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Betriebsvereinbarung ablösen durch Regelungsabrede?

Mitbestimmung des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.10.2018, Aktenzeichen 1 ABR 26/17

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats kein Mitgestaltungs-, sondern ein Mitbeurteilungsrecht bei der Rechtsanwendung durch die Arbeitgeberin.

Im ungekündigten Zustand kann eine Betriebsvereinbarung als höherrangiges Recht nicht durch eine Regelungsabrede abgelöst werden.

Im Betrieb der Arbeitgeberin wurden die Lohngruppen nach dem Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrag (LG-RTV) aus dem Jahr 1996 bemessen.  Spätere Verhandlungen der Arbeitgeberin mit der IG-Metall zur Übernahme eines neuen Entgelt-Rahmentarifvertrages scheiterten. Daraufhin entwarf der stellvertretende Personalleiter in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 einen Kriterienkatalog zur Eingruppierung neuer Mitarbeiter in Entgeltgruppen (LG Bu), der sich im Wesentlichen an den Entgeltgruppen des Gehaltsrahmentarifvertrages orientierte. Mit geringfügigen Änderungen wurde der Katalog seit April 2009 verwendet. Die Betriebsparteien haben jedoch keine Vereinbarung mit dem Inhalt des Kriterienkataloges abgeschlossen.

Die Arbeitgeberin kündigte die Betriebsvereinbarung „Arbeitsordnung“ im Juni 2009 zu Ende September 2009. Im Jahr 2012 übermittelte sie dem Betriebsrat einen Kriterienkatalog. Die Tätigkeitskriterien des LG Bu waren nicht mehr enthalten. Dagegen wandte sich der Betriebsrat mit der Begründung, es handele sich um eine einseitige Änderung der betrieblichen Entlohnungsgrundsätze.

Die Arbeitgeberin ersuchte im Januar 2016 den Betriebsrat um Zustimmung zur unbefristeten Weiterbeschäftigung und Eingruppierung für drei Mitarbeiter, aufgrund veränderter bzw. gleichbleibender Tätigkeit in entsprechende Lohngruppen. Der Betriebsrat stimmte zu, die Mitarbeiter unbefristet einzustellen, widersprach aber der Zuordnung zu den vorgesehenen Lohngruppen.

In seiner Begründung zur Zustimmungsverweigerung bezüglich der Eingruppierungen argumentierte der Betriebsrat, gültig sei allein die LG Bu. Zudem würden die drei betroffenen Mitarbeiter gegenüber anderen Mitarbeitern benachteiligt, die nach der LG Bu eingestuft worden seien.

Die Arbeitgeberin begehrte die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zu der vorgenommenen Lohngruppenzuordnung vor dem Arbeitsgericht. Der LG-RTV sei die maßgebende Vergütungsordnung. Die LG Bu sei keine Vereinbarung, die zwischen den Parteien getroffen wurde. Deren Kriterien habe der Personalleiter lediglich als eigenes Hilfsmittel genutzt. Soweit sich der Betriebsrat auf einen Beschluss vom Februar 2009 beziehe sei nicht erkennbar, welchen Inhalt die vorgefertigte Betriebsvereinbarung haben sollte, da keine Anlage beigefügt war.

Der Betriebsrat argumentierte, der Lohngruppenkatalog sei nicht heranzuziehen. Über den Inhalt der LG Bu sei eine Regelungsabrede zustande gekommen. Mit seinem Beschluss vom Februar 2009 habe er der Anwendung der LG Bu ausdrücklich zugestimmt.

Das Arbeitsgericht gab den Anträgen der Arbeitgeberin statt. Auf die Beschwerde des Betriebsrats wies das Landesarbeitsgericht (LAG) die Anträge der Arbeitgeberin ab. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin ihre Anträge weiter.

Das BAG entschied, der Betriebsrat konnte seine Zustimmungen nicht verweigern. Die Arbeitgeberin habe die Eingruppierungen zutreffend entsprechend LG-RTV angewendet. Sie habe die im Betrieb geltenden mitbestimmten Entlohnungsgrundsätze zugrunde gelegt.

Der Betriebsrat könne seine Zustimmung zu geplanten personellen Einzelmaßnahmen verweigern, wenn die Maßnahme gegen ein Gesetz verstößt. Das wäre etwa der Fall, falls die Arbeitgeberin die Eingruppierung in anderes Entgeltschema vornimmt, als dasjenige welches im Betrieb anzuwenden ist. Damit würde eine Veränderung der Entlohnungsgrundsätze erfolgen, die einseitig nicht möglich ist. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) bedarf die Veränderung einer Einigung mit dem Betriebsrat.

Die in der Betriebsvereinbarung „Arbeitsordnung“ in Bezug genommene LG-RTV sei die maßgebende Vergütungsordnung für die gewerblichen Arbeitnehmer im Betrieb der Arbeitgeberin. Diese Betriebsvereinbarung sei wirksam. Sie sei nicht durch eine Regelungsabrede abgelöst worden. Aufgrund der Kündigung der Arbeitgeberin im Oktober 2009 wirke sie nach. Die in Nr. 5.1 der Betriebsvereinbarung „Arbeitsordnung“ geregelte Bezugnahme der Eingruppierungsbestimmungen und Lohngruppen nach §§ 3, 4 LG-RTV sei wirksam.

Mangels Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin sei das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht nach § 87 Absatz 1 BetrVG ausgeschlossen. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gelte nicht, soweit es um Angelegenheiten gehe, die nach § 87 Absatz 1 BetrVG der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen.

Der Verweis in der Arbeitsordnung sei entgegen der Auffassung des Betriebsrats nicht deshalb unwirksam, weil es sich um einen unzulässigen dynamischen Verweis auf einen Tarifvertrag handele. Selbst wenn ein dynamischer Verweis vorliegen sollte, sie die Rechtsfolge eines solchen Verweises stets der statische Einbezug der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tarifvertrages geltenden Tarifbestimmungen. Im vorliegenden Fall sei das die LG-RTV in der seit Januar 1997 geltenden Fassung.

Die Regelungen in der Arbeitsordnung seien auch nicht durch eine zwischen den Betriebsparteien geschlossene Regelungsabrede abgelöst worden. Die Betriebsparteien hätten keine Regelung getroffen, dass der Kriterienkatalog zur Eingruppierung neuer Mitarbeiter das maßgebliche betriebliche Vergütungssystem darstellen solle. Dem Betriebsratsbeschluss vom Februar 2009 könne nicht entnommen worden, dass die Arbeitgeberin durch Anwendung des Kriterienkataloges diesen konkludent angenommen hätte.

Es bleibe offen, welchen Inhalt die vom Betriebsrat angetragene Regelungsabrede haben solle. Basierend auf dem Betriebsratsbeschluss könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Arbeitgeberin damit den entsprechenden Antrag angenommen habe. Dagegen spreche bereits, dass die vorgefertigte Betriebsvereinbarung zur Unterschrift vorgelegt werden sollte. Das bedeute, der Betriebsrat wollte der Arbeitgeberin einen Antrag auf Abschluss des von ihm vorgefertigten Entwurfs der Betriebsvereinbarung unterbreiten, nicht jedoch deren Antrag annehmen.

Dem Beschluss des Betriebsrats könne auch nicht entnommen werden, er wolle mit der Arbeitgeberin eine Regelungsabrede schließen. Dem Betriebsrat ging es zum Zeitpunkt der Beschlussfassung darum, eine noch ungekündigte Betriebsvereinbarung durch eine Vereinbarung mit anderem Inhalt abzulösen. Das konnte nur durch eine Betriebsvereinbarung geschehen, nicht durch eine Regelungsabrede. Eine Betriebsvereinbarung im ungekündigten Zustand könne als höherrangiges Recht nicht durch eine Regelungsabrede abgelöst werden.

Eine Regelungsabrede sei auch nicht dadurch zustande gekommen, dass der Betriebsrat die Anwendung der LG Bu hingenommen habe und deren nachfolgenden Änderungen durch die Arbeitgeberin widersprochen habe. Die bloße Hinnahme eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens der Arbeitgeberin durch den Betriebsrat lasse grundsätzlich nicht auf den Abschluss einer formfreien Regelungsabrede schließen. Die Vereinbarung einer Regelungsabrede setze zumindest eine auf die Zustimmung zu der Maßnahme gerichtete Beschlussfassung des Betriebsrats und deren Verlautbarung gegenüber der Arbeitgeberin voraus.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen sei nach ständiger Rechtsprechung kein Mitgestaltungsrecht, sondern ein Mitbeurteilungsrecht.