Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.05.2021, Aktenzeichen 2 AZR 560/20
Die Arbeitgeberin darf einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme, etwa einer Kündigung, benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Das Benachteiligungsverbot soll den Arbeitnehmer in seiner Willensfreiheit bei der Entscheidung darüber schützen, ob ein Recht ausgeübt wird oder nicht.
Einem Servicetechniker im Außendienst wurde anlässlich seiner Arbeitsunfähigkeit von der Arbeitgeberin ordentlich, fristgemäß gekündigt. Im Monat vor der Arbeitsunfähigkeit wurde der Servicetechniker von der Arbeitgeberin zweimal abgemahnt.
Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin ist zugleich Geschäftsführer eines weiteren Unternehmens, einer GmbH, die ebenfalls Wägeeinrichtungen und Wägegeräte vertreibt sowie Serviceleistungen anbietet. Der Servicetechniker wurde bei der GmbH eingearbeitet und besuchte deren Produktschulungen.Die Arbeitgeberin beschäftigte noch einen weiteren Servicetechniker und zwei kaufmännische Angestellte.
Gegen die Kündigung sowie die Abmahnungen wandte sich der Servicetechniker vor dem Arbeitsgericht. Die Kündigung sei wegen Verstoßes gegen § 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) sowie das Maßregelungsverbot des § 612a BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) unwirksam. Die Abmahnungen enthielten unzutreffende Vorwürfe und seien deshalb aus seiner Personalakte zu entfernen.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Berufung des Servicetechnikers wurde vom Landesarbeitsgericht (LAG) zurückgewiesen. Mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Servicetechniker seine Klage weiter.
Das BAG entschied, die Kündigung der Arbeitgeberin vom Februar 2019 sei nicht am Maßstab von § 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) zu überprüfen, weil die Arbeitgeberin zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigte. Der Servicetechniker sei auch nicht in einem gemeinschaftlich geführten Betrieb beschäftigt gewesen.
Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen liege vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel mehrerer Unternehmen zu arbeitstechnischen Zwecken zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat betriebsbezogen gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben, so dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht.
Bei der Arbeitgeberin und der GmbH werde der Personaleinsatz nicht betriebsübergreifend von einer einheitlichen Leitung gesteuert. Ebenso seien die materiellen und immateriellen Betriebsmittel nicht unternehmensübergreifend zu gemeinsamen arbeitstechnischen Zwecken eingesetzt worden. Es habe einen einheitlichen Leitungsapparat hinsichtlich des Kerns der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten gegeben.
Die Personenidentität in der Unternehmensleitung könne zwar ein wesentliches Indiz für einen einheitlichen Leitungsapparat auf Betriebsebene sein, lasse aber nicht notwendig auf eine einheitliche Leitung in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten schließen. Der Umstand, dass eine Person mehrere Unternehmen leitet, bedeute noch nicht, dass sie diese Aufgaben für alle Unternehmen einheitlich wahrnimmt.
Der Personaleinsatz habe nicht übergreifend für beide Unternehmen stattgefunden. Die Servicetechniker seien zwar auf Anfrage auch für Kunden des jeweils anderen Unternehmens eingeteilt worden. Es habe jedoch keine einheitlich steuernde Leitung für einen übergreifenden Personaleinsatz gegeben.
Die Dienste der Servicetechniker wurden bei der GmbH durch deren Serviceleiter, bei der Arbeitgeberin durch eine ihrer kaufmännischen Angestellten eingeteilt. Der für beide Unternehmen personenidentische Geschäftsführer habe zwar die Personalangelegenheiten erledigt, aber keine unternehmensübergreifende Personaleinsätze angeordnet und Vorgesetzte nicht dazu ermächtigt, auf das Personal des jeweils anderen Unternehmens unmittelbar zuzugreifen.
Die für die Kalibrierung von Wägeeinrichtungen erforderlichen Gewichte seien bei Bedarf ausgetauscht worden. Es habe sich dabei aber nicht um wesentliche Betriebsmittel gehandelt. Ihr Austausch sei auch nicht zentral gesteuert worden.
Voraussetzungen für die Vermutung eines gemeinsamen Betriebs lägen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht vor. Die Betriebsmittel sowie die Arbeitnehmer seien von den Unternehmen nicht gemeinsam eingesetzt worden.
Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 612a in Verbindung mit § 134 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) nichtig. Die Arbeitgeberin habe nicht im Sinne von § 612a BGB wegen einer möglicherweise darin liegenden Rechtsausübung des Servicetechnikers gekündigt.
Nach § 612a BGB darf die Arbeitgeberin einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Das Benachteiligungsverbot soll den Arbeitnehmer in seiner Willensfreiheit bei der Entscheidung darüber schützen, ob ein Recht ausgeübt wird oder nicht. Die Norm erfasse einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit. Auch eine Kündigung könne eine Maßnahme im Sinne von § 612a BGB sein.
Eine Kündigung aus Anlass einer Krankmeldung sei demnach nur dann eine unzulässige Maßregelung, wenn gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll. Will die Arbeitgeberin dagegen die für die Zukunft zu erwartenden Folgen weiterer Arbeitsunfähigkeit, insbesondere neuerlichen Betriebsablaufstörungen, vorbeugen, fehle es an einem unlauteren Motiv für die Kündigung. Dem entspreche es, dass Belastungen durch künftig zu erwartende Arbeitsunfähigkeitszeiten eine Kündigung im Sinne von § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG sozial rechtfertigen können.
Auch § 8 Absatz 1 Satz 1 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) bestätige, dass eine Kündigung aus Anlass einer Arbeitsunfähigkeit zulässig sein kann. Die Vorschrift sichert den bereits entstandenen Entgeltfortzahlungsanspruch, falls die Arbeitgeberin aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsverhältnis mit dem arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer kündigt und das Arbeitsverhältnis dadurch beendet wird.
Das Berufungsgericht habe angenommen, das wesentliche Motiv der Arbeitgeberin für die Kündigung sei gewesen, zukünftige Störungen der Einsatzplanung sowie erneute Unannehmlichkeiten für die Kunden zu vermeiden. Es sei ihr um die betrieblichen Auswirkungen eines wiederholten krankheitsbedingten Ausfalls des Servicetechnikers gegangen. Dessen Krankmeldung sei zwar der äußere Anlass für die Kündigung, aber nicht ihr tragender Beweggrund.
Die Arbeitgeberin habe angeführt, aus dem Kündigungsschreiben ergebe sich, sie sei davon ausgegangen, der Servicetechniker schiebe seine Arbeitsunfähigkeit nur vor. Daraus könne nicht geschlossen werden, eine zulässige Rechtsausübung des Servicetechnikers sei das wesentliche Motiv der Arbeitgeberin für die Kündigung gewesen. Vielmehr hätte sich die Arbeitgeberin aufgrund einer ihres Erachtens gegebenen Pflichtverletzung des Servicetechnikers zur Kündigung entschlossen. Maßgeblich für § 612a BGB sei aber nicht, ob die Motive für die Maßnahme objektiv berechtigt waren, sondern ausschließlich, ob der tragende Beweggrund eine zulässige Rechtsausübung war.
Die Berufung des Servicetechnikers gegen die Abweisung seiner Klage auf Entfernung der Abmahnungen vom 17. und 18. Januar 2019 aus der Personalakte habe das Landesarbeitsgericht ebenfalls zu Recht zurückgewiesen. Der Servicetechniker habe die Entfernung der Abmahnungen ausdrücklich auch für den Fall verlangt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet ist. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Abmahnungen dem Servicetechniker trotz der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien noch schaden könnten.