrag bis zum 31. Mai 2005 verlängert. Ab 1. Januar 2004 wurde die Arbeitszeit auf 38,5 Stunden erhöht. Ende April 2005 vereinbarte das Tochterunternehmen mit der Sachbearbeiterin ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.
Die Sachbearbeiterin nahm regelmäßig an täglichen Kurzbesprechungen der Abteilung Kommunikation im Funkhaus teil, sowie an wöchentlichen Videobesprechungen der Gesamtabteilung. Ebenso nahm sie nach Einladung an Besprechungen der Abteilung Programmtechnik teil.
Das Tochterunternehmen verfügt seit März 2004 über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
Die Sachbearbeiterin beantragte beim Arbeitsgericht die Feststellung, dass zwischen ihr und der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalt seit dem 1. Juni 2003 ein Arbeitsverhältnis besteht.
Das Arbeitsgericht wies die Klage durch Teilurteil ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab der Berufung der Sachbearbeiterin statt. Die öffentlich rechtliche Rundfunkanstalt begehrte mit ihrer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die Sachbearbeiterin argumentierte, zwischen ihr und der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalt bestehe ein Arbeitsverhältnis, da sie nicht im Rahmen eines Werksvertrags oder Dienstvertrags tätig war, sondern zur Arbeitsleistung überlassen worden sei. Der Rahmenvereinbarung zwischen dem Tochterunternehmen und der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalt fehle ein abgrenzbarer Leistungsgegenstand. Die Organisationshoheit über ihre Tätigkeit habe allein bei der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalt gelegen. Ihre in der Rahmenvereinbarung aufgeführte Aufgabe sei so weitgehend, dass sie ohne weitere inhaltliche Weisungen nicht ausführbar sei. Die Rundfunkanstalt habe sie nach eigenen Bedürfnissen einsetzen können. Sie sei vollständig in den Betrieb eingegliedert gewesen und habe ihre Arbeitsleistung in den Räumlichkeiten der Rundfunkanstalt erbracht.
Ihre täglichen Arbeitsaufträge habe sie während der morgendlichen Kurzbesprechungen oder mündlich auf Zuruf bzw. telefonisch oder per E-Mail vom Abteilungsleiter bzw. Mitarbeitern erhalten. Die Tätigkeit als Krankheitsvertretung habe sie nahtlos fortgeführt, ohne Änderung der Arbeitsorganisation. Urlaubs- und sonstige Abwesenheitszeiten seien mit der Abteilung Kommunikation abgeklärt und vom Tochterunternehmen nur noch formal bestätigt worden.
Anweisungen bezüglich Art, Zeit, Ort oder Inhalt ihrer Tätigkeit habe sie von ihrem disziplinarischen Vorgesetzten beim Tochterunternehmen nicht erhalten.
Die Rundfunkanstalt beantragte die Klageabweisung. Die Sachbearbeiterin sei allein als Erfüllungsgehilfin im Rahmen des Dienstleistungsvertrags mit dem Tochterunternehmen gewesen. Die Sachbearbeiterin sei nicht in ihren Betrieb eingegliedert und ihr gegenüber auch nicht weisungsgebunden gewesen. Bei den der Sachbearbeiterin von ihren Mitarbeitern erteilten Arbeitsaufträgen handele es sich nicht um Arbeitgeberweisungen, sondern um Einzelabrufe der Dienstleistungen, mit denen sie die DRS beauftragt habe.
Die von der Sachbearbeiterin genutzten Räumlichkeiten einschließlich des Inventars habe die Tochtergesellschaft von ihr gemietet. Die Fotoausrüstung der Klägerin sei von der Tochtergesellschaft angeschafft und bezahlt worden. Sie habe lediglich einzelne zusätzliche Ausrüstungsgegenstände erworben. Im Übrigen müsse ein beauftragtes Unternehmen einen Dienst- oder Werkvertrag nicht notwendig mit eigenen technischen Mitteln erfüllen.
Das BAG entschied, das klageabweisende Teilurteil des Arbeitsgerichts sei wiederherzustellen. Das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Tochtergesellschaft habe die Sachbearbeiterin nicht zur Arbeitsleistung überlassen.
Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden sei die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen werde der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiere die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibe für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Dritten verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und seien dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller könne jedoch, wie sich aus § 645 Absatz 1 Satz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) ergebe, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werks erteilen. Entsprechendes gelte für Dienstverträge.
Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis sei von der projektbezogenen werkvertraglichen Anweisung zu unterscheiden. Die werkvertragliche Anweisung sei sachbezogen und ergebnisorientiert. Sie sei gegenständlich auf die zu erbringende Werkleistung begrenzt. Das arbeitsrechtliche Weisungsrecht sei demgegenüber personenbezogen, ablauf- und verfahrensorientiert. Es beinhalte Anleitungen zur Vorgehensweise und die Motivation des Mitarbeiters, die nicht Inhalt des werkvertraglichen Anweisungsrechts sind.
Der Inhalt der Rechtsbeziehung zwischen dem Vertragsarbeitgeber und dem Dritten sei sowohl auf der Grundlage der ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch unter Berücksichtigung der praktischen Durchführung des Vertrags zu bestimmen. Widersprechen sich beide, so sei die tatsächliche Durchführung des Vertrags maßgeblich. Aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen ließen sich am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben.
Für die Prüfung, ob Arbeitnehmerüberlassung vorliege, sei allein der Zeitraum vom 1. Juni 2003, an dem die Sachbearbeiterin ihre Tätigkeit bei der Rundfunkanstalt aufgrund des Arbeitsvertrags mit der Tochtergesellschaft aufgenommen hat, bis einschließlich 12. März 2004, dem Tag, bevor die Tochtergesellschaft über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügte, maßgeblich.
Das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, die Rahmenvereinbarung vom Juni 2003 zwischen der Rundfunkanstalt und ihrer Tochtergesellschaft deute eher auf eine Arbeitnehmerüberlassung als auf einen Werk- oder Dienstvertrag hin. Die maßgeblichen Vertragsbestimmungen belegten, dass die Rundfunkanstalt und ihre Tochtergesellschaft keinen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, sondern einen Dienstvertrag geschlossen haben.
Die Rahmenvereinbarung sehe nicht die Überlassung von Personal, sondern die Betreuung des Fotoarchivs vor. Die Verantwortlichkeit der Tochtergesellschaft endete nicht mit der Bereitstellung von Personal. Sie blieb für die Erfüllung des Leistungsgegenstandes verantwortlich.
Eine Übertragung des Weisungsrechts auf die Rundfunkanstalt folge auch nicht aus der Formulierung, dass für alle technischen und organisatorischen Fragen der Vertragsabwicklung Herr B zuständig ist. Im Gegenteil betreffe die Regelung ausdrücklich nur die technischen und organisatorischen Fragen der Vertragsabwicklung, nicht aber die Übertragung von Arbeitgeberrechten, insbesondere von Weisungsrechten gegenüber der Sachbearbeiterin. Dass eine Regelung zur konkreten Arbeitszeit in der Rahmenvereinbarung nicht getroffen wurde, bedeute nicht, dass es der Rundfunkanstalt vertraglich zugestanden hätte, die konkrete Lage der Arbeitszeit einseitig zu bestimmen.
Die getroffene Haftungsregelung spreche ebenfalls gegen eine Arbeitnehmerüberlassung und für einen Dienstvertrag, zu dessen Erfüllung sich die Tochtergesellschaft ihres eigenen Personals als Erfüllungsgehilfen bediente.
Die Sachbearbeiterin habe nicht im relevanten Umfang kraft Weisung der Rundfunkanstalt Aufgaben übernommen, die nicht vom Leistungsumfang der Rahmenvereinbarungen umfasst waren. Zwischen den Parteien sei streitig, ob die Sachbearbeiterin Tätigkeiten ausgeführt habe, die über diesen ausdrücklich vereinbarten Leistungsumfang hinausgingen. Selbst wenn dies vereinzelt der Fall gewesen wäre, gehe aus den Feststellungen des LAG nicht hervor, welches Gewicht diese Arbeiten hatten. Dieses sei aber allein maßgeblich, nicht die Häufigkeit der Tätigkeiten. Allein aus der Ausführung einzelner über den ausdrücklich vereinbarten Leistungsumfang hinausgehender Tätigkeiten könne eine vom Vertrag abweichende Handhabung nicht hergeleitet werden.
Entscheidend sei, dass die Sachbearbeiterin zunächst auf Basis eines Arbeitsvertrages bei der Rundfunkanstalt tätig war. Erst danach wurde die Entscheidung getroffen, die Betreuung des Fotoarchivs auf die Tochtergesellschaft auszulagern. Die Sachbearbeiterin war zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen einen Monat lang weder bei der Rundfunkanstalt noch bei der Tochtergesellschaft beschäftigt. Somit liege eine zeitliche als auch organisatorische Unterbrechung vor, die einen Rückschluss von den ausgeführten Tätigkeiten auf eine Arbeitnehmerüberlassung nicht zulasse.
Bestehe die Leistung des Unternehmers auch in personeller Hinsicht nur darin, dass er einzelne Arbeitnehmer dem Auftraggeber zur Verfügung stellt, ohne dass hierfür in relevantem Umfang Dispositionen oder Planungen erforderlich sind, fehle es unter Umständen ganz an einer unternehmerischen Dienstleistung. Je weniger auch auf der personellen Seite eine eigene unternehmerische Initiative vorliegt, umso eher liege bei eingeschränkter unternehmerischer Sachverantwortung die Annahme nahe, dass es sich bei der vertraglichen Vereinbarung tatsächlich um eine Arbeitnehmerüberlassung handele.
Die Tochtergesellschaft habe nach Feststellungen des LAG weitere Dienstleistungen für die Rundfunkanstalt mit eigenen Mitarbeitern erbracht. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, die Tochtergesellschaft habe nicht über die betrieblichen und organisatorischen Voraussetzungen verfügt, eine vertraglich vereinbarte Dienst- oder Werkleistung zu erbringen und den hierfür eingesetzten Erfüllungsgehilfen Weisungen zu erteilen.
Die Sachbearbeiterin habe zwar ihre Tätigkeit innerhalb der bei der Rundfunkanstalt üblichen Arbeitszeiten und in festgelegten Räumlichkeiten erbracht. Es sei aber nicht festgestellt, dass die Rundfunkanstalt ihr konkrete Weisungen zur Lage und Verteilung der Arbeitszeit erteilt habe. Die Teilnahme an Besprechungen der Rundfunkanstalt sowie auch der Tochtergesellschaft spreche nicht für, eine vollständige Eingliederung in den Betrieb der Rundfunkanstalt. Eine vollständige Eingliederung in den Betrieb der Rundfunkanstalt, die der eines eigenen Arbeitnehmers gleichkommt, habe nicht stattgefunden.
Es komme auch nicht darauf an, mit wessen Arbeitsmitteln die Aufgaben erfüllt wurden. Ein Unternehmer müsse einen Dienst- oder Werkvertrag nicht zwingend mit eigenen technischen Mitteln erfüllen.