Arbeitgeberin trägt volles Betriebsrisiko
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 23.03.2021, Aktenzeichen 11 Sa 1062/20
Kann die Arbeitgeberin notwendige Arbeitsmittel nicht zur Verfügung stellen trägt sie das Betriebsrisiko, unabhängig davon welche Gründe dazu führten.
Basierend auf einer behördlichen Anordnung wurde während der Corona-Pandemie eine Zweigfiliale der Arbeitgeberin im Monat April 2020 geschlossen. Einer Mitarbeiterin, die im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung (Minijob) tätig war, erklärte die Arbeitgeberin, dass sie im Monat April 2020 nicht zur Arbeit in der Filiale erscheinen brauche.
Die geringfügig beschäftigte Mitarbeiterin erhielt für diesen Zeitraum keine Entlohnung. Vor dem Arbeitsgericht forderte sie den im Rahmen des Minijobs vereinbarten Netto-Monatslohn. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die Arbeitgeberin treffe das volle Betriebsrisiko, da sie den Betrieb und die betriebliche Gestaltung organisiere, die Verantwortung trage und die Erträge beziehe. Ob die Betriebsstörung auf ein Versagen sachlicher oder persönlicher Mittel des Betriebes oder auf sonstigen Einwirkungen auf das Unternehmen, etwa Naturkatastrophen, extreme Witterungsverhältnisse usw. beruhe, sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) unerheblich.
Diese Grundsätze des BAG seien auch auf die Corona-Pandemie und den daraus resultierenden behördlichen Anordnungen zur temporären Schließung von Ladengeschäften anwendbar. Es sei unerheblich ob die Betriebsschließung genereller Art sei oder in der Eigenart des Betriebes liege.
Die Arbeitgeberin legte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung ein. Das Arbeitsgericht verkenne, dass es vorliegend nicht um ein Problem in einem einzelnen Betrieb ginge, sondern um eine behördliche Verfügung, die zu der Zeit alle Ladengeschäfte in der Bundesrepublik Deutschland betraf. Es sei der Arbeitgeberin nicht möglich gewesen, diese Betriebsschließung zu verhindern. Die Betriebsschließung falle nicht in den Risikobereich der Arbeitgeberin.
Das Landesarbeitsgericht entschied, die Mitarbeiterin könne das vereinbarte Entgelt für den Monat April 2020 wegen Annahmeverzuges verlangen. Sei die Arbeitsleistung kalendarisch festgelegt, könne die Leistung nicht mehr nachgeholt werden oder aber die nachgeholte Leistung wäre eine andere. Deshalb sei eher von der Annahmeunmöglichkeit zu sprechen.
Schließe die Arbeitgeberin den Betrieb, sei ein weiteres tatsächliches Angebot der Arbeitsleistung durch die Arbeitnehmerin entbehrlich. § 615 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) sei eine spezielle Gefahrtragungsregel, die unabhängig davon gelte, ob die Arbeitgeberin nicht Willens oder nicht fähig sei, die Leistung anzunehmen. § 615 Satz 3 BGB betreffe alle Fälle, in denen die Arbeitgeberin aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen notwendige Arbeitsmittel nicht zur Verfügung stellen kann.
Die behördliche Anordnung betraf lediglich das Verbot der Öffnung von Einzelhandelsgeschäften für den Publikumsverkehr. Damit wäre es möglich gewesen, die Mitarbeiterin mit anderen zumutbaren Aufgaben im Geschäft zu betrauen. Diese Situation komme dem allgemeinen Wirtschaftsrisiko nahe, das die Arbeitgeberin zu tragen habe.
In der Rechtsprechung sei soweit ersichtlich, bisher keine Situation behandelt, in der wie in der Corona-Pandemie großflächige behördliche Schließungen für längere Zeiträume angeordnet und aufrechterhalten wurden. An der arbeitsvertraglichen Risikozuweisung ändere sich auch dann nichts, wenn eine Vielzahl von Arbeitgeberinnen betroffen ist.
Ein Bezug auf „höhere Gewalt“ sei hier nicht gerechtfertigt. Witterungseinflüsse, die in anderem Zusammenhang durchaus höhere Gewalt darstellen könnten, seien im Rahmen des § 615 BGB häufig dem Betriebsrisiko der Arbeitgeberin zuzuordnen.
Das wirtschaftliche Risiko, die Arbeitskraft der Mitarbeiterin nicht verwerten zu können, ergebe sich aus der Vertragsgestaltung der Arbeitgeberin. Hier spiegele sich das betriebswirtschaftliche Risiko im Vorteil wider, der durch den Einsatz von geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern erzielt wird. Eine derartige Situation könne bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen durch die Anordnung von Kurzarbeit und gleichzeitiger Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung gemildert werden. Die wirksame Anordnung von Kurzarbeit schließe einen Annahmeverzug aus.