Hausrecht an Betriebsratsräumen
Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom 14.01.2019, Aktenzeichen 16 TaBVGa 6/19
Im Rahmen und zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben steht dem Betriebsrat das Hausrecht an den ihm überlassenen Räumen zu. Mit der Zuordnung bestimmter Räume an den Betriebsrat erwirbt dieser die tatsächliche Sachherrschaft hieran und wird damit Besitzer.
Die Arbeitgeberin stellte dem Betriebsrat im Erdgeschoss des Krankenhausgebäudes Räume zur Verfügung. Zwei Jahre später teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, das Büro des Betriebsrats solle in das vom Betriebsgebäude getrennte Verwaltungsgebäude umgezogen werden. Der Betriebsrat stimmte dem Umzug nicht zu. Im folgenden Jahr informierte die Arbeitgeberin wiederum, dieses Mal unter Vorlage von Unterlagen, über den beabsichtigten Umzug, was der Betriebsrat wiederum ablehnte. Weitere 6 Monate später, im Dezember 2018, informierte der Geschäftsführer, dass der Umzug in die neuen Räume des Betriebsrats für den 18. Dezember 2018 vorgesehen sei. Nachdem der Betriebsrat wiederum den Umzug ablehnte, teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, er habe am 18. und 19. Dezember die Gelegenheit, den Umzug der vertraulichen Unterlagen und Geräte selbst bzw. unter Zuhilfenahme des zur Verfügung gestellten Umzugspersonals, durchzuführen.
Andernfalls werde die Arbeitgeberin mit eigenem Personal unter voller Wahrung der Vertraulichkeit zum übermittelten Termin den Umzug durchführen. Die vom Betriebsrat beauftragte Rechtsanwältin bat am 11. Dezember die Arbeitgeberin, den Umzug nicht eigenmächtig durchzuführen und dem Betriebsrat sein Besitzrecht anzuerkennen bis eine einvernehmliche Lösung gefunden ist oder im Rahmen eines Beschlussverfahrens herbeigeführt wurde.
Am 12. Dezember beantragte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht im Rahmen einer einstweiligen Verfügung, der Arbeitgeberin aufzugeben es zu unterlassen,
das zur Verfügung gestellte Betriebsratsbüro selbst oder durch beauftragte Personen zu betreten, Unterlagen und Materialien aus dem Betriebsratsbüro zu entfernen, sowie die dem Betriebsrat zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zu entziehen und für den Fall der Unterlassung ein Ordnungsgeld in Höhe von 10 000 Euro anzudrohen.
Die Arbeitgeberin argumentierte, die bisher dem Betriebsrat zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten würden ab dem 20. Dezember 2018 zwingend für Umbauarbeiten benötigt. Der Betriebsrat sei frühzeitig und wiederholt über die Verlegung des Betriebsratsbüros informiert worden.
Durch seine ablehnende Haltung verhindere der Betriebsrat in unvertretbarer Weise den Baufortschritt der dringend notwendigen Generalsanierung des Krankenhausgebäudes. Die genutzten Räume würden benötigt, um im Rahmen der gesamten Bausanierung die Physiotherapie in diesen Räumen unterzubringen. Jeder Tag der Bauverzögerung verursache geschätzte Kosten von täglich 6 000 Euro.
Es sei nicht zutreffend, dass die neuen Räume des Betriebsrats ungeeignet seien, weil die Arbeitnehmer vom Krankenhausgebäude aus mehrere Minuten bis dorthin benötigten und nicht unbeobachtet den Betriebsrat aufsuchen könnten. Rechtlich sei ein unbeobachteter Zugang nicht anerkannt. Entscheidend sei, dass sich das Büro des Betriebsrats auf dem Betriebsgelände befinde. Im Falle der Räumung des Betriebsratsbüros finde kein Besitzentzug statt. Die Besitzstellung ende dort, wo die Arbeitgeberin in erforderlichem Umfang Sachmittel und Räume zur Verfügung stelle. Da neue Räume zur Verfügung gestellt würden, finde kein Besitzentzug statt. Daher stelle das Verhalten der Arbeitgeberin auch keine verbotene Eigenmacht dar. Hingegen sei das Verhalten des Betriebsrats rechtsmissbräuchlich, es stelle eine mit dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht zu vereinbarende treuwidrige Erfüllungsvereitelung dar.
Die Arbeitgeberin beantragte, den Beschluss des Arbeitsgerichts zum Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Der Betriebsrat argumentierte, die Parteien stritten nicht über die Zurverfügungstellung geeigneter Räume für den Betriebsrat, sondern darüber, ob die Arbeitgeberin berechtigt sei, eigenmächtig gegen den Willen des Betriebsrats, die ihm überlassenen Büroräume zu entziehen. Im Rahmen seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsfähigkeit stehe dem Betriebsrat ein Recht zum Besitz an den ihm einmal überlassenen Räumlichkeiten zu. Die eigenmächtige Entziehung dieses Besitzes gegen den Willen des Betriebsrats stelle verbotene Eigenmacht dar.
Der Betriebsrat habe zwar grundsätzlich keinen Anspruch darauf, die Räume für immer zu behalten. Die Arbeitgeberin sei jedoch nicht berechtigt, die Räume im Rahmen der Selbsthilfe zu räumen. Die Arbeitgeberin hätte ausreichend Zeit gehabt, Herausgabeansprüche an den Betriebsrat bezüglich der zur Nutzung überlassenen Räume gerichtlich klären zu lassen.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) entschied, das Arbeitsgericht habe den Anträgen des Betriebsrats zu Recht stattgegeben. Die Arbeitgeberin sei nach § 40 Absatz 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) verpflichtet, dem Betriebsrat die für dessen Tätigkeit erforderlichen Räume zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen und zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben stehe dem Betriebsrat das Hausrecht an den ihm überlassenen Räumen zu.
Mit der Zuordnung bestimmter Räume an den Betriebsrat erwerbe dieser die tatsächliche Sachherrschaft hieran und werde damit Besitzer im Sinne von § 854 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).
Nach § 858 Absatz 1 BGB handele in verbotener Eigenmacht, wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet. In Bezug auf die dem Betriebsrat überlassenen Räume folge hieraus, dass die Arbeitgeberin, auch wenn sie befugt sei, dem Betriebsrat andere, gleichfalls für die Ausübung der Betriebsratstätigkeit geeignete Räume, zuzuweisen, die bisherigen Räume des Betriebsrats nicht eigenmächtig räumen darf, sondern einen Herausgabetitel benötigt. Die Arbeitgeberin dürfe die überlassenen Räume nicht eigenmächtig räumen. Die eigenmächtige Entziehung des Besitzes setze auch insoweit einen Herausgabetitel gegenüber dem Betriebsrat voraus.
Der Betriebsrat handele nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er darauf bestehe, dass ihm sein Besitz wieder eingeräumt werde. Es diene der Erhaltung des äußeren Rechtsfriedens, wenn der Betriebsrat es nicht hinnehme, dass die Arbeitgeberin ihm eigenmächtig Besitz entzieht.
Die Arbeitgeberin habe es zu unterlassen, eigenmächtig mit einem Umzug von Unterlagen und Materialien des Betriebsrats zu beginnen.
Der Arbeitgeberin habe dem Betriebsrat seinerzeit die genannten Räume zugewiesen, womit dieser Besitz hieran erlangte. Diesen könne die Arbeitgeberin dem Betriebsrat nicht eigenmächtig entziehen.
Der erforderliche Verfügungsgrund habe vorgelegen, da der Betriebsrat jederzeit damit rechnen müsse, dass die Arbeitgeberin eigenmächtig das bisherige Betriebsratsbüro räumt.
Gegen diese Entscheidung wurde kein Rechtsmittel zugelassen.