Mitbestimmung in Tendenzbetrieben
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 12.02.2020, Aktenzeichen 3 TaBV 7/19
Erzieherinnen in der Kindertagesstätte eines Tendenzbetriebes können nur dann als Tendenzträger gelten, falls sie bei tendenzbezogenen Inhalten ihrer Tätigkeit völlig frei über die Erledigung ihrer Aufgaben entscheiden können.
Der Bereich Kinder- Jugend- und Familienhilfe wurde aus einem Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes ausgegliedert. Gegenstand des ausgegliederten Unternehmens, in Form einer Gesellschaft, sind die Förderung mildtätiger Zwecke sowie Jugendhilfe, Erziehung und Volksbildung. Die Gesellschaft ist eine Einrichtung des Roten Kreuzes. Sie betreibt mehrere Kindertagesstätten, Einrichtungen für Kinder und Jugendliche die nicht mehr bei ihren Eltern leben, sowie eine Familienbildungsstätte. Nach Maßgabe des Gesellschaftervertrages ist die Gesellschaft Teil der Nationalen Rotkreuz-Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland.
Im März 2019 beantragte die Gesellschaft als Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung einer Erzieherin mit einer Stammarbeitszeit von 35 Wochenstunden. Der Betriebsrat lehnte die Einstellung der Erzieherin sowie deren Eingruppierung ab. Anfang April 2019 wandte sich die Arbeitgeberin erneut an den Betriebsrat. Sie übermittelte ergänzende Angaben zur Einstellung und teilte mit, dass die vorläufige personelle Maßnahme aufrechterhalten werde. Dem Betriebsrat stehe kein Zustimmungsverweigerungsrecht zu, da es sich um einen Tendenzbetrieb im Sinne von § 118 Abs. 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) handele und die einzustellende Erzieherin eine Tendenzträgerin sei. Der Betriebsrat verweigerte weiterhin seine Zustimmung, soweit es die Einstellung und Eingruppierung der Erzieherin betraf. Hingegen hatte der Betriebsrat bereits Ende März 2019 sein Einverständnis zur Aufrechterhaltung der vorläufigen personellen Einzelmaßnahme bezüglich der Erzieherin erklärt.
Mitte April 2019 beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats. Das Arbeitsgericht wies im Juni 2019 die Anträge der Arbeitgeberin mit der Begründung zurück, die Tätigkeit der Erzieherin sei mit keiner Tendenzträger-Eigenschaft verbunden. Die Anträge der Arbeitgeberin seien aber bereits in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats zurückzuweisen.
Basierend auf der Entscheidung des Arbeitsgerichts vereinbarten Arbeitgeberin und Erzieherin einen Aufhebungsvertrag zu Ende August 2019. Ab September 2019 wurde ein Arbeitsvertrag, basierend auf einer 32-Stunden-Woche und entsprechender Eingruppierung abgeschlossen. Dieser personellen Einzelmaßnahme stimmte der Betriebsrat zu.
Die Arbeitgeberin legte unabhängig davon Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) handele es sich bei der Gesellschaft um einen Tendenzbetrieb. Die in der Kindertagesstätte beschäftigten Erzieherinnen seien Tendenzträgerinnen, die eine erzieherische Tendenz verfolgten. Für die Erzieherinnen bestünde ein nennenswerter Gestaltungsspielraum. Es sei nicht relevant, dass die Erzieherinnen einer pädagogischen Leitung unterstellt seien, da die Leiterinnen allenfalls korrigierend hinsichtlich des pädagogischen Konzepts eingreifen würden. Zudem setze die Tendenzträgerschaft keine alleinige Entscheidungsbefugnis voraus.
Durch den Aufhebungsvertrag sei keine Erledigung der Hauptsache eingetreten. Die Frage der Tendenzträgerschaft sei immer wieder Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien. Die Frage eines entsprechenden Mitbestimmungsrechts im Falle von personellen Einzelmaßnahmen trete zwischen den Parteien häufig auf und könne sich auch in Zukunft jederzeit wiederholen.
Das LAG entschied, durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages sei der klärungsbedürftige Verfahrensgegenstand entfallen, es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Die in der Kindertagesstätte beschäftigten Erzieherinnen seien auch nicht als Tendenzträgerinnen anzusehen.
Das Rechtschutzbedürfnis fehle insbesondere dann, wenn ein einfacherer oder billigerer Weg zur Verfügung stehe oder wenn der Antragsteller offensichtlich gerichtlicher Hilfe zur Erreichung seines Zieles nicht mehr bedarf.
Für den Antrag der Arbeitgeberin, dass dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht bezüglich personeller Einzelmaßnahmen zustehe, fehle ein Feststellungsinteresse. Die Beteiligten hätten nicht dargelegt, dass es bezüglich der personellen Einzelmaßnahmen, insbesondere Eingruppierung, Umgruppierung. Versetzung und Einstellung, jederzeit zu einer Konfliktsituation kommen könne.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung von Erzieherinnen in der Kita bestehe uneingeschränkt. Das Argument der Tendenzträgerschaft treffe nicht zu.
Das Unternehmen der Arbeitgeberin sei zwar ein Tendenzunternehmen im Sinne von § 118 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG. Die betriebenen Kindertagesstätten dienten unmittelbar und überwiegend erzieherischen Zwecken. Bei den Erzieherinnen der Kita handelt es sich jedoch nicht um Tendenzträger.
Die Tendenzträgereigenschaft der beschäftigten Arbeitnehmerinnen setze voraus, dass diese bei den tendenzbezogenen Tätigkeitsinhalten im Wesentlichen frei über die Aufgabenerledigung entscheiden können. Die Möglichkeit zur unmittelbaren Einflussnahme auf die karitative oder erzieherische Tendenz fehle hingegen, wenn sie bei diesen Aufgaben über keine oder nur einen geringfügigen Gestaltungsspielraum verfügen, etwa weil sie einem umfassenden Weisungsrecht oder Sachzwängen ausgesetzt sind. Auf eine alleinige Entscheidungsbefugnis beziehungsweise eine isolierte Vorgesetzteneigenschaft komme es dabei nicht an.
Gemessen an den genannten Voraussetzungen lasse sich unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglichen Ausgestaltung inklusive der Stellenbeschreibung eine prägende Tätigkeit der Erzieherinnen der Kita im Hinblick auf die von der Gesellschaft verfolgten Tendenzziele und Tendenzzwecke nicht feststellen. Auch nach dem eigenen Vortrag der Arbeitgeberin sei nicht ersichtlich, dass die Erzieherinnen der Kita über einen nennenswerten Gestaltungsspielraum verfügten, um maßgeblichen Einfluss auf die erzieherische Tendenzverwirklichung bei der Arbeitgeberin zu nehmen.
Entsprechend dem Vortrag der Arbeitgeberin bekommen die Erzieherinnen von den jeweiligen Leiterinnen und Leitern der Einrichtungen das spezielle pädagogische Konzept für diese Einrichtung mitgeteilt. Dieses Konzept sei dann durch die Beschäftigten umzusetzen. Bereits daraus ergebe sich nach Auffassung des LAG, dass der Tätigkeit einer Erzieherin in der Kita kein prägender Charakter im oben genannten Sinn im Rahmen der Erreichung der erzieherischen Tendenzziele der Gesellschaft beigemessen werden könne.
In der Stellenbeschreibung seien der Verantwortungsumfang und die Zielstellung klar und für die jeweils tätigen Erzieherinnen ohne weiteren Gestaltungsspielraum vorgegeben. Ein inhaltlicher Mitgestaltungsspielraum für die Erzieherinnen sei nicht ersichtlich.
Da keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, die eine prägende Tätigkeit der in der Kita tätigen Erzieherinnen begründen, könne den Erzieherinnen keine Tendenzträgereigenschaft zugesprochen werden.
Eine Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung wurde nicht zugelassen.