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Ersatz der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes aufgrund des Vorwurfs der sexuellen Belästigung

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 23.02.2024, Aktenzeichen 7 TaBV 67/23

Amtliche Leitsätze:

  1. Ein Schlag mit der Hand auf das Gesäß einer weiblichen Arbeitskollegin, ausgeführt von einem männlichen Arbeitnehmer, stellt eine sexuelle Belästigung dar, die an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen.       
  2. Je nach den Umständen des Einzelfalls ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass das schwerwiegende Fehlverhalten des Arbeitnehmers abmahnfähig ist. Es ist insbesondere die Dauer und der beanstandungsfreie Verlauf des Arbeitsverhältnisses, die Erstmaligkeit des Fehlverhaltens und eine an den Tag gelegte tätige Reue in die Interessenabwägung einzustellen.     
  1. Begeht der Arbeitnehmer eine sexuelle Belästigung nicht unter Missbrauch seiner Stellung als Betriebsratsmitglied oder in sonstigem Bezug zum Betriebsratsamt, verletzt er keine Amtspflicht im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG.      

Die Beteiligten sind im Streit über die Ersetzung der Zustimmung zu einer geplanten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes. Alternativ geht es um den Auschluss aus dem Betriebsrat. Der im Jahr 1967 geborene, verheiratete und für ein Kind unterhaltspflichtige betreffende Arbeitnehmer ist seit dem 01.04.2022 bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Gemäß Arbeitsvertrag vom 20.04.2022 errechnet sich eine Betriebszugehörigkeit seit 01. Oktober 2020. Seit der letzten Betriebsratswahl Ende 2022 ist er Mitglied des Betriebsrats im Betrieb Süd und arbeitet als AT-Angestellter in der L. Abteilung.

Seit Sommer 2022 nimmt das Betriebsratsmitglied regelmäßig ein Medikament gegen Rückenschmerzen ein.

An einer dienstlichen Party-Veranstaltung der Arbeitgeberin am 01. Februar 2023 nahmen unter anderem das Betriebsratsmitglied sowie Frau M. und Frau CJ teil. Frau M ist seit dem 1. Dezember 2022 bei der Arbeitgeberin in einer anderen Abteilung an einem anderen Standort der Arbeitgeberin beschäftigt.

Während der Abendveranstaltung am 01. Februar 2023, zwischen 23.00 Uhr und Mitternacht, begab sich Frau M. vom Außenbereich des Hotels zur Tanzfläche. Als sie an der Bar vorbeiging, wurde sie plötzlich von hinten kräftig auf die rechte Seite ihres Gesäßes geschlagen. Als sie sich umdrehte, sah sie das Betriebsratsmitglied, von dem sie annahm, dass er der Verursacher des Schlages sei. Sie konfrontierte ihn mit den Worten: „Das ist nicht in Ordnung. So geht das nicht.“ Nach etwa ein bis zwei Minuten auf der Tanzfläche suchte sie erneut das Gespräch mit dem Betriebsratsmitglied, der im Gang an einer Sofarückwand lehnte und einen alkoholisierten Eindruck machte. Sie machte ihm deutlich, dass ein Schlag auf das Gesäß inakzeptables Verhalten sei. Das Betriebsratsmitglied antwortete auf Englisch sinngemäß: „Ich entschuldige mich. Ich übernehme die volle Verantwortung.“

Frau M. erhielt dann am 02.02.2023 von dem Betriebsratsmitglied eine E-Mail, in der er sich erneut auf Englisch für sein unangemessenes Verhalten vom Vorabend entschuldigte. Er erklärte in der Mail, dass sein Verhalten wahrscheinlich mit einer geringen Alkoholtoleranz in Verbindung mit dem ihm neu verschriebenen Medikament zusammenhinge.

Nachdem Frau M. den Vorfall dem L. Bereich gemeldet hatte und ein Gespräch mit ihr am 10.02.2023 stattfand, wurde das Betriebsratsmitglied zu dem Vorfall angehört.

Er erklärte, dass er sich aufgrund seines Alkoholkonsums nicht an den Vorfall erinnern könne. Im Sommer 2022 hätte er eine neue Medikation gegen Rückenschmerzen erhalten, die angstlösend und enthemmend wirke. Die Wirkung dieser Medikamente werde durch Alkoholkonsum enorm verstärkt. Aufgrund seiner Persönlichkeit und Haltung hielt er es jedoch für ausgeschlossen, sich entsprechend dem Vorwurf verhalten zu haben.

Die Darstellung von Frau M. wurde in den anschließenden Ermittlungen der Arbeitgeberin durch Frau JS. bestätigt. Sie gab während ihrer Anhörung an, den Schlag gesehen zu haben. Frau EK, eine weitere Mitarbeiterin, berichtete von einer Wahrnehmung der Handlung, ohne sie jedoch explizit gesehen zu haben. Sie gab an, dass das Betriebsratsmitglied alkoholisiert war. Frau EK. gab weiter an, beobachtet zu haben, wie Frau M. erneut auf das Betriebsratsmitglied zugegangen sei, um ihm etwas mitzuteilen.

Zu einem von der Mitarbeiterin CJ zugleich geschilderten Vorfall, wonach das Betriebsratsmitglied während eines Salsa-Tanzes zu Frau CJ sinngemäß gesagt haben soll, „wir können auch gerne woanders weiter tanzen, wurde das Betriebsratsmitglied erneut die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme abzugeben.

Der Betriebsrat, der mit Schreiben vom 27.02.2023 die Anhörung zur Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des betreffenden Mitgliedes erhielt, verweigerte mit Beschluss vom 28.02.2023 die Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsmitgliedes.

Die Arbeitgeberin beantragte daraufhin am 02.03.2023 beim Arbeitsgericht Essen die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitgliedes. Die Arbeitgeberin ging davon aus, dass zumindest ein begründeter Verdacht auf sexuelle Belästigung vorliege, der zum Schutz ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht unbeachtet bleiben könne. Der Verdacht, dass das Betriebsratsmitglied Frau M. auf der dienstlichen Veranstaltung am Abend des 01.02.2023 sexuell belästigt habe, wurde durch die Aussage von Frau M. erhärtet, die wiederum von Frau JS. und Frau EK. bestätigt wurde. Den Verdacht, dass das Betriebsratsmitglied Frau M. auf das Gesäß geschlagen habe, konnte von ihm nicht entkräftet werden. Die Tatsache, dass er sich an den Vorfall nicht erinnern könne, wurde als Schutzbehauptung gewertet. Dem widersprach auch seine Reaktion gegenüber Frau M., sowohl am Abend des Vorfalls als auch am Folgetag, als er sich per E-Mail bei ihr entschuldigte. Auch die Äußerung gegenüber Frau CJ. wurde als sexuelle Belästigung betrachtet, da Frau CJ. diese als ein Angebot für anderen körperlichen Kontakt verstand und sich daraufhin von ihm entfernte.

Die Arbeitgeberin war der Ansicht, dass eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsratsmitglied den Betriebsfrieden erheblich gefährden würde, zumal mehrere Kolleginnen den Vorfall beobachtet hätten. Daher beantragt die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) zu ersetzen. Hilfsweise beantragt sie, das betreffende Betriebsratsmitglied gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG aus dem Betriebsrat Süd der I. GmbH auszuschließen. Der Betriebsrat und das betroffene Betriebsratsmitglied beantragten die Zurückweisung der Anträge der Arbeitgeberin.

Der Betriebsrat hält die außerordentliche Kündigung für nicht gerechtfertigt, da der Vorfall mit Frau M. nicht eindeutig belegt sei. Jedenfalls hielt er die Aussage des betroffenen Betriebsratsmitgliedes auch für glaubhaft, dass er sich aufgrund seines hohen Alkoholkonsums nicht erinnern könne und es aufgrund seiner Persönlichkeit für ausgeschlossen halte, dass er sich den Kolleginnen gegenüber in der ihm vorgeworfenen Weise verhalten haben soll.  Der Betriebsrat ist schließlich davon ausgegangen, dass sich der Vorwurf auf eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung beziehe und dass das Betriebsratsmitglied nicht grob gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten verstoßen habe, weshalb ein Ausschluss aus dem Betriebsrat nicht gerechtfertigt sei.

Das betroffene Betriebsratsmitglied hielt die außerordentliche Kündigung ebenfalls für nicht gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge der Arbeitgeberin durch Beschluss vom 03.08.2023 zurückgewiesen. In der Begründung hat es ausgeführt, dass die von der Arbeitgeberin behaupteten Vorfälle als sexuelle Belästigungen einzustufen seien und „an sich“ einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellten. Im vorliegenden Einzelfall sei jedoch im Rahmen einer Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass die unstreitigen Pflichtverletzungen keine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigten. Der langjährige und ungestörte Verlauf des Arbeitsverhältnisses sowie die Tatsache, dass die Arbeitgeberin ein ungehemmtes Verhalten in Kauf genommen habe, als sie auf der Veranstaltung am 01.02.2023 Alkohol kostenlos zur Verfügung stellte, seien ebenfalls zu beachten. Es wird zwar von jedem Arbeitnehmer erwartet, seinen Alkoholkonsum vernünftig zu kontrollieren, jedoch habe sich das Betriebsratsmitglied entschuldigt und damit Reue sowie den Willen zur Wiedergutmachung gezeigt, sodass keine Uneinsichtigkeit vorliege. Er habe weder Frau M. noch Frau CJ. beschuldigt, zu lügen.

Zudem sei das Betriebsratsmitglied auch nicht aus dem Betriebsrat auszuschließen, da er mit den vorgeworfenen Pflichtverletzungen keine Amtspflichten verletzt habe.

Die Arbeitgeberin hat gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts fristgerecht Beschwerde eingelegt.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf betrachtet die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den erstinstanzlichen Beschluss als unbegründet. Aus seiner Sicht hat das Arbeitsgericht die Anträge der Arbeitgeberin zu Recht zurückgewiesen. Die Argumente in der Beschwerdeinstanz ändern daran nichts.

Die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des betreffenden Betriebsratsmitglieds kann nicht ersetzt werden.

Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Betriebsratsmitglieds ist, auch unter Berücksichtigung der Grundsätze einer Verdachtskündigung, nicht gerechtfertigt, da kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.  Gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG benötigt die außerordentliche Kündigung von Betriebsratsmitgliedern die Zustimmung des Betriebsrats. Der Antrag nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG muss innerhalb der zweiwöchigen Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB beim Gericht eingereicht werden. Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG in Verbindung mit § 15 KSchG kann die verweigerte Zustimmung ersetzt werden, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB voraus. Wenn der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Mitglied des Betriebsrats auf dessen Verhalten stützt, muss dies eine Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis darstellen (BAG 13.05.2015 – 2 ABR 38/14; 27.09.2012 – 2 AZR 955/11). Es müssen Tatsachen vorliegen, die es dem Arbeitgeber, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und einer Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien, unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist fortzusetzen (vgl. BAG 29.06.2017 – 2 AZR 597/16; 17.03.2016 – 2 AZR 110/15; 16.07.2015 – 2 AZR 85/15; 13.05.2015 – 2 ABR 38/14; 18.12.2014 – 2 AZR 265/14).  Bei der Abwägung der gegensätzlichen Interessen ist insbesondere zu beachten, dass selbst bei einer Pflichtverletzung im sogenannten Vertrauensbereich die Notwendigkeit einer vorherigen Abmahnung stets zu prüfen ist (BAG 23.06.2009 – 2 AZR 103/08; 18.09.2008 – 2 AZR 827/06). Es ist davon auszugehen, dass jedes willensbestimmte Verhalten eines Arbeitnehmers grundsätzlich abmahnungsfähig und -bedürftig ist (KR-Fischermeier 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 263). Eine Abmahnung ist nur dann nicht erforderlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die eine Abmahnung als nicht erfolgversprechend erscheinen lassen (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09; 26.11.2009 – 2 AZR 751/08; 18.09.2008 – 2 AZR 827/06). Darüber hinaus bedürfen besonders schwere Verstöße keiner Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann und sich bewusst sein muss, dass er mit seinem Verhalten seinen Arbeitsplatz gefährdet (BAG 23.06.2009 – 2 AZR 103/08; 18.09.2008 – 2 AZR 827/06).  Nach diesen Grundsätzen stimmt die Kammer des LAG zunächst dem Arbeitsgericht darin zu, dass im Verhalten des Betriebsratsmitgliedes eine sexuelle Belästigung gesehen werden könnte, und dass dieses Verhalten „an sich“ einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen würde. Sexuelle Belästigung liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell motiviertes Verhalten, einschließlich sexueller Bemerkungen, darauf abzielt oder bewirkt, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird. Dies gilt insbesondere, wenn ein Umfeld geschaffen wird, das durch Einschüchterung, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen geprägt ist. Auch einmalige sexuell bestimmte Handlungen können den Tatbestand sexueller Belästigung erfüllen (vgl. BAG 29.06.2017 – 2 AZR 302/16, NZA 2017, 1121; 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294; 02.03.2017 – 2 AZR 698/15, NZA 2017, 1051). Für das „Bewirken“ der Belästigung genügt es, dass diese tatsächlich eintritt (vgl. BAG 29.06.2017 – 2 AZR 302/16, a.a.O.; 20; 09.06.2011 – 2 AZR 323/10, NZA 2011, 1342). Das Merkmal der Unerwünschtheit erfordert nicht, dass die betroffene Person ihre ablehnende Haltung zu den entsprechenden Verhaltensweisen aktiv kommuniziert hat. Entscheidend ist allein, ob die Unerwünschtheit für Dritte objektiv erkennbar war (vgl. BAG 29.06.2017 – 2 AZR 302/16, a.a.O.). Die subjektive Wahrnehmung des Belästigers bezüglich seines eigenen Verhaltens ist dabei irrelevant (BAG 09.06.2011 – 2 AZR 323/10, a.a.O.).  Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hat das Verhalten des Betriebsratsmitgliedes in Bezug einen der vorgebrachten Gründe korrekt unter § 3 AGG eingeordnet: „Ein Schlag auf das Gesäß ist eine sexualisierte Handlung und stellt einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre des anderen dar, die allgemein als sexuell gefärbt angesehen wird. Die Kammer teilt nicht die Ansicht des beteiligten Betriebsrats, dass die Aussage gegenüber einer Frau, mit der gerade Salsa getanzt wird, man „könnte auch woanders weitertanzen“, lediglich eine Ortsveränderung beschreiben könnte. Zum einen deutet diese Äußerung offensichtlich nicht auf einen Abbruch des gemeinsamen Tanzes hin, zum anderen gab es keinen Anlass für einen Ortswechsel aufgrund von Gedränge auf der Tanzfläche. Daher durfte die als Zeugin benannte Frau CJ. diese Bemerkung so verstehen, dass das Betriebsratsmitglied mit ihr einen Ortswechsel von der Tanzfläche, also auch weg von der Musik und anderen Tänzern, vornehmen wollte, nicht um sich zu unterhalten oder etwas zu trinken, sondern um (nicht als Solotanz) weiter zu „tanzen“. Diese Äußerung stellt eine verbale sexuelle Belästigung dar.

Die Kammer stimmt dieser Einschätzung zu und sieht keinen Grund, von der zutreffenden Bewertung des Arbeitsgerichts abzuweichen.  Eine sexuelle Belästigung stellt „an sich“ einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar (BAG 29.06.2017 – 2 AZR 302/16, a.a.O.).  Die Kammer geht davon aus, dass die dem Betriebsratsmitglied vorgeworfenen Handlungen, wie von der Arbeitgeberin dargelegt, am 01.02.2023 stattgefunden haben. Eine weitere Klärung des Sachverhalts war daher nicht notwendig. Wie das Arbeitsgericht ist auch die Kammer der Ansicht, dass das Verhalten des Betriebsratsmitglieds am 01.02.2023, unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände und einer Abwägung der beiderseitigen Interessen, keine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigt.

Bei der Abwägung der Interessen beider Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeberin die Möglichkeit einer Abmahnung als milderes Mittel zur Verfügung gestanden hätte.  Wenn eine Pflichtverletzung durch das steuerbare Verhalten des Arbeitnehmers verursacht wird, ist grundsätzlich anzunehmen, dass dessen zukünftiges Verhalten durch die Androhung von Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis positiv beeinflusst werden kann (BAG 20.05.2021 – 2 AZR 596/20, BAGE 175, 94; 27.02.2020 – 2 AZR 570/19, BAGE 170, 84; 13.12.2018 – 2 AZR 370/18, NZA 2019, 445; 29.06.2017 – 2 AZR 302/16, BAGE 159, 267; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, BAGE 134, 349). Sowohl ordentliche als auch außerordentliche Kündigungen wegen einer Pflichtverletzung setzen in der Regel eine vorherige Abmahnung voraus. Eine solche Abmahnung ist nur dann nicht erforderlich, wenn bereits im Vorfeld erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder wenn es sich um eine derart schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass deren erstmalige Tolerierung für den Arbeitgeber objektiv unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG 29.06.2017 – 2 AZR 302/16, a.a.O.; 19.11.2015 – 2 AZR 217/1, NZA 2016, 540; 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, BAGE 150, 109; 23.10.2014 – 2 AZR 865/13, BAGE 149, 355).

Es ist nicht erkennbar, dass das Betriebsratsmitglied sein Verhalten in Zukunft nach einer Abmahnung nicht ändern würde. Die Kammer nimmt die Äußerungen des Betriebsratsmitgliedes als Ausdruck von Reue wahr. Selbst wenn er sich an die Handlung gegenüber Frau M. erinnern könnte und sich nicht für diesen Vorfall entschuldigt hat, weil seine Entschuldigung lediglich seine Alkoholisierung betraf, geht die Kammer davon aus, dass das Betriebsratsmitglied sein Verhalten bedauert. Sowohl unmittelbar nach der angeblichen Belästigung von Frau M. als auch am folgenden Tag hat er sich allgemein entschuldigt. Geht man davon aus, dass die Darstellung der Arbeitgeberin unbestritten ist, war sich das Betriebsratsmitglied bewusst, dass er Frau M. sexuell belästigt hatte und hat durch seine Entschuldigungen deutlich gemacht, dass er sich eines Fehlverhaltens bewusst war und dies bereute. Die Unmittelbarkeit seiner Entschuldigung – ohne vorherige (erneute) Konfrontation durch Frau M. oder die Arbeitgeberin – lässt für die Kammer darauf schließen, dass die Reue aufrichtig ist. Selbst wenn die gezeigte Reue des Betriebsratsmitgliedes aus der Sorge um seinen Arbeitsplatz resultieren sollte, spricht dies dafür, dass er sein Verhalten nicht wiederholen würde und somit seinen Arbeitsplatz nicht erneut gefährden möchte (BAG 20.05.2021 – 2 AZR 596/20, BAGE 175, 94).  Die Abmahnung als Reaktion auf die (unterstellten) sexuellen Belästigungen erfüllt auch die Anforderungen des § 12 Abs. 3 AGG, wonach die Maßnahmen des Arbeitgebers sicherstellen müssen, dass solche Vorfälle in Zukunft verhindert werden. In diesem Fall ist jedoch nicht von einer Wiederholungsgefahr auszugehen (BAG 20.05.2021 – 2 AZR 596/20, a.a.O.). Dies lässt sich für die Kammer zunächst aus der gezeigten Reue des Betriebsratsmitgliedes ableiten, selbst wenn diese nur taktisch motiviert gewesen sein sollte. Zudem fanden beide Vorwürfe am selben Abend statt, und im Verlauf des mehr als 23-jährigen Arbeitsverhältnisses sind keine vergleichbaren Vorfälle bekannt geworden. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin ist hier auch nicht von einer kurzen Beschäftigungszeit von lediglich zehn Monaten auszugehen. Die Arbeitgeberin hat die Beschäftigungszeit im Konzern seit dem 01.10.2000 gemäß der Regelung in Ziffer 2.6 des Arbeitsvertrags anerkannt. Zudem handelte es sich nicht um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung, dass dem Betriebsratsmitglied von vornherein klar sein musste, dass er damit den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses gefährden würde. Auch aus diesem Grund war eine Abmahnung nicht ausgeschlossen. Es existiert kein absoluter Kündigungsgrund (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, a.a.O.). Eine Abmahnung kann auch dann erforderlich sein, wenn dem Arbeitnehmer zwar bewusst ist, dass sein Verhalten gegen Vorschriften verstößt, er jedoch Grund zu der Annahme hat, dass der Arbeitgeber dies nicht als so gravierendes Fehlverhalten werten würde, dass es den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährden könnte (BAG 23.06.2009 – 2 AZR 103/08, a.a.O.).

Vor diesem Hintergrund musste das Betriebsratsmitglied nicht allein aufgrund des beabsichtigten Verstoßes gegen § 184i StGB damit rechnen, dass er seinen Arbeitsplatz gefährden würde. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall mit einer Abmahnung rechnen konnte. Angesichts der unstrittigen Alkoholisierung, die mit einer Enthemmung einherging, sowie der Tatsache, dass die Vorfälle am selben Abend stattfanden und das Betriebsratsmitglied über eine unbeanstandete langjährige Beschäftigung verfügt, war bei einem Schlag auf das Gesäß und der getätigten Äußerung in diesem speziellen Fall noch von einer Abmahnung auszugehen.

Auch wenn die Kammer des LAG den Vortrag der Arbeitgeberin, wonach das Betriebsratsmitglied absichtlich gehandelt hat und sich sehr wohl an die behauptete Handlung gegenüber Frau M. erinnert, jedoch im Prozess fälschlicherweise eine Erinnerungslücke angibt, als unstreitig unterstellt, überwog das Interesse des Betriebsratsmitgliedes an einer Weiterbeschäftigung das Interesse der Arbeitgeberin an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Äußerung gegenüber Frau CJ. bestreitet das Betriebsratsmitglied nicht, sondern interpretiert sie lediglich anders.  Besonders die lange Dauer und der bislang beanstandungsfreie Verlauf des Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, a.a.O.; 22.10.2015 – 2 AZR 381/14, BAGE 153, 102; 20.11.2014 – 2 AZR 664/13, a.a.O.; 18.09.2008 – 2 AZR 827/06, NZA-RR 2009, 393; 12.01.2006 – 2 AZR 179/05, a.a.O.) von mehr als 23 Jahren zum Zeitpunkt der Kündigung spricht zugunsten des Betriebsratsmitgliedes. Das Vertrauen, das das  Betriebsratsmitglied in seiner langjährigen Beschäftigung erworben hat, sowohl in die Richtigkeit seiner Arbeit als auch in die Berücksichtigung der Interessen der Arbeitgeberin und seiner Kollegen, ist erheblich (vgl. BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, a.a.O.). Das Betriebsratsmitglied wurde bislang weder in Bezug auf diese Vorfälle noch anderweitig abgemahnt; es handelt sich, so wurde nichts anderes vorgebracht, um ein ungestörtes Arbeitsverhältnis. Darüber hinaus haben sich zwar zwei sexuelle Belästigungen ereignet, diese geschahen jedoch am gleichen Abend unter unstrittiger Alkoholeinwirkung. Die Kammer geht aufgrund des zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs davon aus, dass zwischen den Vorwürfen eine enge Verbindung besteht. Aufgrund dieser Verbindung der beiden Vorfälle hat die Kammer nicht angenommen, dass sich daraus eine Wiederholungsgefahr ergibt.

Das Betriebsratsmitglied hat zudem Reue gezeigt, selbst wenn man den Vortrag der Arbeitgeberin, dass seine Erinnerungslücke nicht existiert, als unstreitig unterstellt. Das Betriebsratsmitglied hat, entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin, mit seiner prozessualen Stellungnahme nicht in Kauf genommen, dass die Zeuginnen als Lügnerinnen dastehen. Er hätte lediglich in Kauf genommen, dass sich im Rahmen der von der Arbeitgeberin gewünschten Beweisaufnahme der Vorwurf nicht bestätigen lässt. Damit würde nicht gleichzeitig feststehen, dass die Zeuginnen gelogen hätten, sondern lediglich, dass die Kammer nicht mit dem notwendigen Grad an Gewissheit von den Behauptungen der Arbeitgeberin überzeugt gewesen wäre. Das Betriebsratsmitglied hat darüber hinaus nicht behauptet, dass die Pflichtverletzung gegenüber Frau M. nicht stattgefunden hätte. Die Äußerung gegenüber Frau CJ. wird nicht bestritten; das Betriebsratsmitglied bewertet sie lediglich anders als Frau CJ. oder die Kammer. Obwohl das Betriebsratsmitglied die Handlung gegenüber Frau M. nicht ausdrücklich anerkennt, hat er erklärt, dass „sofern es sich um eine Erinnerungslücke handeln sollte“, diese keine Schutzbehauptung darstellt. Damit schließt das Betriebsratsmitglied nicht aus, dass er bezüglich der behaupteten Tat eine Erinnerungslücke hat und dass sich die Tat aus seiner Sicht so abgespielt haben könnte, wie von der Arbeitgeberin dargestellt, auch wenn er der Meinung ist, dass dies aufgrund seiner Einstellung und Persönlichkeit eigentlich nicht möglich sein kann.  Zu Lasten des Betriebsratsmitglieds war es jedoch nicht gesondert zu berücksichtigen, dass er möglicherweise den Straftatbestand des § 184i StGB verwirklicht hat. Das Arbeitsgericht hat dies zutreffend erkannt und gewürdigt. Kündigungsrechtlich relevant ist ausschließlich der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten sowie der damit verbundene Vertrauensbruch.

Das Betriebsratsmitglied kann nicht gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 BetrVG aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden.  Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 BetrVG kann ein Mitglied des Betriebsrats auf Antrag des Arbeitgebers ausgeschlossen werden, wenn es seine gesetzlichen Pflichten grob verletzt. Hierbei beziehen sich die gesetzlichen Pflichten auf die Amtspflichten des Betriebsratsmitglieds, also die Pflichten, die sich aus dem Betriebsverfassungsrecht ergeben (BAG 05.09.1967 – 1 ABR 1/67, BAGE 20, 56; LAG Düsseldorf 09.01.2013 – 12 TaBV 93/12, ZBVR online 2013, Nr. 11, 24-26). Die Pflichtverletzung muss „grob“ sein, das heißt objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend (vgl. BAG 22.06.1993 – 1 ABR 62/92, BAGE 73, 291; 21.02.1978 – 1 ABR 54/76, BB 1978, 1116; LAG Düsseldorf 09.01.2013 – 12 TaBV 93/12, a.a.O.). Diese Bewertung kann nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der betrieblichen Gegebenheiten und des Anlasses der Pflichtverletzung, erfolgen (BAG 22.06.1993 – 1 ABR 62/92, a.a.O.; 21.02.1978 – 1 ABR 54/76, a.a.O.; LAG Düsseldorf 09.01.2013 – 12 TaBV 93/12, a.a.O.). Zudem muss eine weitere Amtsausübung untragbar sein (BAG 22.06.1993 – 1 ABR 62/92, a.a.O.; LAG Düsseldorf 09.01.2013 – 12 TaBV 93/12, a.a.O.; LAG Berlin-Brandenburg 12.11.2012 – 17 TaBV 1318/12, NZA-RR 2013, 293). Das Verhalten des Betriebsratsmitglieds muss das Vertrauen zwischen dem Betriebsrat und der Belegschaft sowie zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber (vgl. BAG 05.09.1967 – 1 ABR 1/67, a.a.O.) oder innerhalb des Gremiums erheblich erschüttern. Dieses Vertrauen ist für den Betriebsrat essentiell, um seine gesetzlichen Aufgaben im Interesse der Gemeinschaft erfüllen zu können (vgl. BAG 05.09.1967 – 1 ABR 1/67, a.a.O.; LAG Düsseldorf 19.08.2021 – 5 TaBV 33/20, BeckRS 2021, 47783).  Die Voraussetzungen für einen Ausschluss aus dem Betriebsrat sind nicht gegeben. Das Betriebsratsmitglied hat, unter der Annahme, dass der Vortrag der Arbeitgeberin zutreffend und unstreitig ist, seine Amtspflichten als Betriebsrat nicht durch die Vorfälle am 01.02.2023 verletzt.  Die gesetzlichen Pflichten im Sinne von § 23 Abs. 1 BetrVG beziehen sich auf die Pflichten, die sich aus dem Betriebsverfassungsrecht ergeben, da hierbei das Amt des Betriebsrats betroffen ist (BAG 05.09.1967 – 1 ABR 1/67, a.a.O.; LAG Düsseldorf 23.06.2020 – 14 TaBV 75/19; 23.01.2015 – 6 TaBV 48/14, NZA-RR 2015, 299; 09.01.2013 – 12 TaBV 93/12, a.a.O.; LAG Mecklenburg-Vorpommern 11.07.2017 – 5 TaBV 13/16). Im Gegensatz dazu stehen die Pflichten, die jeden Arbeitnehmer betreffen und aus dem Arbeitsverhältnis resultieren (LAG Düsseldorf 23.06.2020 – 14 TaBV 75/19).  Das Verhalten eines Arbeitnehmers kann sowohl eine Pflichtverletzung in seiner Funktion als Betriebsratsmitglied als auch eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten darstellen (vgl. BAG 10.11.1993 – 7 AZR 682/92, NZA 1994, 500; 15.07.1992 – 7 AZR 466/91, NZA 1993, 220).  Sofern das Betriebsratsmitglied bei der Abendveranstaltung in W. am 01.02.2023 die von der Arbeitgeberin behaupteten Pflichtverletzungen begangen hat, sind damit keine Amtspflichtverletzungen verbunden. Unter der Annahme, dass der Vortrag der Arbeitgeberin unbestritten bleibt, handelte es sich um ein Fehlverhalten, das aus dem Arbeitsverhältnis resultiert. Das Betriebsratsmitglied nahm in seiner Funktion als Mitarbeiter der L. Abteilung an der Veranstaltung der L. Mitarbeiter teil. Die unstreitig begangenen sexuellen Belästigungen wurden nicht unter Ausnutzung seiner Position als Betriebsratsmitglied vorgenommen (vgl. hierzu auch Hess. LAG 11.12.2008 – 9 TaBV 141/08). Ein Zusammenhang mit seinem Amt als Betriebsrat ist nicht erkennbar. Dies gilt auch für den Vorwurf der Arbeitgeberin, das Betriebsratsmitglied habe die Arbeitnehmerinnen M. und CJ. implizit der Lüge bezichtigt. Auch in diesem Fall handelt es sich allenfalls um eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten (vgl. auch LAG Hamm 31.10.2023 – 7 TaBV 59/23; LAG Berlin-Brandenburg 04.02.2016 – 10 TaBV 2078/15). Zwar ist das Betriebsratsmitglied am vorliegenden Verfahren beteiligt, jedoch geschieht dies lediglich, weil eine Entscheidung seine betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten betrifft, was das Gesetz in § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG vorsieht. Er handelt jedoch nicht in seiner Funktion als Betriebsrat, wenn er sich im Verfahren oder im Vorfeld zu den ihm vorgeworfenen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen äußert.  Die Rechtsbeschwerde war aufgrund des Fehlens der Voraussetzungen nach § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG in Verbindung mit § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen.