Mitbestimmung beim Entgelt nach Betriebsübergang
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.02.2018, Aktenzeichen 1 ABR 53/16
Ein Betriebserwerber ist grundsätzlich zur Fortführung der im Betrieb bestehenden Vergütungsordnung verpflichtet, da er betriebsverfassungsrechtlich an die Stelle des früheren Betriebsinhabers tritt.
Die Arbeitgeberin betreibt seit dem Jahr 2006 ein Fachkrankenhaus. Im November 2013 erwarb die Arbeitgeberin im Wege des Betriebsübergangs ein Allgemeinkrankenhaus. Auf die Arbeitsverhältnisse der dort beschäftigten Arbeitnehmer, mit Ausnahme des ärztlichen Personals, wendet sie seither die Entgeltbestimmungen des Haustarifvertrages (HTV) in der Fassung des Änderungstarifvertrages (ÄTV) vom Juni 2012 an.
Der Betriebsrat des Allgemeinkrankenhauses wandte sich gegen die Anwendung eines Haustarifvertrages, der nach einem Betriebsübergang weiter angewendet wurde. Im Januar 2014 leitete der Betriebsrat des Allgemeinkrankenhauses ein Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht ein. Zu diesem Zeitpunkt wurden die in beiden Krankenhäusern getrennt eingeleiteten Betriebsratswahlen abgebrochen und nachfolgend ein Betriebsrat für beide Krankenhäuser gewählt.
Der Betriebsrat machte in seiner Rechtsbeschwerde geltend, die Arbeitgeberin verletze durch die Anwendung des Haustarifvertrages in der Fassung des Änderungstarifvertrages das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Absatz 1 Nummer 10 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz). Für die Entgeltgrundsätze sei der vor dem Änderungstarifvertrag geltende Haustarifvertrag maßgebend. Der Änderungstarifvertrag habe diesen nicht ablösen können, da dieser sich auf das Fachkrankenhaus beschränke.
Beim Arbeitsgericht beantragte der Betriebsrat, der Arbeitgeberin zu untersagen, die Vergütungsgrundsätze des Änderungstarifvertrages auf die nichtärztlichen Mitarbeiter des Allgemeinkrankenhauses anzuwenden.
Die Arbeitgeberin beantragte die Klageabweisung. Auf nichtärztliche Mitarbeiter bezogen sei der Antrag zu unbestimmt und damit unzulässig. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sei nicht verletzt worden. Der Geltungsbereich des Änderungstarifvertrages erfasse auch die Mitarbeiter des Allgemeinkrankenhauses.
Das Arbeitsgericht wies den Antrag des Betriebsrats ab. Die Beschwerde des Betriebsrats wies das Landesarbeitsgericht ab. Mit seiner Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte der Betriebsrat seinen Antrag weiter.
Die Arbeitgeberin machte in der Rechtsbeschwerdeinstanz geltend, innerhalb des Unternehmens seien Regionalstrukturen gebildet worden. Für die Arbeitgeberin würden Verwaltungsaufgaben von einem anderen Betrieb innerhalb des Unternehmens durchgeführt. Mit diesem Betrieb werde ein Gemeinschaftsbetrieb unter einheitlicher Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten geführt. Darüber sei im Februar 2017 eine Führungsvereinbarung geschlossen worden. Im September 2016 sei der Betriebsrat über den Gemeinschaftsbetrieb informiert worden. Sein danach entstandenes Übergangsmandat habe mittlerweile geendet.
Das BAG entschied, die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats sei unbegründet.
Der Vortrag der Arbeitgeberin lasse nicht auf einen Gemeinschaftsbetrieb schließen. Der bloße Abschluss einer Führungsvereinbarung genüge nicht. In einem Gemeinschaftsbetrieb seien nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert. Die Funktionen der Arbeitgeberin in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes müssten institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden. Das verlange nach einem arbeitgeberübergreifenden Betriebsmittel- wie Personaleinsatz, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf sei.
Die Arbeitgeberin habe keine Tatsachen vorgetragen, aus denen ein wechselseitiger Personal- und Betriebsmitteleinsatz folge. Fehlt es an einem Gemeinschaftsbetrieb, bestehe für die Annahme, die Beteiligung des antragstellenden Betriebsrats sei mit dem Ende eines Übergangsmandats entfallen, kein Raum. Der für die beiden Krankenhäuser gewählte Betriebsrat sei nach dem Prinzip der Funktionsnachfolge für den vormals allein für das Allgemeinkrankenhaus gebildeten Betriebsrat in dessen Beteiligtenstellung nach § 83 Abs. 3 ArbGG (Arbeitsgesetzbuch) eingetreten.
Für die Arbeitgeberin sei erkennbar, für welche Arbeitnehmer das Unterlassungsbegehren gelten solle. Der Begriff nichtärztliche Arbeitnehmer bezeichnet diejenigen Beschäftigten, die keine ärztliche Tätigkeit bei der Arbeitgeberin als geschuldete Arbeitsleistung ausüben. Ärztliche Tätigkeiten sind solche, für die nach einschlägigem Medizinalrecht eine Approbation als Arzt erforderlich ist.
Der Betriebsrat könne sich für sein Unterlassungsbegehren nicht auf eine Verletzung eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Absatz 1 Nummer 10 BetrVG stützen.
Die Arbeitgeberin verletze nicht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, indem sie die Vergütungsgrundsätze des Haustarifvertrages in der Fassung des Änderungstarifvertrages auf die nichtärztlichen Mitarbeiter anwendet. Die im einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütungsordnung stelle im Betrieb einer tarifgebundenen Arbeitgeberin zugleich das im Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts der Arbeitnehmer dar.
Die Arbeitgeberin ist betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet, die tarifliche Vergütungsordnung ungeachtet der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, soweit deren Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung des § 87 Absatz 1 Nummer. 10 BetrVG unterliegen.
Besteht eine gesetzliche oder tarifliche Regelung, die eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit zwingend und abschließend inhaltlich regelt, und somit dem Schutzzweck des verdrängten Mitbestimmungsrechts genügt, kann das Mitbestimmungsrecht durch den Tarifvorbehalt des § 87 Absatz 1 Eingangshalbsatz BetrVG ausgeschlossen sein.
Für die Wirkung des Tarifvorbehalts genügt es bereits, dass die Arbeitgeberin tarifgebunden ist. Eine bestehende tarifliche Regelung trage dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer ausreichend Rechnung und mache Mitbestimmungsrechte entbehrlich.
Nach diesen Grundsätzen wurde durch die Anwendung des Änderungstarifvertrages das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht verletzt. Diese haustarifvertraglichen Regelungen bilden für den im Antrag genannten Arbeitnehmerkreis die maßgebenden Vergütungsgrundsätze im Sinne des § 87 Absatz 1 Nummer 10 BetrVG.
Ein Betriebserwerber ist grundsätzlich zur Fortführung der im Betrieb bestehenden Vergütungsordnung verpflichtet, da er betriebsverfassungsrechtlich an die Stelle des früheren Betriebsinhabers tritt.
Der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs unmittelbar und zwingend für die Arbeitgeberin geltende Haustarifvertrag, in der Fassung des Änderungstarifvertrags, erfasse nach seinem betrieblichen Geltungsbereich auch die im Allgemeinkrankenhaus bestehenden Arbeitsverhältnisse.
Haustarifverträge würden grundsätzlich für alle Arbeitsverhältnisse des tariflichen Unternehmens vereinbart. Erstrecke sich der Geltungsbereich ausdrücklich ohne Einschränkung auf die Arbeitnehmer dieser Arbeitgeberin, werden nicht nur aktuelle tarifgebundene Arbeitsverhältnisse erfasst, sondern auch Arbeitsverhältnisse, die später abgeschlossen wurden, sowie Arbeitnehmer später hinzukommender Betriebe der Arbeitgeberin. Das gelte selbst beim Eintritt von bei Vertragsabschluss unvorhersehbaren Entwicklungen.
Durch den Änderungstarifvertrag wurde der Geltungsbereich neu gefasst. Nunmehr wurde nicht nur das Fachkrankenhaus erfasst. Der Geltungsbereich erstreckte sich nun auf die im Bereich Klinikum beschäftigten Mitarbeiter. Unter Klinikum verstehe man ein Krankenhaus, in dem mehrere Kliniken unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind. Der Begriff Klinikum trage nicht die Annahme, der Geltungsbereich solle auf ein bestehendes Fachkrankenhaus beschränkt werden.
Der Änderungstarifvertrag, der sich in weiten Teilen am BAT (Bundesangestelltentarifvertrag) orientiert, weise keine Regelungen auf, die sich ausschließlich auf die Verhältnisse des Fachkrankenhauses beziehen. Die tariflichen Regelungen könnten ohne Weiteres in anderen Betrieben der Arbeitgeberin angewendet werden.
Die begrenzte Laufzeit des Änderungstarifvertrages bis Ende Dezember 2013 sei ohne Bedeutung. Die dort geregelten tariflichen Vergütungsgrundsätze seien auch nach Eintritt der Nachwirkung im Sinne des § 4 Absatz 5 TVG (Tarifvertragsgesetz) das im Betrieb maßgebende kollektive Entgeltschema und bis zu dessen Änderung unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts grundsätzlich betriebsverfassungsrechtlich verbindlich.