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Wann Anrechnung von anderweitig erzieltem Verdienst?

Anrechnung von anderweitig erzieltem Verdienst

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.02.2021, Aktenzeichen 5 AZR 314/20

 

Wird das Arbeitsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag beendet, der eine unwiderrufliche Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung der Vergütung beinhaltet, scheidet eine Anrechnung von anderweitigem Verdienst aus, da die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und die Beschäftigungspflicht der Arbeitgeberin dadurch aufgehoben wurden und sich die Arbeitgeberin während dieser Zeit nicht im Annahmeverzug befindet. Lediglich bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis kommt eine Anrechnung von anderweitigem Verdienst in Betracht.

Auf Veranlassung der Arbeitgeberin wurde mit dem Personalleiter in beiderseitigem Einvernehmen ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen. Entsprechend dem Aufhebungsvertrag wurde der Personalleiter ab dem 21.09.2018 bis zum 30.04.2019 unter Anrechnung aller noch bestehenden Urlaubsansprüche sowie Zeitguthaben aus dem Arbeitszeitkonto unter Fortzahlung des monatlichen Entgelts unwiderruflich bezahlt von der Arbeit freigestellt.

Der Personalleiter erhielt das Recht, mit einer Ankündigungsfrist von drei Werktagen durch schriftliche Erklärung vor dem 30.04.2019, aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Für diesen Fall erhalte er für jeden Tag bzw. Monat einen festgelegten Abfindungsbetrag.

Anfang Januar 2019 nahm der Personalleiter eine Tätigkeit bei einer anderen Arbeitgeberin auf, nachdem er dies mit Schreiben vom 19.12.2019 gegenüber der Arbeitgeberin bereits angezeigt hatte. Im neuen Arbeitsverhältnis erzielte er eine höhere Vergütung als bei der bisherigen Arbeitgeberin. Die bisherige Arbeitgeberin zahlte daraufhin für den Zeitraum Januar bis April 2019 keine Vergütung mehr für den Personalleiter.

Mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht, machte der Personalleiter Vergütungszahlungen für den Zeitraum zwischen Januar und April 2019 bei seiner ehemaligen Arbeitgeberin geltend. Nach seiner Ansicht seien die anderweitig erzielten Verdienste nicht auf den Vergütungsanspruch anzurechnen. Der Aufhebungsvertrag enthalte lediglich ein Recht zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht aber eine Pflicht zur Anrechnung für den Fall der Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Arbeitgeberin wies das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Das BAG entschied, die Revision der Arbeitgeberin sei begründet.

Die Sache wurde zur Neuverhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Anderweitiger Verdienst sei auf den Vergütungsanspruch des Personalleiters anzurechnen. Das gelte jedoch nicht für seinen Teilurlaubsanspruch über den Zeitraum Januar bis April 2019. Da das LAG keine Feststellungen zum Urlaubsanspruch getroffen hat, könne das BAG nicht endgültig feststellen, in welcher Höhe die Klage begründet sei.

Die Parteien hätten die Anrechnung anderweitigen Verdienstes auf den Vergütungsanspruch konkludent vereinbart, was sich aus der ergänzenden Auslegung des Aufhebungsvertrages ergebe. Der Aufhebungsvertrag sei so zu verstehen, dass der Personalleiter abweichend von der geltenden Kündigungsfrist das Recht hat, mit einer Ankündigungsfrist von 3 Werktagen aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden.

Der Aufhebungsvertrag sei eine Individualvereinbarung, da zunächst zwei Entwürfe durch den Personalleiter vorgelegt wurden, über die einschließlich der Höhe der Sprinterprämie verhandelt wurde.  Zu den einer revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Auslegungsgrundsätzen einer Individualvereinbarung gehöre, dass gemäß § 133 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) bei der Auslegung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften sei. Die Interessenlage der Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sei zu berücksichtigen.

Soweit das Landesarbeitsgericht dieser Klausel entnehme, die Parteien hätten dem Personalleiter lediglich die Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung eingeräumt, jedoch nicht die Pflicht, im Falle des Antritts einer Anschlussbeschäftigung das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aufzulösen, würdige es weder den Wortlaut noch Sinn und Zweck von Ziff. 5 des Aufhebungsvertrags noch die Interessenlage der Vertragsparteien zum Zeitpunkt seines Abschlusses vollständig und zutreffend.

Die Auslegung des Aufhebungsvertrags durch das Landesarbeitsgericht verletze damit die sich aus §§ 133, 157 BGB ergebenden Auslegungsgrundsätze, weil sie einseitig die Interessen des Personalleiters berücksichtige und die bei der Auslegung ebenso zu beachtende Interessenlage der Arbeitgeberin weitgehend ausblende. Zudem berücksichtige die Auslegung wesentliche tatsächliche Umstände nicht.

Der Senat könne den Aufhebungsvertrag selbst auslegen, weil das Landesarbeitsgericht den erforderlichen Sachverhalt vollständig festgestellt habe und kein weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien zu erwarten sei.

Das vereinbarte Sonderkündigungsrecht des Personalleiters ergebe aus Sicht der Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte (§ 157 BGB) nur dann Sinn, wenn der Personalleiter während des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses mit der Arbeitgeberin beabsichtigt, ein neues Arbeitsverhältnis mit einer anderen Arbeitgeberin zu begründen. Durch die zu Ziff. 5 des Aufhebungsvertrags getroffene Vereinbarung sei ihm die Möglichkeit eröffnet worden, in Abweichung von den geltenden Kündigungsfristen kurzfristig mit einer Frist von nur drei Werktagen aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Für diesen Fall hätten die Parteien eine Kapitalisierung der Vergütung vereinbart. Die Parteien seien dabei offenkundig davon ausgegangen, dass der Personalleiter nur dann von der Option Gebrauch mache, wenn er einen anderen entsprechend gut bezahlten Arbeitsplatz gefunden hat.

Für die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Personalleiter habe Anspruch auf ein doppeltes Gehalt, fehlten im Aufhebungsvertrag die erforderlichen Anhaltspunkte.

In Bezug auf den anrechenbaren Verdienst sei der Urlaubszeitraum konkret zu bestimmen, weil während des Urlaubs trotz eines möglicherweise nach § 8 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) urlaubsrechtswidrigen Erwerbs eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes ausscheide.

Hinreichende Anhaltspunkte für eine konkludente Festlegung der Urlaubszeit auf den Beginn der Freistellung ergäben sich im Streitfall daraus, dass die Parteien zu Ziff. 5 des Aufhebungsvertrags eine Sprinterklausel vereinbarten, die dem Personalleiter ein Sonderkündigungsrecht zum kurzfristigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin einräume.

Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen sei es in einer solchen Situation angemessen und naheliegend, von einer während der Zeit der Freistellung zeitlich vorrangigen Erfüllung des Urlaubsanspruchs auszugehen. Wegen des mit ihm verbundenen Erholungszwecks sollte der Urlaubsanspruch zu Beginn der Freistellung erfüllt werden, weil die Parteien es offensichtlich als möglich angesehen haben, dass der Personalleiter kurzfristig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

Der Aufhebungsvertrag lasse offen, welche Rechtsfolge eintritt, wenn der Personalleiter im Fall der Aufnahme einer anderen Erwerbstätigkeit während des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses mit der Arbeitgeberin von der Möglichkeit zur vorzeitigen Beendigung keinen Gebrauch macht. Der Vertrag enthalte insoweit eine planwidrige Regelungslücke.

Nach dem Vertragszweck und bei sachgemäßer Abwägung der beiderseitigen Interessen hätten redliche und verständige Parteien in Kenntnis der Regelungslücke die Anrechnung des anderweitig erzielten Verdienstes des Personalleiters vereinbart. Dafür spreche maßgeblich, dass die Parteien bei Vereinbarung der Sprinterklausel davon ausgegangen seien, der Personalleiter könne eine andere Erwerbstätigkeit vor der vereinbarten Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2019 aufnehmen, würde dann aber sein Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin unter Anwendung des Sonderkündigungsrechts beenden. Im Gegenzug sollte er eine nach Maßgabe von Ziff. 5 des Aufhebungsvertrags zu berechnende Abfindung erhalten.

Werde dieser vereinbarte Ablauf und Ausgleich der Interessen nicht eingehalten, weil der Personalleiter, ohne das bestehende Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin zu kündigen, eine neue Erwerbstätigkeit aufnehme und hierdurch während der Freistellung zusätzlich anderweitigen Verdienst erzielt, stünde er finanziell besser, weil er eine doppelte Vergütung erhielte. Da aber erst die unwiderrufliche Freistellung dem Personalleiter die Möglichkeit eröffnete, anderweitigen Verdienst zu erzielen, er das für diesen Fall vertraglich eingeräumte Sonderkündigungsrecht aber nicht wahrnahm, sei das vereinbarte Interessengefüge in Schieflage geraten.

Der Aufhebungsvertrag erweise sich insoweit als lückenhaft, weil nach dem ihm zugrundeliegenden Regelungsplan zur Verwirklichung eines angemessenen Ausgleichs der Interessen eine Regelung erforderlich ist. Diese Regelungslücke sei dergestalt zu schließen, dass eine Anrechnung des anderweitig erzielten Verdienstes vorzunehmen ist. Durch dieses „zu-Ende-Denken“ des Aufhebungsvertrags werde wirtschaftlich wieder der Zustand hergestellt, der bis zur Aufnahme der neuen Erwerbstätigkeit bestand. Der Personalleiter erleide durch die Freistellung keine wirtschaftlichen Nachteile, er solle aber auch keine ungerechtfertigten Vorteile erzielen.

Soweit die Arbeitgeberin für das Jahr 2019 Urlaub gewährt hat, scheide die Anrechnung von anderweitigem Verdienst aus. Die Klage sei in Höhe des sich daraus ergebenden Urlaubsentgeltanspruchs nach §§ 1, 11 BUrlG begründet. Es fehlten jedoch Feststellungen des LAG zum Umfang des Teilurlaubsanspruches. Aus diesem Grund könne das BAG keine endgültige Entscheidung treffen.

Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.