Beendigung eines Telearbeitsplatzes ohne Zustimmung des Betriebsrats
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.10.2022, Aktenzeichen 7 ABR 34/20
Der Betriebsrat kann die Zustimmung zu einer personellen Maßnahme verweigern, wenn der betroffene Arbeitnehmer durch die personelle Maßnahme benachteiligt wird, ohne dass dies aus betrieblichen oder in seiner Person liegenden Gründen gerechtfertigt ist oder wenn die personelle Maßnahme gegen ein Gesetz oder einen Tarifvertrag verstößt.
Zum Ende der Elternzeit der Mitarbeiterin wurde im Jahr 2007 ein alternierender Telearbeitsplatz eingerichtet und damit der Mitarbeiterin ermöglicht, ihrer Arbeit überwiegend von zu Hause nachzugehen. In der Folgezeit erbrachte die Mitarbeiterin ganz überwiegend ihre Arbeitsleistung von zu Hause aus.
Im Zuge einer bundesweiten Umstrukturierung wurden Standorte der Arbeitgeberin zusammengeführt und teilweise geschlossen. In diesem Zusammenhang wurde die Mitarbeiterin an einen anderen Standort versetzt. Ihr alternierender Telearbeitsplatz blieb dabei erhalten.
Im Frühjahr 2018 wurde die Mitarbeiterin von ihrer zuständigen Führungskraft über die Absicht eines Widerrufs der Vereinbarung über die alternierende Telearbeit informiert.
Seit März 2019 wurden bei der Arbeitgeberin aufgrund eines Beschlusses der Geschäftsleitung sämtliche Telearbeitsplätze dahin überprüft, ob weiterhin Gründe für die Beibehaltung eines Telearbeitsplatzes bestehen. Hintergrund dieser Entscheidung waren Wirtschaftlichkeitsgründe sowie die Umsetzung des zukünftigen Arbeitsmodells „Desk Sharing“, welches verschiedene Formen des mobilen Arbeitens enthalten soll.
Im April 2019 leitete die Arbeitgeberin dem Betriebsrat einen Antrag auf Zustimmung zum Widerruf der Vereinbarung über die Einrichtung eines alternierenden Telearbeitsplatzes mit der Mitarbeiterin zum 1. Juli 2019 zu. Der Betriebsrat stimmte dem Widerruf nicht zu. Es habe keine notwendige Interessenabwägung bzw. Anhörung der Mitarbeiterin stattgefunden.
Zudem halte die Maßnahme die Vorgaben des § 106 Satz 1 GewO (Gewerbeverordnung) nicht ein. Die Arbeitgeberin könne den Widerruf der Telearbeit nur nach billigem Ermessen vornehmen. Dem genüge allein der Wegfall der Kinderbetreuungsnotwendigkeit nicht. Außerdem werde die Mitarbeiterin durch den Widerruf wegen der entstehenden Wegezeiten und Fahrtkosten benachteiligt. Eine betriebliche Notwendigkeit hierfür werde von der Arbeitgeberin nicht angegeben. Die Erbringung der Arbeit sei nach wie vor vom alternierenden Telearbeitsplatz möglich.
Die Arbeitgeberin argumentierte, eine Beteiligung des Betriebsrats sei nur für die Einrichtung eines Telearbeitsplatzes vorgesehen, nicht aber für dessen Auflösung.
Eine Interessenabwägung nach § 106 GewO habe sie nicht durchführen müssen, da sie mit dem Widerruf des Telearbeitsplatzes nicht von ihrem arbeitsvertraglichen Weisungsrecht Gebrauch mache. Unabhängig davon sei der Widerruf der Telearbeit interessengerecht, da alle Telearbeitsplätze auf deren Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit überprüft worden seien.
Es gelte nunmehr das Leitbild, wonach Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung grundsätzlich im Betrieb erbringen sollten. In der Organisationseinheit der Mitarbeiterin seien kurzfristige und enge Teamabstimmungen nötig, die eine persönliche Anwesenheit voraussetzten. Der Grund für den Abschluss der Telearbeitsvereinbarung mit der Mitarbeiterin – die Betreuung ihres Kindes – sei mittlerweile entfallen, da deren Tochter zwischenzeitlich 15 Jahre alt sei.
Die Arbeitgeberin beantragte beim Arbeitsgericht, die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen.
Das Arbeitsgericht ersetzte die Zustimmung des Betriebsrats. Die Beschwerde des Betriebsrats wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte der Betriebsrat weiterhin die Klageabweisung.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu der beabsichtigten personellen Maßnahme zu Recht ersetzt.
Die Arbeitgeberin hat ausdrücklich die Zustimmung des Betriebsrats zur vollständigen Rückkehr der Mitarbeiterin auf den Arbeitsplatz in der Betriebsstätte verlangt und damit auf die tatsächliche Beschäftigung und Eingliederung in die Betriebsstätte abgestellt. Bei einem interessengerechten Antragsverständnis kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie die Zustimmung des Betriebsrats auch zum Widerruf der alternierenden Telearbeit als Vertragserklärung verlangt.
Die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung bei einer Versetzung knüpft nur an die tatsächliche Zuweisung eines neuen Arbeitsbereichs als Realakt an.
Die Mitarbeiterin soll auf unabsehbare Zeit und damit länger als einen Monat nicht mehr in alternierender Telearbeit weitgehend an ihrem häuslichen Arbeitsplatz, sondern vollständig in der Betriebsstätte der Arbeitgeberin eingesetzt werden. Diese Maßnahme der Arbeitgeberin stellt – wie das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen hat – eine zustimmungspflichtige Versetzung im Sinne von § 99 Absatz 1 Satz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) dar.
Die Beendigung der alternierenden Telearbeit und ihre ausschließliche Beschäftigung an der Betriebsstätte ist mit einem dauerhaften Wechsel des regelmäßigen Arbeitsortes verbunden und bereits aus diesem Grund als Versetzung anzusehen.
Aus der Sicht eines betrieblichen Betrachters verändert sich aber auch das gesamte Tätigkeitsbild der Mitarbeiterin. Ohne Erfolg wendet die Arbeitgeberin im Rechtsbeschwerdeverfahren ein, die Mitarbeiterin habe auch im Rahmen der alternierenden Telearbeit Arbeitsleistungen an der betrieblichen Arbeitsstätte zu erbringen gehabt, weshalb sich das Bild der Tätigkeit nicht wesentlich ändere. Durch die vollständige Einbindung an der betrieblichen Arbeitsstätte ist die Mitarbeiterin anders in die Aufgabenerfüllung und in den Betriebsablauf eingebunden als bei der ganz überwiegenden Erbringung der Arbeitsleistung an der heimischen Arbeitsstätte.
Die Tarifvertragsparteien des Tarifvertrages Telearbeit haben das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim Wechsel eines Arbeitnehmers vom alternierenden Telearbeitsplatz zurück in die betriebliche Arbeitsstätte in § 2 Absatz 6 der Anlage 1 des TV Telearbeit nicht beseitigt. Darin ist lediglich geregelt, dass beim Wechsel eines Arbeitnehmers auf einen alternierenden Telearbeitsplatz der Betriebsrat nach den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes beteiligt wird.
Das Betriebsverfassungsgesetz enthält Mindestbestimmungen über die Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Die Tarifvertragsparteien können diese nicht wirksam ausschließen, sofern nicht das Betriebsverfassungsgesetz selbst eine solche Möglichkeit – etwa nach Maßgabe des § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG – vorsieht.
Das Landesarbeitsgericht hat die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Versetzung der Mitarbeiterin zu Recht ersetzt.
Ohne Erfolg macht der Betriebsrat geltend, er sei nicht über die konkreten Auswirkungen der Versetzung auf die Tätigkeit der Mitarbeiterin und die in ihrem Bereich eingesetzten Kolleginnen und Kollegen unterrichtet worden. Aus dem Fehlen entsprechender Angaben war für den Betriebsrat hinreichend erkennbar, dass der künftige Einsatz in der Betriebsstätte die weiteren Vertragsinhalte unberührt lassen sollte.
Unschädlich ist, dass in der Unterrichtung nicht gesondert angeführt wird, wie die Arbeitgeberin ihre Interessen gegen die der Mitarbeiterin abgewogen hat. Die hierfür maßgeblichen Aspekte ergeben sich aus dem der Unterrichtung beigefügten Word-Dokument. Es wäre Sache des Betriebsrats gewesen, die Arbeitgeberin innerhalb der einwöchigen Stellungnahmefrist um Vervollständigung aus seiner Sicht fehlender Auskünfte zu bitten.
Der Vollständigkeit der Unterrichtung steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin die beabsichtigte personelle Maßnahme nicht als „Versetzung“ bezeichnet hat und sie den Betriebsrat nicht ausdrücklich um Zustimmung nach § 99 Absatz 1 BetrVG ersucht hat. Für den Antrag der Arbeitgeberin auf Zustimmung zu einer der in § 99 Absatz 1 Satz 1 BetrVG bezeichneten personellen Maßnahmen sieht das Gesetz keine besondere Form vor. Für den Betriebsrat konnte sich kein Zweifel ergeben, dass die Arbeitgeberin, die im Zustimmungsantrag auf § 99 BetrVG Bezug genommen hat, seine Zustimmung zu einer Versetzung beantragen wollte.
Der Betriebsrat kann bei einer personellen Einzelmaßnahme seine Zustimmung nach § 99 Absatz 2 Nr. 1 BetrVG verweigern, wenn die personelle Maßnahme gegen die dort genannten Rechtsvorschriften – und damit auch gegen ein Gesetz oder einen Tarifvertrag – verstoßen würde. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Einstellungen und Versetzungen ist dagegen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kein Instrument zur umfassenden Vertragsinhaltskontrolle. Es ist nicht Aufgabe des Betriebsrats im Rahmen des § 99 Absatz 2 Nr. 1 BetrVG, die Einhaltung des Inhalts des Arbeitsvertrags zu überwachen.
Danach konnte der Betriebsrat seine Zustimmungsverweigerung im Hinblick auf die Versetzung der Mitarbeiterin nicht mit Erfolg auf die von ihm geltend gemachten Normverstöße im Sinne von § 99 Absatz 2 Nr. 1 BetrVG stützen.
Soweit der Betriebsrat geltend macht, die Maßnahme verletze § 6 des Manteltarifvertrags DeTeAccounting, weil nicht erkennbar sei, dass die Arbeitgeberin bei der geplanten Maßnahme ihre betrieblichen Interessen mit den Interessen der Mitarbeiterin abgewogen habe, kann dies die Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats nicht rechtfertigen. Der Norm lässt sich nicht entnehmen, dass nur diejenige Arbeitnehmerin im Anschluss an eine Versetzung in dem anderweitigen Tätigkeitsbereich tatsächlich eingesetzt werden darf, die zuvor eine den Anforderungen von § 6 MTV DeTeAccounting genügende Weisung erhalten hat.
Die vom Betriebsrat geltend gemachte Verletzung von § 106 Satz 1 GewO und die in diesem Zusammenhang monierte Unwirksamkeit der nach § 13 Absatz 1 der Anlage 1 TV Telearbeit vorgesehenen Widerrufsmöglichkeit keinen Gesetzesverstoß dar, auf den der Betriebsrat mit Erfolg seine Zustimmungsverweigerung stützen könnte. Es handelt sich vielmehr lediglich um Fragen, die die individualrechtliche Wirksamkeit des Widerrufs der alternierenden Telearbeit gegenüber der Mitarbeiterin betreffen, nicht aber deren Einsatz in der Betriebsstätte als Realakt entgegenstehen könnten.
Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass der Betriebsrat die Zustimmung zur Versetzung der Mitarbeiterin auch nicht unter Berufung auf den Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Absatz 2 Nr. 4 BetrVG verweigern konnte. Nach dieser Bestimmung kann der Betriebsrat die Zustimmung zu einer personellen Maßnahme verweigern, wenn der betroffene Arbeitnehmer durch die personelle Maßnahme benachteiligt wird, ohne dass dies aus betrieblichen oder in seiner Person liegenden Gründen gerechtfertigt ist.
Die Zustimmungsverweigerung kann bei Vorliegen einer die Versetzung bedingenden unternehmerischen Entscheidung nicht auf eine Interessenabwägung zwischen den Nachteilen des Arbeitnehmers und den Belangen der Arbeitgeberin gestützt werden. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats dient das Beteiligungsrecht nicht dazu, die Maßnahme der Arbeitgeberin einer umfassenden Kontrolle zu unterziehen.
Die Versetzung ist daher bei Deckungsgleichheit von Organisations- und Versetzungsentscheidung nur dann als aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt anzusehen, wenn die Arbeitgeberin ihre Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit verdeutlicht.
Die mit der Beendigung der alternierenden Telearbeit und der beabsichtigten Beschäftigung in der Betriebsstätte einhergehende Verschlechterung der äußeren Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterin – insbesondere die Notwendigkeit der regelmäßigen Anreise von ihrem Wohnort mit entsprechenden Fahrtzeiten und Kosten – stellt zwar einen Nachteil im Sinne von § 99 Absatz 2 Nr. 4 BetrVG dar. Diese Nachteile sind aber aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung der Arbeitgeberin aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt.
Nach den vom Landesarbeitsgericht im angefochtenen Beschluss in Bezug genommenen und vom Betriebsrat nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Arbeitsgerichts wurden bei der Arbeitgeberin seit März 2019 aufgrund eines Beschlusses der Geschäftsleitung sämtliche bestehenden Telearbeitsplätze dahin überprüft, ob weiterhin Gründe für die Beibehaltung eines Telearbeitsplatzes bestehen. Hintergrund dieser Entscheidung waren Wirtschaftlichkeitsgründe sowie die Umsetzung des zukünftigen Arbeitsmodells „Desk Sharing“. In Vollzug dieser Vorgabe hat die Arbeitgeberin entschieden, den im Haushalt der Mitarbeiterin vorgehaltenen außerbetrieblichen Arbeitsplatz zum 1. Juli 2019 aufzugeben und deren Arbeitsplatz ab diesem Zeitpunkt räumlich in die Betriebsstätte zu verlegen. Diese unternehmerische Entscheidung geht dadurch über die rein individuelle Veränderung des Einsatzortes der Mitarbeiterin hinaus. Die Arbeitgeberin gibt zugleich den für die Mitarbeiterin eingerichteten und vorgehaltenen Telearbeitsplatz außerhalb der Betriebsstätte auf und verlegt diesen wieder zurück in den Betrieb. Dadurch besteht keine Beschäftigungsmöglichkeit für die Mitarbeiterin am bisherigen häuslichen Beschäftigungsort.
Zwar sind die Organisationsentscheidung der Arbeitgeberin einerseits und ihr Entschluss, die Mitarbeiterin künftig an der Betriebsstätte einzusetzen andererseits, weitgehend deckungsgleich. Die Entscheidung der Arbeitgeberin, den Arbeitsplatz der Mitarbeiterin wieder in die Betriebsstätte zu verlegen, die zweifelsohne organisatorisch durchführbar ist, beruht jedoch auf sachlich nachvollziehbaren, plausiblen Gründen.
Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, die von der Arbeitgeberin angeführten Gründe für die Verlagerung des Arbeitsplatzes, in der Organisationseinheit der Mitarbeiterin seien kurzfristige und enge Teamabstimmungen notwendig, die eine persönliche Anwesenheit voraussetzten, weshalb auch andere Mitarbeiter ihre Arbeitsleistung in der Betriebsstätte erbringen müssten, stellten hinreichende betriebliche Gründe dar.
Soweit der Betriebsrat einwendet, es bestehe nach wie vor die Möglichkeit, die Mitarbeiterin an ihrem häuslichen Arbeitsplatz zu beschäftigen, verkennt er, dass die Entscheidung der Arbeitgeberin grundsätzlich als gegeben hinzunehmen ist, soweit sie nicht als willkürlich anzusehen ist.
Es ist auch nachvollziehbar, dass die Arbeitgeberin dem Aspekt der Kinderbetreuung vor dem Hintergrund des fortgeschrittenen Alters des Kindes der Mitarbeiterin kein entscheidendes Gewicht mehr beigemessen hat.