Kriterien einer Versetzung
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 29.04.2019, Aktenzeichen 12 TaBV 51/18
Als Versetzung gilt, wenn einem Mitarbeiter ein anderer Arbeitsbereich länger als einen Monat zugewiesen wird oder wenn mit der Zuweisung eine erhebliche Änderung der Arbeitsumstände verbunden ist.
Die Arbeitgeberin betreibt Möbelhäuser in 40 Städten, bundesweit. In Zeiten mit hohem Kundenaufkommen werden Mitarbeiter aus anderen Bereichen zur Kundenabfertigung herangezogen. Ausgehend von der Anzahl der Einsätze und der Änderung der Arbeitsumstände bezogen auf den regulären Arbeitsplatz der aushelfenden Mitarbeiter ging der Betriebsrat von Arbeitseinsätzen aus, auf welche die Definition einer Versetzung zutrifft. Nach Ansicht des Betriebsrats sei er über diese Versetzungen zu unterrichten und anzuhören.
Die Arbeitgeberin argumentierte, kurzfristige, aushilfsweise Arbeitseinsätze in anderen Arbeitsbereichen gehörten zur akzeptierten Unternehmenskultur und seien vom Betriebsrat niemals infrage gestellt worden. Es handele sich weder um Umgruppierungen entsprechend Manteltarifvertrag noch um Versetzungen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG).
Das Arbeitsgericht wies die Anträge des Betriebsrats zurück. Wegen der Kürze der einzelnen Einsätze von bis zu 6 Stunden handele es sich weder um Umgruppierungen nach Manteltarifvertrag, noch um Versetzungen im Sinne des BetrVG.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte der Betriebsrat Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Der Betriebsrat machte geltend, es handele sich um mitbestimmungspflichtige Versetzungen im Sinne von § 95 Absatz 3 BetrVG. Die Einsätze würden zwar nicht den Zeitraum von einem Monat überschreiten, gingen jedoch mit erheblichen Änderungen der Arbeitsumstände einher. Die Arbeit an der Kasse sei mit großem Stress verbunden. Für die Einschätzung der erheblichen Änderung der Umstände sei zu berücksichtigen, ob Mitarbeiter im eigenen Rhythmus ohne Kundenkontakt im Büro arbeiten, oder an der Kasse im vorgegebenen Rhythmus arbeiteten.
Die Arbeitgeberin habe es zukünftig zu unterlassen, Mitarbeiter zu versetzen bzw. Umgruppierungen als vorläufige personelle Maßnahmen durchzuführen, ohne den Betriebsrat dazu zu unterrichten und angehört zu haben. Für den Fall der Zuwiderhandlung solle bis zu 10 000 Euro Ordnungsgeld angedroht werden.
Die Arbeitgeberin wiederholte ihre Argumentation, dass es zur akzeptierten Unternehmenskultur gehöre, Mitarbeiter an Tagen mit hoher Kundenfrequenz kurzfristig in die Bereiche Kasse und Logistik abzuordnen. Damit sei keine Änderung der tariflichen Vergütung zu verbinden. Die Umstände der Arbeit, wie Lage der Arbeitszeit, Arbeit im gleichen Einrichtungshaus und mit denselben Arbeitskollegen blieben im Wesentlichen unverändert. Fast alle Tätigkeiten seien mit Kundenkontakt verbunden. Es sei nie ausgeschlossen, dass Mitarbeiter aus den Bereichen Verwaltung oder Technik von Kunden um Rat gefragt würden. Für die Beurteilung ob eine erhebliche Veränderung der Arbeitsumstände vorläge sei zu berücksichtigen, dass die Aushilfseinsätze an hochfrequenten Tagen jeweils nur für wenige Stunden, maximal aber eine Schicht angeordnet würden. Keiner dieser Einsätze erreiche auch nur annähernd die Zeitdauer von einem Monat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (1 ABR 23/08 v. 23.06.2009) stehe dem Betriebsrat kein allgemeiner Anspruch auf Unterlassung einer beabsichtigten Einstellung oder Versetzung eines Mitarbeiters zu. Das Betriebsverfassungsgesetz nehme in Kauf, dass eine personelle Maßnahme zumindest vorübergehend praktiziert werden kann, ohne dass ihre materielle Rechtmäßigkeit feststeht. In § 101 BetrVG seien die Rechtsfolgen eines Verstoßes geregelt. Werde eine Einstellung oder Versetzung ohne Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt, könne der Betriebsrat ihre Aufhebung verlangen und diese gerichtlich durchsetzen. Das Gesetz sehe zwar einen Abwehranspruch des Betriebsrats vor, dieser Ziele jedoch auf nachträgliche Beseitigung, nicht auf vorbeugende Unterlassung.
Zunächst könne der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht feststellen lassen, falls ein betriebsverfassungswidriges Verhalten der Arbeitgeberin vorliegt. Drohten weitere Verstöße, könne er nun nach § 23 Absatz 3 BetrVG vorgehen, etwa im Rahmen einer einstweiligen Verfügung. In der Missachtung eines gerichtlich festgelegten Rechts des Betriebsrats liege regelmäßig eine grobe Pflichtverletzung der Arbeitgeberin.
Da vorliegend eine entsprechende betriebsverfassungsrechtliche Anspruchsgrundlage fehle, seien die Unterlassungsanträge des Betriebsrats zurückzuweisen. Das gelte auch für den Antrag auf Androhung eines Ordnungsgeldes.
Der Feststellungsantrag auf Mitbestimmung bei etwaigen Versetzungen sei hingegen zulässig und begründet. Der dem Antrag zugrunde liegende Konflikt bestehe fort. Der Betriebsrat möchte mitbestimmen können, ob und welche Mitarbeiter an hochfrequenten Tagen an welchen anderen Arbeitsplätzen aushelfen, zumindest aber mitbeurteilen und im Einzelfall seine Zustimmung verweigern können. Nach Auffassung des Betriebsrats könnten für diese kurzfristigen Einsätze in anderen Arbeitsbereichen allgemeine Rahmenregelungen vereinbart werden.
Die Arbeitgeberin hingegen lehnte den Abschluss rechtsverbindlicher Regelungen zu diesem Thema ab. Sie stellte ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Absatz 1 BetrVG in Abrede.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts könne eine gerichtliche Feststellung hier für die Zukunft größere Klarheit schaffen.
Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handele es sich, wenn sich das Gesamtbild der bisherigen Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit dem betrieblichen Verhältnisses vertrauten Beobachters als eine „andere“ anzusehen sei. Dies könne sich aus dem Wechsel des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der mit ihnen verbundenen Verantwortung ergeben, ebenso aus einer Änderung des Arbeitsorts oder der Art der Tätigkeit, das heißt der Art und Weise folgen, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen ist. Der Wechsel könne mit einer Änderung der Stellung und des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit verbunden sein.
Bei Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs liege eine Versetzung nur vor, wenn mit dieser Zuweisung zugleich eine erhebliche Änderung der Umstände einhergehe, unter denen die Arbeit zu leisten ist.
Dazu zählten etwa die zeitliche Lage der Arbeit, die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen Hilfsmitteln und zudem Faktoren wie Lärm, Schmutz, Hitze, oder Kälte oder Nässe. Einzelne dieser Umstände müssen sich nicht nur geändert haben, ihre Änderung muss „erheblich“ sein, damit Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei nur kurzzeitiger Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes wirksam werden könnten.
Für die Bewertung der Umstandsänderungen bedürfe es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen die konkrete Arbeit zu leisten sei. Neben den bereits genannten Kriterien gehöre im vorliegenden Fall auch die Erwägung dazu, ob die Arbeit überwiegend mit oder ohne Kundenkontakt zu leisten sei, da Kunden im Handelsbereich stets Vorrang genießen. Eine freie Erledigung von Aufgaben sei unter diesen Umständen nicht möglich. Daher sei auch die Frage zu klären, ob eine freie Disposition der übertragenden Tätigkeit stattfinde oder nahezu mechanisch einzelne Schritte abgearbeitet werden müssten.
Die zeitliche Komponente, die bestimmt ob eine andere Aufgabe unter erheblicher Änderung der Umstände für einige Stunden, Tage oder Wochen erfolge, habe dem gegenüber keine entscheidende Bedeutung. Werde mit der Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes der Zeitraum von einem Monat überschritten, handele es sich bereits um den Normalfall einer Versetzung.
Die grundsätzlichen Unterschiede ergäben sich schon aus der differenzierten tariflichen Bewertung von ursprünglich ausgeübter und vorübergehend übertragener Tätigkeit.
Mitarbeiter der Personalabteilung hätten beispielsweise die Möglichkeit, ihrer Arbeit im wohl temperierten, ruhigen, vom Publikumsverkehr abgeschotteten Bürobereich auszuführen. Die Abarbeitung der Aufgaben könnten sie weitgehend selbst bestimmen. Hingegen stelle sich eine erhebliche Änderung der Umstände dar, wenn diese Mitarbeiter im sehr lauten, zugigen und nicht gleichmäßig temperierten Kassenbereich ihre Arbeit erbringen müssen und dabei vollständig der fremdbestimmten Abarbeitung der abzukassierenden Kunden bzw. der Betreuung der Kunden an den Scanner-Kassen unterworfen sind. Gleiches gelte für weitere Mitarbeiter in der Verwaltung und für den Teamleiter Haustechnik.
Für Mitarbeiter aus dem Food-Bereich werde ein Wechsel an die Kasse hingegen nicht als erhebliche Änderung der Arbeitsumstände angesehen. Die Mitarbeiter hätten in beiden Bereichen ständigen und unmittelbaren Kundenkontakt. Auch für den Abteilungsleiter Verkauf und seine Mitarbeiter bestehe ständiger Kundenkontakt. Ein Einsatz an der Kasse stelle keine wesentliche Veränderung dar.
Für Mitarbeiter, die im Kundenbereich Musterzimmer aufbauen und dafür auch im Bereich Lager und Logistik tätig sind, ist der kurzfristige Einsatz an der Kasse oder in der Logistik keine Versetzung im Sinne von § 95 Absatz 3 BetrVG, wenn sie nicht länger als einen Monat dauert, da sich für sie noch keine erhebliche Änderung ihrer Arbeitsumstände darstellt.
Die Rechtsbeschwerde zu dieser Entscheidung wurde zugelassen.