Frist für Wahlvorschläge einer Betriebsratswahl
Hat der Wahlvorstand im Wahlausschreiben keine Uhrzeit für den Zugang von Vorschlagslisten am letzten Tag der Frist angegeben, ist die Einreichung von Wahlvorschlägen bis 24:00 Uhr zugelassen.
Die Arbeitgeberin beschäftigt mehr als 200 Mitarbeiter zur Erbringung von IT-Dienstleistungen. In einem über 500 km entfernten Büro sind elf Arbeitnehmer tätig, die teilweise ihre Arbeitsleistung direkt bei Kunden erbringen.
Im September 2018 fand eine Betriebsratswahl statt, die im Juli 2018 mit Wahlausschreiben eingeleitet wurde. Demnach sollten bis zum 18. Juli 2018 Wahlvorschläge in Form von Listen eingereicht werden.
Eine der eingereichten Listen wurde vom Wahlvorstand als ungültig bezeichnet, da der Wahlvorstand erst am 19. Juli die Liste zur Kenntnis nehmen konnte.
Vor dem Arbeitsgericht hat eine im Betrieb der Arbeitgeberin vertretene Gewerkschaft die Betriebsratswahl vom September 2018 angefochten. Zu Unrecht habe die Wahlkommission die streitige Wahlliste nicht zur Wahl zugelassen, da die Frist zur Zulassung von Wahlvorschlägen am 18. Juli 2018 erst um 24.00 Uhr geendet habe. Im Wahlausschreiben sei keine Uhrzeit benannt worden, zu der am 18. Juli die Einreichung von Wahlvorschlägen befristet sein sollte. Der Wahlvorstand hätte daher Vorkehrungen treffen müssen, dass der Zugang von Wahlvorschlägen bis 24.00 Uhr ermöglicht wird.
Gegen 21.00 hätten zwei Mitarbeiter die streitige Wahlliste einreichen wollen. Den Wahlvorschlag hätten sie dann gegen 22.00 Uhr in dem im Wahlschreiben als Adresse angegeben Briefkasten eingelegt. Dem Wahlvorstand sei bekannt gewesen, dass noch eine Liste eingereicht werden sollte, da die beiden ersten Wahlbewerber der Liste für ihren Wahlvorschlag Kandidaten gesucht und Wahlkampf betrieben hätten.
Wegen Verkennung des Betriebsbegriffs sei die Wahl ebenfalls unwirksam. Da das entfernt liegende Büro mit 520 km räumlich weit von Hauptbetrieb entfernt sei, gelte es als eigenständiger Betrieb. Vor Ort gebe es einen Projektkoordinator, der als fachlicher Vorgesetzter den Personaleinsatzplan für 4 Mitarbeiter steuere. Die Betriebsadresse des Wahlvorstands sei zudem im Wahlausschreiben unzureichend bekannt gegeben worden.
Die Wahl sei auch wegen einer unterbliebenen Beschlussfassung des Wahlvorstands sowie der in der Folge unterbliebenen Veröffentlichung des Beschlusses im Wahlausschreiben unwirksam.
Aus dem Wahlausschreiben hätten die Arbeitnehmer im externen Büro nicht hinreichend deutlich entnehmen können, dass sie sich am Wahlgeschehen aktiv mit der Abgabe ihrer Stimme beteiligen können. Daher könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie keine Vorschlagslisten eingereicht hätten, weil sie nicht davon ausgehen konnten, am Wahltag selbst ihre Stimme abgeben und ihren Wahlvorschlag aktiv unterstützen zu können.
Betriebsrat und Arbeitgeberin beantragten die Abweisung des Antrags. Der Zugang der Vorschlagsliste sei erst dann bewirkt, wenn nach den gewöhnlichen Verhältnissen für den Wahlvorstand die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der Vorschlagsliste bestehe. Dies gelte auch dann, wenn in dem Wahlausschreiben kein Zeitpunkt angegeben sei, bis zu dem am letzten Tag der Frist Wahlvorschläge eingereicht werden können. Auch wenn die Vorschlagsliste am 18. Juli 2018 gegen 22:00 Uhr in den Briefkasten des Wahlvorstands eingeworfen worden sein sollte, was mit Nichtwissen bestritten werde, hätte der Wahlvorstand von der Liste erst am nächsten Morgen Kenntnis nehmen können.
Der Betriebsbegriff sei bei der Wahl nicht verkannt worden. Alle mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten für die elf Arbeitnehmer im externen Büro würden in der Zentrale des Unternehmens entschieden.
Die Arbeitnehmer im externen Büro seien durch das Wahlausschreiben grundsätzlich über die Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe informiert gewesen und hätten deshalb stets davon ausgehen können, auf diesem Weg an der Wahl teilnehmen zu können. Aus dem Wahlausschreiben gehe zudem hervor, dass alle Arbeitnehmer, also auch die im externen Büro beschäftigten, Wahlvorschläge einreichen konnten. Zudem spreche gerade auch die tatsächliche Beteiligung der Arbeitnehmer aus dem externen Büro gegen eine Auswirkung auf die Wahl. Es hätten zwei im externen Büro tätige Arbeitnehmer für die Wahl kandidiert und neun der elf Arbeitnehmer hätten von ihrem aktiven Wahlrecht Gebrauch gemacht.
Das Arbeitsgericht gab dem Antrag statt. Auf die Beschwerde von Betriebsrat und Arbeitgeberin wies das Landesarbeitsgericht (LAG) den Antrag ab. Mit ihrer Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) begehrte die Gewerkschaftsvertretung die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, die Rechtsbeschwerde sei begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte der Wahlanfechtungsantrag nicht abgewiesen werden. Wenn die Vorschlagsliste am 18. Juli 2018 noch vor 24:00 Uhr unter der vom Wahlvorstand angegebenen Anschrift in den Briefkasten eingelegt worden sein sollte, wie von der Antragstellerin behauptet, wäre dies gemäß § 6 Absatz 1 Satz 1 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung – WO) rechtzeitig.
Im Wahlausschreiben habe der Wahlvorstand anzugeben, dass Wahlvorschläge vor Ablauf von zwei Wochen seit dem Erlass des Wahlausschreibens beim Wahlvorstand in Form von Vorschlagslisten einzureichen sind. Dabei sei der letzte Tag der Frist anzugeben. Dieser Pflicht sei der Wahlvorstand in dem am 4. Juli 2018 veröffentlichten Wahlausschreiben nachgekommen, indem er die Wahlberechtigten aufgefordert hat, Wahlvorschläge in Form von Vorschlagslisten bis zum 18. Juli 2018 einzureichen.
Der Wahlvorstand könne die Möglichkeit zur Einreichung von Wahlvorschlägen am letzten Tag der Frist auf das Ende der Arbeitszeit im Betrieb oder auf das Ende der Dienststunden des Wahlvorstands begrenzen, wenn dieser Zeitpunkt nicht vor dem Ende der Arbeitszeit der Mehrheit der Arbeitnehmer liegt. Dies habe durch eine entsprechende Angabe im Wahlausschreiben zu geschehen. Macht der Wahlvorstand von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, sei eine Vorschlagsliste, die in einen auch vom Wahlvorstand genutzten Briefkasten bis 24:00 Uhr am letzten Tag der Frist eingeworfen wird, rechtzeitig eingereicht.
Eine Angabe in dem Wahlausschreiben, dass die Wahlvorschläge bis zum Ende der Arbeitszeit im Betrieb oder bis zum Ende der Dienststunden des Wahlvorstands eingereicht werden müssen, würde den allgemeinen Regelungen über den rechtzeitigen Zugang von Willenserklärungen Rechnung tragen.
Hat der Wahlvorstand in dem Wahlausschreiben hingegen keine Uhrzeit angegeben, bis zu der am letzten Tag der Frist der Zugang von Vorschlagslisten bei ihm bewirkt werden kann, dürften die zur Einreichung von Wahlvorschlägen Berechtigten unter Zugrundelegung gewöhnlicher Verhältnisse davon ausgehen, dass der Wahlvorstand Vorkehrungen trifft, die eine Einreichung von Wahlvorschlägen bis 24:00 Uhr zulassen. Benennt er keinen Zeitpunkt, bis zu dem am letzten Tag der Frist Wahlvorschläge bei ihm eingereicht werden können, sei dies dahingehend zu verstehen, dass er freiwillig entsprechende Vorkehrungen trifft, indem er sich z.B. bis 24:00 Uhr im Betrieb aufhält oder einen vorgehaltenen Briefkasten um Mitternacht noch einmal leert. Unterlässt er dies, gilt der rechtzeitige Zugang als bewirkt.
Unabhängig davon, ob der Wahlvorstand noch am 18. Juli 2018 von der streitigen Vorschlagsliste tatsächlich Kenntnis genommen hat, wäre bei einem Einwurf um 22:00 Uhr die Einreichungsfrist gewahrt. Der Umstand, dass der Wahlvorstand nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts keine Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme von nach 19:00 Uhr eingehenden Wahlvorschlägen getroffen hat, gereiche den Einreichern der streitigen Liste nicht zum Nachteil. Sie durften mangels Angabe einer Uhrzeit im Wahlausschreiben, bis zu der am 18. Juli 2018 Wahlvorschläge eingereicht werden konnten, davon ausgehen, dass der Wahlvorstand auch um 22:00 Uhr noch von einem in den Briefkasten eingeworfenen Wahlvorschlag Kenntnis nehmen würde. Ob die Vorschlagsliste tatsächlich um diese Uhrzeit in den Briefkasten eingeworfen wurde, hat das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – nicht aufgeklärt. Dies Feststellung werde es nachzuholen haben.
Die Betriebsstätte der Arbeitgeberin im externen Büro gelte nicht als eigenständiger Betrieb. Der Projektkoordinator war nur gegenüber vier der elf Büromitarbeiter weisungsbefugt. Besteht die Leitungsmacht – wie hier – allenfalls gegenüber einer Minderheit der Arbeitnehmer, liegt die Verneinung einer ausreichenden organisatorischen Verselbständigung des Betriebsteils jedenfalls innerhalb des Beurteilungsspielraums des Beschwerdegerichts. Es liege dann nahe, dass es sich nicht mehr um die Leitung des Betriebsteils, sondern allenfalls um die Leitung einer anderen organisatorischen Untereinheit handelt. Hieraus könne nicht ohne weiteres auf die Verselbständigung des gesamten Standorts geschlossen werden.
Das Landesarbeitsgericht sei auch ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass die im externen Büro beschäftigten Arbeitnehmer aufgrund des fehlenden Beschlusses und der fehlenden Angabe über eine solche Beschlussfassung in dem Wahlausschreiben nach § 3 Absatz 2 Nr. 11 WO nicht an der Einreichung von Wahlvorschlägen gehindert wurden. Zum einen gebe es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass Arbeitnehmer, die eine Vorschlagsliste zur Wahl einreichen möchten, sich von diesem Vorhaben allein deshalb abbringen lassen, weil sie annehmen, zur Stimmabgabe in den räumlich weit entfernten Hauptbetrieb fahren zu müssen. Zum anderen habe das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, dass die Mitarbeiter im externen Büro aufgrund der Angaben im Wahlausschreiben auch ohne einen ausdrücklichen Hinweis davon ausgehen konnten, dass für sie eine schriftliche Stimmabgabe möglich sein würde.
Mit seinen Formulierungen im Wahlausschreiben sei der Wahlvorstand zwar von den Vorgaben in § 24 Absatz 2 und 3 WO abgewichen. Aufgrund der Angaben im Wahlausschreiben mussten die im externen Büro beschäftigten Arbeitnehmer aber annehmen, zur schriftlichen Stimmabgabe berechtigt zu sein. Die Formulierung des Wahlvorstandes suggerierte, dass nach der Wahlordnung in räumlich weit entfernten unselbständigen Nebenbetrieben und Betriebsteilen die Briefwahl stets zulässig ist.
Die Sache wurde zur Neuverhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.