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Wann ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz anzuwenden?

Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.2021, Aktenzeichen 7 Sa 26/21

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet der Arbeitgeberin ihre Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regelung gleich zu behandeln. Freiwillige aktienorientierte Vergütungsbestandteile fallen unter den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Die Parteien streiten zweitinstanzlich sowohl über die vertragsgerechte Beschäftigung einer Führungskraft als auch über sogenannte aktienorientierte Vergütungsbestandteile für 2015 bis einschließlich 2020 und über die Berechtigung der Arbeitgeberin, den sogenannten versorgungsrechtlich umwandelbaren Company Bonus für 2019 um 50 % zu kürzen, sowie über die Begleichung von aufgelaufenen Zinsen aus Anlass zweier von der Führungskraft aufgenommener Privatkredite.

Das Arbeitsgericht hat dem Beschäftigungsantrag der Führungskraft und seinem auf weitere Bonusgewährung für das Geschäftsjahr 2019 gerichteten Begehren stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte die Führungskraft Berufung beim Landesarbeitsgericht ein.

Ihm stehe jeweils ein Anspruch auf Zuteilung virtueller Aktien für 2019 und 2020 sowie weiterer virtueller Aktien für die Jahre 2017 und 2018 zu. Innerhalb des Konzerns sei die Zuteilung virtueller Aktien für alle Mitarbeiter der Führungsebenen 1, 2 und 3 ein Baustein der Gesamtvergütung. Ein solcher Anspruch ergebe sich jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung. Da er kein leitender Angestellter sei, folge dies bereits aus der Gesamtbetriebsvereinbarung.

Es sei nicht Aufgabe der Führungskraft im Einzelnen darzustellen, weshalb er einen Anspruch auf Zuteilung von Phantom Shares habe. Vielmehr habe die Arbeitgeberin darzulegen, weshalb sie glaube, befreit zu sein, ihm Phantom Shares zuteilen zu müssen. Die Arbeitgeberin könne nicht ohne sachliche Rechtfertigung einen Mitarbeiter von der Zuteilung ausnehmen.

Die Arbeitgeberin erklärte, sie sei berechtigt gewesen, den Bonus der Führungskraft um 50 % im Geschäftsjahr 2019 zu kürzen, angesichts der Vielzahl und Schwere seiner Pflichtverletzungen und der ihm deswegen erteilten Abmahnung.

In Bezug auf die Führungskraft habe das BPO (Business Practice Office) den beanstandeten Vorgang als Regelverstoß mit hohem Risiko für das Unternehmen einschließlich der Beschäftigten eingestuft, da der Führungskraft eine schwere Verletzung der körperlichen und psychischen Unversehrtheit seiner Mitarbeiter vorgeworfen worden sei.

Diese Vorwürfe hätten sich im Rahmen der Untersuchung bestätigt, so dass das Business Practices Committee (BPC) nach Anhörung entschieden habe, das Arbeitsverhältnis mit der Führungskraft zu kündigen.

Aufgrund der rechtskräftigen, zu Gunsten der Führungskraft ergangenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 21.04.2020 (8 Sa 37/19) habe das zuständige BPC erneut über den oben geschilderten Sachverhalt dahingehend entschieden, dass die Führungskraft eine Abmahnung mit Bonusabzug von 50 % zu erhalten habe.

Das Landesarbeitsgericht entschied nun, der Führungskraft steht jeweils ein Anspruch auf Zuteilung von Phantom Shares für 2020 und 2019 in begehrter Höhe zu. Im Übrigen ist seine Berufung unbegründet.

Nach dem Arbeitsvertrag steht der Führungskraft neben einem fixen Jahresgehalt auch eine variable Vergütung für das abgelaufene Jahr zu.

Zur variablen Vergütung zählt auch ein aktienorientierter Vergütungsbestandteil in Form von Phantom Shares. Dieser Beurteilung steht jedoch das von den Vertragsparteien verwendete Begriffsverständnis “variable Vergütung” im Sinne des Arbeitsvertrages entgegen. Die darin bestimmte Vergütung bezieht sich auf das abgelaufene Geschäftsjahr und beinhaltet weitere Regelungen, die ersichtlich nicht mit den von der Führungskraft beanspruchten Phantom Shares übereinstimmen. Es handelt sich bei der dort erwähnten “variablen Vergütung” ausschließlich um den sogenannten erfolgsabhängigen Anteil an der Barvergütung.

Der Anspruch der Führungskraft ist jedoch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung begründet. Das belegt bereits die Nr. 1 der Gesamtbetriebsvereinbarung Vergütungsgrundsätze. Darin heißt es:

“Bei der Gewährung dieser Vergütungsbausteine werden damit, was Umfang, Volumen, Berechnung oder Konditionen betrifft, die leitenden Führungskräfte, unabhängig davon, ob sie leitende Angestellte im Sinne des § 5 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz sind oder nicht, gleichbehandelt.”

Der Begriff Vergütungsbaustein im Sinne der Nr. 1 Satz 1 Gesamtbetriebsvereinbarung Vergütungsgrundsätze erfasst unter anderem den Performance Phantom Share Plan.

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet der Arbeitgeberin ihre Arbeitnehmer oder Gruppen ihrer Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regelung gleich zu behandeln.

Die Arbeitgeberin gewährt den leitenden Führungskräften der Ebenen 2 und 3, wozu die Führungskraft unstreitig gehört, nach einem bestimmten Prinzip, basierend auf den Vergütungsgrundsätzen der Gesamtbetriebsvereinbarung, in Verbindung mit den jeweiligen jahresbezogenen Planbedingungen, virtuelle Aktien. Die Führungskraft ist danach Planteilnehmer und hat Anspruch auf diesen Vergütungsbestandteil.

Die Vergabe von Performance Phantom Shares ist eine freiwillige Leistung der Arbeitgeberin, über deren Auflage sie jedes Jahr neu entscheidet. Gleichwohl erfolgt die Zuteilung der Phantom Shares nicht im rechtsfreien Raum. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist zugleich Lenkrad und Korrektiv anreizmotivierter Vergütungssteuerung.

Nach der insoweit maßgebenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wäre die Arbeitgeberin gehalten gewesen, Sachgründe mitzuteilen, die eine Nullzuteilung für 2019 und 2020 nach Maßgabe ihrer schriftlichen Selbstbindung rechtfertigt.

Eine Reduzierung setzt ein Substrat voraus, so dass eine Nullzuteilung von Anfang an gerade nicht erfasst ist.

Der Anspruch auf Zuteilung vorläufiger Phantom Shares für 2019 und 2020 ist auch der Höhe nach begründet. Der Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hat zur Folge, dass die Führungskraft so gestellt werden muss wie vergleichbare Arbeitnehmer der Führungsebene 3.

Soweit die Führungskraft hinsichtlich des Zuteilungsvolumens der vorläufig zu gewährenden Phantom Shares auf das von der Arbeitgeberin selbstbindend zu Grunde gelegte Zuteilungsband abstellt, entspricht das der von ihr selbst gewählten Zuteilungsspanne, deren Spreizung nach dem Kriterium des Gewichts des sogenannten Business-Impact der einzelnen Führungskraft ausgestaltet ist. Die auf dieser Grundlage zu erfolgende Zuteilungsentscheidung hat nach Maßgabe der Gleichbehandlung als Kriterium des billigen Ermessens zu erfolgen. Dementsprechend ist es mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht zu beanstanden, dass die Führungskraft jeweils den durchschnittlichen Zuteilungswert in der vom Arbeitsgericht festgestellten und von der Arbeitgeberin nicht angegriffenen und damit bindenden Höhe zu Grunde gelegt hat.

Die Führungskraft hat keinen Anspruch auf Zuteilung weiterer Phantom Shares für 2017 und 2018. Dem steht der Einwand der Unmöglichkeit entgegen. Einen Schadensersatzanspruch als Sekundäranspruch hat die Führungskraft nicht gestellt. Ein solcher wäre ein anderer Streitgegenstand, der als nachträgliche objektive Klagehäufung den Vorschriften über die Klageänderung unterfallen würde.

Die beanspruchte Zuteilung weiterer Phantom Shares für 2017 und 2018 ist eine durch Zeitablauf unmöglich gewordene Leistung gemäß § 275 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Nach Ablauf der Zeit ist die damit einhergehende Zwecksetzung nicht mehr erreichbar und damit de jure unmöglich.

Danach ist das Zuteilungsbegehren der Führungskraft für 2017 und 2018 unmöglich geworden. Der dreijährige Performance-Zeitraum als Grundlage der Bewertung für die endgültige Zuteilung der Phantom Shares ist jeweils abgelaufen. Die mit der Zuteilung beabsichtigte personenbezogene Ziel- und Zwecksetzung kann nicht mehr erreicht werden.

Die Führungskraft kann ihr Zuteilungsverlangen auch nicht auf einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Absatz 1, Absatz 3, 283 Satz 1 BGB stützen. Die seitens der Arbeitgeberin nicht bewirkte Erfüllung dieser Ansprüche für 2017 und 2018 begründet eine Pflichtverletzung. Von einem Verschulden ist auszugehen. Die insoweit darlegungspflichtige Arbeitsgeberin hat zu ihrer Entlastung keinen geeigneten Vortrag gehalten. Jedoch fehlt es an einer schlüssigen Darlegung des Schadens im Sinne der §§ 249 ff. BGB.

Einen solchen Schadensersatzanspruch hat die Führungskraft auch nicht geltend gemacht, der im Übrigen auch streitgegenständlich nicht erfasst ist, da es sich in Bezug auf den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff auch um einen anderen Lebenssachverhalt handelt, der andere Anknüpfungspunkte als das zur Entscheidung gestellte Begehren zum Gegenstand hat.

Die Führungskraft kann weder für 2015 noch für 2016 für die jeweiligen Phantom Shares Auszahlung beanspruchen. Die Ansprüche sind verfallen. Die Gesamtbetriebsvereinbarung findet unmittelbar und zwingend Anwendung, da er als Führungskraft der Ebene 3 kein leitender Angestellter gemäß § 5 Absatz 3 BetrVG ist.

Danach sind die Ansprüche verfallen. Die Führungskraft hat nicht innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit die Ansprüche geltend gemacht.

Der Führungskraft steht kein Anspruch auf Erstattung der Darlehenszinsen zu.

Vorliegend fehlt es am normativen Ursachenzusammenhang zwischen der sich als unwirksam erwiesenen ordentlichen Kündigung und der durch die Aufnahme der Darlehen ausgelösten Darlehenszinsen. Der Arbeitgeberin sind die durch die Darlehensaufnahme der Führungskraft ausgelösten Zinsen unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht zuzurechnen.

Der Führungskraft steht kein weiterer Anspruch auf eine variable Vergütung für 2019 zu. Die Arbeitgeberin war berechtigt, den Bonus für 2019 um 50 % zu kürzen.

Das konzerninterne Regelwerk als Rechtsgrundlage für die Entscheidung der Bonuskürzung gilt auch für das Arbeitsverhältnis der Führungskraft. In der Ebene 3 ist er unstreitig kein leitender Angestellter gemäß § 5 Absatz 3 BetrVG.

Die von der Arbeitgeberin vorgenommene hälftige Kürzung des Bonus für 2019 ist weder verfahrensrechtlich noch in der Sache von Rechts wegen zu beanstanden.

Der durch Befragung und Anhörung insbesondere der unterstellten Mitarbeiter und unter Einbeziehung einer schriftlichen Stellungnahme der Führungskraft ermittelte Sachverhalt rechtfertigt die Annahme eines Regelverstoßes mit hohem Risiko nach Maßgabe des in Nr. 3.1 Konzernbetriebsvereinbarung betriebsautonom bestimmten Tatbestandes “Schwere Verletzungen der körperlichen und psychischen Unversehrtheit”.

Der Sachverhalt, zu dem sich die Führungskraft nicht tatsächlich, sondern nur rechtlich verhalten hat, ist selbsterklärend und bedarf keiner juristischen Subsumtion.

Der Führungskraft steht gegen die Arbeitgeberin der geltend gemachte Beschäftigungsanspruch zu. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Die Führungskraft hat gegen die Arbeitgeberin einen Anspruch, als Leiter der Führungsebene 3 beschäftigt zu werden.

Nach seinem Arbeitsvertrag ist die Führungskraft berechtigt, als Leiter der Führungsebene 3 beschäftigt zu werden. Die Arbeitgeberin ist berechtigt, ihm auch andere seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechende Aufgaben zu übertragen oder ihn an einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz oder Tätigkeitsort zu versetzen. Die der Führungskraft zugewiesene Projektstelle entspricht nicht der Führungsebene 3, die arbeitsvertraglich zugesagt und auch nach der vertraglichen Versetzungsklausel die Grenze der Zumutbarkeit bestimmt.

Eine Revision zu dieser Entscheidung wurde nicht zugelassen.