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Persönlichkeitsrecht bei Ladung des Betriebsrats zum Personalgespräch

Ladung des Betriebsrats zum Personalgespräch

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.12.2018, Aktenzeichen 1 ABR 12/17

Eine Regelung, mit der die Arbeitgeberin verpflichtet wird, den Betriebsrat zum Personalgespräch bezüglich disziplinarischer Maßnahmen einzuladen ist unwirksam, weil das Persönlichkeitsrecht des betroffenen Mitarbeiters verletzt wird.

Arbeitgeberin und Betriebsrat haben in einer Rahmenbetriebsvereinbarung vom August 2002 festgelegt, der Betriebsrat ist zu Gesprächen einzuladen, deren Inhalt arbeitsrechtliche disziplinarische Maßnahmen betrifft. Als disziplinarischen Maßnahmen werden Ermahnungen, Abmahnungen, Verwarnungen, Kündigungen und Versetzung angesehen. Der Mitarbeiter kann entscheiden, ob er das Gespräch ohne Beteiligung des Betriebsrats führen möchte.

Erfolgt keine Einladung des Betriebsrats, hat das Gespräch keine arbeitsrechtliche Konsequenz. Zur Vermeidung des Rechtsweges soll in Streitfällen eine paritätisch besetzte Komission mit jeweils zwei Teilnehmern eine Mehrheitsentscheidung herbeiführen.

Ende Oktober 2015 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, die Regelung verstoße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer. Arbeitnehmer wurden seither informiert, dass auf Wunsch ein Betriebsratsmitglied hinzugezogen werden könne.

Der Betriebsrat machte vor dem Arbeitsgericht geltend, die Regelung in der Gesamtbetriebsvereinbarung sei wirksam. Mit der Einladung des Betriebsrats solle die Unterstützung der Mitarbeiter sichergestellt werden. Der Betriebsrat beantragte die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihn entsprechend § 4 Nr. 4.1 der Betriebsvereinbarung zur Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung zu Gesprächen einzuladen, die disziplinarische Maßnahmen von Arbeitnehmern zum Gegenstand haben.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag des Betriebsrats ab. Seine Beschwerde vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) war erfolgreich, es gab dem Antrag statt. Im Wege der Rechtsbeschwerde strebte die Arbeitgeberin vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichtes an.

Das BAG entschied, der Antrag des Betriebsrats sei unbegründet. Der Betriebsrat könne nicht verlangen, ihn zu allen Personalgesprächen einzuladen, die auf eine disziplinarische Maßnahme hinzielen. Die Betriebsparteien haben mit dem in der Rahmenbetriebsvereinbarung geregelten Verfahren die ihnen nach § 75 Absatz 2 Satz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) obliegende Pflicht verletzt, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.

Betriebsparteien haben beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen, das auf Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG (Grundgesetz) beruhende allgemeine Persönlichkeitsrecht zu wahren. Dieses umfasse insbesondere die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht werde in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Es kann deshalb aber auch durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. In welchem Umfang das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingeschränkt werden könne, richte sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Danach dürfen den Betriebsparteien zur Zielerreichung keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkende Mittel zur Verfügung stehen. Eine Regelung sei im engeren Sinn verhältnismäßig, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung im Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehe.

Die in der Rahmenbetriebsvereinbarung geregelte Einladung des Betriebsrats beeinträchtige das allgemeine Persönlichkeitsrecht des geladenen Arbeitnehmers. Im Rahmen der Einladung des Betriebsrats als Gesamtgremium, werde die Information über eine drohende disziplinarische Strafe, basierend auf einem etwaigen fehlerhaften Verhalten des Arbeitnehmers, allen Betriebsratsmitgliedern zugänglich. Der Arbeitnehmer habe weder die Möglichkeit selbst zu bestimmen, ob überhaupt eine Einladung des Betriebsrats erfolgen, noch welches Betriebsratsmitglied Kenntnis erlangen soll. Der Arbeitnehmer habe keine Möglichkeit, ein Betriebsratsmitglied seines Vertrauens einzubeziehen, er könne lediglich generell die Einbeziehung des Betriebsrats ablehnen.

Diese Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers sei gemessen am Zweck der Betriebsratsbeteiligung nicht verhältnismäßig.

Eine im Interesse des Arbeitnehmers liegende Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds am Personalgespräch sei auch dann hinreichend gewährleistet, wenn dem betroffenen Arbeitnehmer ein Recht auf Hinzuziehung eines bestimmten Betriebsratsmitglieds eingeräumt und er hierauf in der Einladung zum Gespräch hingewiesen wird. Als Unterstützung in einer Situation struktureller Unterlegenheit des Arbeitnehmers und ggf. zu dessen Beratung wollten die Betriebsparteien ihm hierbei ein Mitglied des Betriebsrats zur Seite stellen. Auch kann dem am Gespräch beteiligten Betriebsratsmitglied im Hinblick auf das vom Arbeitgeber vorgebrachte Fehlverhalten des Arbeitnehmers eine wichtige Kontroll- und Korrekturfunktion zukommen. Zudem wird durch seine Teilnahme sichergestellt, dass für den Arbeitnehmer eine Person als Zeuge zugegen ist.

Die Regelungen in der Rahmenbetriebsvereinbarung seien für diesen Zweck weder erforderlich noch angemessen. Eine im Interesse des Arbeitnehmers liegende Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds am Personalgespräch sei auch dann hinreichend gewährleistet, wenn dem betroffenen Arbeitnehmer ein Recht auf Hinzuziehung eines bestimmten Betriebsratsmitglieds eingeräumt und er hierauf in der Einladung zum Gespräch hingewiesen wird.