Anfechtung der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 15.06.2020, Aktenzeichen 16 TaBV 116/19
Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Ergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl.
3 wahlberechtigte Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberin haben die Wahl der Schwerbehindertenvertretung, die im November 2018 durchgeführt wurde, angefochten. Das Arbeitsgericht gab den Anträgen statt.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Schwerbehindertenvertretung legte beim Landesarbeitsgericht (LAG) Beschwerde gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ein. Er argumentierte, es sei unerheblich, dass die 4 Schwerbehinderten am 2. Standort der Arbeitgeberin nicht an der Wahl der Schwerbehindertenvertretung beteiligt worden seien. Das Wahlergebnis sei dadurch nicht beeinflusst worden. Daher sei es auch unerheblich, dass das Wahlergebnis am 2. Standort nicht ausgehangen wurde.
Das Arbeitsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Öffnung der Freiumschläge nicht in einer öffentlichen Sitzung stattgefunden habe. Die Auszählung der Wahlstimmen sowie die Feststellung des Wahlergebnisses sei mit Angabe von Zeitpunkt und Ort im Wahlausschreiben benannt worden. Es sei nicht ersichtbar welche Manipulationsmöglichkeiten sich aus der fehlenden Absenderangabe auf den Freiumschlägen ergeben könnten und wie das Wahlergebnis dadurch beeinflusst worden sein soll. Den Wahlbewerbern sei eine Seite zur Wahlwerbung im Intranet zur Verfügung gestellt worden, was für deren Chancengleichheit spreche.
Die Antragsteller argumentierten, die roten Wahlumschläge seien nach Entnahme aus den Freiumschlägen nicht wieder zurück in die Wahlurne gelegt worden. Die Darstellung der Schwerbehindertenvertretung, dass die Umschläge auf den Konferenztisch gelegt und vermischt worden seien, werde bestritten. Die Freiumschläge hätten nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen, da sie nicht Name und Anschrift der wahlberechtigten Person als Absender trugen. Anlässlich der Öffnung der Freiumschläge habe deshalb nicht festgestellt werden können, ob die Person, die die persönliche Erklärung ausgefüllt und unterschrieben hat, auch die gleiche war, die den Umschlag verschlossen und versandt hat. Das Arbeitsgericht habe auch zurecht anerkannt, dass die Freiumschläge nicht in einer öffentlichen Sitzung geöffnet wurden, da Ort und Zeitpunkt der Öffnung nicht vorher bekannt gemacht wurde. Das Wahlausschreiben sei hierfür nicht geeignet, weil dort nicht alle in § 12 Absatz 1 SchwbVWO (Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen) genannten Handlungen aufgeführt wurden.
Das Landesarbeitsgericht entschied, das Arbeitsgericht habe zu Recht die Wahl der Schwerbehindertenvertretung für unwirksam erklärt. Allerdings teilweise aus anderen Gründen als vom Arbeitsgericht vorgetragen.
Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei die öffentliche Sitzung des Wahlvorstandes zur Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahlergebnisses rechtzeitig vorher bekannt gemacht worden. Der entsprechende Hinweis finde sich in Ziffer 17 des Wahlausschreibens. Dennoch sei die Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 23. November 2018 unwirksam.
Der Wahlvorstand habe gegen § 12 Absatz 1 Satz 2 SchwbVWO verstoßen. Die Wahlumschläge seien nach erfolgtem Vermerk der Stimmabgabe nicht wieder in die Wahlurne gelangt, sondern wurden auf dem Konferenztisch auf einen Haufen gelegt, sodann zu Zehnerpaketen zusammengefasst, bevor sie vom Wahlvorstandsvorsitzenden geöffnet, laut vorgelesen und den weiteren Mitgliedern des Wahlvorstands gezeigt wurden.
Zur Gewährleistung des Wahlgeheimnisses sei es aber erforderlich, dass der Wahlvorstand die Wahlumschläge, nach Vermerk der Stimmabgabe in der Liste der Wahlberechtigten, ungeöffnet in die Wahlurne legt.
Weiterhin müsse der Freiumschlag als Absender Namen und Anschrift der wahlberechtigten Person enthalten. Die Freiumschläge enthielten diese Angaben nicht. Die Absenderangabe sei eine wesentliche Wahlvorschrift, da Manipulationen damit verhindert oder zumindest erschwert werden sollen.
Ein weiterer Verstoß sei dadurch gegeben, dass die Wahlfreiumschläge bis zum Wahltag nicht ordnungsgemäß unter Verschluss genommen wurden, z.B. in einer versiegelten Wahlurne. Die eingegangenen Freiumschläge seien samt Inhalt teilweise einen ganzen Tag lang offen und für jeden zugänglich im Briefkorb des Betriebsrats, der sich in einem separaten Raum, nicht im Betriebsratsbüro befindet und für jeden zugänglich ist, verwahrt. Während dieser Zeit sei es möglich gewesen, dass Personen einen oder mehrere der eingegangenen Freiumschläge aus dem Postkorb des Betriebsrats entfernen. Erst später wurden die Umschläge in der verschlossenen Wahlurne verwahrt. Im Zeitraum zwischen ihrem Eingang im Postkorb des Betriebsrats und der Verwahrung in der verschlossenen Wahlurne, seien sie nicht hinreichend vor dem Zugriff Unbefugter geschützt gewesen.
Einzelnen Bewerber dürften sich keine Vorrechte gegenüber anderen Bewerbern herausnehmen, da sonst eine Verletzung des ungeschriebenen Grundsatzes der Chancengleichheit vorliegt. Zwei Wahlbewerber hätten gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen, indem sie unmittelbar vor der Wahl Wahlwerbung an die privaten Postadressen der Wahlberechtigten versandten.
Die Arbeitgeberin hatte im Intranet eine Seite zur Verfügung gestellt, die alle Wahlbewerber nutzten. Dadurch sollte die Nutzung dienstlicher E-Mail Adressen vermieden werden.
Wahlberechtigte haben ein überwiegendes Interesse daran, selbst zu bestimmen, ob und von wem sie außerhalb ihrer Berufstätigkeit und ihrer Arbeitsstätte aus dem Kreis der Arbeitskollegen kontaktiert werden. Deshalb sei der Versand an Privatadressen per Post schon aus Datenschutzgründen nicht angebracht.
Zwei Wahlbewerber verschickten über die von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellte Möglichkeit der Wahlwerbung im Intranet hinaus Wahlwerbung per Post. Sie verschafften sich somit einen Vorteil gegenüber ihren Mitbewerbern, die sich an die Vorgaben hielten und ihre Wahlwerbung ausschließlich auf der Intranetseite platzierten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass wenn die zwei Wahlbewerber sich korrekt verhalten und keine Wahlwerbung per Post an die Wahlberechtigten versandt hätten, die Wahl zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
Selbst wenn es den anderen Wahlbewerbern möglich gewesen wäre, sich über öffentlich zugängliche Quellen die Privatadressen der Wahlberechtigten zu beschaffen, wäre eine Verwendung derselben für Wahlwerbung aus Datenschutzgründen unzulässig gewesen.
Die aufgeführten Verstöße gegen die Wahlordnung waren geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Eine verfahrensfehlerhafte Wahl müsse nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Ergebnis erzielt worden wäre. Könne diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibe es bei der Unwirksamkeit der Wahl.
Eine Rechtsbeschwerde zu diesem Urteil wurde nicht zugelassen.