Schadenersatz wegen entgangener Bonuszahlung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.12.2020, Aktenzeichen 8 AZR 149/20
Versäumt die Arbeitgeberin ihre arbeitsvertragliche Verpflichtung, eine Zielvereinbarung mit Bonuszahlung abzuschließen, entsteht nach Ablauf der Zielperiode ein Schadenersatzanspruch.
Ein Mitarbeiter war bei der Arbeitgeberin als „Head of Operations“ im Zeitraum von März 2016 bis Mai 2017 beschäftigt. Während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses galt eine Probezeit. Im Arbeitsvertrag wurde neben der monatlichen Entlohnung eine erfolgsabhängige Vergütung von bis zu 25% des Bruttojahresgehalts in Aussicht gestellt. Die Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung (Bonus) sollte gesondert geregelt werden.
Im Dezember 2017 machte der Mitarbeiter erfolglos Schadenersatz bei der Arbeitgeberin geltend. Im März 2018 reichte er Klage auf Schadenersatz beim Arbeitsgericht ein. Die Arbeitgeberin habe es unterlassen, mit ihm eine Zielvereinbarung für die Jahre 2016 und 2017 abzuschließen. Wäre eine solche Vereinbarung erreicht worden, hätte er die vereinbarten Ziele erreicht und jeweils Anspruch auf den vollen Bonus bekommen.
Die Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, sie schulde keinen Schadenersatz. Nach dem Arbeitsvertrag sei sie nicht verpflichtet gewesen eine Zielvereinbarung abzuschließen. Sollte sie dennoch dazu verpflichtet sein, sei zu berücksichtigen, dass der Mitarbeiter im Februar 2017 Formulare der Arbeitgeberin über seine Leistungen im Jahr 2016 ausgefüllt und demnach die aufgeführten Ziele für das Jahr 2016 nicht erreicht habe. Deshalb scheide eine Bonuszahlung für das Jahr 2016 aus.
Wegen des Ausscheidens des Mitarbeiters könne für das Jahr 2017 höchstens ein anteiliger Anspruch bestehen. Für die Kalenderjahre 2016 und 2017 stehe außerdem eine außergewöhnlich negative Geschäftsentwicklung einer Bonuszahlung entgegen. Sollte die Arbeitgeberin dennoch zum Schadenersatz verpflichtet sein, sei eine Mitschuld des Mitarbeiters am Nichtzustandekommen der Vereinbarung zu berücksichtigen.
Etwaige Zahlungsansprüche seien zudem wegen der Ausschlussklausel im Arbeitsvertrag verfallen. Hilfsweise sei mit einem Schadenersatzanspruch der Arbeitgeberin aufzurechnen. Der Mitarbeiter habe ohne Zustimmung des Geschäftsführers zwei Arbeitsgeräte unentgeltlich an ein anderes Unternehmen abgegeben. Daraus resultiere ein Schadenersatzanspruch.
Das Arbeitsgericht gab der Klage teilweise statt und sprach dem Mitarbeiter Bonusansprüche anteilig für September bis Dezember 2016, sowie für Januar bis Mai 2017 zu. Die Arbeitgeberin legte Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Das LAG änderte das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise und wies die Klage vollständig ab.
Die Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) wurde nur in Bezug der Berufungsstattgabe zugelassen. Eine Anschlussberufung des Mitarbeiters, der eine weitergehende Verurteilung der Arbeitgeberin im Umfang der Klageabweisung begehrte, wurde vom LAG zurückgewiesen. Die Arbeitgeberin wiederum beantragte die Zurückweisung der Revision.
Das BAG entschied, entgegen der Auffassung des LAG habe der Mitarbeiter einen Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz wegen entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung.
Die Arbeitgeberin habe ihre nach Arbeitsvertrag bestehende Pflicht verletzt, mit dem Mitarbeiter für die Jahre 2016 und 2017 eine Zielvereinbarung bzw. jährliche Zielvereinbarungen abzuschließen.
Bei dem Arbeitsvertrag vom 1. März 2016 handele es sich um einen Formularvertrag, der nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen auszulegen sei. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen sei in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, komme es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist.
Die Auslegung von § 5 des Arbeitsvertrags nach diesen Grundsätzen ergebe, dass die Arbeitgeberin dem Mitarbeiter nach Ablauf der Probezeit von sechs Monaten zusätzlich zu der monatlichen Vergütung eine kalenderjährliche erfolgsabhängige variable Vergütung (Bonus) schulde. Die Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung dieser Vergütung war von den Parteien im Wege einer Zielvereinbarung bzw. jährlicher Zielvereinbarungen zu treffen.
Die Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung waren nach § 5 Satz 2 des Arbeitsvertrags nicht einseitig von der Arbeitgeberin im Wege von Zielvorgaben, sondern von den Parteien im Wege einer Zielvereinbarung bzw. jährlicher Zielvereinbarungen zu treffen.
Unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise könne § 5 Satz 2 des Arbeitsvertrags von verständigen und redlichen Vertragspartnern nur so verstanden werden, dass die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung (Bonus) nicht im Wege einseitiger Zielvorgaben durch die Arbeitgeberin, sondern im Wege einer bzw. jährlicher Zielvereinbarungen der Parteien geregelt werden sollten.
In § 5 Satz 1 des Arbeitsvertrags der Parteien sei nur bestimmt, dass die Bonuszahlung abhängig von der Leistung des Mitarbeiters und der Geschäftsentwicklung der Arbeitgeberin sei. Eine nähere Konkretisierung und Gewichtung von zu erreichenden Zielen enthalte die Bestimmung nicht. Für beide Parameter, Leistung des Mitarbeiters und Geschäftsentwicklung der Arbeitgeberin, sei zudem nicht bestimmt, bei welchem Grad der Zielerreichung ein Bonus in welcher Höhe geschuldet ist.
Da typischerweise beide Seiten ein Interesse daran haben, dass angemessene und vom Mitarbeiter erreichbare Ziele formuliert werden, spreche alles dafür, dass ein durchschnittlicher Vertragspartner der Arbeitgeberin in der Funktion des Mitarbeiters, der als Head of Operations mit der Leitung des Geschäftsbetriebs betraut ist, die in § 5 Satz 2 des Arbeitsvertrags getroffene Bestimmung dahin verstehen musste, dass die Ziele und deren Gewichtung von den Vertragspartnern vereinbart werden.
Bis zum Ablauf der Zielperioden, also bis zum Ablauf der Kalenderjahre 2016 und 2017, sei keine Zielvereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien zustande gekommen, die es dem Mitarbeiter ermöglicht hätte, bei Erfüllung der Voraussetzungen die im Arbeitsvertrag bestimmte erfolgsabhängige variable Vergütung (Bonus) zu verdienen.
Es wäre Sache der Arbeitgeberin gewesen, Umstände darzulegen, aus denen sich ergibt, dass sie das Nichtzustandekommen einer bzw. jährlicher Zielvereinbarungen ausnahmsweise nicht zu vertreten habe. Hieran fehle es. Die Arbeitgeberin habe insbesondere nicht vorgetragen, dass sie dem Mitarbeiter nach Ablauf der Probezeit und jeweils vor Ablauf der entsprechenden Zielperiode Vorschläge für Verhandlungen über eine Zielvereinbarung unterbreitet habe.
Der Mitarbeiter könne von der Arbeitgeberin Ersatz des Schadens verlangen, der dadurch eingetreten ist, dass die Arbeitgeberin ihrer Verpflichtung, für die Jahre 2016 und 2017 mit ihm gemeinsam eine Zielvereinbarung zu treffen, schuldhaft nicht nachgekommen ist. Ein Verstoß der Arbeitgeberin gegen ihre arbeitsvertragliche Verpflichtung, mit dem Arbeitnehmer für eine Zielperiode Ziele festzulegen, an deren Erreichen eine Bonuszahlung geknüpft ist, löse nach Ablauf der Zielperiode grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch aus, da nach Ablauf der Zeit die Festlegung von Zielen nicht mehr möglich sei.
Eine Zielvereinbarung, die bei Zielerreichung einen Anspruch des Arbeitnehmers auf einen Bonus begründet, könne entsprechend dem Leistungssteigerungs- und Motivationsgedanken ihre Anreizfunktion nur dann erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kennt. Zusätzlich müsse er wissen, auf das Erreichen welcher persönlicher und/oder unternehmensbezogener Ziele die Arbeitgeberin in dem jeweiligen Zeitraum besonderen Wert legt und deshalb bereit ist, bei Erreichen dieser Ziele den zugesagten Bonus zu zahlen.
Die beiden maßgeblichen Zielperioden, das Kalenderjahr 2016 und das Kalenderjahr 2017, seien ohne Abschluss einer Zielvereinbarung vergangen. Da die Anreizfunktion der Zielvereinbarung mit Ablauf der Zielperiode nicht mehr erreicht werden kann, sei Unmöglichkeit im Sinne von § 283 Satz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) eingetreten.
Die Arbeitgeberin habe für die beiden Zeiträume September bis Dezember 2016, sowie für Januar bis Mai 2017 anteilig Schadenersatz in Höhe von 25% des Jahresbruttoeinkommen zu leisten. Davon seien 10% abzuziehen, da den Mitarbeiter eine Mitschuld dafür trifft, dass die Vereinbarungen nicht zustande kamen. Er habe Verhandlungen über die Zielvereinbarungen nicht angeregt, sondern sei völlig untätig geblieben.
Der Schadenersatzanspruch des Mitarbeiters konnte auch nicht nach § 17 des Arbeitsvertrags verfallen, da die in § 17 des Arbeitsvertrags der Parteien vereinbarte Klausel auch den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfasst.
Der Anspruch des Mitarbeiters auf Zahlung von Schadensersatz sei auch nicht durch Aufrechnung der Arbeitgeberin mit eigenen Schadensersatzansprüchen teilweise erloschen. Aufgerechnet werden könne stets nur gegen den pfändbaren Nettobetrag des Arbeitseinkommens. Eine Aufrechnung gegen einen Bruttoentgeltanspruch sei unzulässig.