Urlaubsgewährung bei fristloser Kündigung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.08.2020, Aktenzeichen 9 AZR 612/19
Die Arbeitgeberin kann einen wirksamen Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihr erklärte außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Sie muss in diesem Fall eindeutig zum Ausdruck bringen, der Arbeitnehmer werde zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub endgültig von der Arbeitspflicht befreit. Das Urlaubsentgelt ist entweder vor Antritt des Urlaubs zahlen oder dessen Zahlung vorbehaltlos zuzusagen.
Ein seit November 2012 beschäftigter Mitarbeiter erhielt von seiner Arbeitgeberin Mitte September 2017 eine außerordentliche fristlose Kündigung, sowie hilfsweise eine ordentliche Kündigung fristgerecht zum Ende des Monats November 2017. Im Kündigungsschreiben wurde eine Abgeltung des bisher nicht genommenen Urlaubs für den Fall in Aussicht gestellt, dass die fristlose Kündigung wirksam ist. Sollte die fristlose Kündigung nicht wirksam werden, sei der ausstehende Urlaub in der Zeit vom 19.09.2017 bis 11.10.2017 zu nehmen. Die gezahlte Abgeltung sei dann als Zahlung des Urlaubsentgelts für den betreffenden Zeitraum zu verstehen. In jedem Fall sagte die Arbeitgeberin für die Zeit des Urlaubs die Urlaubsvergütung vorbehaltlos zu.
Der Mitarbeiter erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Die Parteien einigten sich auf einen gerichtlichen Vergleich. Demnach endete das Arbeitsverhältnis zum Ende Oktober 2017 unter Zahlung einer Sozialabfindung im Sinne von § 9 und 10 KSchG (Kündigungsschutzgesetz). Weiterhin verpflichtete sich die Arbeitgeberin, den Kündigungszeitraum ordentlich abzurechnen und auszuzahlen sowie ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis mit einer Gesamtbeurteilung der Note ‚gut‘ zu erteilen.
Unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlungen wurde der saldierte Nettobetrag für den Kündigungszeitraum an den Mitarbeiter ausgezahlt. Die bisherige Urlaubsabgeltung wurde dabei als bereits geleistetes Urlaubsentgelt behandelt.
Der Mitarbeiter war der Auffassung, die bereits geleistete Urlaubsabgeltung dürfte nicht nachträglich als Urlaubsentgelt abgerechnet werden. Die vorsorgliche Urlaubsgewährung für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung sei nicht zulässig. Zum Zeitpunkt der Urlaubserteilung sei es für ihn nicht klar gewesen, ob überhaupt eine Arbeitspflicht bestanden habe, von der er durch die Gewährung von Urlaub wirksam habe befreit werden können. Der Urlaubszweck habe auch nicht erreicht werden können, weil er sich nach Erhalt der außerordentlichen Kündigung bei der Agentur für Arbeit habe arbeitsuchend und arbeitslos melden und für Vermittlungsangebote habe bereithalten müssen. Schließlich stehe der Inhalt des Vergleichs einer Umwidmung des abgegoltenen Urlaubs in Urlaubsentgelt entgegen.
Der Mitarbeiter beantragte, die Arbeitgeberin zu verurteilen, für den benannten Zeitraum das ausstehende Urlaubsentgelt zu zahlen.
In ihrer Klageabweisung argumentierte die Arbeitgeberin, der vorsorglich für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung erteilte Urlaub habe zur Erfüllung der Urlaubsansprüche des Mitarbeiters geführt. Die Zahlung des Urlaubsentgelts sei vorbehaltlos zugesagt worden. Die Erfüllung von Urlaubsansprüchen unterläge nicht dem Einfluss sozialrechtlicher Handlungsverpflichtungen.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Berufung des Mitarbeiters vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) blieb erfolglos. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Mitarbeiter mit einer Revision weiterhin seinen Zahlungsanspruch.
Das BAG entschied, die Revision sei unbegründet. Die Voraussetzungen für einen Anspruch des Mitarbeiters auf Vergütung wegen Annahmeverzugs seien nicht erfüllt.
Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung wegen Annahmeverzugs sei ausgeschlossen, wenn dem Arbeitnehmer für den fraglichen Zeitraum Urlaub gewährt wurde. Annahmeverzug setze die Nichtannahme der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsleistung voraus. Habe die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer rechtswirksam durch Urlaubsgewährung von der Arbeitspflicht befreit, kämen für diesen Zeitraum Ansprüche des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn nicht in Betracht.
Im Kündigungsschreiben habe die Arbeitgeberin wirksam Urlaub erteilt. Die zeitliche Festlegung des Urlaubs durch die Arbeitgeberin sei rechtswirksam, da der Arbeitnehmer auf die Erklärung der Arbeitgeberin hin keinen anderweitigen Urlaubswunsch äußerte.
Einen wirksamen Urlaub könne die Arbeitgeberin vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihr erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Die Arbeitgeberin müsse in diesem Fall eindeutig zum Ausdruck bringen, der Arbeitnehmer werde zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub endgültig von der Arbeitspflicht befreit. Der Mitarbeiter sei endgültig vom 19. September 2017 bis 11. Oktober 2017 zu Urlaubszwecken freigestellt und ihm das Urlaubsentgelt für diesen Zeitraum vorhaltlos zugesagt worden. Gegen die zeitliche Festlegung des Urlaubs habe der Mitarbeiter keine Einwände erhoben.
Die Ungewissheit über die Arbeitspflicht des Mitarbeiters und damit die Wirksamkeit der Urlaubsgewährung im Kündigungsschreiben hätten die Parteien rückwirkend durch die Einigung ausgeräumt, dass ihr Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 2017 endete. Der Urlaubsgewährung stand nicht die Ungewissheit entgegen, ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht. In Auslegung des Urlaubszweck müsse nicht bereits bei Urlaubsantritt abschließende Gewissheit über die Arbeitspflicht des Arbeitsnehmers bestehen.
Mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub soll es dem Arbeitnehmer ermöglicht werden, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen.
Die Richtlinie 2003/88/EG betrachte den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei gleichwertige Aspekte eines einzigen Anspruchs. Die Zeit der Urlaubsfreistellung von der Arbeit muss aber auch bezahlt werden.
Es komme nicht maßgeblich darauf an, dass der Arbeitnehmer das Bestehen seiner Arbeitspflicht kennt, sondern dass er durch die Urlaubserteilung die Gewissheit hat, während eines bestimmten Zeitraums nicht zur Arbeit herangezogen zu werden, und ihm dadurch Freizeit zur Erholung und Entspannung zur Verfügung steht.
Mitwirkungshandlungen gegenüber der Agentur für Arbeit, die den Bezug von Arbeitslosengeld gewährleisten sollten, würden keine der Erfüllung von Urlaubsansprüchen entgegenstehenden Hindernisse darstellen.
Das BAG stellte fest, durch die nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung für den Arbeitnehmer bestehenden sozialversicherungsrechtlichen Handlungsverpflichtungen werde ein gewährter Urlaub beeinträchtigt. Die versicherungsrechtlichen Handlungsverpflichtungen seien jedoch dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen. Sie stünden der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen. Die Erfüllungshandlung der Arbeitgeberin beschränke sich auf die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgelts.
Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts habe die Arbeitgeberin ihre Pflicht erfüllt. Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fielen entsprechend § 275 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers.
Für den Arbeitnehmer bestehe keine Pflicht zur Erholung während der Urlaubszeit. Eine Erfüllung von Urlaubsansprüchen sei nicht schon dann ausgeschlossen, wenn bereits bei der Gewährung und Inanspruchnahme absehbar ist, dass der Arbeitnehmer im vorgesehenen Urlaubszeitraum aus seiner Sphäre stammenden Belastungen oder Anstrengungen ausgesetzt ist, die seine selbstbestimmte Erholung negativ berühren, solange die durch den bezahlten Jahresurlaub beabsichtigten Mindestanforderungen an Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung nicht unterschritten werden.
Aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ergebe sich nicht, dass die Erfüllung der aus dem Sozialversicherungsverhältnis des Klägers erwachsenden Obliegenheiten die Mindestanforderungen an Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung unterlaufen oder die Erholung und Entspannung maßgeblich vereitelt hätten.
Ein Anspruch auf weitere Vergütung für den streitgegenständlichen Zeitraum stehe dem Mitarbeiter auch nicht aus dem gerichtlichen Vergleich vom 24. November 2017 zu. Das Landesarbeitsgericht habe den Prozessvergleich zutreffend dahingehend ausgelegt, dass durch ihn kein unabhängig von den tatsächlich bestehenden Anspruchsgrundlagen eigenständiger Vergütungsanspruch begründet werden sollte.
Die Parteien hätten durch den Prozessvergleich keine von der objektiven Rechtslage unabhängigen Zahlungsansprüche des Mitarbeiters für den Zeitraum vom 19. September bis zum 11. Oktober 2017 begründet. Aus dem Vergleichswortlaut ergebe sich kein Rechtsbindungswille der Arbeitgeberin, der darauf gerichtet wäre, einen Annahmeverzugsanspruch zu begründen, der nach objektiver Rechtslage nicht besteht.