Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.04.2019, Aktenzeichen 1 ABR 25/17
Informiert die Arbeitgeberin den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß über die Auswahlgründe für die Versetzung eines Arbeitnehmers, kann sie nicht die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats verlangen.
Die Arbeitgeberin ist bundesweit im Sektor der Informationstechnik und Telekommunikation tätig. Im Rahmen eines betrieblichen Transformationsprogrammes fielen Arbeitsplätze weg. Anhand eines Interessenausgleiches wurde ein Auswahlverfahren festgelegt, wie betroffene Mitarbeiter zu behandeln seien. Die Auswahl für Beschäftigte auf den verbliebenen Arbeitsplätzen sollte neben den betrieblichen Belangen die fachliche Eignung und erforderliche Qualifizierung sowie soziale Gesichtspunkte berücksichtigen.
Ausgewählte Arbeitnehmer, die nicht gegen Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden, gingen in die Betreuung durch den Bereich Job Service und Placement (JSP) über. Dort wurden Arbeitnehmer bis zur Weitervermittlung auf einen anderen Arbeitsplatz betreut, indem sie bei der Suche nach Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb des Unternehmens der Arbeitgeberin unterstützt und alternative Beschäftigungsmöglichkeiten vermittelt wurden. Arbeitnehmer wurden dafür aus den operativen Betriebsprozessen herausgenommen. Sie mussten sich aktiv an der Arbeitsplatzvermittlung beteiligen und sich bei gleichwertigen Arbeitsplatzangeboten bewerben. Auf Anforderung konnten diese Arbeitnehmer verpflichtet werden, temporäre Projekteinsätze wahrzunehmen und an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen, die zur Weitervermittlung notwendig sind.
Entsprechend eines Anfang 2015 mit dem Gesamtbetriebsrat vereinbarten Interessenausgleichs und Sozialplan wurde für das Team eines Mitarbeiters ein Personalüberhang ausgewiesen. Der Mitarbeiter wurde vom Umsetzungsteam im Mai 2015 informiert, dass sein Arbeitsplatz wegfällt. Wenige Tage später bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zum beabsichtigten Wechsel des Mitarbeiters in den Bereich JSP. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung. Daraufhin unterrichtete die Arbeitgeberin den Betriebsrat, die Maßnahme ab Juli 2015 vorläufig durchzuführen. Der Betriebsrat bestritt die Dringlichkeit der vorläufigen Maßnahme.
Daraufhin leitete die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht das Zustimmungsersetzungsverfahren ein. Sie habe den Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet. Die vorläufige Durchführung der Maßnahme sei dringend erforderlich. Die vom Betriebsrat geltend gemachten Gründe rechtfertigten keine Zustimmungsverweigerung.
Das Arbeitsgericht wies die Anträge der Arbeitgeberin ab. Der Zustimmungsersetzungsantrag sei mangels ordnungsgemäßer Unterrichtung unbegründet. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Beschwerde der Arbeitgeberin mit der Begründung ab, es handele sich nicht um eine mitbestimmungpflichtige Versetzung.
Mit seiner Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (BAG) strebte der Betriebsrat die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts an.
Das BAG entschied, die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats sei begründet. Das LAG habe zwar die Anträge der Arbeitgeberin abgewiesen. Mit der Begründung, die Versetzungsmaßnahme sei nicht zustimmungsbedürftig, habe es der Arbeitgeberin etwas zugesprochen, das der Betriebsrat mit seinem Antrag verhindern wollte.
Das LAG habe zu Unrecht begründet, die strittige personelle Maßnahme bedürfe keiner Zustimmung des Betriebsrats. Die Anträge sei hingegen deshalb nicht begründet, weil die Arbeitgeberin den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß nach § 99 Absatz 1 Satz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) unterrichtet habe. Die Zustimmung des Betriebsrats zur personellen Maßnahme sei deshalb nicht zu ersetzen.
Der Übergang des Mitarbeiters in den Wirkungsbereich von JSP stelle eine Versetzung dar. Der Mitarbeiter sollte für eine unbestimmte Zeit und damit länger als einen Monat durch den Bereich JSP betreut werden.
Eine Versetzung im Sinne des BetrVG sei die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches für die Dauer von mehr als einem Monat oder eine erhebliche Änderung der Arbeitsumstände. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatz im Sinne einer Versetzung bedeute, dass sich das gesamte Bild der Tätigkeit so geändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen betrauten Beobachters als eine Andere anzusehen sei.
Die zustimmungspflichtige Versetzung entstehe nicht erst mit einem temporären Projekteinsatz. Mitarbeiter hätten jederzeit auf Anforderung Einsätze wahrzunehmen. Sie seien nicht mehr ständig an einem Arbeitsplatz beschäftigt. Die Zuweisung der Projekteinsätze bedürfe nicht mehr der Zustimmung des Betriebsrats.
Voraussetzung für eine gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats sei die ordnungsgemäße ausreichende Unterrichtung des Betriebsrats durch die Arbeitgeberin, unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen. Der Betriebsrat müsse dadurch in die Lage versetzt werden, zu prüfen, ob das betriebliche Auswahlverfahren eingehalten wurde oder ein Zustimmungsverweigerungsgrund vorliegt.
Die Arbeitgeberin habe nicht davon ausgehen können, ihre Pflicht zur Unterrichtung des Betriebsrats vollständig erfüllt zu haben. Die Unterrichtung sei ersichtlich nicht ausreichend gewesen. Im vorliegenden Fall beschränke sich das Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats auf die Prüfung, ob das vorgesehene betriebliche Auswahlverfahren eingehalten wurde. Die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat über den Kreis der in das Auswahlverfahren einbezogenen Mitarbeiter, sowie die Merkmale der Auswahl zu informieren. Die an den Betriebsrat zu übermittelnden Informationen beinhalten, von welchen sozialen Gesichtspunkten und von welchen fachlichen Qualifikationen der Beschäftigten das Umsetzungsteam in Bezug auf die verbleibenden Arbeitsplätze ausgegangen ist. Ebenso habe sie etwaige Unterlagen vorzulegen, die sie dem Umsetzungsteam für die Durchführung des Auswahlverfahren bereitgestellt habe. Über die Gründe für die getroffene Auswahl müsse sie hingegen nicht informieren.
Die Unterrichtung durch die Arbeitgeberin sei erkennbar unzureichend gewesen, da Angaben zum auswahlrelevanten Personenkreis und zu den Merkmalen, auf deren Grundlage die Auswahl erfolgte, fehlten. Die Arbeitgeberin habe zwar während des Verfahrens ihre Angaben zum auswahlrelevanten Personenkreis ergänzt. Es fehlten jedoch weiterhin Angaben zu den sozialen Auswahlpunkten sowie zur Eignung aller in die Auswahl einbezogenen Mitarbeiter.