Gültigkeit eines Tarifvertrages bezüglich Befristung Arbeitsverhältnis
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.03.2018, Aktenzeichen 7 AZR 428/16
In einem Tarifvertrag können gegenüber dem Teilzeit- und Befristungsgesetz abweichende Regelungen zur Befristung von Arbeitsverhältnissen getroffen werden, solange sich Zeitraum und Anzahl der Verlängerungen im Rahmen der geltenden Rechtsprechung bewegen.
Ein technischer Sachbearbeiter war bei einem Unternehmen der Wohnungswirtschaft auf der Basis eines befristeten Arbeitsvertrages mit zweimaliger Verlängerung tätig. Im befristeten Arbeitsvertrag wurde auf den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung und -förderung in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft für die Beschäftigten in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft vom 4. Oktober 2005 (TV Beschäftigungssicherung) verwiesen.
Der Tarifvertrag enthält abweichende Regelungen zur Teilzeitbeschäftigung gemäß § 14 Absatz 2 Satz 3 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz). Die zulässige Dauer für ohne Sachgrund befristete Arbeitsverhältnisse wurde von 24 Monate auf 48 Monate erhöht und die zulässige Anzahl von Verlängerungen von 3 auf 6 festgesetzt. Wird ein Arbeitsverhältnis auf dieser Basis über einen Zeitraum von zwei Jahren hinaus befristet, bedarf dies der Zustimmung des Betriebsrats.
Anfang April 2015 reichte der technische Sachbearbeiter Klage beim Arbeitsgericht ein. Die Befristung seines Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2015 sei unwirksam. Die zweijährige Höchstfrist für die sachgrundlose Befristung sei überschritten. Die Befristung könne sich nicht auf § 4 des TV Beschäftigungssicherung stützen. Die Bezugnahmeklausel auf den Tarifvertrag im Arbeitsvertrag sei überraschend und intransparent. Zudem finde § 4 TV Beschäftigungssicherung in Betrieben ohne Betriebsrat keine Anwendung.
Der technische Sachbearbeiter beantragte beim Arbeitsgericht die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung zum 30. April 2015 endet. Die Arbeitgeberin sei zu verurteilen, ihn über den 30. April 2015 hinaus zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Berufung des technischen Sachbearbeiters wurde vom Landesarbeitsgericht (LAG) zurückgewiesen. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der technische Sachbearbeiter seine Klage weiter.
Das BAG entschied, die Befristungskontrollklage sei von den Vorinstanzen zurecht abgewiesen worden. Das Arbeitsverhältnis habe aufgrund der Befristung zum 30. April 2015 geendet. Die Befristung sei wirksam.
Die Befristung könne nicht nach § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG gerechtfertigt werden, denn dort ist die kalendermäßige Befristung ohne Sachgrund bis zur Dauer von zwei Jahren bei höchstens dreimaliger Verlängerung zulässig. Die zweijährige Höchstbefristung sei im vorliegenden Fall bereits überschritten worden.
Die Befristung sei jedoch nach § 14 Absatz 2 Satz 3 und 4 TzBfG in Verbindung mit § 4 TV Beschäftigungssicherung gerechtfertigt. Die Höchstdauer der sachgrundlosen Befristung oder Anzahl der Verlängerungen kann durch Tarifvertrag abweichend geregelt werden. Nicht tarifgebundene Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmer können in einem Tarifvertrag die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.
Abweichend vom § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG haben die Tarifvertragsparteien Höchstdauer und Anzahl der Verlängerungen sachgrundloser Befristungen geregelt. Die Arbeitgeberin könne die Befristung auf diesen Tarifvertrag stützen. Durch § 4 TV Beschäftigungssicherung sind die Anzahl der Verlängerungen und die Höchstdauer der Befristung wirksam abweichend von § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG festgelegt worden.
Die zulässige Dauer sachgrundlos befristeter Arbeitsverhältnisse wurde auf 48 Monate und die zulässige Anzahl der Verlängerungen auf sechs ausgedehnt. Die tarifliche Regelung sei wirksam, da sie von der in § 14 Absatz 2 Satz 3 TzBfG dargelegten Befugnis zur Regelung gedeckt ist. Danach können sowohl Höchstdauer als auch die Anzahl der Verlängerungen gemeinsam abweichend geregelt werden.
Die Parteien hielten sich im Rahmen der Regelungsbefugnis, indem sie eine Höchstbefristungsdauer von 48 Monaten und sechsmalige Verlängerungsmöglichkeit vereinbarten. Nach geltender Rechtsprechung des BAG könne durch Tarifvertrag geregelt werden, dass die sachgrundlose Befristung bis zu einer Dauer von sechs Jahren und neunmaliger Verlängerung zulässig ist. Die Tarifparteien bewegen sich innerhalb dieses Gestaltungsrahmens.
Die Tarifvertragsparteien durften die Wirksamkeit der Befristung von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig machen. Die Tarifvertragsparteien dürfen die von ihnen erweiterte Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung zugunsten des Arbeitnehmers (§ 22 TzBfG) von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig machen und damit einschränken. Die Normsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien folgt aus der Tarifautonomie.
Die Tarifbestimmungen des TV Beschäftigungssicherung sind auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden. Die Geltung des § 4 TV Beschäftigungssicherung wurde einzelvertraglich wirksam im Arbeitsvertrag vereinbart. Die Parteien unterfallen bei angenommener beidseitiger Tarifgebundenheit dem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des TV Beschäftigungssicherung.
Die Vereinbarung über die Anwendung des § 4 TV Beschäftigungssicherung in § 10 des Arbeitsvertrags, in Form einer Allgemeinen Geschäftsbedingung, ist Vertragsbestandteil geworden. Diese Vereinbarung sei keine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).
Die Vereinbarung über die Anwendung des § 4 TV Beschäftigungssicherung in § 10 des Arbeitsvertrags sei weder nach ihrem Erscheinungsbild noch nach den sonstigen Umständen so ungewöhnlich, dass der Kläger mit ihr nicht zu rechnen brauche. Verweisungen auf einschlägige Tarifverträge seien im Arbeitsleben als Gestaltungsinstrument so verbreitet, dass ihre Aufnahme in Formularverträge nicht überraschend sei. Die Bezugnahmeklausel befinde sich auch nicht an einer unerwarteten Stelle des Vertrags. § 10 des Vertrags enthält allgemeine Schlussbestimmungen, zu denen auch Bezugnahmeklauseln gehören können.
Die Bezugnahmeklausel in § 10 des Arbeitsvertrags verletze auch nicht das Transparenzgebot. Eine Verweisung auf Vorschriften eines anderen Regelungswerks führe für sich genommen nicht zur Intransparenz. Das Bestimmtheitsgebot als maßgebliche Ausprägung des Transparenzgebots verlange lediglich, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender der Klausel keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen und der Gefahr vorgebeugt wird, dass der Vertragspartner von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung müssen die geltenden, in Bezug genommenen Regelungen bestimmbar sein.
Eine Regelung, die auf einen Tarifvertrag verweist, ist weder unverständlich noch unklar. Dies gilt auch dann, wenn die Verweisung dynamisch ausgestaltet ist. Bezugnahmeklauseln auf das jeweils gültige Tarifrecht entsprechen einer üblichen Regelungstechnik und dienen den Interessen beider Parteien.
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Befristung nach § 4 TV Beschäftigungssicherung seien erfüllt. Die zulässige Höchstbefristungsdauer von 48 Monaten wurde nicht überschritten. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand vom 18. Oktober 2012 bis zum 30. April 2015 und damit knapp 30,5 Monate. Das Arbeitsverhältnis wurde zweimal verlängert.
Die einvernehmliche Änderung der Arbeitsbedingungen während der Laufzeit eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags sei befristungsrechtlich nicht von Bedeutung. Eine derartige Vereinbarung unterliege nicht der Befristungskontrolle. Sie enthalte keine erneute, die bereits bestehende Befristungsvereinbarung ablösende Befristung, die ihrerseits auf ihre Wirksamkeit überprüft werden könnte.
Die Verträge wurden noch während der Laufzeit des vorherigen Vertrags geschlossen und führten zur nahtlosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitsbedingungen wurden auch im Zusammenhang mit der im Januar 2014 vereinbarten Vertragsverlängerung nicht geändert.
Der zeitliche Zusammenhang der Vereinbarung über die Erhöhung der Vergütung vom 28. April und 7.Mai 2014, mit dem Beginn der Laufzeit des letzten befristeten Arbeitsvertrages ab Mai 2014, sei nicht als Neuabschluss des befristeten Arbeitsvertrages zu verstehen. Für die Vertragsverlängerung komme es allein darauf an, ob die Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Vereinbarung der Vertragsverlängerung einvernehmlich geändert werden.
Der Arbeitnehmer soll bei der Entscheidung über die Verlängerung des nach § 14 Absatz 2 TzBfG befristeten Arbeitsverhältnisses davor geschützt werden, dass die Arbeitgeberin dessen Fortsetzung davon abhängig macht, dass der Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen entweder akzeptiert oder er durch das Angebot anderer Arbeitsbedingungen zum Abschluss eines weiteren sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags veranlasst wird.
Die Vereinbarung über die Erhöhung der Vergütung wurde weder gleichzeitig noch im zeitlichen Zusammenhang mit der Vereinbarung über die Vertragsverlängerung, sondern erst mehr als drei Monate nach Abschluss des Verlängerungsvertrags vom Januar 2014 getroffen.
Die Befristung bedurfte keiner Zustimmung des Betriebsrats, da kein Betriebsrat bestand. § 4 Satz 1 TV Beschäftigungssicherung sieht keine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Regelung auf Betriebe mit Betriebsrat vor. Dieses Zustimmungserfordernis kommt in Betrieben ohne Betriebsrat nicht zum Tragen.
Die durch § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG eingeräumte Regelungsbefugnis soll es den Tarifvertragsparteien ermöglichen, hinsichtlich der Höchstdauer und der Anzahl der Verlängerungen sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge branchenspezifischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Diese branchenspezifischen Bedürfnisse bestehen nicht nur in Betrieben mit Betriebsrat. Deshalb können Betriebe ohne Betriebsrat nicht von der Regelungsbefugnis ausgenommen werden.
Der Antrag zur Weiterbeschäftigung fiel nicht zur Entscheidung an.