Dürfen Zuschläge für die Zahlung einer Abfindung gedeckelt werden?
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.02.2020, Aktenzeichen 1 ABR 31/18
Das Ziel der Zuschlagszahlung, besondere Nachteile ausgleichen, die zum Unterhalt von Kindern verpflichtete oder schwerbehinderte Arbeitnehmer durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes erleiden, würde bei einer Deckelung der Abfindung einschließlich Zuschlagszahlung, nicht oder nur unzureichend erreicht.
Im Rahmen einer unternehmensweiten Umstrukturierung eines größeren Unternehmens wurden mehrere Standorte geschlossen. Mit dem Gesamtbetriebsrat vereinbarte die Arbeitgeberin eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum Sozialplan (GBV SP). Dort wurden Abfindungszahlungen in Abhängigkeit von Betriebszugehörigkeit, Bruttolohn und Lebensalter für die betroffenen Mitarbeiter vereinbart. Für die Abfindungshöhe wurde ein Rahmen von mindestens 10 000 Euro und maximal 300 000 Euro festgelegt. Die Abfindung erhöht sich um 4 500 Euro Kindergeld je unterhaltsberechtigtem Kind. Für Schwerbehinderte erhöht sich die Abfindung um 200 Euro je Grad der Behinderung.
Nach Ansicht der Arbeitgeberin seien Kinderzuschlag und Behindertenzuschlag in den vereinbarten Höchstbeträgen enthalten. Entsprechend berechnete sie die Abfindungen. Mehrere Arbeitnehmer erhoben dagegen Klage. Sie verlangten die Zahlung der Zuschläge und damit einen 300 000 Euro überschreitenden Bruttobetrag der Abfindung.
Bei den Arbeitsgerichten waren mehrere Fälle anhängig. Im Hinblick auf das vorliegende Verfahren wurden die meisten dieser Verfahren ausgesetzt.
Der Gesamtbetriebsrat machte geltend, die Arbeitgeberin habe die Zuschläge entsprechend GBV SP so zu berechnen, dass der festgelegte Rahmen für die Abfindungshöhe unberücksichtigt bleibt. Die Begrenzung gelte nicht für die Zuschläge. Die Arbeitgeberin habe die Abfindungen so zu berechnen, dass die Behinderten- und Kinderzuschläge bei der Berechnung der festgelegten Höchstgrenze unberücksichtigt bleiben.
Die Arbeitgeberin machte geltend, der für die Abfindungen festgelegte Höchstbetrag werde durch die GBV SP auf maximal 300 000 Euro brutto begrenzt. Dies sei Grundlage der Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat gewesen. Ein höheres Budget habe nicht zur Verfügung gestanden.
Das Arbeitsgericht gab dem Antrag des Gesamtbetriebsrats statt. Die Beschwerde der Arbeitgeberin wurde vom Landesarbeitsgericht (LAG) zurückgewiesen. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin mit einer Rechtsbeschwerde weiterhin die Klageabweisung.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, das Landesarbeitsgericht habe den Antrag der Arbeitgeberin zu Recht zurückgewiesen. Dem Gesamtbetriebsrat stehe gegen die Arbeitgeberin ein Anspruch auf Durchführung der GBV SP und damit auf Berechnung der Abfindung nach Abschnitt B Ziffer III Nr. 1 GBV SP in der von ihm begehrten Art und Weise zu.
Die Arbeitgeberin müsse die den anspruchsberechtigten Arbeitnehmern zu zahlende Abfindung so berechnen, dass sich die Höchstgrenze nach Abs. 6 der Norm ausschließlich auf den zu ermittelnden Betrag der Abfindung ohne Berücksichtigung eines etwaigen Kinder- oder Behindertenzuschlags bezieht.
Die von der Arbeitgeberin angenommene Begrenzung der Abfindung für alle Mitarbeiter auf 300 000 Euro brutto habe in der GBV SP keinen ausreichenden Niederschlag gefunden. Es sei unerheblich, ob sich das von der Arbeitgeberin ursprünglich zur Verfügung gestellte Sozialplanvolumen durch dieses Verhandlungsergebnis erhöhe.
Die Mindest- und Höchstbetragsregelung in Absatz 6 spreche von der „Abfindung“, die sich nach den ausdrücklichen Formulierungen in Absatz 7 und 8 der Norm durch die dort geregelten Zuschläge „erhöht“. Auch in Abschnitt B Ziffer III Nr. 1 Absatz 7 Satz 2 GBV SP wird die Gewährung eines – ggf. anteiligen – Kinderzuschlags als „Abfindungserhöhung“ bezeichnet. Bereits sprachlich unterscheiden die Regelungen zwischen einer „Abfindung“ und deren Erhöhung durch Zuschläge.
Der Regelungszusammenhang spreche ebenfalls für ein solches Verständnis. Die Verwendung des Begriffs „insgesamt“ verdeutliche, dass sich die letztlich an die Arbeitnehmer zu zahlende Abfindung aus mehreren, gesondert zu berechnenden Bestandteilen zusammensetzen könne. Erst auf den derart ermittelten Gesamtbetrag sei die individuelle Höchstgrenze anzuwenden.
Auch der systematische Aufbau der einzelnen Absätze in Abschnitt B Ziff. III Nr. 1 GBV SP bestätige diese Auslegung. Die Absätze 2 bis 5 bestimmen die Höhe des Abfindungsbetrages. Absatz 6 bestimmt Mindest- und Maximalhöhe der Abfindung. Die sich hieraus ergebende Summe ist in einem nächsten Schritt ggf. noch um die in den folgenden Absätzen 7 und 8 festgelegten Zuschläge zu erhöhen.
Sinn und Zweck der Zuschläge sprechen ebenfalls gegen die Annahme, diese seien bei der für alle Arbeitnehmer gleichermaßen geltenden absoluten Höchstgrenze zu berücksichtigen. Die Zuschläge sollen erkennbar die besonderen Nachteile ausgleichen, die zum Unterhalt von Kindern verpflichtete oder schwerbehinderte Arbeitnehmer durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes erleiden.
Das Ziel der Zuschlagszahlung würde nur unvollständig oder überhaupt nicht erreicht, wenn die Zuschläge bei der absoluten Höchstgrenze in Ansatz zu bringen wären und damit ggf. infolge der Deckelung nicht zur Auszahlung gelangen könnten.