Telearbeit muss vereinbart werden, nicht angeordnet
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.11.2018, Aktenzeichen 17 Sa 562/18
Telearbeit kann nicht von der Arbeitgeberin einseitig angeordnet werden. Dem Wechsel zur Telearbeit muss eine beidseitige Vereinbarung zugrunde liegen.
Ein Forschungsingenieur (R&D Engineer) war mit einem körperlichen Behinderungsgrad von 40% einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Zum Mai 2016 wurde der Bereich Kundendienst in eine Tochtergesellschaft ausgegliedert. Die Arbeitsverhältnisse aller betroffenen Mitarbeiter gingen im Wege des Betriebsüberganges auf die Tochtergesellschaft über. Die Organisationseinheit in der der Forschungsingenieur tätig war verblieb bei der Arbeitgeberin. Zum 31.05.2017 wurde die Geschäftstätigkeit der Arbeitgeberin eingestellt. In dem dazu mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen Interessenausgleich und Sozialplan war vorgesehen, dass Beschäftigten mit Schwerbehinderung oder ihnen Gleichgestellte bis zum 31.03.2017 Positionen in einem der vertragsschließenden Unternehmen angeboten werden, die ihren bisherigen Positionen gleichwertig sind.
Die Arbeitgeberin bot dem Forschungsingenieur im April 2017 eine Tätigkeit als R&D Engineer bei ihrer Tochtergesellschaft in Ulm an. Bis Ende Mai 2019 sollte diese Tätigkeit in Form von Telearbeit verrichtet werden. Der Forschungsingenieur lehnte die Versetzung ab. Das Arbeitsverhältnis gegen eine Abfindung zu beenden lehnte er ebenso ab, wie Gespräche über seine berufliche Zukunft. Einer Weisung seines Vorgesetzten, Arbeiten an einem ausgewählten Projekt durchzuführen und in diesem Zusammenhang an einem Training sowie Teambesprechungen teilzunehmen, kam er nicht nach. Entgegen vorhandener Weisung erstellte er auch keine Wochenberichte über seine Tätigkeit. Daraufhin mahnte ihn die Arbeitgeberin Ende Juni 2017 ab.
Am 04. September 2017 kündigte die Arbeitgeberin fristlos aus wichtigem Grund, nachdem sie die Zustimmung vom Integrationsamt erhalten und den Betriebsrat angehört hatte. Sie begründete, der Forschungsingenieur habe beharrlich seine Arbeitsaufgaben verweigert.
Der Forschungsingenieur wandte sich vor dem Arbeitsgericht gegen die ausgesprochene Kündigung und begehrte die Entfernung seiner Abmahnung aus der Personalakte. Im Februar 2018 entsprach das Arbeitsgericht der Klage. Die Kündigung sei unwirksam, weil kein wichtiger Grund vorliege. Der Forschungsingenieur habe nicht beharrlich seine Arbeitsleistung verweigert. Zur Heimarbeit sei er nicht verpflichtet gewesen. Daher habe er nicht die geforderten Wochenberichte anfertigen müssen. Die Abmahnung sei aus dem gleichen Grund nicht gerechtfertigt und sei aus der Personalaktie zu entfernen.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes legte die Arbeitgeberin Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Sie begründete, dass sie entsprechend der Gesamtbetriebsvereinbarung verpflichtet gewesen sei, dem Forschungsingenieur eine gleichwertige Stelle anzubieten, wobei die getroffenen Regelungen zur Telearbeit zur Anwendung kamen. Dem Forschungsingenieur seien, nachdem er das Angebot nach Ulm zu wechseln abgelehnt hatte, Aufgaben zugewiesen worden, die eigentlich einem externen Dienstleister hätten übertragen werden sollen. Er habe sich jedoch beharrlich geweigert, diese Aufgaben wahrzunehmen und an den erforderlichen Trainingsmaßnahmen und Treffen teilzunehmen. Die geforderten Wochenberichte habe er nicht erstellt und auch auf diese Weise gegen seine Arbeitspflichten verstoßen.
Das LAG entschied, die Berufung sei unbegründet. Das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung nicht aufgehoben worden. Die Abmahnung sei aus der Personalakte zu entfernen.
Die außerordentliche Kündigung sei nicht rechtswirksam, da ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) fehle. Der Forschungsingenieur sei arbeitsvertraglich nicht verpflichtet gewesen, die übertragenen Aufgaben zu verrichten. Entsprechend Arbeitsvertrag war er verpflichtet, seine Arbeitsaufgaben in der Betriebsstätte zu verrichten, nicht als Tätigkeit im Home-Office. Der Arbeitsort wurde nicht geändert. Es ergebe sich auch keine Änderung aus den Regelungen der Gesamtbetriebsvereinbarung, die lediglich vorsehe, dem Forschungsingenieur als Beschäftigten mit Sonderkündigungsschutz eine neue Stelle mit vorübergehender Telearbeit anzubieten. Es habe keine Verpflichtung für den Forschungsingenieur bestanden, das Angebot anzunehmen.
Die Parteien hätten keine einzelvertragliche Vereinbarung über die Änderung des Arbeitsortes getroffen. Der Forschungsingenieur habe weder das Schreiben der Arbeitgeberin zur Tätigkeit in Ulm unterzeichnet noch auf andere Weise sein Einverständnis erklärt. Die Arbeitgeberin habe auch nicht in Ausübung ihres Weisungsrechtes rechtswirksam eine Tätigkeit im Home-Office zugewiesen. Im mit „Versetzung“ überschriebenen Schreiben habe die Arbeitgeberin ausdrücklich um die Zustimmung des Forschungsingenieurs zur neuen Tätigkeit gebeten. Die Arbeitgeberin habe auch in keiner anderen Weise eine Home-Office Arbeit übertragen. Eine derartige Anordnung wäre auch nicht mehr vom Weisungsrecht nach § 106 Satz 1 GewO (Gewerbeordnung) gedeckt. Eine ausschließlich in der eigenen Wohnung zu verrichtende Tätigkeit könne in der Regel nicht einseitig von der Arbeitgeberin zugewiesen werden. Der Arbeitnehmer verliere den unmittelbaren Kontakt und Austausch mit seinen Kollegen. Für die betrieblichen Interessenvertretungen sei er schwerer erreichbar. Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit würden fließend.
Die Arbeitgeberin könne nicht erfolgreich geltend machen, der Forschungsingenieur habe im Zusammenhang mit dem neuen Projekt beharrlich die Arbeit verweigert. Für das Landesarbeitsgericht sei schon nicht erkennbar um welche Tätigkeiten es sich dabei handele. Somit könne nicht festgestellt werden, inwieweit der Forschungsingenieur verpflichtet gewesen wäre diese Arbeiten auszuführen. Bei den übertragenen Aufgaben handele es sich um Tätigkeiten, die nach Schließung der Betriebsstätte übertragen, also dort nicht verrichtet werden sollten. Die Telearbeit konnte nicht einseitig zugeordnet werden. Für den Forschungsingenieur bestand somit keine Verpflichtung zur Vorbereitung und Ausführung dieser Arbeiten. Die Arbeitgeberin könne nach der Betriebsschließung nicht verlangen, dass die angebotene Beschäftigungsmöglichkeit auch angenommen werde, solange arbeitsvertraglich keine Verpflichtung dazu bestehe. Bis zu einer einvernehmlichen Änderung der Arbeitsbedingungen bzw. einer vertragsgemäßen Zuweisung einer neuen Tätigkeit könne der Forschungsingenieur auch nicht die Arbeit beharrlich verweigern.
Die außerordentliche Kündigung könne auch nicht in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden. Dafür liege nicht die Zustimmung des Integrationsamtes vor. Es liege auch keine Arbeitsverweigerung vor, die zu dieser Kündigung berechtige. Der Betriebsrat wurde nicht zu einer ordentlichen Kündigung angehört.
Die Arbeitgeberin wurde auch verpflichtet, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen. Die Abmahnung beruhe auf einer inhaltlich unzutreffenden Bewertung des Arbeitnehmers.
Eine Revision zu dieser Entscheidung wurde nicht zugelassen.