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Anspruch auf Mindestlohn ist in jedem höheren Entgeltanspruch enthalten

Anspruch auf Mindestlohn kann nicht verfallen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.01.2019, Aktenzeichen 5 AZR 43/18

Ist eine Klage auf Vergütung für geleistete Arbeit gerichtet, umfasst sie stets den Mindestlohn. Die Vergütung in Höhe des Mindestlohnes unterliegt keiner Verfallsfrist und kann nicht ausgeschlossen werden.

Einem Sachbearbeiter wurde das Arbeitsverhältnis wegen Standortaufgabe zum Monatsende März 2016 gekündigt. Nach dem Ausspruch der Kündigung gewährte die Arbeitgeberin Urlaub bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Mit Schreiben vom 23. März kündigte die Arbeitgeberin fristlos und begründete, der Sachbearbeiter habe bereits während seines Urlaubs bei einem Konkurrenzunternehmen gearbeitet. Beim Arbeitsgericht erhob der Sachbearbeiter Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt.

Außergerichtlich versuchte der Sachbearbeiter im April 2016 erfolglos, Gehalt für den Monat März 2016 geltend zu machen. Im August 2016 legte er Klage beim Arbeitsgericht ein. Trotz Fälligkeit und seinem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess habe er das Märzgehalt nicht erhalten. Die Arbeitgeberin argumentierte, der Sachbearbeiter habe seinen Anspruch nicht rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht. Deshalb sei der Anspruch, basierend auf den arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen, verfallen. Das Arbeitsgericht zog die während des Urlaubs im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung erzielten 400 Euro von der Forderung ab und gab im Übrigen der Forderung statt.

Die Arbeitgeberin legte Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Das LAG änderte das Urteil des Arbeitsgerichts ab, uns bewilligte lediglich 130 Euro als anteilige Vergütung für den 30. und 31. März 2016. Mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Sachbearbeiter sein Zahlungsbegehren für den Monat März 2016 weiter.

Das Bundesarbeitsgericht hielt die Revision für begründet. Das Urteil des LAG wurde aufgehoben und die Sache zur Neuverhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Der Sachbearbeiter habe in der Revisionsinstanz ausreichend klargestellt, dass es ihm um die Vergütung tatsächlich geleisteter Arbeit in arbeitsvertraglich vereinbarter Höhe, zumindest aber in der Höhe des gesetzlich vereinbarten Mindestlohns gehe. Zusätzlich um das Entgelt für die Feiertage am 25. und 28. März 2016, sowie Urlaubsgeld für im Streitzeitraum gewährten Urlaub im Umfang von 15 Urlaubstagen. Der gesetzliche Mindestlohn sei als Sockelbetrag Teil des Streitgegenstandes jeder Klage auf Vergütung.

Das LAG könne die Klage nicht insgesamt mit der Begründung abweisen, die Klageansprüche seien wegen der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen nicht rechtzeitig geltend gemacht worden und deshalb verfallen. Der Anspruch des Sachbearbeiters auf Vergütung für geleistete Arbeit sei nicht gänzlich verfallen. Für jede Arbeitsstunde, die im Streitzeitraum geleistet wurde, habe der Sachbearbeiter Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn, der im Streitzeitraum 8,50 Euro/Stunde betrug.

Unabhängig davon, ob im Arbeitsvertrag Verfallsklauseln vereinbart sind, könne der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nach § 3 Satz 1 MiLoG (Mindestlohngesetz) weder beschränkt noch ausgeschlossen werden. Entgegenstehende Vereinbarungen seien unwirksam. Ist eine Klage auf Vergütung für geleistete Arbeit gerichtet, umfasse sie stets den Mindestlohn.

Der Anspruch auf Mindestlohn stehe eigenständig, aber nicht ohne Zusammenhang, neben dem im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag vereinbarten Entgeltanspruch. Die Arbeitgeberin sei dem Arbeitnehmer zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Ist die vereinbarte Vergütung geringer als der gesetzliche Mindestlohn, habe der Arbeitnehmer einen Differenzanspruch nach § 3 MiLoG. Damit sei der Mindestlohnanspruch ein Sockelbetrag, der in jedem höheren Entgeltanspruch enthalten ist.

Beantragt ein im Inland Beschäftigter einen bestimmten Eurobetrag als vereinbarte Vergütung für in einem bestimmten Zeitraum geleistete Arbeit, umfasse der Lebenssachverhalt gearbeitet zu haben, auch den der vertraglichen Vergütung innewohnenden gesetzlichen Mindestlohnsockel. Bei einer auf tatsächliche Arbeit gestützten Entgeltklage sei daher der Mindestlohn für die geleistete Arbeit stets streitgegenständlich. Dies habe das Landesarbeitsgericht übersehen, indem es annahm, die Ansprüche für den Streitzeitraum seien wegen der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen verfallen. Hingegen habe es zu Recht erkannt, dass der über den gesetzlichen Mindestlohn hinausgehende Anteil des Arbeitslohnes verfallen ist, weil er nicht rechtzeitig innerhalb der vereinbarten 3 Monate geltend gemacht wurde.

Für die gesetzlichen Feiertage am 25. März (Karfreitag) und 28. März (Ostermontag) konnte der Anspruch auf Entgeltzahlung nicht nach § 15 Nr. 15.2 Arbeitsvertrag verfallen. Unabdingbare gesetzliche Ansprüche seien dort bereits ausgenommen. Somit auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung an Feiertagen nach § 12 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz). Zudem habe jedoch die Arbeitgeberin für die Arbeitszeit, die infolge eines gesetzlichen Feiertags ausfällt, nach § 2 Abs. 1 EFZG das Entgelt zu zahlen, das der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte. Dass die Feiertage in die Urlaubszeit des Sachbearbeiters fielen, sei dabei unerheblich, denn der Anspruch auf Entgeltzahlung nach § 2 Absatz 1 EFZG bestehe auch dann, wenn ein gesetzlicher Feiertag während eines Urlaubszeitraums anfällt.

Verpflichtet ein gesetzlicher Entgeltzahlungstatbestand die Arbeitgeberin, den Arbeitnehmer so zu stellen, als hätte er gearbeitet, und gestaltet der Mindestlohn diesen Anspruch mit, gebiete es der Schutzzweck des § 3 Satz 1 MiLoG, den Entgeltzahlungsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entsprechend zu sichern.

Der Anspruch des Sachbearbeiters auf Urlaubsentgelt für den im Streitzeitraum gewährten Urlaub sei auch nicht wegen verspäteter gerichtlicher Geltendmachung nach § 15 Nr. 15.2 Arbeitsvertrag verfallen. Die Arbeitgeberin habe dem Sachbearbeiter, entsprechend den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung bis zum 31. März 2016 Urlaub gewährt. Damit habe sie den Anspruch auf Urlaubsentgelt dem Grunde nach streitlos gestellt und der Notwendigkeit einer Geltendmachung innerhalb von vertraglich vereinbarten Ausschlussfristen entzogen.

Zahlt die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer das Urlaubsentgelt nicht vor Urlaubsantritt aus, sei die Urlaubserteilung der Arbeitgeberin jedenfalls im bestehenden Arbeitsverhältnis nach Treu und Glauben gesetzeskonform so zu verstehen (§ 157 Bürgerliches Gesetzbuch), dass die Arbeitgeberin damit nicht bestreitet, für den gewährten Urlaub dem Grunde nach zur Zahlung von Urlaubsentgelt nach den gesetzlichen Vorgaben und etwaigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verpflichtet zu sein, sofern dem nicht konkrete Anhaltspunkte entgegenstehen. Anderenfalls hätte sie den Urlaubsanspruch des Arbeitsnehmers nicht wirksam erfüllt.

Das BAG konnte nicht entscheiden, in welcher Höhe die Klage begründet ist, da bisher nicht festgestellt wurde in welchem Umfang der Sachbearbeiter bis zum Beginn des erteilten Urlaubs gearbeitet hat. Für die Ermittlung des gesetzlichen Mindestlohnes seien die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden schlüssig darzulegen. Es sei auch festzustellen, wie viele Stunden der Sachbearbeiter an Karfreitag und Ostermontag gearbeitet hätte, falls diese Tage keine Feiertage und der Sachbearbeiter nicht im Urlaub gewesen wäre. Schließlich sei noch der konkrete Urlaubsbeginn zu klären. Das Urlaubsentgelt sei nach dem Referenzprinzip des § 11 Absatz 1 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) zu bemessen.

Im Umfang der Aufhebung wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.