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Versetzungsschutz für aktives Mitglied des Wahlvorstandes

LAG Hessen (9. Kammer), Urteil vom 04.07.2024, Aktenzeichen 9 GLa420/24

Amtliche Leitsätze:

1. Zwar ist es einem Arbeitnehmer zuzumuten, einer Versetzungsanordnung oder einer arbeitsvertraglichen Weisung zunächst Folge zu leisten und sodann den Umfang des Direktionsrechts des Arbeitgebers in einem Hauptsacheverfahren klären zu lassen. Etwas Anderes kann hingegen dann gelten, wenn die arbeitgeberseitige Maßnahme offenkundig rechtswidrig ist.

2. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer den Schutz des § 103 Absatz 3 BetrVG beanspruchen kann. Der Versetzungsschutz knüpft an die tatsächliche Amtsausübung an, die nicht durch eine betriebsübergreifende Versetzung beeinträchtigt werden soll. Dies bedeutet, dass die (bisherigen) betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträger erst mit Beendigung des Amtes nach allgemeinen Grundsätzen versetzt werden können.

3. Die Nichtigkeit der Bestellung des Wahlvorstands ist auf besonders schwerwiegende Errichtungsfehler beschränkt, die dazu führen, dass das Gremium rechtlich inexistent ist. Eine nur fehlerhafte Bestellung genügt nicht. Das Amt des Wahlvorstands endet mit der Einberufung des Betriebsrats zur konstituierenden Sitzung oder mit der Auflösung des Betriebs.

Tatbestand:

Die Parteien befinden sich im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens im Streit um die vorläufige Beschäftigung des Verfügungsklägers.

Die Verfügungsbeklagte gehört zur global tätigen A Group. Mit insgesamt 12 Standorten ist sie in den Bereichen Verkauf, Vermietung und Wartung von Baumaschinen der eigenen Marke B sowie als Handelspartner der Marken C und D aktiv. Die Verfügungsbeklagte betreibt insgesamt 12 Niederlassungen in Deutschland, darunter auch die Niederlassung E (…1). An diesen Standorten und in der Hauptverwaltung (auch Headquarter genannt) in E (…2) beschäftigt die Verfügungsbeklagte insgesamt 165 Mitarbeiter. In drei der Niederlassungen wurde ein Betriebsrat eingerichtet, und es besteht zudem ein Gesamtbetriebsrat.

Der Verfügungskläger, der seit dem 1. März 2008 bei der Verfügungsbeklagten beschäftigt ist, war zuletzt als Vertriebsleiter tätig. Zuvor hatte er die Positionen des Niederlassungsleiters und Regionalleiters für zwei Niederlassungen inne. Als Vertriebsleiter war er dem Headquarter der Verfügungsbeklagten in E zugeordnet. In einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag vom 22. Dezember 2021 vereinbarten die Parteien unter anderem die Beschäftigung als Sr. Sales Manager COS (Bl. 13 d.A.I. Instanz) sowie weitere Regelungen:

„(…)  

2. Der Mitarbeiter verbleibt weiterhin in seiner Position als Niederlassungsleiter der Niederlassung F. Diese Aufgabe übernimmt der Arbeitnehmer, bis ein Nachfolger für die Position des Niederlassungsleiters ermittelt und das Arbeitsverhältnis angetreten ist. Darüber hinaus erklärt sich der Arbeitnehmer bereit, diesen während der 6-monatigen Probezeit parallel zu seiner Tätigkeit als Sr. Sales Manager COS im Einarbeitungsprozess zu unterstützen.  

3. (…) Der Arbeitgeber behält sich das Recht vor, dem Arbeitnehmer auch andere zumutbare und gleichwertige Tätigkeiten zuzuweisen, wobei die Ausbildung sowie die berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers Beachtung finden.  

4. Des Weiteren behält sich der Arbeitgeber vor, den Arbeitsstandort neu festzulegen, sofern dies aus unternehmerischen Gründen erforderlich ist. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers bleibt unberührt, und eine Veränderung des Arbeitsortes bleibt ausdrücklich vorbehalten.  

Durch Beschluss des Gesamtbetriebsrats der Verfügungsbeklagten vom 14. Juli 2023 wurde der Verfügungskläger zum Mitglied und Vorsitzenden des Wahlvorstands für die Betriebsratswahlen am Hauptsitz der Verfügungsbeklagten in E ernannt.

Mit Schreiben vom 21. Juli 2023 (Anlage K1 zur Klageschrift – Bl. 6f. d. A.) kündigte die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgerecht zum 31. Januar 2024, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin. In der Kündigungsschutzklage des Verfügungsklägers vor dem Arbeitsgericht Darmstadt erging am 5. Januar 2024 ein Versäumnisurteil gegen die Verfügungsbeklagte, in dem das Gericht entschied, dass die Kündigung unwirksam sei und der Verfügungskläger als Vertriebsleiter zu den bisherigen Konditionen weiterbeschäftigt werden müsse. Mit Endurteil des Arbeitsgerichts vom 22. März 2024 – 2 Ca 166/23 – wurde dieses Versäumnisurteil bestätigt. Die Entscheidung basierte im Wesentlichen darauf, dass die ordentliche Kündigung der Verfügungsbeklagten vom 21. Juli 2023 aufgrund der Mitgliedschaft des Klägers im Wahlvorstand nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG unzulässig und nach § 134 BGB nichtig war. Der Verfügungskläger leitete auf Grundlage des Versäumnisurteils die Zwangsvollstreckung ein und erwirkte am 26. März 2024 einen Zwangsgeldbeschluss des Arbeitsgerichts, der der Verfügungsbeklagten am 5. April 2024 zugestellt wurde. Die gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 22. März 2024 eingelegte Berufung der Verfügungsbeklagten vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht – 9 SLa 408/24 – wurde durch Schriftsatz vom 1. Juli 2024 zurückgenommen.“

Bereits am 14. Februar 2024 beantragte die Verfügungsbeklagte beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung zur Feststellung, dass in der Niederlassung E sowie der Hauptverwaltung in E keine betriebsratsfähige Organisationseinheit vorliege. Dieser Antrag wurde unter dem Aktenzeichen 10 BVGa 3/24 beim Arbeitsgericht geführt.

Am 27. Februar 2024 (Bl. 137 d.A.I. Instanz) informierte der Vorsitzende des Wahlvorstands der Verfügungsbeklagten unter dem Betreff „Erforderliche Auskünfte für die Erstellung einer Wählerliste und zur Durchführung der Wahl“, dass ein Wahlvorstand für die Niederlassung E (…1) eingesetzt worden sei. Daraufhin zog die Verfügungsbeklagte ihren Antrag im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht – 10 BVGa 3/24 – zurück.

Mit einem weiteren Schreiben vom 27. März 2024 (Bl. 12 d.A.I. Instanz) setzte die Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger mit sofortiger Wirkung als Niederlassungsleiter der Niederlassung F ein.

In einer E-Mail vom 8. April 2024 (Bl. 140ff. d.A.I. Instanz) informierte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Verfügungsbeklagten darüber, dass ein Wahlvorstand für die Hauptverwaltung in E eingerichtet worden sei. Er übersandte „den gefassten Beschluss über den Einsatz für den Wahlvorstand der B Hauptniederlassung im …2“ und wies darauf hin, dass der Wahlvorstand bereits seit dem 23. März 2024 im Einsatz sei. Aus dem Protokoll der Gesamtbetriebsratssitzung vom 8. April 2024 (Bl. 141 d.A.I. Instanz) geht auszugsweise Folgendes hervor:

„… Der Vorsitzende stellt fest, dass der Wahlvorstand ein Schreiben der Geschäftsleitung vom Arbeitsgericht Darmstadt erhalten hat. Um den weiteren Verlauf der Gespräche mit der Geschäftsleitung auf einer harmonischen Basis fortzusetzen, ist es wichtig, an beiden Standorten in E jeweils eine Betriebsratswahl durchzuführen. Dies bedeutet, dass sowohl für die Niederlassung im …1 als auch für die Hauptniederlassung im …2 ein Betriebsrat gewählt wird. Wir möchten keinerlei Konflikte mit der Geschäftsleitung; unser Ziel ist es, in jeder B-Niederlassung einen separaten Betriebsrat zu wählen. Daher wird der GBR den Wahlvorstand mit folgendem Beschluss einsetzen.  

 

Zu Tagesordnungspunkt 3: Nach ausführlicher Diskussion fasst der GBR einstimmig den Ergänzungsbeschluss zum ursprünglichen Beschluss vom 23. Februar 2024:  

Der Wahlvorstand für die anstehenden Wahlen in E, …2 wird gemäß § 16 Abs. 3 BetrVG / § 17 Abs. 1 BetrVG eingesetzt:  

Der Wahlvorstand setzt sich aus 3 Mitgliedern für die Hauptniederlassung im …2 zusammen:  

G  

H  

I  

Als Vorsitzenden des Wahlvorstands wird G bestellt.  

Am 4. April 2024 wurde beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung eingereicht, die dem Verfügungskläger am 9. April 2024 (Bl. 36A, 36B d.A.I. Instanz) zugestellt wurde. Mit dieser Verfügung wandte sich der Verfügungskläger gegen die Versetzung vom 27. März 2024.“

Der Verfügungskläger ist der Auffassung, dass die Zuweisung zur Position des Leiters der Niederlassung F nicht im Rahmen des Direktionsrechts der Verfügungsbeklagten erfolgt und somit einer Versetzung nicht zugänglich sowie offensichtlich rechtswidrig sei. Die Aufgabe des Niederlassungsleiters in F sei eine völlig andere und zwei Hierarchiestufen niedrigere Tätigkeit im Vergleich zu jener des Vertriebsleiters/Senior Sales Managers, der für das gesamte Unternehmen zuständig ist. Der Senior Sales Manager/Vertriebsleiter gehört zum Strategieteam und trägt die Verantwortung für die Vertriebsstrategie und die Vertriebsergebnisse des gesamten Unternehmens. Ziel der rechtswidrigen Versetzung sei es, den Verfügungskläger daran zu hindern, seinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Senior Sales Manager im Headquarter in E durchzusetzen. Darüber hinaus werde er daran gehindert, bei der bevorstehenden Betriebsratswahl sein passives Wahlrecht auszuüben und sich als Kandidat aufstellen zu lassen.

Zudem stellt die Zuweisung zur Tätigkeit als Niederlassungsleiter in F für den Verfügungskläger auch einen nicht zumutbaren Reputationsverlust dar.

Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, dass jede ihrer 12 Niederlassungen sowie die Hauptverwaltung in E jeweils eigenständige betriebsratsfähige Organisationseinheiten darstellen. Der Verfügungskläger war unter verschiedenen Konstellationen Mitglied eines Wahlvorstands bei der Verfügungsbeklagten. Die Rücknahme des Antrags im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht – 10 BVGa 3/24 – erfolgte, da nach Mitteilung des Gesamtbetriebsrats aus ihrer Sicht kein rechtswidrig errichteter Wahlvorstand für die Niederlassung E und die Hauptverwaltung in E mehr existierte. Jedenfalls habe zwischen dem 23. Februar 2024 und dem 7. April 2024 kein Wahlvorstand in der Hauptverwaltung in E bestanden, dessen Mitglied der Verfügungskläger gewesen sei. Erst am 8. April 2024, nach der ausgesprochenen Versetzung, wurde der Verfügungskläger zum Mitglied eines neu eingerichteten Wahlvorstands der Hauptverwaltung in E ernannt. Obwohl der Gesamtbetriebsrat in einer E-Mail an die Verfügungsbeklagte behauptet hat, der Wahlvorstand sei bereits seit dem 23. März 2024 (ein Samstag) im Einsatz, spiegelt sich dies nicht in der Beschlussfassung wider. Vielmehr wird darin ausdrücklich der Wahlvorstand für die Hauptverwaltung mit dem Beschluss vom 8. April 2024 eingesetzt, der aus dem (bereits auf die Position des Niederlassungsleiters F versetzten) Verfügungskläger, G und I besteht.

Mit Urteil, das am 19. April 2024 verkündet wurde – 2 Ga 3/24 (Bl. 196-212 d.A.) –, hat das Arbeitsgericht der Verfügungsbeklagten auferlegt, bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache zu dulden, dass der Verfügungskläger die Position des Niederlassungsleiters F nicht ausübt. Für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung wurde der Verfügungsbeklagten ein Ordnungsgeld angedroht. Zudem wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in weiteren Punkten zurückgewiesen. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, dass die Versetzung des Verfügungsklägers auf die Position des Niederlassungsleiters F unwirksam sei, da sie nicht im Rahmen des Direktionsrechts der Verfügungsbeklagten erfolgt sei.

Gegen das Urteil, das ihr am 26. April 2024 (Bl. 1 d.A.) zugestellt wurde, hat die Verfügungsbeklagte am 29. April 2024 (Bl. 1 d.A.) Berufung eingelegt, die sie am 14. Mai 2024 (Bl. 33ff. d.A.) begründet hat.

In der Berufung vertritt die Verfügungsbeklagte die Auffassung, dass weder ein Verfügungsgrund noch ein Verfügungsanspruch vorliegen. Die Position des Niederlassungsleiters befinde sich auf der gleichen Hierarchieebene wie die frühere Rolle des Verfügungsklägers als Vertriebsleiter. Ein Reputationsschaden durch die Tätigkeit als Niederlassungsleiter sei daher nicht eingetreten, da der Verfügungskläger seit dem 4. April 2023 nicht mehr als Vertriebsleiter beschäftigt gewesen sei. Sowohl innerhalb der A Gruppe als auch gegenüber den Kunden sei bereits kommuniziert worden, dass der Verfügungskläger das Unternehmen verlassen habe und die Position des Vertriebsleiters bei der Verfügungsbeklagten nicht mehr existiere; dessen Aufgaben würden nun von der Geschäftsführung übernommen. Das Ziel des Verfügungsklägers, einen vermeintlichen Reputationsschaden zu verhindern, könne somit durch die Stattgabe seines Antrags nicht erreicht werden. Zudem sei der Verfügungskläger nicht daran gehindert, sich zur Wahl des Betriebsrats im Headquarter aufstellen zu lassen – jedenfalls nicht, solange keine Entscheidung im Hauptsacheverfahren getroffen worden sei. Bei laufenden Rechtsstreitigkeiten über die Wirksamkeit einer Kündigung sei der Verfügungskläger im Headquarter der Verfügungsbeklagten sowohl wahlberechtigt als auch wählbar. Der Verfügungskläger habe sich auch als Wahlbewerber aufstellen lassen und ohne Behinderung durch die Verfügungsbeklagte Wahlwerbung für sich im Headquarter betrieben.

Im Ergebnis ist die Berufung der Verfügungsbeklagten nicht begründet.

Das LAG führt aus:

Es ist dem Arbeitnehmer grundsätzlich zumutbar, einer Versetzungsanordnung oder einer arbeitsvertraglichen Weisung zunächst nachzukommen und anschließend den Umfang des Direktionsrechts des Arbeitgebers in einem Hauptsacheverfahren klären zu lassen. Dies kann jedoch anders zu beurteilen sein, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers offensichtlich rechtswidrig ist (Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 21. Dezember 2022 – 11 SaGa 14/22 – Rn. 29, juris).

So verhält es sich im vorliegenden Fall. Die von der Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 27. März 2024 ausgesprochenen sofortigen Versetzung des Verfügungsklägers auf die Position des Niederlassungsleiters F war offensichtlich rechtsunwirksam. Der Verfügungskläger konnte den Schutz des § 103 Abs. 3 BetrVG in Anspruch nehmen.

§ 103 Abs. 3 BetrVG gewährt Schutz für betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger, hierzu zählen Arbeitnehmervertreter der Betriebsverfassung im Sinne von § 15 Abs. 1 KSchG sowie Mitglieder des Wahlvorstands und Wahlbewerber (Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, BetrVG § 103, Rn. 7). Dieser Schutz erstreckt sich auch auf Versetzungen in einen anderen Betrieb, die gegen den Willen des Betroffenen erfolgen, da diese zu einem zeitweiligen oder dauerhaften Verlust des Amtes führen können. Zunächst gilt § 103 Abs. 3 BetrVG für Versetzungen, die aufgrund des Direktionsrechts gemäß § 106 GewO erfolgen (BAG, Urteil vom 27. Juni 2019 – 2 AZR 38/19 – Rn. 35, juris). Versetzungen im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG, die eine Verlust der Wählbarkeit nach sich ziehen würden (§ 24 Nr. 4 BetrVG), also dauerhafte Versetzungen in einen anderen Betrieb des Unternehmens, erfordern gemäß § 103 Abs. 3 S. 1 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats, es sei denn, der Arbeitnehmer stimmt der Versetzung zu (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 BetrVG). Im Gegensatz dazu berühren vorübergehende und kurzzeitige Versetzungen (unter 6 Monaten) die Wählbarkeit im entsendenden Betrieb in der Regel nicht und sind daher in der Regel nicht relevant (Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, BetrVG § 103 Rn. 97). Die Verweisung in § 103 Abs. 3 auf Abs. 2 BetrVG beinhaltet auch einen Versetzungsschutz für Mitglieder des Wahlvorstands und Wahlbewerber in betriebslos geführten Betrieben. In solchen Fällen muss der Arbeitgeber die Zustimmung zur Versetzung direkt beim Arbeitsgericht beantragen (Fitting, 32. Aufl. 2024, BetrVG § 103 Rn. 75).

Der Verfügungskläger war zum Zeitpunkt der ihm am 27. März 2024 ausgesprochenen, nicht nur vorübergehenden und kurzfristigen Versetzung Mitglied des Wahlvorstands der Hauptniederlassung (Headquarter) der Verfügungsbeklagten in E.

Der Wahlvorstand wird vom Gesamtbetriebsrat eingesetzt, wenn in einem betriebsratsfähigen Betrieb kein Betriebsrat vorhanden ist (Fitting, 32. Aufl. 2024, BetrVG § 17, Rn. 4). Der Verfügungskläger wurde durch einen Beschluss des Gesamtbetriebsrats der Verfügungsbeklagten vom 14. Juli 2023 zum Mitglied und Vorsitzenden des Wahlvorstands für die Betriebsratswahl am Standort der Hauptverwaltung in E ernannt.

Der Versetzungsschutz gemäß § 103 Abs. 3 BetrVG bestand also zum Zeitpunkt der Versetzungsanordnung der Verfügungsbeklagten am 27. März 2024. Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten gab es keine Unterbrechung des Amtes als Wahlvorstand zwischen dem 23. Februar 2024 und dem 7. April 2024. Der Verfügungskläger wurde nicht „erst am 8. April 2024, nach der ausgesprochenen Versetzung,“ zum Mitglied eines neu eingerichteten Wahlvorstands der Hauptverwaltung in E ernannt.

Der Versetzungsschutz bezieht sich auf die tatsächliche Ausübung des Amtes, die durch eine betriebsübergreifende Versetzung nicht beeinträchtigt werden soll. Das bedeutet, dass die (bisherigen) betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträger erst mit Beendigung ihres Amtes gemäß den allgemeinen Grundsätzen versetzt werden können (Fitting, 32. Aufl. 2024, BetrVG § 103, Rn. 76). Es besteht lediglich kein nachwirkender Versetzungsschutz.

Das Amt des Verfügungsklägers als Wahlvorstand der Hauptniederlassung in E war zum Zeitpunkt der Versetzungsmaßnahme am 27. März 2024 weder unterbrochen noch beendet. Es ist unerheblich, ob der Wahlvorstand durch Beschluss des Gesamtbetriebsrats anschließend am 4. April 2024 „neu“ bestellt wurde, nachdem die Verfügungsbeklagte ein einstweiliges Verfügungsverfahren eingeleitet hatte.

Zum Zeitpunkt der Versetzung am 27. März 2024 war das Amt des Verfügungsklägers als Wahlvorstand der Hauptniederlassung in E nicht beendet. Der vom Gesamtbetriebsrat ernannte Wahlvorstand für die Hauptniederlassung in E bestand nach wie vor. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Wahlvorstand nicht existierte, basierend auf den Feststellungen des Berufungsgerichts.

Bei der Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Bestellung des Wahlvorstands ist zwischen einer lediglich fehlerhaften und einer nichtigen Bestellung zu unterscheiden. Bei einem einfachen Errichtungsfehler bleibt die Bestellung des Wahlvorstands wirksam. Die Nichtigkeit der Bestellung ist auf besonders schwerwiegende Fehler in der Errichtung beschränkt, die dazu führen, dass das Gremium rechtlich als nicht existent angesehen wird. Eine bloß fehlerhafte Bestellung reicht nicht aus. Vielmehr muss ein Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der ordnungsgemäßen Errichtung in so signifikanter Weise erfolgt sein, dass der Anschein einer gesetzeskonformen Bestellung des Wahlvorstands nicht mehr gegeben ist. Es muss ein offensichtlicher und besonders schwerwiegender Verstoß gegen die Bestimmungen der §§ 16 bis 17a BetrVG vorliegen. Die Beschränkung der Nichtigkeit auf ungewöhnliche Ausnahmefälle wird insbesondere durch das im Betriebsverfassungsgesetz verankerte Interesse unterstützt, betriebsratslose Zustände zu vermeiden, was in § 1, § 21a, § 21b und § 22 BetrVG zum Ausdruck kommt. Maßnahmen zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl dürfen nicht unnötig erschwert werden. Dies gilt umso mehr für die Bestellung des Wahlvorstands, dessen Kompetenzen gemäß §§ 18 und 18a BetrVG eng begrenzt sind. Seine Aufgaben sind durch das Betriebsverfassungsgesetz und die Wahlordnung klar definiert (BAG, Beschluss vom 27. Juli 2011 – 7 ABR 61/10 – Rn. 47, juris; BAG, Beschluss vom 13. März 2013 – 7 ABR 70/11 – Rn. 18, juris).

Im vorliegenden Fall sind keine Nichtigkeitsgründe für die Bestellung des Wahlvorstands erkennbar oder vorgetragen worden. Dies gilt selbst dann, wenn der Gesamtbetriebsrat nicht berechtigt gewesen wäre, für den Betrieb der Hauptniederlassung in E und die Niederlassung E einen Wahlvorstand zu ernennen. Dabei ist zu beachten, dass eine falsche Anwendung des Betriebsbegriffs in der Regel keinen Fehler darstellt, der zur Nichtigkeit der Wahlvorstandsbestellung führt. Eine solche Verkennung des Betriebsbegriffs kann in der Regel nicht die Nichtigkeit der Bestellung des Wahlvorstands rechtfertigen (BAG, Beschluss vom 15. Oktober 2014 – 7 ABR 53/12 – Rn. 66, juris). Eine solche Fehlinterpretation hat höchstens die Anfechtbarkeit der auf dieser Basis durchgeführten Betriebsratswahl zur Folge (BAG, Beschluss vom 13. März 2013 – 7 ABR 70/11 – Rn. 17, juris).

In diesem Zusammenhang ist es nicht entscheidend, ob der Gesamtbetriebsrat den Wahlvorstand, der seit seiner Bestellung durch Beschluss am 14. Juli 2023 besteht, mit einem formellen Beschluss bestätigt hat. Dies geht aus dem Protokoll der Gesamtbetriebsratssitzung vom 23. Februar 2024 hervor, in dem die Absicht des Gesamtbetriebsrats festgehalten wird, dass „der bereits gefasste Beschluss für die Hauptniederlassung im …2 in E seine Gültigkeit [behalten]“ soll. Zudem wurde ein weiterer Beschluss gefasst, um auch für die Niederlassung …1 einen Wahlvorstand einzusetzen, um „den weiteren Ablauf mit der Geschäftsleitung auf einer friedlichen Basis fortzuführen“ und an beiden Standorten in E eine Betriebsratswahl durchzuführen. Laut Protokoll beschloss der Gesamtbetriebsrat außerdem, dass der eingesetzte Wahlvorstand weiterhin bestehen bleibt. In Übereinstimmung damit setzte der Gesamtbetriebsrat am 8. April 2024 mit einem „Ergänzungsbeschluss zum ursprünglichen Beschluss“ den „Wahlvorstand für die anstehenden Wahlen in E, …2 gemäß § 16 Abs. 3 BetrVG / § 17 Abs. 1 BetrVG“ ein. Der Wahlvorstand für die Wahl in der Hauptniederlassung in E war bereits effektiv mit dem Beschluss des Gesamtbetriebsrats vom 14. Juli 2023 eingesetzt worden. Ob dieser Beschluss anfechtbar ist, kann offenbleiben. Gründe für die Nichtigkeit des Beschlusses wurden im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren nicht vorgebracht. Das alleinige Feststellungsbegehren der Verfügungsbeklagten in einem gerichtlichen Verfahren über das Nichtvorliegen einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit in der Niederlassung E und der Hauptverwaltung in E reicht hierfür jedenfalls nicht aus.

Die Amtszeit des Wahlvorstands und somit auch die des Verfügungsklägers als Wahlvorstand der Hauptniederlassung in E waren nicht beendet. Das Amt des Wahlvorstands endet mit der Einberufung des Betriebsrats zu seiner konstituierenden Sitzung (BAG, Beschluss vom 14. November 1975 – 1 ABR 61/75 – juris). Es endet ebenfalls mit der Auflösung des Betriebs, da unter solchen Umständen keine Betriebsratswahl mehr stattfinden kann, wenn die Identität des Betriebs aufgrund organisatorischer Änderungen verloren geht (BAG, Beschluss vom 15. Oktober 2014 – 7 ABR 53/12 – Rn. 59, juris). Eine konstituierende Sitzung eines neu gewählten Betriebsrats in der Hauptverwaltung in E hatte zum Zeitpunkt der Versetzungsmaßnahme noch nicht stattgefunden, und die Identität des Betriebs war ebenfalls nicht durch organisatorische Veränderungen gefährdet.

Die Unwirksamkeit der Versetzungsanordnung der Verfügungsbeklagten gegenüber dem Verfügungskläger begründet sowohl einen Verfügungsgrund als auch einen Verfügungsanspruch für die Duldungsverfügung und die Androhung eines Ordnungsgeldes.