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In welcher Höhe ist Zuschlag für Nachtarbeit angemessen?

Nachtzuschlag für Pflegekräfte

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27.06.2018, Aktenzeichen 3Sa 226/17

Im Regelfall beträgt ein angemessener Nachtarbeitszuschlag 25% des jeweiligen Bruttostundenlohnes bzw. wird durch die Gewährung einer entsprechenden Zahl freier Tage realisiert.

Eine examinierte Altenpflegerin ist seit 1998 bei einem privaten Dienstleister in der Seniorenbetreuung beschäftigt. Die Altenpflegerin arbeitete im Schichtdienst, darunter auch in der Nachtschicht. In der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr zahlte die Arbeitgeberin einen arbeitsvertraglich vereinbarten Nachtschichtzuschlag in Höhe von 1,08 Euro je Stunde. In der Gesamtbetriebsvereinbarung war der Nachtschichtzuschlag in einer Höhe von 1,00 Euro vereinbart, wobei günstigere Regelungen in Arbeitsverträgen unberührt bleiben sollen.

In der Pflegeeinrichtung leben in der Regel 42 Personen, chronisch kranke Menschen, etwa schwere Alkoholiker und Drogenabhängige.

Mit ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht begehrte die Altenpflegerin die Zahlung eines Nachtschichtzuschlages in Höhe von 25% des Bruttostundenlohnes. Davon sei der bereits gezahlte Betrag von 1,08 Euro je Stunde abzuziehen. In Anbetracht ihres Arbeitslohnes ergebe sich die Forderung einer Differenzzahlung von 2,28 Euro je geleistete Nachtarbeitsstunde. Nach Auffassung der Altenpflegerin gewähre die Arbeitgeberin keine Pausen im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG). Deshalb fordere sie das für jeweils 30 Minuten pro Nachtschicht einbehaltene Arbeitsentgelt ebenfalls für 105 geleistete Nachtschichten.

Es sei zudem durch das Arbeitsgericht festzustellen, dass die Arbeitgeberin ab dem 01. Oktober 2017 verpflichtet sei, einen Nachtschichtzuschlag in Höhe von 25% oder wahlweise entsprechende Arbeitsfreistellung zu gewähren.

Das Arbeitsgericht gab der Klage in vollem Umfang statt. Die Arbeitgeberin legte gegen das Urteil Berufung ein und forderte Klageabweisung.

Die Arbeitgeberin argumentierte, entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes sei ein Nachtzuschlag von 25% nicht gerechtfertigt. Die Arbeitgeberin sei gesetzlich verpflichtet, Arbeitnehmer im Nachtdienst zu beschäftigen. In der Nacht seien nur solche Tätigkeiten durchzuführen, die ausschließlich in diesem Zeitraum zwingend zu erledigen seien. Für die Nachtschicht würden keine Tätigkeiten angewiesen, die am Tage erledigt werden können. Nach der Rechtsprechung des BAG sei der Nachtzuschlag in diesem Fall auf 10% Zuschlag je geleisteter Nachtstunde abzusenken. Zusätzliche Prozentpunkte bis zu einer Höhe von 25% würden entsprechend der Rechtsprechung des BAG nur dann gefordert, wenn eine Arbeitgeberin Nachtdienst anordne, obwohl dies nicht zwingend notwendig sei.

Die Altenpflegerin habe auch nicht in Abrede gestellt, dass es für sie Arbeitsunterbrechungen gegeben habe, die entsprechend den Schichtplänen als 30-minütige Pausenzeiten ausgewiesen sind. Sie habe lediglich bestritten, dass es sich um Ruhepausen im Sinne des § 4 Arbeitszeitgesetz gehandelt habe, da sie von der Heimleitung angewiesen worden sei, das Diensttelefon ständig bei sich zu tragen, auf Notrufe der Heimbewohner unverzüglich zu reagieren und das Haus nicht zu verlassen.

Diesen Behauptungen sei die Arbeitgeberin substanziiert entgegengetreten. Die Bewohner seien in den Pausenzeiten der Altenpflegerin ausreichend durch eine Pflegehilfskraft versorgt.

Das LAG entschied, der Antrag bezüglich der Pausenzeiten sei unbegründet. Der Altenpflegerin stehe keine Ausgleichszahlung für nicht vergütete Arbeitsunterbrechungen zu. Sie habe keine Beweise angeboten, die belegen, dass sie das Diensthandy ständig bei sich tragen müsse, um im Notfall zu reagieren und sie das Haus nicht verlassen dürfe.

Das LAG folgte nicht den Ausführungen der Altenpflegerin, dass es ihr während der Nachtschichten im streitigen Zeitraum teilweise nicht möglich gewesen sei, Pausen zu nehmen, da keine Pflegehilfskraft anwesend gewesen sei. Dass es an einer generellen Regelung der Arbeitszeiten einschließlich der Pausenseiten mit dem Betriebsrat fehle, sei unbeachtlich. Die Altenpflegerin habe selbst vorgetragen, dass in den Dienstplänen eine Pausenzeit von 30 Minuten vorgesehen ist. Es sei davon auszugehen, dass die Dienstpläne mit dem Betriebsrat abgestimmt wurden.

Die Behauptungen der Altenpflegerin zu den Pausenzeiten seien offengeblieben, deshalb werde die Klage bezüglich der Pausenzeiten abgewiesen. Darüber hinaus sei die Berufung der Arbeitgeberin aber nicht begründet.

Die Arbeitgeberin sei verpflichtet, im streitigen Zeitraum von Januar 2016 bis Februar 2017 für den Nachtschichtzuschlag eine Differenzzahlung zu gewähren. Ab dem 1. November 2017 sei die Arbeitgeberin verpflichtet, entweder einen Nachtarbeitszuschlag von 25% des Bruttolohnes oder für jeweils 56 geleistete Nachtarbeitsstunden im Zeitraum zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr zwei bezahlte freie Tage zu gewähren.

Soweit keine tarifliche Ausgleichsregelung besteht, habe die Arbeitgeberin Nachtarbeitern im Sinne von § 2 Absatz 5 Arbeitszeitgesetz einen angemessenen Zuschlag auf das Bruttoentgelt oder eine angemessene Zahl freier Tage zu gewähren. Das Arbeitsgericht habe zutreffend den Nachtarbeitszuschlag mit 25% angemessen festgelegt. Als Nachtarbeitnehmerin könne die Altenpflegerin Ansprüche basierend auf § 6 Absatz 5 Arbeitszeitgesetz geltend machen, da sie in Wechselschicht arbeite.

Auf das Arbeitsverhältnis sei keine tarifvertragliche Regelung anzuwenden.

Im Regelfall führe ein Nachtschichtzuschlag von 25% auf den Bruttostundenlohn oder die entsprechende Gewährung zusätzlich bezahlter freier Tage zu einem angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit. Maßgeblich für die Höhe des Ausgleichs sei die mit der Nachtarbeit verbundene Belastung. Der Regelwert von 25% könne erhöht werden, wenn die Belastung durch Art und Umfang der üblichen Tätigkeit überschritten wird. Ein geringerer Ausgleich kann angemessen sein, wenn die Belastung durch die Nachtschicht geringer ist als üblich. Etwa weil in dieser Zeit in nicht unerheblichem Maße Arbeitsbereitschaft anfällt oder es sich um einen nächtlichen Bereitschaftsdienst handelt, mit geringerer Arbeitsbelastung.

Unter diesen Voraussetzungen gebe es keinen Anlass, den Nachtschichtzuschlag geringer als im Regelfall anzusetzen. Ist die Nachtarbeit unvermeidbar, bedeutet das nicht automatisch eine zwingende Herabsetzung des Regelwertes von 25%. Die unvermeidbare Nachtarbeit sowie der Umstand, dass in der Nachtarbeit nur Arbeiten anfallen, die zwingend in der Nachtschicht zu erledigen sind, sprächen zwar als Argumente für eine Herabsetzung des Regelwertes. Sie würden aber nicht die Arbeitsorganisation der Arbeitgeberin aufwiegen.

Nach Ansicht des LAG sei nicht erkennbar, dass die Belastung durch den Umfang der Nachtarbeit für die Altenpflegerin geringer sei, als für andere Arbeitnehmer, die ihren Dienst außerhalb der Nachtarbeitszeit erbringen. Es sei insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einen nächtlichen Bereitschaftsdienst handele. Die Altenpflegerin sei während der Nachtschicht als alleinige Pflegefachkraft tätig und trage die alleinige Verantwortung für 42 Personen. Basierend auf der Arbeitsorganisation der Arbeitgeberin sei die Altenpflegerin einem besonders hohen psychischen Druck ausgesetzt. Eine Konsultation mit anderen Pflegefachkräften sei nicht möglich. Die Anwesenheit einer Pflegehilfskraft ändere nichts daran, dass die Altenpflegerin letztliche Verantwortung trage. Die Arbeitgeberin könne auch nicht völlig ausschließen, dass für eine Nachtschicht auch mal keine Pflegehilfskraft zur Verfügung steht. Damit sei ebenfalls eine höhere Belastung für die Altenpflegerin verbunden.

Unter Berücksichtigung dieser von der Arbeitgeberin gewählten Arbeitsorganisation hält das LAG einen Zuschlag von 25% für jede Nachtarbeitsstunde für angemessen.

Die Angemessenheit des Zuschlages richte sich nach § 6 Absatz 5 Arbeitszeitgesetz. Erreicht eine arbeitsvertragliche Regelung nicht diese Bemessungsgrundlage, hat die gesetzliche Vorgabe Vorrang. Das gelte ebenso für eine Gesamtbetriebsvereinbarung. Die Altenpflegerin habe Anspruch auf den Differenzbetrag zwischen der bereits geleisteten Zahlung des Nachtschichtzuschlages und dem ihr zustehenden Zuschlag von 25%.

Der Zahlungsanspruch bleibe bestehen, obwohl das Gesetz eine Wahlmöglichkeit zwischen Anspruchszahlung und Gewährung von Freizeit vorsieht, da die Parteien die Zahlung des Nachtschichtzuschlages vereinbart haben.

Eine Revision zu dieser Entscheidung wurde nicht zugelassen.