Vergütung Betriebsratsarbeit
Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 10.05.2023, Aktenzeichen 3 Ca 74/21
Ein Betriebsratsmitglied darf aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit keinen wirtschaftlichen Nachteil erleiden. Eine Benachteiligung ist dabei jede Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht.
Ein Autoverkäufer ist seit Oktober 2009 im bei der Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrat tätig.
In den letzten Jahren hat sein Anteil der Betriebsratstätigkeit zugenommen, während sich gleichzeitig seine Arbeitszeiten in gleichem Umfang verringerten.
Der Autoverkäufer hat das Betriebsratsamt des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden sowie des Stellvertreters im Konzernbetriebsrat inne. Darüber hinaus ist er als Ersatzmitglied für den Konzernbetriebsrat tätig. Der Autoverkäufer ist außerdem festes Mitglied in verschiedenen Fachausschüssen und an der Erstellung von Provisionssystemen für den gesamte Konzern beteiligt. Zudem ist der Autoverkäufer Mitglied des Corona-Kernteams, welches die Umsetzung von Maßnahmen während der Corona-Pandemie koordiniert, sowie Mitglied der Tarifkommission für die bei der Arbeitgeberin abgeschlossenen Tarifverträge auf Seiten der IG Metall. Zur Erledigung dieser betrieblichen Amtsaufgaben wird der Autoverkäufer anlassbezogen von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.
Für die Zeiten der Betriebsratstätigkeit des Autoverkäufers ist die Vergütung streitig, insbesondere die Berechnung der Provisionen sowie der für die Ausfallzeiten zu zahlenden Durchschnittsvergütung, das sogenannte Schnittgeld.
In diesem Rahmen begehrt der Autoverkäufer im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über die Gehaltsentwicklung von mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmern der Arbeitgeberin, sowie Auskunft über seine eigene Arbeitsleistung und Vergütung im Zeitraum der Jahre 2018 bis zum 2021.
Neben einem fixen Arbeitsentgelt gibt es für die Autoverkäufer Provisionen und Verkaufsprämien. Über die Zahlung des Schnittgeldes gab es in der Vergangenheit zwischen den Parteien Auseinandersetzungen, die im Jahr 2014 in einen Rechtsstreit mündeten, der mit einem Vergleich endete.
Demnach erhält der Autoverkäufer für jeden vollen Arbeitstag, an dem er an der Arbeitsleistung auf Grund von Betriebsratstätigkeiten wegen Krankheit, Urlaub oder der Teilnahme eines Seminars außerhalb der Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit verhindert ist, von der Arbeitgeberin neben dem Festgehalt für diesen Tag ein so genanntes Schnittgeld.
Der Autoverkäufer meint, der Umfang seiner Betriebsratstätigkeit müsse bei der Provisionsberechnung stärker berücksichtigt werden. Dazu führt er aus, zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses sei die Berechnung in der vereinbarten Form angemessen gewesen, da der Anteil der zu leistenden Betriebsratsarbeit in einem deutlich geringeren Anteil angefallen sei, als die arbeitsvertraglich geleistete Arbeit.
Seine Betriebsratstätigkeit habe sich mittlerweile jedoch massiv ausgeweitet, sodass diese nun deutlich umfangreicher sei als zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses. Bis zum Jahr 2020 sei der Anteil der Betriebsratsarbeit auf 66% angewachsen. Die im Vergleich vereinbarte Schnittberechnung entspreche daher nicht mehr den tatsächlichen Begebenheiten, in welchen der Autoverkäufer arbeite. Die Arbeitgeberin zahle ihm eine unzureichende Ausgleichvergütung. Dies führe zu mangelnder Entgeltgerechtigkeit. Seine Vergütung sei nach dem Durchschnitt der anderen Verkäufer der Arbeitgeberin, als vergleichbare Arbeitnehmer im Sinne des § 37 Absatz 4 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz), zu berechnen.
Bei einem höheren Umfang der Betriebsratstätigkeit stehe die fehlende Möglichkeit der Provisionserwirtschaftung entgegen, so dass der Schnittgeldanspruch mit zunehmender Betriebsratstätigkeit sinke.
Bisher habe die Arbeitgeberin auch nur ungenügend Auskunft über die Vergütung der vergleichbaren Arbeitnehmer gegeben.
Die Arbeitgeberin entgegnete, sie sei nicht verpflichtet die begehrten Informationen zu beschaffen, auch wenn sie dies bereits getan habe.
Ein enormer Anstieg der Betriebstätigkeit des Autoverkäufers seit dem Vergleichsschluss 2014 sei gar nicht aufgetreten. Der Autoverkäufer habe im Jahr 2018 einen Betriebsratstätigkeitsumfang von 36,27 % gehabt. Zuletzt behauptet die Arbeitgeberin, die Betriebsratstätigkeit des Autoverkäufers sei bis zum Jahr 2020 lediglich auf 63,45 % angestiegen. Im Übrigen bestehe keine Korrelation zwischen dem Umfang der Betriebsratstätigkeit und der Provision.
Das Arbeitsgericht wies die Klage als unbegründet ab.
Aus der Klagebegründung ergibt sich hierbei, dass der Autoverkäufer letztlich die Zahlung des Entgelts für den Zeitraum seiner Freistellung begehrt, wobei er mittels der begehrten Informationen lediglich die Angemessenheit dieser Entgeltfortzahlung überprüfen möchte. Der Autoverkäufer verfolgt mit der begehrten Information im Ergebnis die Zahlung seiner Vergütung ohne Minderung, ungeachtet seiner Betriebsratstätigkeit.
Die geltend gemachten Auskunftsansprüche scheitern daran, dass die Parteien im Jahr 2014 in Bezug auf die Berechnung der Auswahlvergütung eine zulässige Einigung in Bezug auf die tatsächlichen Parameter gefunden haben. Vor dem Hintergrund dieser Einigung erübrigen sich andere Auskunftsersuchen zum Zwecke einer anderweitigen Berechnung.
Die auf Auskunft gerichteten Anträge sind unbegründet. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 611a, 242 BGB in Verbindung mit §§ 37 Absatz 4, 78 Satz 2 BetrVG. Es fehlt an dem die Zahlungsanträge vorbereitenden Charakter. Die begehrten Informationen sind für die Geltendmachung der vom Autoverkäufer verfolgten Zahlungsansprüche auf einer nachgeordneten Klagestufe unerheblich.
Die Parteien haben durch den Prozessvergleich vom November 2014 eine zulässige Regelung vereinbart, wie die Betriebsratsvergütung im Einzelnen zu berechnen ist. Im Besonderen haben sich die Parteien hinsichtlich der Berechnung des Schnittgelds und der Provisionen geeinigt. Diese Regelung ist vorrangig und sollte der materiell abschließenden Regelung der künftigen, und damit auch der im Streit stehenden Zahlungen dienen.
Die Vereinbarung befindet sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen. Sie verstößt weder gegen Tarifrecht noch gegen betriebsverfassungsrechtliche Besser- oder Schlechterstellungsverbote.
Für die Frage, ob die Betriebsvergütung aufgrund der Berechnung der Provisionen und des Schnittgelds zutreffend ist, ist das Lohnausfallprinzip maßgeblich. Entgegen der Auffassung des Autoverkäufers, findet die Regelung des § 37 Absatz 4 BetrVG insoweit keine Anwendung.
Die Vorschriften des § 37 Absatz 2 BetrVG und § 37 Absatz 4 BetrVG regeln unterschiedliche Sachverhalte. Während § 37 Absatz 4 BetrVG einen Anspruch auf Gehaltserhöhung nach Maßgabe der durchschnittlichen Gehaltsentwicklungen vergleichbarer Arbeitnehmer begründet, sichert § 37 Absatz 2 BetrVG die Fortzahlung des vereinbarten Entgelts.
Nach § 37 Absatz 4 Satz 1 und Satz 2 BetrVG ist das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer zu bemessen als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Durch § 37 Absatz 4 BetrVG soll mithin die wirtschaftliche Gleichbehandlung von Betriebsratsmitgliedern gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung sichergestellt werden.
Werden Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit gemäß § 37 Absatz 2 BetrVG ohne Minderung des Arbeitsentgelts befreit, kommt es für die Frage nach der Höhe der Betriebsratsvergütung indes darauf an, was das Betriebsratsmitglied verdient hätte, wenn es weitergearbeitet und keine Ausfallzeiten wegen der Betriebsratstätigkeit gehabt hätte.
Ein Betriebsratsmitglied darf aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit keinen wirtschaftlichen Nachteil erleiden. Eine Benachteiligung im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG ist dabei jede Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht. Eine Benachteiligungsabsicht ist nicht erforderlich. Es genügt die objektive Schlechterstellung gegenüber Nichtbetriebsratsmitgliedern.
Die Vermeidung einer Gehaltsminderung verpflichtet die Arbeitgeberin, die Vergütung zu zahlen, welche der Arbeitnehmer erzielt hätte, wenn er ohne betriebsratsbedingte Ausfallzeiten weitergearbeitet hätte.
Es kann sich dabei bei dieser Ausgleichsvergütung der Höhe nach naturgemäß nur um eine hypothetische Berechnungsgrundlage handeln. Gleichzeitig darf das Betriebsratsmitglied wegen seiner Tätigkeit gemäß § 78 Satz 2 2. Alt BetrVG nicht begünstigt werden. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Betriebsratsamt gem. § 37 Absatz 1 BetrVG ein Ehrenamt ist und somit nur die fiktive Arbeitstätigkeit und nicht das Amt zu vergüten ist.
Da § 37 Absatz 4 Satz 1 BetrVG das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 2. Alt. BetrVG konkretisiert, darf die Anwendung der Vorschrift auch nicht zu einer Begünstigung des Betriebsratsmitglieds gegenüber anderen Arbeitnehmern führen. Das Verbot der Begünstigung einerseits und das Verbot der Benachteiligung andererseits führen dabei zu einem Spannungsfeld. Diese Wechselbeziehung zwischen der Ausfallvergütung des Betriebsratsmitglieds und den Gehältern vergleichbarer Arbeitnehmer begrenzt die Dispositionsfähigkeit des Betriebsratsmitglieds und der Arbeitgeberin.
Die Berechnung der Ausfallvergütung für Betriebsräte kann im Einzelnen, aufgrund der geforderten hypothetischen Betrachtung bei der Berechnung des Arbeitsentgelts, jedoch mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Jedenfalls dann, wenn sich die Vergütung aus verschiedenen Bestandteilen zusammensetzt und die jeweiligen Gehaltsvariablen nicht von der geleisteten Arbeitszeit, sondern von verschiedenen Faktoren bestimmt werden.
Diese hypothetische Betrachtung führt aus ihrer Natur heraus jedoch dazu, dass sie Unschärfen beinhalten kann und wird und muss dazu führen, dass es im Rahmen auch der hypothetischen Betrachtung einen gewissen Einschätzungskorridor geben muss.
Befinden sich die Parteien innerhalb dieser Schwankungsbreite der tatsächlichen Annahmen, so handelt es sich nicht um eine Begünstigung oder Schlechterstellung des Betriebsratsmitgliedes, sondern lediglich um eine der Dispositionsbefugnis unterliegenden Einschätzung des hypothetisch zu Erwartenden. Innerhalb dieser Grenzen haben sich jedoch die Parteien des Rechtsstreits im Rahmen der Einigung im Jahre 2014 gehalten.
Annahmen zu den Gehaltsentwicklungen der mit dem Autoverkäufer vergleichbaren Arbeitnehmern hat der Autoverkäufer hierbei nicht nachvollziehbar vorgetragen.
Der Autoverkäufer stützt seine Auffassung auf die Feststellung, dass bei einem höheren Umfang der Betriebsratstätigkeit die fehlende Möglichkeit der Provisionserwirtschaftung entgegenstehe, sodass der Schnittgeldanspruch mit zunehmender Betriebsratstätigkeit im gleichen Maße sinke. Diese Behauptung ist für das Arbeitsgericht indes nicht hinreichend greifbar. Der Verkaufserfolg hängt nämlich von zahlreichen Faktoren ab. Der Arbeitszeitfaktor spielt hingegen nur eine nachgeordnete Rolle.
Der Autoverkäufer hat auch keinen Auskunftsanspruch nach Anpassung des Prozessvergleichs vom 14.11.2014. Eine Anpassung kann nur insoweit verlangt werden, als einer Vertragspartei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist grundsätzlich kein Raum, da es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche Risikoverteilung ist hier zu Lasten des Autoverkäufers anzunehmen. In welchem Umfange er Betriebsratstätigkeit übernimmt, liegt ausschließlich in seinem Gestaltungsbereich.
So liegt es bis zur Grenze des § 23 Absatz 1 BetrVG im Ermessen eines jeden Betriebsratsmitglieds, in welchem Umfang es Tätigkeiten im Gremium übernimmt. Es kann folglich nicht dazu gezwungen werden, einen bestimmten Umfang an Arbeit zu übernehmen. Mit dieser Risikoverteilung wäre es aber nicht in Einklang zu bringen, dass der Autoverkäufer es in der Hand hätte, durch eigenständige Übernahme von Betriebsratsaufgaben eine Störung der Geschäftsgrundlage herbeizuführen.
Eine Berufung zu dieser Entscheidung wurde zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob Arbeitgeberin und Arbeitnehmer dispositionsbefugt hinsichtlich der Berechnungsmethode für die während Ausfallzeiten zu zahlende Vergütung von Betriebsratsmitgliedern sind, ist bislang nicht höchstrichterlich entschieden worden. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, in Bezug auf die Grenzen dieser Dispositionsbefugnis.