BLOG RECHTSPRECHUNG

Urlaubsanspruch – Wann verfällt er?

Wann verfällt nicht genommener Urlaub?

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.06.2019, Aktenzeichen 9 AZR 546/17

In seiner weiterentwickelten Rechtsprechung geht das Bundesarbeitsgericht (BAG) davon aus, dass die Arbeitgeberin konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Sie muss den Arbeitnehmer erforderlichenfalls förmlich, auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt.

Ein Mitarbeiter war von Juni 2012 bis Februar 2016 bei der Arbeitgeberin als Programmierer beschäftigt. Die Urlaubsjahresübersicht wies im Dezember 2014 für den Programmierer einen verbleibenden Urlaubsumfang von 77,5 Tagen aus. Die Arbeitgeberin gewährte nach dem März 2015 mindestens 32 Tage Urlaub. In einer E-Mail vom Dezember 2015 wies der Geschäftsführer den Programmierer darauf hin, bestehender Resturlaub müsse bis Ende März 2016 genommen werden.

Der Programmierer erklärte Ende Dezember 2015 seine fristlose Kündigung. In einem anschließenden Rechtsstreit stellte das Arbeitsgericht fest, das Arbeitsverhältnis habe Ende Februar 2016 geendet.

Der Programmierer vertrat vor dem Arbeitsgericht zudem die Auffassung, die Arbeitgeberin habe ihm noch Resturlaub aus den Jahren 2012 bis 2015 im Umfang von 65 Arbeitstagen abzugelten. Die auf dem Server der Arbeitgeberin gespeicherten Exel-Tabellen zeugten davon, dass die Arbeitgeberin die aus den Vorjahren stammenden Urlaubsansprüche anerkenne. Die Mitarbeiter seien aufgrund langjähriger Übung berechtigt, Urlaub über mehrere Jahre hinweg anzusammeln, ohne dass dieser verfalle.

Die Arbeitgeberin argumentierte, der Urlaub sei vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen. Entsprechend dem Arbeitsvertrag seien zudem sämtliche Ansprüche ausgeschlossen.

Das Arbeitsgericht gab dem Begehren des Programmierers statt. Auf die Berufung der Arbeitgeberin wies das Landesarbeitsgericht (LAG) die Klage des Programmierers ab und änderte das Urteil des Arbeitsgerichts entsprechend. Der Programmierer begehrte mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Das BAG entschied, die Revision führe zur teilweisen Aufhebung des Urteils des LAG und Zurückverweisung der Sache an das LAG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.  Mit der Begründung des LAG habe dem Programmierer der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht versagt werden dürfen. Anhand der getroffenen Feststellungen des LAG könne das BAG nicht entscheiden, ob dem Programmierer zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Urlaubsanspruch von 65 Tagen zustand.

Das LAG sei mit seinem Urteil der früheren Rechtsprechung des BAG zum Verfall von Urlaubsansprüchen gefolgt. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Urlaubsansprüche des Programmierers aus den Kalenderjahren 2012 bis 2014 seien gemäß § 7 Absatz 3 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) verfallen, halte einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Das BAG habe seine Rechtsprechung weiterentwickelt. Der gesetzliche und vertragliche Urlaubsanspruch des Programmierers ergebe sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung von § 7 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 BurlG.

Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub erlösche bei einer mit Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Bei einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Absatz 1 Satz 1 BUrlG treffe die Arbeitgeberin die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Erfüllung der hieraus in richtlinienkonformer Auslegung abgeleiteten Mitwirkungspflicht der Arbeitgeberin sei grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes des § 7 Absatz 3 BurlG.

Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Absatz 3 BUrlG setze grundsätzlich voraus, dass die Arbeitgeberin konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Sie muss den Arbeitnehmer erforderlichenfalls förmlich, auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt.

Die Auswahl der Mittel zur Erfüllung ihrer Mitwirkungspflicht stehe der Arbeitgeberin grundsätzlich frei, da gesetzliche Vorgaben fehlen. Sie müssen geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Es gilt, den Eintritt einer Situation zu vermeiden, in der ein Arbeitnehmer auf Veranlassung der Arbeitgeberin davon abgehalten werden könne, seine Rechte gegenüber seiner Arbeitgeberin geltend zu machen.

Die Erfüllung ihrer Mitwirkungspflicht habe die Arbeitgeberin darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, weil sie hieraus eine für sich günstige Rechtsfolge ableitet.

Hat die Arbeitgeberin durch Erfüllung ihrer Mitwirkungspflicht den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden und verlangt der Arbeitnehmer dennoch nicht, ihm Urlaub zu gewähren, verfällt sein Anspruch mit Ablauf des Urlaubsjahres. Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 oder Satz 4 BUrlG vor, wird der Urlaub ohne Bedingungen auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen.

Der Urlaubsanspruch könne in diesem Fall grundsätzlich nur dann mit Ablauf des Übertragungszeitraums untergehen, wenn die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer auffordert, seinen Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt.

Hat die Arbeitgeberin ihren Mitwirkungspflichten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 BUrlG.

Die Arbeitgeberin könne das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass sie ihre Mitwirkungspflichten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums.

Diese Grundsätze gelten vorliegend sowohl für den gesetzlichen Mindesturlaub als auch für den arbeitsvertraglichen Mehrurlaub des Programmierers, da die Parteien keine von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Regelung getroffen haben.

Für einen Regelungswillen der Arbeitsvertragsparteien, dass der vertragliche Mehrurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder am Ende des Übertragungszeitraums unabhängig davon verfallen soll, ob die Arbeitgeberin ihren Mitwirkungsobliegenheiten entsprochen hat, müssten deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf vertraglichen Mehrurlaub auszugehen.

Das Landesarbeitsgericht hat – unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung konsequent – nicht geprüft, ob die Arbeitgeberin den Programmierer durch Erfüllung ihrer Mitwirkungspflicht in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch aus den Jahren 2012 bis 2015 tatsächlich wahrzunehmen und hierzu keine Tatsachenfeststellungen getroffen. Das BAG könne deshalb nicht entscheiden, ob der Urlaubsanspruch des Programmierers begründet ist.

Der Programmierer habe seinen Anspruch rechtzeitig geltend gemacht. Zum Zeitpunkt der Zustellung des Schriftsatzes war die in § 14 Satz 1 des Arbeitsvertrags bezeichnete Ausschlussfrist noch nicht abgelaufen.

Der Programmierer habe nicht vorgetragen, in welchem Zeitraum die Arbeitgeberin welchen Arbeitnehmern Urlaub in welchem Umfang aus welchem Zeitraum außerhalb des gesetzlichen Fristenregimes gewährt habe und damit eine betriebliche Übung eingetreten sei.

Soweit er in diesem Zusammenhang Urlaubslisten als Anlagen zur Gerichtsakte gereicht hat, könnten diese den notwendigen Sachvortrag nicht ersetzen. Die Parteien eines Rechtsstreits genügten ihrer Darlegungslast nicht schon dadurch, dass sie auf Aufstellungen oder sonstige Aufzeichnungen, die den Schriftsätzen als Anlagen beigefügt sind, Bezug nehmen. Anlagen könnten lediglich der Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nicht ersetzen.

Die E-Mail des Geschäftsführers der Arbeitgeberin vom Dezember 2015 erfülle die Anforderungen an einen Hinweis im Sinne der obigen Rechtsprechung nicht. Die Nachricht enthalte zwar einen Hinweis auf den Zeitpunkt, zu dem ein Verfall von Urlaubsansprüchen in Betracht kommt. Es fehle aber die Angabe, wie viele Urlaubstage dem Programmierer zu diesem Zeitpunkt noch zustanden, ebenso wie der Hinweis, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn der Programmierer seinen Urlaub nicht innerhalb der bezeichneten Frist tatsächlich nimmt.