Immaterieller Schadenersatz gem. DSGVO
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05. Mai 2022, Aktenzeichen 2 AZR 363/21
Ein Schadenersatzanspruch nach der Datenschutzgrundverordnung ist dann gerechtfertigt, wenn man von Schäden sprechen kann, die einer Person aufgrund einer Verarbeitung entstehen, die mit dieser Verordnung nicht im Einklang steht.
Eine Hauswirtschafterin war bis Februar 2020 bei der Arbeitgeberin mit einer regelmäßigen Arbeitszeit beschäftigt. Die Hauswirtschafterin machte im Januar 2020 außergerichtlich gegenüber der Arbeitgeberin einen Auskunftsanspruch nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Hinblick auf sämtliche bei ihr gespeicherten Daten, insbesondere die Daten der Arbeitszeiterfassung geltend, mit Fristsetzung zum 13. Februar 2020.
Mit Schriftsatz vom 19. Februar 2020 hat die Hauswirtschafterin im Wege einer Stufenklage Auskunft über ihre im Zeitraum vom 1. März 2019 bis zum 30. Januar 2020 geleistete Arbeitszeit, eine eidesstattliche Versicherung über die Richtigkeit der Auskunft und eine sich aus der Auskunft ergebende Nachzahlung von Vergütung begehrt.
Mit Schreiben vom 13. August 2020 übersandte ihr die Arbeitgeberin die Stundenzettel und -nachweise für den fraglichen Zeitraum. Mit Schriftsatz vom 14. August 2020 hat die Hauswirtschafterin die Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten immateriellen Schadenersatzes „auf der Grundlage von Artikel 15 DSGVO“ verlangt.
Da die Arbeitgeberin dem Auskunftsbegehren nicht nachgekommen sei, habe sie Anspruch auf immateriellen Schadenersatz nach Artikel 82 DSGVO, der mindestens 6.000,00 Euro betrage.
Der Auskunftsanspruch wurde vor dem Arbeitsgericht übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Hauswirtschafterin verlangte noch einen immateriellen Schadenersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Das Arbeitsgericht wies die Klage auf Schadenersatz ab. Das Landesarbeitsgericht hat ihr unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung in Höhe von 1.000,00 Euro nebst Zinsen stattgegeben. Mit ihrer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgt die Hauswirtschafterin ihr Begehren auf Zahlung eines höheren Schadenersatzes weiter.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Hauswirtschafterin zu Recht keinen über 1.000,00 Euro hinausgehenden Schadenersatz zugesprochen. Da sich die Arbeitgeberin gegen ihre Verurteilung nicht mit einem eigenen Rechtsmittel gewandt hat, ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts insoweit mit dem Ablauf der Frist für eine mögliche Anschlussrevision rechtskräftig geworden.
Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob allein eine nicht vollständige Erfüllung des Auskunftsanspruchs einen immateriellen Schaden im Sinne von Artikel 82 Absatz 1 DSGVO begründen kann.
Die Nichterfüllung oder nicht vollständige Erfüllung des Auskunftsanspruchs nach Artikel 15 Absatz 1 DSGVO muss für sich genommen nicht gleichbedeutend mit einer verordnungswidrigen Verarbeitung sein.
Ebenso kann zugunsten der Hauswirtschafterin unterstellt werden, dass ein Schadenersatzanspruch nach Artikel 82 Absatz 1 DSGVO keinen in bestimmter Weise qualifizierten Verstoß gegen die DSGVO, also kein Überschreiten einer gewissen Erheblichkeitsschwelle, voraussetzt.
Beide Fragen sind für das vorliegende Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, da sich die Entscheidung, soweit sie von der Hauswirtschafterin angefochten ist, als rechtsfehlerfrei erweist.
Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass es bei der Bestimmung der von der Hauswirtschafterin in sein Ermessen gestellten Höhe des Schadenersatzes gemäß § 287 Absatz 1 Satz 1 ZPO (Zivilprozessordnung) alle Umstände des Einzelfalls würdigen musste.
Artikel 79 Absatz 1 DSGVO sieht lediglich vor, dass jede betroffene Person das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf hat, wenn sie der Ansicht ist, dass die ihr aufgrund der DSGVO zustehenden Rechte infolge einer nicht mit ihr im Einklang stehenden Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten verletzt wurden.
Dem Äquivalenz- oder Effektivitätsgrundsatz ist durch die Anwendung von § 287 Absatz 1 Satz 1 ZPO Rechnung getragen. Die Bestimmung findet ebenso bei der Durchsetzung anderer Ansprüche auf immateriellen Schadenersatz Anwendung.
Sie ermöglicht überdies in besonderer Weise eine effektive Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen, weil sie nach Wahl der Klägerin das Beweismaß mindert.
Das Landesarbeitsgericht hat die Höhe des immateriellen Schadenersatzes mit 1.000,00 Euro nicht ermessensfehlerhaft zu niedrig festgesetzt.
Bei der Bemessung der Höhe eines Schadenersatzanspruchs nach § 287 Absatz 1 ZPO steht den Tatsachengerichten ein weiter Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen sie die Besonderheiten jedes einzelnen Falls zu berücksichtigen haben.
Ob die vom Berufungsgericht als naheliegend erachtete Orientierung am Kriterienkatalog in Artikel 83 Absatz 2 Satz 2 DSGVO möglich oder sogar geboten ist, kann dahinstehen. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, hätte sich das Landesarbeitsgericht nicht von sachfremden Erwägungen zulasten der Hauswirtschafterin leiten lassen.
Es hat zunächst zugunsten der Hauswirtschafterin in Rechnung gestellt, dass die Arbeitgeberin eine vollständige Auskunft nach Artikel 15 Absatz 1 DSGVO bis zuletzt nicht erteilt und ihre Verpflichtung jedenfalls grob fahrlässig verkannt habe.
Es hat das Auskunftsbegehren dahin ausgelegt, dass es der Hauswirtschafterin maßgeblich um die Arbeitszeitaufzeichnungen gegangen sei.
Damit hat das Landesarbeitsgericht eine Gewichtung des konkreten Ausmaßes der Beeinträchtigung der Hauswirtschafterin durch die nicht vollständige Erfüllung ihres Auskunftsanspruchs vorgenommen und dieser eine relativ geringere Bedeutung beigemessen, als wenn es der Hauswirtschafterin ebenso maßgeblich um Auskunft über ihre übrigen bei der Arbeitgeberin gespeicherten personenbezogenen Daten gegangen wäre.
Wenn die Erlangung von Kontrolle über ihre übrigen personenbezogenen Daten nicht das primäre Ziel der Hauswirtschafterin war, wiegt auch die Beeinträchtigung durch das Vorenthalten dieses Teils der begehrten Auskunft weniger schwer.
Zugunsten der Hauswirtschafterin kann unterstellt werden, dass dem Anspruch ein Präventionscharakter zukommt. Seine vom Landesarbeitsgericht festgesetzte Höhe hat hinreichend abschreckende Wirkung.
Der Betrag von 1.000,00 Euro ist fühlbar und hat nicht nur symbolischen Charakter.
Der immaterielle Schaden nach DSGVO hat, anders als eine Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG (Allgemeines Gleichstellungsgesetz), keinen erkennbaren Bezug zur Höhe eines dem Gläubiger zustehenden Arbeitsentgelts, so dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es sich dabei um ein relevantes Bemessungskriterium für die Höhe des Schadenersatzes handeln könnte.
Entgegen der Auffassung der Hauswirtschafterin musste das Landesarbeitsgericht dem Umstand, dass die Arbeitgeberin anwaltlich vertreten war, auch unter dem Gesichtspunkt der Prävention keine den Schadenersatzanspruch erhöhende Bedeutung beimessen.
Die Abschreckungsfunktion kann sich nur auf die Vermeidung künftiger Verstöße gegen die DSGVO beziehen, nicht aber darauf, ob sich eine Partei bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach der DSGVO anwaltlich hat vertreten lassen.