Wann gilt ein Busfahrer als Selbstständiger oder als Arbeitnehmer?
Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom 14.02.2019, Aktenzeichen 10 Ta 350/18
Dauert eine geschäftliche Beziehung nur wenige Tage und findet keine Eingliederung in den Geschäftsbetrieb der Auftraggeberin statt, kann nicht von einem Arbeitsverhältnis ausgegangen werden.
Ein Busfahrer hatte sich auf einer Internetplattform als selbstständiger Fahrer angeboten. Seit 18 Jahren habe er mit Unterbrechungen, selbstständig Ungarnreisen veranstaltet. Ein Busunternehmen verständigte sich mit ihm per E-Mail. Ab dem 2. Juli 2018 sollte er als Fahrer für einen Reisebus eingesetzt werden. Für An- und Abfahrt sowie für die einzelnen Einsatztage benannte die Auftraggeberin feste Vergütungsbeträge, ohne aber einen schriftlichen Arbeitsvertrag abzuschließen. Es sei jedoch unstreitig ein Nettolohn von etwa 1400 Euro vereinbart worden.
Vom 2. bis 12. Juli 2018 wurde Fahrertätigkeit erbracht. Mit Schreiben vom 10. Juli 2018 forderte der Busfahrer erfolglos die Zahlung von 1480 Euro netto. Im August 2018 machte er seine Forderung vor dem Arbeitsgericht geltend. Nach seiner Auffassung sei ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Er habe nach den Anweisungen des Geschäftsführers arbeiten müssen. Der Geschäftsführer habe ihn angewiesen mit einem bestimmten Mitarbeiter des Unternehmens zusammenzubleiben und dessen Weisungen zu folgen. Während der Fahrt habe er auch mehrfach mit dem Geschäftsführer telefoniert.
Die Auftraggeberin argumentierte, es sei kein Arbeitsverhältnis vereinbart worden. Sie betreibe nur ein kleines Unternehmen mit Bussen, die nicht Eigentum des Unternehmens seien, sondern lediglich angemietet. Der Busfahrer habe die Tour nicht nach den Weisungen der Auftraggeberin ausführen müssen. Die Auftraggeberin habe lediglich die Angaben des Reiseveranstalters weitergegeben. Der Fahrer sei als einmalige Hilfe bestellt und nicht mit festen Fahrzeiten in den Betrieb eingegliedert gewesen. Auf der vermittelnden Internetseite habe sich der Fahrer als selbstständiger Busfahrer ausgegeben.
Das Arbeitsgericht wies den Klageantrag ab und verwies den Rechtsstreit an das zuständige Amtsgericht. Der Busfahrer habe nicht ausreichend vorgetragen, aufgrund welcher mündlichen Absprache eine für das Arbeitsverhältnis erforderliche Weisungsabhängigkeit in Bezug auf Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit abzuleiten sei. Eine Eingliederung in den Betrieb habe nicht stattgefunden.
Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts legte der Busfahrer Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Er habe mit den Arbeitsmitteln der Auftraggeberin und nach Anweisungen des Geschäftsführers gearbeitet. Es sei keine Vereinbarung getroffen worden, dass er nicht als Arbeitnehmer arbeite. Vor der Reise sei niemals davon die Rede gewesen, dass er als selbstständiger Fahrer verpflichtet würde.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) entschied, es habe kein Arbeitsverhältnis vorgelegen. Es bestand keine wirtschaftliche Abhängigkeit von der Auftraggeberin, sodass selbst eine Einstufung als arbeitnehmerähnliche Person nicht infrage käme. Gegen ein Arbeitsverhältnis spreche, dass die Tätigkeit nur wenige Tage dauerte und der Fahrer nicht in den Betrieb der Auftraggeberin eingegliedert war.
Der Vergütungsanspruch könne im vorliegenden Fall sowohl auf einem Verhältnis als freier Mitarbeiter, als auch auf einem Arbeitsverhältnis beruhen. Es sei in diesem Fall umstritten, ob der Busfahrer zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft einen schlüssigen Vortrag halten muss oder ob die Umstände bewiesen sein müssen, welche die Arbeitnehmereigenschaft begründen.
Die Eigenschaften eines Arbeitnehmers seien in § 611a Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) festgeschrieben. Anhand des Arbeitsvertrages werde der Arbeitnehmer zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht könne Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden sei, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen könne. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hänge dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliege, sei eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen.
Bezüglich der Einordnung von Fahrern bzw. Busfahrern gebe es in der Rechtsprechung bisher kein einheitliches Bild. So könne etwa die Tätigkeit eines LKW-Fahrers sowohl als selbstständige als auch als unselbstständige Beschäftigung erbracht werden. In der Regel würde es für die Eigenschaften eines Arbeitnehmers sprechen, wenn der Fahrer über keinen eigenen LKW verfügt. Ein Busfahrer, der nur sporadisch eingesetzt wurde und über keinen eigenen Bus verfügt, sei in der Rechtsprechung als sozialrechtlich abhängiger Beschäftigter eingeordnet worden. Taxifahrer, die nur unregelmäßig für Fahrten beansprucht werden, seien regelmäßig auch nicht in den Betrieb eingegliedert, was gegen eine Beschäftigung als Arbeitnehmer spreche. Bei punktuellen Tätigkeiten für die Auftraggeberin handele es sich, wegen fehlender Eingliederung in die Organisation der Auftraggeberin, nicht um ein Arbeitsverhältnis.
Die Parteien hätten sich konkludent (durch schlüssiges Verhalten) auf eine selbständige Tätigkeit, die naheliegend als Werkvertrag anzusehen sei, geeinigt. Die tatsächliche Durchführung der Arbeit spreche ebenfalls nicht für ein Arbeitsverhältnis.
Da kein schriftlicher Vertrag abgeschlossen wurde sei maßgeblich, wie das Verhalten der Parteien aus der Sicht eines objektiven Dritten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verstanden würde.
Die Fahrerinformationen auf dem Internetportal ließen aus der Sicht eines objektiven Betrachters den Schluss zu, dass eine Tätigkeit als selbstständiger Busfahrer angeboten wurde. Der Fahrer habe dort die Option „Selbst. Fahrer“ ausgewählt, anstatt „Angestellter Fahrer“. Aus Sicht eines verständigen Dritten musste der Eindruck entstehen, dass sich der Busfahrer auf Grundlage einer selbständigen Tätigkeit als Fahrer anbieten möchte.
Es sei zu berücksichtigen, dass der Busfahrer seine Fahrtätigkeit angeboten habe, nachdem er das Renteneintrittsalter erreicht hat. Basierend auf seinem Rentenbezug habe er zumindest über eine finanzielle Grundabsicherung verfügt. Aus objektiver Sicht musste man deshalb nicht annehmen, dass der Busfahrer auf der Suche nach einem Arbeitsverhältnis war. In seiner E-Mail spreche die Formulierung, dass er den Auftrag bestätigt, ebenfalls eher für einen Werkvertrag, nicht für ein Arbeitsverhältnis.
Bei einem Arbeitsverhältnis werde grundsätzlich ein Bruttobetrag vereinbart, was vorliegend nicht der Fall war. Nachdem die Auftraggeberin offiziell vom Busfahrer eine Rechnung verlangte, habe dieser erklärt, dass man ihn auch stundenweise mieten könne, dann aber zu deutlich höheren Preisen. Daraus lasse sich ableiten, dass er je nach Umständen durchaus bereit war, auf selbstständiger Basis Busfahrten zu erbringen.
Der Busfahrer habe nicht substantiiert ausgeführt in welcher Art und Weise er habe den Weisungen des Geschäftsführers folgen müssen. Es bliebe auch unklar, inwiefern er den Anweisungen des Mitarbeiters, der selbst einen Bus auf dieser Tour fuhr, habe folgen müssen.
Es fehle an einer Eingliederung in den Geschäftsbetrieb der Auftraggeberin. Es habe sich um einen erstmaligen und einmaligen Kontakt gehandelt. Eine dauerhafte Geschäftsbeziehung sei von beiden Seiten nicht geplant gewesen.
Im Sinne eines Arbeitsverhältnisses spreche, dass der Busfahrer nur seine Arbeitsleistung eingebracht habe und das wesentliche Arbeitsmittel, der Bus, von der Auftraggeberin zur Verfügung gestellt wurde. Bei einer Gesamtbetrachtung stehe dagegen aber die weitgehende Weisungsfreiheit zur Durchführung der Fahrt, die fehlende Eingliederung in die Organisationsstruktur des Unternehmens der Auftraggeberin sowie die kurze Dauer der Zusammenarbeit.
Der Busfahrer könne auch nicht als arbeitnehmerähnliche Person im Sinne von § 5 Absatz 1 Satz 2 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) angesehen werden, da er dafür wirtschaftlich von der Auftraggeberin abhängig sein müsse. Angesichts des kurzen zeitlichen Einsatzes sowie seiner Absicherung anhand einer gesetzlichen Rente, käme dies aber nicht in Betracht.
Die Rechtsbeschwerde zu diesem Urteil wurde zugelassen, da höchstrichterlich nicht geklärt sei, wie die Tätigkeit von Fahrern ohne eigene Betriebsmittel einzuordnen sei, die über eine Internetplattform vermittelt wurden.