Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.08.2022, Aktenzeichen 5 AZR 154/22
Die Arbeitgeberin kann keine Quarantäne für Arbeitnehmer anordnen, weil eine solche Anweisung diese in ihrer Privatsphäre betrifft und durch das Direktionsrecht nicht in den Bereich der privaten Lebensführung eingegriffen werden darf. Die Anordnung eines 14-tägigen Betretungsverbots für den Betrieb bei gleichzeitigem Verlust des Vergütungsanspruchs ist für Rückkehrer aus einem SARS-CoV-2 Risikogebiet unverhältnismäßig.
Ein Mitarbeiter in einem Betrieb, der Lebensmittel produziert, reiste während des ihm von der Arbeitgeberin gewährten Urlaubs vom 11. August bis zum 14. August 2020 aufgrund des Todes seines Bruders in die Türkei, die zu dieser Zeit vom Robert-Koch-Institut (RKI) als Corona-Risikogebiet ausgewiesen war. Vor der Ausreise aus der Türkei unterzog er sich einem Corona-PCR-Test, der ebenso wie der erneute Test nach Ankunft in Deutschland einen negativen Befund aufwies. Der Arzt des Mitarbeiters attestierte diesem unter dem Datum des 17. August 2020 Symptomfreiheit.
Am 17. August 2020 suchte der Mitarbeiter den Betrieb auf, füllte die von der Arbeitgeberin geforderte Selbstauskunft zur Gesundheitsfürsorge COVID-19 aus und erklärte, er sei am 15. August 2020 aus einem Risikogebiet zurückgekehrt. Darauf wurde er am Werkstor abgewiesen und durfte seinen Arbeitsplatz nicht aufsuchen. Mit Schreiben vom selben Tag wies der Mitarbeiter auf seine negativen Corona-Testergebnisse hin und bot seine Arbeitskraft an.
Die Arbeitgeberin teilte unter Verweis auf das Infektionsrisiko mit, der Mitarbeiter dürfe bis einschließlich 29. August 2020 das Werksgelände nicht betreten und habe der Arbeit fernzubleiben. Für diese Zeit habe er keinen Vergütungsanspruch, er könne aber Urlaub in Anspruch nehmen. Das Arbeitszeitkonto für den Monat August 2020 weist Abwesenheit des Mitarbeiters wegen Urlaubs in der streitgegenständlichen Zeit aus.
Vor dem Arbeitsgericht hat der Mitarbeiter Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Zeitraum 17. August bis 28. August 2020 verlangt und geltend gemacht, die Arbeitgeberin habe zu Unrecht die Entgegennahme seiner Arbeitsleistung verweigert.
Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben und weiterhin festgestellt, dass der Mitarbeiter aus dem Jahr 2020 noch einen Urlaubsanspruch von zehn Tagen hat. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Arbeitgeberin zurückgewiesen und die Revision eingeschränkt in Bezug auf die Zahlung von Vergütung zugelassen. Insoweit verfolgte die Arbeitgeberin mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, der Mitarbeiter hat für die Zeit vom 17. August bis zum 28. August 2020, während derer die Arbeitgeberin ihn nicht beschäftigt hat, Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung in ausreichender Weise angeboten hat.
Der Mitarbeiter hat seine Leistung tatsächlich angeboten, indem er am 17. August 2020 nach dem Ende des ihm gewährten Urlaubs seine Arbeit bei der Arbeitgeberin wiederaufnehmen wollte und hierzu persönlich am Betrieb erschienen ist. Dieses Angebot hat die Arbeitgeberin nicht angenommen, dem Mitarbeiter wurde der Zutritt zum Werksgelände verweigert. Mit Schreiben vom 21. August 2020 hat die Arbeitgeberin überdies ausdrücklich erklärt, sie werde die Arbeitsleistung des Mitarbeiters bis einschließlich 29. August 2020 nicht annehmen.
Der Annahme eines wirksamen tatsächlichen Angebots steht das bei der Arbeitgeberin geltende Hygienekonzept nicht entgegen. Soweit danach Rückkehrer aus einem Risikogebiet einem 14-tägigen Zutrittsverbot zum Betrieb unterliegen, handelt es sich entgegen der Auffassung der Revision nicht um eine Weisung, welche die Arbeitsleistung betrifft (§ 106 Satz 1 Gewerbeordnung) und damit bei der Prüfung der Wirksamkeit des Arbeitsangebots zu berücksichtigen wäre. Die Anordnung bezieht sich vielmehr auf Ordnung und Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb (§ 106 Satz 2 Gewerbeordnung).
Das auf der Grundlage des betrieblichen Hygienekonzepts angeordnete Zutrittsverbot betrifft das Zusammenleben und die Zusammenarbeit der Arbeitnehmer im Betrieb, indem es bestimmt, wer unter bestimmten Voraussetzungen den Betrieb zum Schutz der Betriebs- und Arbeitsmittel und der geschäftlichen Interessen der Arbeitgeberin nicht betreten und mit den Arbeitskollegen zusammenarbeiten darf.
Der Mitarbeiter war im Streitzeitraum auch leistungsfähig. Leistungsfähigkeit setzt voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich und rechtlich zur geschuldeten Arbeitsleistung in der Lage ist.
Die Rechtsprechung legt zugrunde, dass Annahmeverzug auch dann eintritt, wenn der Gläubiger die tatsächliche oder rechtliche Leistungsunfähigkeit des Schuldners herbeiführt. § 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) soll immer, aber auch nur dann eingreifen, wenn die Ursache der Nichterbringung der Arbeitsleistung auf Seiten der Arbeitgeberin liegt und diese die ihr ordnungsgemäß angebotene Leistung des Arbeitnehmers nicht annehmen will oder kann.
Bereits der Wortlaut des § 615 Satz 1 BGB verlangt für die Aufrechterhaltung des Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmers nur, dass die Arbeitgeberin die vom leistungswilligen und leistungsfähigen Arbeitnehmer angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt. Aus welchem Grund dies geschieht und ob die Arbeitgeberin dies verschuldet hat, ist – anders als beim Schuldnerverzug (§ 286 Absatz 4 BGB) – ohne Bedeutung.
Jedes den Erfüllungseintritt verhindernde Verhalten der Arbeitgeberin ist letztlich eine Nichtannahme der Leistung. Ausreichend ist die „nackte Tatsache“ der Nichtannahme. Handelt es sich um Leistungshindernisse, die ihre Ursache in dem von der Arbeitgeberin bereitzustellenden Sachsubstrat oder der von ihr zu regelnden Arbeitsorganisation haben, ist sie deshalb grundsätzlich zur Zahlung der Annahmeverzugsvergütung verpflichtet.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Einwand der Arbeitgeberin, der Mitarbeiter sei im Streitzeitraum nicht leistungsfähig gewesen, unbegründet.
Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der Mitarbeiter im Zeitraum 17. August bis 28. August 2020 in tatsächlicher Hinsicht imstande, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, auch die Arbeitgeberin hält keinen Vortrag zu einer etwaigen Erkrankung des Mitarbeiters, etwa an COVID-19.
Der Mitarbeiter war im Streitzeitraum auch rechtlich in der Lage, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Weder öffentlich-rechtliche Vorgaben einer Absonderungspflicht (sog. Quarantäne) noch das von der Arbeitgeberin ausgesprochene Betretungsverbot des Betriebs machten dem Mitarbeiter die Arbeitsleistung rechtlich unmöglich.
Der Mitarbeiter war nicht aufgrund gesetzlicher oder verordnungsrechtlicher Vorgaben verpflichtet, sich nach seiner Rückkehr aus der Türkei am 15. August 2020 in Quarantäne zu begeben, obwohl die Türkei zu diesem Zeitpunkt vom RKI als Risikogebiet ausgewiesen war. Eine bundesgesetzliche Vorgabe oder bundesweit geltende Verordnung zur Einhaltung einer Quarantäne nach Reiserückkehr aus einem Risikogebiet bestand unmittelbar vor und auch während des Streitzeitraums nicht.
Der Mitarbeiter war nicht aufgrund landesrechtlicher Verordnung verpflichtet, sich nach Rückkehr aus der Türkei in Quarantäne zu begeben. Er erfüllte die Voraussetzungen der Ausnahme von der Quarantänepflicht aus der SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin.
Der Mitarbeiter verfügte mit dem Testzertifikat vom 14. August 2020 über ein ärztliches Zeugnis sowie einen aktuellen Laborbefund in englischer Sprache, die ein negatives Testergebnis auf Basis einer molekularbiologischen Testung (PCR-Test) ausweisen. Das ärztliche Attest vom 17. August 2020 bestätigte das negative Testergebnis. Der PCR-Test wurde innerhalb der maßgeblichen Zeitspanne von höchstens 48 Stunden vor Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorgenommen. Der Abstrich erfolgte ausweislich des Dokuments am 13. August 2020. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts reiste der Mitarbeiter am 15. August 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die weitere Voraussetzung der Symptomfreiheit nach der Eindämmungsmaßnahmenverordnung wird ebenfalls durch das ärztliche Attest vom 17. August 2020 bestätigt.
Die Arbeitgeberin hat dem Mitarbeiter für die Dauer von 14 Tagen untersagt, den Betrieb zu betreten. Ziffer 2 des Hygienekonzepts und die Mitarbeiterinformation vom 17. Juni 2020 geben den Arbeitnehmern ausdrücklich vor, nach der Rückkehr aus einem Risikogebiet – wie der Türkei – für die Dauer von 14 Tagen zu Hause zu bleiben. Unabhängig davon, dass die Arbeitgeberin keine Quarantäne für die Arbeitnehmer anordnen kann, weil eine solche Anweisung diese in ihrer Privatsphäre betrifft und durch das Direktionsrecht nach § 106 Satz 2 GewO nicht in den Bereich der privaten Lebensführung eingegriffen werden darf, beinhaltet diese Anordnung für den Mitarbeiter zugleich ein Betretungsverbot des Betriebs bzw. ein Hausverbot für die Dauer von 14 Tagen nach Rückkehr aus dem Risikogebiet Türkei.
Das vorübergehende Betretungsverbot, das die Arbeitgeberin dem Mitarbeiter erteilt hat, führt nicht zu einem Unvermögen im Sinne des § 297 BGB zur Erbringung der Arbeitsleistung. Die Arbeitgeberin hat hiermit – ebenso wie bei einer Freistellung während der Kündigungsfrist – selbst die Ursache dafür gesetzt, dass der Mitarbeiter nicht an seinen Arbeitsplatz gelangen konnte, ohne das Hausrecht zu verletzen. Das Leistungshindernis hat damit seine Ursache in der von ihr geregelten Arbeitsorganisation.
Die Arbeitgeberin hat nicht dargelegt, dass ihr die Annahme der Arbeitsleistung aufgrund der konkreten betrieblichen Umstände unzumutbar war. Sie hat keinen Vortrag dazu gehalten, dass die konkreten betrieblichen Umstände am Arbeitsplatz des Mitarbeiters als Leiter der Nachtreinigung die Annahme der Arbeitsleistung mit Blick auf das Infektionsrisiko unzumutbar gemacht hätten. Auf die konkrete betriebliche Situation kam es der Arbeitgeberin nicht an.
Der Arbeitgeberin standen in Bezug auf Reiserückkehrer aus Risikogebieten andere, mildere Mittel zur Verfügung, das Risiko eines Eintrags des Virus in ihren Betrieb deutlich zu verringern und so den erforderlichen Arbeitsschutz zu gewährleisten. Die Anordnung eines 14-tägigen Betretungsverbots für den Betrieb bei gleichzeitigem Verlust des Vergütungsanspruchs ist unverhältnismäßig. Der Arbeitgeberin standen mildere Mittel zur Verfügung, um den nach § 618 Absatz 1 BGB erforderlichen und angemessenen Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer zu erreichen, einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherzustellen und zugleich die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer zu wahren. Die Arbeitgeberin hätte etwa ein Betretungsverbot unter Fortzahlung der Vergütung aussprechen können.
Sie hätte auch für Reiserückkehrer aus Risikogebieten vor der Arbeitsaufnahme die Vorlage eines weiteren aktuellen negativen PCR-Tests verlangen können, der zusätzlich zu den öffentlich-rechtlich durch die SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin verlangten Tests hätte durchgeführt werden müssen. Dadurch hätte sie das Risiko eines Eintrags des Virus in ihren Betrieb weitgehend ausschließen können.
Das angeordnete 14-tägige Betretungsverbot für den Betrieb bei gleichzeitigem Verlust des Vergütungsanspruchs erweist sich hiernach auch unter Berücksichtigung des an sich anerkennenswerten Ziels, den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu optimieren und den Betrieb aufrechtzuerhalten, als nicht erforderlich, jedenfalls aber als nicht verhältnismäßig im engeren Sinne und daher unbillig im Sinne von § 106 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 GewO. Die Arbeitgeberin hat hierdurch einseitig und mit weitreichenden Folgen für die Arbeitnehmer ihr Interesse an der Aufrechterhaltung eines ungestörten Betriebsablaufs durchgesetzt, ohne berechtigte Interessen der Arbeitnehmer angemessen zur Geltung zu bringen. Da der Arbeitgeberin andere, mildere Mittel zur Erreichung ihrer arbeitsschutzrechtlichen Ziele zur Verfügung standen, als den Mitarbeiter unter Ausschluss der Entgeltansprüche 14 Tage nicht zu beschäftigen, war ihr die Annahme der Arbeitsleistung des Mitarbeiters nicht objektiv unzumutbar.
Die Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub setzt voraus, dass der Arbeitnehmer im Voraus durch eine unwiderrufliche Freistellungserklärung der Arbeitgeberin zu Erholungszwecken von einer sonst bestehenden Arbeitspflicht befreit wird. Eine Freistellungserklärung ist nur geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen kann und muss, dass die Arbeitgeberin ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht freistellen will. Eine Freistellungserklärung, die diesen Anforderungen gerecht wird, hat die Arbeitgeberin gegenüber dem Mitarbeiter nicht abgegeben.
Die Aussage, der Mitarbeiter habe „die Möglichkeit, … Lohnfortzahlung durch Urlaubstage … zu kompensieren“, beinhaltet keine erkennbare Freistellungserklärung unter Einbringung von Urlaubsansprüchen.