Auskunftsanspruch des Betriebsrats
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 12.12.2019, Aktenzeichen 7 TaBV 46/19
Im Zeitpunkt der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs muss noch nicht feststehen, dass tatsächlich bestimmte allgemeine Aufgaben oder Beteiligungsrechte des Betriebsrats zur Wahrnehmung anstehen. Es reicht für den Auskunftsanspruch vielmehr aus, dass hierfür eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht.
Die Arbeitgeberin hat ihren Betrieb zum 31.12.2017 stillgelegt. Über die Betriebsschließung wurde mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen. 19 Mitarbeiter wurden über den Schließungstermin hinaus für die Abwicklung von Restarbeiten weiterbeschäftigt.
In einem Schreiben von September 2017 erklärte die Arbeitgeberin gegenüber einer Mitarbeiterin, der vereinbarte Retention-Bonus für das Jahr 2017 werde mit der Januar Abrechnung 2018 ausgezahlt.
Als der Betriebsrat von diesem Schreiben erfuhr, verlangte er von der Arbeitgeberin Auskunft darüber, ob auch mit anderen Mitarbeitern eine solche Vereinbarung abgeschlossen wurde. Dann könnte nämlich ein kollektivrechtlicher Sachverhalt vorliegen, der dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt.
Das Arbeitsgericht gab dem Auskunftsbegehren des Betriebsrats statt. Die Arbeitgeberin legte gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein.
Der in dem Schreiben an die Mitarbeiterin versprochene Retention-Bonus gebe keinen ausreichenden Anhaltspunkt, dass wahrscheinlich ein kollektiver Mitbestimmungstatbestand vorliege. Die Bezeichnung der Zahlung als „vereinbart“, deute vielmehr auf eine individuelle Vereinbarung hin. Die Zahlung an die Mitarbeiterin resultiere aus einer Zielvereinbarung, die mit ihr im März 2017 abgeschlossen wurde. Es handele sich nicht um eine klassische Halteprämie, sondern um einen Bonus für im Jahr 2017 erbrachte Leistungen. Außerdem könne das Restmandat des Betriebsrats nicht berührt sein, da sein Mandat ausschließlich gegenwarts- bzw. zukunftsbezogen sei.
Der Betriebsrat führte aus, der Auskunftsanspruch diene dazu, nachprüfen zu können, ob er ein Mitbestimmungsrecht auszuüben habe. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin den Bonus als Einzelprämie zahlte, schließe ein Mitbestimmungsrecht nicht aus.
Das LAG entschied, die Beschwerde der Arbeitgeberin sei erfolglos. Das Arbeitsgericht habe den ihm unterbreiteten Sachverhalt in jeder Hinsicht rechtlich zutreffend gewürdigt und seine Entscheidung in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung umfassend und überzeugend begründet. Der Vortrag der Arbeitgeberin rechtfertige keine Änderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts.
Der Auskunftsanspruch des Betriebsrats basiere auf § 80 Absatz 2 Satz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz). Für den Auskunftsanspruch genüge es, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bestimmte allgemeine Aufgaben oder Beteiligungsrechte des Betriebsrats zur Wahrnehmung anstehen. Mit dem Unterrichtungsanspruch soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden zu prüfen, ob sich für ihn Aufgaben im Sinne des BetrVG stellen, zu deren Wahrnehmung er tätig werden muss.
Das Arbeitsgericht habe zu Recht bestätigt, dass diese Voraussetzungen vorliegen.
Zur allgemeinen Lebenserfahrung gehöre es, dass leistungsstarke Mitarbeiter in einem zur Schließung vorgesehenen Betrieb möglichst frühzeitig bestrebt sind, aus einer ungekündigten Stellung heraus ein anderes Arbeitsverhältnis zu finden. Die Arbeitgeberin ist wiederum bestrebt, leistungsstarke Mitarbeiter bis zur Schließung oder darüber hinaus für eine ordnungsgemäße Abwicklung zu behalten und diese Mitarbeiter möglicherweise dann in anderen Betrieben des Unternehmens weiter zu beschäftigen. Es liege nahe, dass eine Retention-Prämie gezahlt werde, um den Arbeitnehmer von einem Arbeitsplatzwechsel abzuhalten.
Anlass für das Auskunftsbegehren des Betriebsrats sei, dass er Kenntnis von einem Schreiben erhalten habe, das die Vereinbarung eines Retention-Bonus betrifft, der erst nach der Stilllegung im Januar 2018 ausgezahlt werde. Aus dem Schreiben gehe auch hervor, dass die Mitarbeiterin in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiter beschäftigt werden soll. Es sei aus dem Schreiben also ersichtlich, dass die Arbeitgeberin die Mitarbeiterin bis zur Betriebsschließung beschäftigen und sie danach für eine Tätigkeit in einem benachbarten Betrieb der Unternehmensgruppe gewinnen wollte. Das Schreiben erwecke bei objektiver Betrachtung den Eindruck, der Retention-Bonus diene dazu, die Mitarbeiterin von einem eventuellen vorzeitigen Wechsel zu einem Fremdunternehmen abzuhalten.
Der Betriebsrat durfte in Erwägung ziehen, dass die Arbeitgeberin auch andere Mitarbeiter zum Bleiben motivieren wollte und mit denen sie ebenfalls eine Retention-Prämie vereinbart hat. Es sei dann auch leicht annehmbar, dass die Arbeitgeberin die Zahlung solcher Retention-Prämien nach einem einheitlichen System vorgesehen haben könnte. Damit wäre jedoch ein kollektiver Tatbestand gegeben, der den Betriebsrat zur Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechte veranlassen müsste.
Die Arbeitgeberin habe mit ihrer Argumentation nicht ausräumen können, dass die Retention-Prämie als Bleibe-Prämie anzusehen sei. Sie habe die von ihr behauptete Zielvereinbarung nicht vollständig zitiert, so dass sich weder Betriebsrat noch das Gericht einen Eindruck von der rechtlichen Qualität ihres Inhalts machen könnten. Auffällig sei jedoch, dass es sich um Ziele handelte, die bis zum 31.12.2017 erledigt sein mussten. Somit bestehe die Möglichkeit, dass die Mitarbeiterin die Ziele nur in dem Fall erreichen konnte, wenn sie bis zum 31.12.2017 bei der Arbeitgeberin weiter arbeitete.
Offensichtlich sei auch, dass die Auszahlung eines sogenannten Retention-Bonus im Jahr 2017 in direktem Zusammenhang mit der Betriebsschließung stehen könnte. Deshalb durfte der Betriebsrat annehmen, dass sein Restmandat nach § 21 b) BetrVG betroffen sein könnte.
Der Betrieb wurde zwar zum Ende 2017 geschlossen und die Retention-Prämien für das Jahr 2017 gezahlt. Doch selbst wenn es sich damit um einen abgeschlossenen Vorgang aus der Vergangenheit handele, bestehe das Restmandat des Betriebsrats für 19 über diesen Termin hinaus. Ohne die begehrte Auskunft könne der Betriebsrat nicht ausschließen, dass es sich um Leistungsträger handele, denen die Arbeitgeberin auch über das Jahr 2017 hinaus Retention-Boni zugesagt haben könnte.
Sollte die Arbeitgeberin tatsächlich eine als kollektivrechtlich zu betrachtende Zahlung an bestimmte Mitarbeiter aufgelegt haben, würden sich daraus Konsequenzen für die Abwicklung des zwischen den Beteiligten geschlossenen Interessenausgleichs und Sozialplans ergeben.
Eine Rechtsbeschwerde zu diesem Urteil wurde nicht zugelassen.