Betriebsratswahl – Zulassungsverfahren für Vorschlagslisten
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.10.2021, Aktenzeichen 7 ABR 36/20
Hat der Wahlvorstand das Wahlausschreiben ausgehängt und ergänzend in elektronischer Form bekannt gemacht, müssen die Vorschlagslisten und weitere Bekanntmachungen ebenfalls sowohl durch Aushang als auch in der für das Wahlausschreiben ergänzend gewählten elektronischen Form vorgenommen werden.
Die Nachfrist von drei Arbeitstagen ist zwingend vorgeschrieben und steht nicht zur Disposition des Wahlvorstands, dieser kann die Frist weder verlängern noch verkürzen. Setzt der Wahlvorstand im Beanstandungsschreiben eine Frist, die nicht den Vorgaben des § 8 Absatz 2 WO entspricht, verstößt er damit gegen seine Verpflichtungen aus der Wahlordnung.
Das Wahlausschreiben zur Betriebsratswahl 2018 wurde durch Aushang bekannt gemacht. Arbeitnehmern, deren betriebsinterne Adressen dem Betriebsrat bekannt waren, wurde zusätzlich per E-Mail das Wahlausschreiben übermittelt.
Insgesamt wurden drei Vorschlagslisten zur Betriebsratswahl eingereicht. Lediglich zwei Vorschlagslisten wurden vom Wahlvorstand zugelassen und ausschließlich durch Aushang, nicht per E-Mail, bekannt gemacht.
Der dritten Liste war die Zustimmungserklärung eines Wahlbewerbers dieser Liste nur als ausgedruckter Scan beigelegt. Es fehlte das Original, das beim Unterzeichner verblieb. Der Listenvertreter erhielt vom Wahlvorstand eine Mitteilung, dass die eingereichte Vorschlagsliste ungültig sei, weil das Original einer Zustimmungserklärung fehle. Der Wahlvorstand erklärte, der Mangel könne innerhalb einer Frist von 3 Arbeitstagen geheilt werden, wenn das Original nachgereicht wird. Die Frist wurde vom Wahlvorstand länger als drei Tage gesetzt, um zu berücksichtigen, dass sich der Wahlbewerber im Urlaub befand. Das Original der Zustimmungserklärung traf 40 Minuten nach der gesetzten Frist beim Wahlvorstand ein. Daraufhin teilte der Wahlvorstand dem Listenvertreter mit, die Vorschlagsliste sei ungültig, weil die Zustimmungserklärung nicht fristgerecht eingegangen sei.
Zwei Tage nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses machten die Wahlbewerber der dritten Wahlliste beim Arbeitsgericht geltend, die Betriebsratswahl sei unter anderem deshalb unwirksam, weil ihre Vorschlagsliste nicht zur Betriebsratswahl zugelassen wurde. Die Vorlage einer eingescannten unterzeichneten Zustimmungserklärung genüge dem Schriftlichkeitserfordernis. Weiterhin seien die Vorschlagslisten nicht wie das Wahlausschreiben zusätzlich per E-Mail verteilt worden.
Die Antragsteller beantragten die Feststellung, dass die Betriebsratswahlen unwirksam sind.
Der Betriebsrat hingegen verteidigte seine Entscheidung, die dritte Liste sei zu Recht nicht zur Wahl zugelassen, da die Zustimmungserklärung nicht im Original vorlag und dieser Mangel nicht fristgerecht beseitigt wurde.
Das Arbeitsgericht gab dem Antrag statt und erklärte die Betriebsratswahl für ungültig. Die Beschwerde des Betriebsrats wurde vom Landesarbeitsgericht (LAG) zurückgewiesen und die Betriebsratswahl für ungültig erklärt. Mit seiner Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Betriebsrat weiterhin die Zurückweisung des Antrags.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, das Landesarbeitsgericht habe die Betriebsratswahl im Ergebnis zu Recht für unwirksam erklärt.
Mit der gegebenen Begründung habe das Landesarbeitsgericht die angefochtene Betriebsratswahl auf Grundlage seiner bisherigen Feststellungen zwar nicht für unwirksam erklären dürfen. Die Entscheidung des LAG, der zulässige Wahlanfechtungsantrag sei begründet, erweist sich jedoch aus anderen Gründen als zutreffend.
Die formellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung seien erfüllt. Mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder die Arbeitgeberin können die Betriebsratswahl anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen.
Die neun Antragsteller waren zum Zeitpunkt der Wahl Arbeitnehmer des Wahlbetriebs und damit wahlberechtigt. Unschädlich ist, dass zwei der wahlberechtigten Arbeitnehmer aus ihrem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, da die anfechtenden Arbeitnehmer nur zum Zeitpunkt der Wahl wahlberechtigt sein mussten. Lediglich wenn alle anfechtenden Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausgeschieden sind, wäre der Antrag unzulässig, da kein Rechtsbedürfnis mehr bestehen würde.
Das Landesarbeitsgericht habe mit einer rechtsfehlerhaften Begründung angenommen, die Betriebsratswahl sei unwirksam. Zutreffend sei jedoch, dass der Wahlvorstand gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen habe, da er die zugelassenen Vorschlagslisten nicht auch per E-Mail bekannt gegeben hat.
Die als gültig anerkannten Vorschlagslisten sind bis zum Abschluss der Stimmabgabe, und spätestens bis eine Woche vor der Stimmabgabe, in gleicher Weise durch den Wahlvorstand bekannt zu machen wie das Wahlausschreiben.
Ein Abdruck des Wahlausschreibens ist vom Tage seines Erlasses bis zum letzten Tag der Stimmabgabe an einer oder mehreren geeigneten, den Wahlberechtigten zugänglichen Stellen vom Wahlvorstand auszuhängen und in gut lesbarem Zustand zu erhalten. Ergänzend kann das Wahlausschreiben mittels der im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik bekannt gemacht werden (§ 3 Absatz 4 Satz 2 Wahlordnung).
Eine ausschließliche Bekanntmachung der Wählerlisten in elektronischer Form ist nur zulässig, wenn alle Arbeitnehmer von der Bekanntmachung Kenntnis erlangen können und Vorkehrungen getroffen werden, dass Änderungen der Bekanntmachung nur vom Wahlvorstand vorgenommen werden können.
Hat der Wahlvorstand das Wahlausschreiben ausgehängt und nach § 3 Absatz 4 Satz 2 Wahlordnung ergänzend in elektronischer Form bekannt gemacht, muss die Bekanntmachung der Vorschlagslisten ebenfalls sowohl durch Aushang als auch in der für das Wahlausschreiben ergänzend gewählten elektronischen Form vorgenommen werden. Die für die Bekanntmachung des Wahlausschreibens gewählte konkrete Form entfaltet eine Bindungswirkung für die weiteren Bekanntmachungen im Laufe des Wahlverfahrens, wofür die Wahlordnung (WO) zwingend festlegt, dass sie in gleicher Weise bekannt zu machen sind wie das Wahlausschreiben.
Die Bekanntmachung der Vorschlagslisten dient der neutralen, rechtzeitigen und umfassenden Information der Wähler über die zur Wahl stehenden Kandidaten. Diese wird durch die Stimmzettel selbst nicht gewährleistet, da dort nur die jeweils ersten beiden Bewerber einer Liste aufgeführt sind.
Die Wähler, denen das Wahlausschreiben mittels der im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik bekannt gemacht wurde, vertrauen regelmäßig darauf, dass sie auf demselben Weg, auf dem sie durch den Wahlvorstand über die Einleitung der Wahl informiert wurden, auch alle weiteren, für die Wahl und insbesondere die Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechtes relevanten Informationen erhalten.
Das Wahlausschreiben wurde zwar durch Aushang und ergänzend gegenüber den Arbeitnehmern per E-Mail bekannt gegeben, deren betriebsinterne E-Mail-Adressen dem Wahlvorstand bekannt waren. Die Vorschlagslisten wurden jedoch lediglich durch Aushang bekannt gegeben. Darin liegt ein Verstoß gegen § 10 Absatz 2 Wahlordnung.
Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht aber zu Unrecht angenommen, dass der Verstoß gegen § 10 Absatz 2 WO geeignet war, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften berechtigt nur dann zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv ändern oder beeinflussen konnte.
Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre.
Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die unterbliebene Übersendung der Vorschlagslisten auch per E-Mail habe eine potentielle Begünstigung der Liste auf welcher der bisherige Betriebsratsvorsitzende kandidierte, gegenüber der zweiten Liste manifestiert. Da der Name des amtierenden Betriebsratsvorsitzenden und Listenvertreters auf dem Stimmzettel zu lesen gewesen sei, könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre, wenn die zugelassenen Vorschlagslisten zusätzlich per E-Mail bekannt gemacht worden wären und so auch die zweite Liste die Chance erhalten hätte, durch die Gesamtheit der auf ihrer Liste kandidierenden Bewerber für sich zu werben.
Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts hält einer rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, wie vielen Arbeitnehmern das Wahlausschreiben ergänzend per E-Mail übersandt worden war.
Unter Berücksichtigung des Höchstzahlverfahrens nach d´Hondt hätte es vorliegend für eine andere Sitzverteilung einer Verschiebung von mindestens vier abgegebenen Stimmen zu Gunsten der Liste 1 bedurft. Eine Auswirkung des Wahlfehlers auf das Wahlergebnis wäre jedenfalls positiv auszuschließen, wenn dies nur bei drei Arbeitnehmern der Fall war.
Auch die Zurückweisung der Wahlvorschlagsliste, weil die Zustimmungserklärung des Wahlbewerbers zur Aufnahme in die Liste nicht in Schriftform vorlag, führt nicht zur Unwirksamkeit der Betriebsratswahl. Da der Mangel nicht innerhalb von drei Arbeitstagen beseitigt wurde, hat der Wahlvorstand die Liste zu Recht nicht zugelassen.
Die eingescannte und im Ausdruck vorgelegte Zustimmungserklärung des Wahlbewerbers erfüllt nicht die Voraussetzungen, die § 126 Absatz 1 BGB an die Form einer Urkunde stellt, wenn durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben ist. Es bedarf dann der eigenhändigen Unterzeichnung der Urkunde durch Namensunterschrift von Seiten des Ausstellers. Daran fehlt es.
Die eigenhändige Unterzeichnung mit Namensunterschrift soll vor Übereilung bei der Abgabe der Erklärung schützen (Warnfunktion), den Aussteller der Urkunde erkennbar machen (Identitätsfunktion), sicherstellen, dass die Erklärung von diesem stammt (Echtheitsfunktion) und garantieren, dass die Erklärung inhaltlich abgeschlossen ist (Vollständigkeitsfunktion).
Das Schriftlichkeitserfordernis des § 6 Absatz 3 Satz 2 WO verfolgt die gleichen Zwecke. Es dient zum einen der Dokumentation darüber, wer kandidiert und seiner Aufnahme in die Liste zugestimmt hat (Identitäts- und Vollständigkeitsfunktion). Daneben soll es sicherstellen, dass die Zustimmungserklärung tatsächlich von demjenigen stammt, der als Wahlbewerber aus der Vorschlagsliste hervorgeht (Echtheitsfunktion). Die Identität des Wahlbewerbers soll anhand der Zustimmungserklärung geprüft werden können. Damit soll Stimmenfang mit Scheinbewerbern verhindert werden. Darüber hinaus soll dem Wahlbewerber im Sinne einer Warnfunktion die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung vor Augen geführt werden.
Die Echtheit einer Erklärung, die durch eine originale Namensunterschrift gewährleistet wird, ist bei der Zustimmungserklärung aufgrund eines nicht unrealistischen Fälschungsrisikos von besonderer Bedeutung, da ein Fälschungsrisiko bei der Zustimmungserklärung durchaus besteht. Da das Schriftlichkeitsgebot des § 6 Absatz 3 Satz 2 WO nicht lediglich Informations- und Dokumentationsanforderungen stellt, sondern zudem aufgrund seiner Warnfunktion vor übereilter Zustimmung des Arbeitnehmers schützen soll, genügt die Einhaltung der Textform nach § 126b BGB nicht.
In Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Original der Zustimmungserklärung eines Bewerbers tatsächlich nicht vorliegt, weil dieser nur eine Datei mit der eingescannten Erklärung an den Listenvertreter übersandt hat, kann der Listenvertreter nicht zuverlässig beurteilen, ob die eingescannte Zustimmungserklärung tatsächlich auf einer im Original unterzeichneten Erklärung beruht. Auch der Wahlvorstand hat keine Möglichkeit zu prüfen, ob dem Listenführer die Originalunterschrift vorliegt oder ob überhaupt ein unterschriebenes Original existiert.
Die mit Originalunterschrift versehene schriftliche Zustimmungserklärung wurde auch nicht innerhalb der Nachbesserungsfrist des § 8 Absatz 2 WO nachgereicht.
Die Wahl ist jedoch unwirksam, weil der Wahlvorstand dem Listenvertreter in der Unterrichtung über die Ungültigkeitsgründe vom 3. April 2018 unter Verstoß gegen § 7 Absatz 2 Satz 2 und § 8 Absatz 2 letzter Halbsatz WO zur Nachbesserung der Gültigkeitsmängel eine Frist setzte, die die dort geregelte Drei-Tages-Frist überschritt und nicht auszuschließen ist, dass das Wahlergebnis hierauf beruht.
Dem Wahlvorstand ist es verwehrt, eine von § 8 Absatz 2 WO abweichende Nachfrist selbst zu setzen, denn die Frist wird durch die Beanstandung nach § 7 Absatz 2 Satz 2 WO nur in Gang gesetzt. Die Nachfrist von drei Arbeitstagen ist zwingend vorgeschrieben und steht nicht zur Disposition des Wahlvorstands, dieser kann die Frist weder verlängern noch verkürzen.
Setzt der Wahlvorstand im Beanstandungsschreiben eine Frist, die nicht den Vorgaben des § 8 Absatz 2 WO entspricht, verstößt er damit gegen seine Verpflichtungen aus der Wahlordnung, was bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 19 BetrVG die erfolgreiche Anfechtung der Wahl rechtfertigen kann. Insbesondere kann die Wahlanfechtung darauf gestützt werden, dass die gesetzte Frist nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt hat.
Vorliegend hat der Wahlvorstand dem Beteiligten eine abweichende Nachfrist bis zum 9. April 2018, 15:30 Uhr gesetzt. Die Frist von drei Arbeitstagen lief am 6. April 2018 ab, nachdem die Mitteilung am Dienstag, den 3. April 2018 erfolgte. Der Verstoß konnte das Wahlergebnis beeinflussen. Das wäre nur dann nicht der Fall, wenn die fehlende Kausalität des Verstoßes für das Wahlergebnis positiv festgestellt werden kann. Das ist vorliegend nicht der Fall.
Es sei nicht auszuschließen, dass gerade durch die fehlerhafte Fristsetzung auf den Montag nach Beendigung des Urlaubs des Wahlbewerbers der Versuch unterblieben ist, den Mangel bereits während des Urlaubs bis Freitag, den 6. April 2018 zu beheben. Ebenso sei nicht auszuschließen, dass die fristgerechte Mängelbehebung auch während des Urlaubs hätte gelingen können. Etwa auf dem Postweg oder per Boten, durch Abholung der Erklärung am Urlaubsort, durch Urlaubsabbruch oder anderweitigen Wegen.
Bei rechtmäßigem Vorgehen des Wahlvorstands hätte der Mangel durchaus fristgerecht behoben werden können. Somit wäre die Vorschlagsliste zur Wahl zugelassen worden und damit wäre ein anderes Wahlergebnis eingetreten.