Ungleichbehandlung wegen Teilzeitarbeit
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 23.01.2019, Aktenzeichen 12 Sa 615/18
Die Gewährung von Altersfreizeit für Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte in Abhängigkeit von der Arbeitszeit führt zu einer Ungleichbehandlung, falls einige dieser Teilzeitbeschäftigten wegen ihrer geringeren Arbeitszeit gar keine Altersfreizeit erhalten.
Ein Mitarbeiter war bei seiner Arbeitgeberin mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. Arbeitnehmer die das 57. Lebensjahr vollendet haben und 37,5 Stunden Vollzeit je Woche arbeiten, erhielten 2,5 Stunden Altersfreizeit je Woche. Arbeitnehmer mit bis zu 2,5 Stunden geringerer Wochenarbeitszeit erhielten die Altersfreizeit entsprechend anteilig vermindert. Arbeitnehmer deren Teilzeitarbeitsvolumen mit mehr als 2,5 Stunden unter der regelmäßigen Vollarbeitszeit lag, erhielten keine Altersfreizeit. Für Schichtarbeiter galten leicht abweichende Regelungen zur Altersfreizeit.
Der Mitarbeiter argumentierte vor dem Arbeitsgericht, sein Ausschluss von der Altersfreizeit aufgrund seines geringerem Arbeitsumfanges stelle eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten dar. Die Regelung beziehe sich auf die Arbeitszeit und wirke sich auf die Vergütung aus, da das Entgelt für Mitarbeiter in Vollarbeitszeit trotz reduzierter Stundenzahl fortgezahlt werde. Die Arbeitsleistung der Teilzeitbeschäftigten werde somit ungleich vergütet, im Vergleich zu den Mitarbeitern, die in Vollzeit beschäftigt sind. Diese Ungleichbehandlung sei nicht durch einen Sachgrund gerechtfertigt. Der Mitarbeiter beantragte, die Arbeitgeberin zu verurteilen, ihm seit Beginn der Rechtsanhängigkeit 2 Stunden Altersfreizeit je Woche zu gewähren.
Die Arbeitgeberin argumentierte, der Mitarbeiter erfülle nicht die tariflichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Altersfreizeit. Selbst wenn man von einer Ungleichbehandlung ausgehen würde, wäre diese durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Ziel der Regelung sei es, dass kein Arbeitnehmer über 57 Jahren mehr als 35 Wochenstunden arbeiten muss. Teilzeitmitarbeiter seien nicht pauschal von dieser Regelung herausgenommen. Bei einem Arbeitsumfang von 37,5 Stunden bis 35 Stunden erhielten diese eine Altersfreizeit. Die Tarifparteien hätten keine andersartige Behandlung für Teilzeitmitarbeiter beabsichtigt. Arbeitnehmer die basierend auf einer Einzelvereinbarung dauerhaft die Arbeitszeit verkürzt hätten, würden mit Mitarbeitern gleichgestellt, deren Arbeitszeit durch Kurzarbeit verringert ist. Die Arbeitszeitgrenze von 35 Stunden gelte unabhängig von der Teilzeitregelung für alle Arbeitsverhältnisse, bei denen die Arbeitszeit reduziert worden sei.
Ein sachlicher Grund für eine entsprechende Ungleichbehandlung könne sich nach den Vorstellungen des Gesetzgebers aus einer abweichenden Arbeitsbelastung ergeben. Für Teilzeitbeschäftigte, deren Arbeitszeit um mehr als 2,5 Stunden reduziert ist, liege eine geringere Arbeitsbelastung vor. Für diese Mitarbeiter sei eine zusätzliche Entlastung durch Altersfreizeit nicht erforderlich.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Mit seiner Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) verfolgte der Mitarbeiter seine Klage weiter. Die Arbeitgeberin argumentierte, die Parteien hätten von ihrem Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht, der aus Artikel 9 Absatz 3 GG (Grundgesetz) folge. Die Tarifvertragsparteien dürften bei Begünstigungen Schwellenwerte festlegen. Für sachfremde oder willkürliche Erwägungen gäbe es keine Anhaltspunkte.
Das LAG hielt den Antrag des Mitarbeiters für begründet. Ihm stehe seit Vollendung seines 57. Lebensjahres im März 2018, sowie zukünftig Altersfreizeit im Umfang von 2 Stunden wöchentlich zu. Der Ausschluss des Anspruchs auf Altersfreizeit im Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit weniger als 35 Stunden/Woche beträgt, stehe dem Anspruch des Mitarbeiters nicht entgegen, weil damit eine unzulässige Ungleichbehandlung von Mitarbeitern in Teilzeitbeschäftigung verbunden sei.
Gemäß § 4 Absatz 1 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) dürfe ein Arbeitnehmer wegen seiner Beschäftigung in Teilzeitarbeit nicht schlechter gestellt werden, als ein vergleichbarer Mitarbeiter in Vollzeit, falls kein sachlicher Grund dafür vorliegt.
Im vorliegenden Fall wurden Teilzeitbeschäftigte, die unter der Schwelle von 35 Wochenarbeitsstunden tätig sind, wegen ihrer Teilzeitbeschäftigung von der Regelung zur Altersfreizeit völlig ausgeschlossen. Es sei unerheblich, dass die Ungleichbehandlung in einer tariflichen Regelung festgeschrieben ist. Die Diskriminierungsverbote des TzBfG stünden nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien.
Für die Ungleichbehandlung gäbe es keinen sachlichen Grund im Sinne des TzBfG. Ein Sachgrund darf nicht auf die Dauer der Arbeitszeit als Kriterium gerichtet sein. Sachgründe könnten hingegen auf unterschiedlicher Arbeitsbelastung, Qualifikation, Berufserfahrung, unterschiedlichen Anforderungen am Arbeitsplatz oder Gründen des Arbeitsschutzes, insbesondere auf arbeitsmedizinischen Gründen beruhen.
Die Auslegung der Regelungen im Manteltarifvertrag ergäben, dass ältere Arbeitnehmer im Rahmen der Regelung zur Altersfreizeit entlastet werden sollen, indem die Arbeitszeit reduziert wird. Mit der Regelung sei das Ziel verfolgt worden, der begünstigten Gruppe von Arbeitnehmern zusätzliche Freizeit innerhalb der Arbeitswoche zukommen zu lassen.
Für Beschäftigte in Vollzeit und Teilzeit würden unterschiedliche individuelle Belastungsgrenzen gezogen, wobei die Belastungsgrenze für Teilzeitarbeiter unter 35 Wochenstunden nicht proportional ihrer Arbeitszeit gezogen wurde. Darauf basierend sei die Ungleichbehandlung erkennbar. Die Ungleichbehandlung des Mitarbeiters beruhe ausschließlich auf dem geringeren Beschäftigungsumfang des Mitarbeiters und sei damit ungerechtfertigt.
Fehlende anteilige Altersfreizeit ohne erkennbare besondere Belastung als sachlichen Grund treffe den Teilzeitbeschäftigten ebenso wie den Vollzeitbeschäftigten. Die Arbeitszeit dürfe nicht herangezogen werden um eine Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen. Die Grenze von 35 Stunden im Manteltarifvertrag sei unzulässig.
Die Reduzierung der Arbeitszeit durch die Altersfreizeit wirke sich für Vollzeitbeschäftigte unmittelbar auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung aus. Werde nun die Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten bei unveränderter Vergütung nicht herabgesetzt, erhalte diese Gruppe von Arbeitnehmern ein geringeres Entgelt im Vergleich zu den Vollzeitbeschäftigten in diesem Unternehmen. Diese Ungleichbehandlung sei durch § 4 Absatz 1 TzBfG untersagt. Eine Ungleichbehandlung für Teilzeitbeschäftigte mit fester Stundenzahl könne vermieden werden, indem die Arbeitszeit bei gleichem Entgelt gekürzt oder bei gleicher Arbeitszeit ein höheres Entgelt gezahlt wird.
Die Arbeitgeberin wurde verurteilt, dem Mitarbeiter die zu Unrecht vorenthaltene Vergünstigung in Höhe der beantragten zwei Wochenstunde zu gewähren.