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Unangemessene Benachteiligung von Arbeitnehmer durch Catch-all-Klausel

Bundesarbeitsgericht (8. Senat), Urteil vom 17.10.2024, Aktenzeichen 8 AZR 172/23

Leitsätze:

  1. Die Bestimmungen des am 26. April 2019 in Kraft getretenen Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) finden bzgl. Unterlassungsansprüchen auch dann Anwendung, wenn die Wiederholungsgefahr auf eine rechtsverletzende Handlung gestützt wird, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen wurde. Ein Unterlassungsanspruch besteht nur dann, wenn das beanstandete Verhalten zum Zeitpunkt seiner Vornahme nach dem damals geltenden Recht rechtswidrig war und die Voraussetzungen des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen zum Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung erfüllt sind.
  2. Eine formularmäßig vereinbarte Vertragsklausel, die den Arbeitnehmer bezüglich aller internen Vorgänge beim Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus zeitlich unbegrenzt zum Stillschweigen verpflichtet (sog. Catch-all-Klausel), benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb unwirksam.

Tatbestand:

In der Revisionsinstanz stritten die Parteien weiterhin über die Untersagung der Weitergabe vonGeschäftsgeheimnissen. Die Klägerin ist eine führende Herstellerin von Füllmaschinen für Lebensmittel und Getränke sowie dem entsprechenden Verpackungsmaterial. Dazu gehören Verpackungsmäntel, auch als Sleeves bekannt, die die Klägerin auf automatischen Faltschachtelklebemaschinen (AFK-Maschinen) in einer jährlichen Menge von etwa 34 Milliarden Stück produziert. Konkurrenzunternehmen haben bisher keine vergleichbaren Produkte in dieser Größenordnung auf den Markt gebracht. Die technologischen Fähigkeiten und die Produktqualität der Wettbewerber sind zwischen den Parteien umstritten.

Der Beklagte war von Oktober 1988 bis zum 31. Dezember 2016 bei der Klägerin angestellt. In dieser Zeit spielte er eine wesentliche Rolle bei der Weiterentwicklung der Produkte und stand in engem Kontakt mit Mitarbeitern aus der Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Ab dem 1. Januar 2009 war er auf Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 5. Dezember 2008 als Central Technology Manager tätig. Der Arbeitsvertrag enthält unter anderem folgende Regelung: „11. Geheimhaltung: Herr D verpflichtet sich, über alle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie über alle anderen Angelegenheiten und Vorgänge, die ihm im Rahmen seiner Tätigkeit bekannt werden, Stillschweigen zu bewahren. Er wird sicherstellen, dass Dritte nicht unbefugt Zugang zu diesen Informationen erhalten. Die Geheimhaltungsverpflichtung gilt auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus und umfasst die Inhalte dieses Vertrages.“ Der Beklagte kündigte sein Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2016 und ist seit dem 1. Januar 2017 als Global Technology Manager bei einem der Hauptkunden der Klägerin tätig.

Der Beklagte kündigte sein Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2016. Seit dem 1. Januar 2017 ist er als Global Technology Manager bei einem der Hauptkunden der Klägerin tätig. Im Oktober 2018 erfuhr die Klägerin, dass der Beklagte am 20. September 2015, 13. Dezember 2015 und 31. Dezember 2015 unter einem Pseudonym mehrere E-Mails mit Anhängen an die Gesellschafter eines damals potenziell konkurrierenden Unternehmens gesendet hatte. Die Anhänge enthielten spezifische Leistungsdaten und Prozessparameter der AFK-Maschinen sowie Geometrie- und Toleranzdaten der Sleeves der Klägerin. Darüber hinaus beinhalteten sie qualitätsrelevante Informationen zur Mantelspannung und Aufspringhöhe der Sleeves. Der Beklagte informierte den potenziellen Wettbewerber auch über die Längsnahtgeometrie, Nahtdicke und Toleranzen.

Mit einem Schreiben vom 12. Oktober 2018 mahnte die Klägerin den Beklagten ab. Die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung lehnte der Beklagte ab. Ein Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Untersagung der Weitergabe von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen war letztlich erfolglos. In der vorliegenden Klage vertritt die Klägerin weiterhin die Auffassung, dass ihr ein solcher Unterlassungsanspruch zustehe. Sie argumentiert, dass der Beklagte durch den Versand der E-Mails im Jahr 2015 erheblich gegen seine arbeitsvertragliche Geheimhaltungsverpflichtung verstoßen habe und sich damit des Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gemäß § 17 Abs. 1 UWG in der bis zum 25. April 2019 geltenden Fassung schuldig gemacht habe. Daraus ergebe sich in Verbindung mit §§ 3, 8 Abs. 1 UWG sowie §§ 823, 1004 Abs. 1 BGB ein Unterlassungsanspruch. Das am 26. April 2019 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) sei nicht relevant, da dessen Anforderungen an den Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht rückwirkend erfüllt werden könnten.

Die Klägerin hat – soweit für die Revision relevant – folgende Anträge gestellt:

  1. Dem Beklagten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken unbefugt Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse der Klägerin, die ihm im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses anvertraut oder zugänglich gemacht wurden, an Dritte weiterzugeben. Dies betrifft insbesondere die Weitergabe spezifischer Leistungsdaten der Packstoffproduktionsanlagen (z.B. AFK-Maschinen) sowie exakter Geometriedaten und Toleranzen des Verpackungsmaterials. Hierzu verweisen die Anlagen K 9, 10 und 11 auf E-Mails vom 20. September 2015, 13. Dezember 2015 und 31. Dezember 2015 sowie auf die Dokumente „2.2 Randstreifen und Staub.docx“, „2.3 Kühlwasser.docx“, „2.6 Saugventilator.docx“, „QS-609.docx“ zum „Aufspringverhalten“ und „QS-604.docx“ zur „Längsnahtgeometrie Nahtdicke“, die der Beklagte unter dem Pseudonym „K“ versandt hat. Ausgenommen hiervon sind Daten, die der Beklagte rechtmäßig von Dritten, wie seinem aktuellen Arbeitgeber R GmbH, erhalten hat oder Wissen, das er nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus seinem Gedächtnis reproduziert hat, ohne auf während seiner Beschäftigung bei der Klägerin angefertigte schriftliche Unterlagen zurückzugreifen.
  2. Für jeden Fall einer Zuwiderhandlung gegen die Anordnung gemäß Ziffer 1 ist dem Beklagten ein Ordnungsgeld anzudrohen; kann dieses nicht beigetrieben werden, ist Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten in Aussicht zu stellen. Das einzelne Ordnungsgeld darf dabei einen Betrag von 250.000 Euro nicht überschreiten, während die Gesamtdauer der Ordnungshaft zwei Jahre nicht übersteigen darf

Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Klägerin als unbegründet ab. Damit bestätigte es die Entscheidung des zweitinstanzlichen Landesarbeitsgerichts, welches zuvor die Berufung gegen das die zulässige aber unbegründete Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen hatte.

Das BAG hält den Klageantrag zu 1. für zulässig und auch hinreichend bestimmt.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die im Klageantrag zu 1. geforderte Unterlassung. Daher besteht keine Grundlage für die Androhung von Ordnungsmitteln gemäß dem Klageantrag zu 2.

1.Die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch gemäß § 6 GeschGehG sind nicht gegeben.
a) Im Gegensatz zur Auffassung der Revision richtet sich das Vorliegen eines Unterlassungsanspruchs nach § 6 GeschGehG und nicht nach § 17 Abs. 1 UWG aF in Verbindung mit § 823 Abs. 2, § 1004 Abs. 1 BGB analog.
aa) Das am 26. April 2019 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (vgl. Art. 6 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom 18. April 2019, BGBl. I S. 466) dient der Umsetzung der genannten Richtlinie und hat ohne Übergangsregelung die §§ 17 bis 19 UWG aF abgelöst. Der Gesetzgeber hielt den bisherigen Schutz von Geschäftsgeheimnissen für unzureichend (BT-Drs. 19/4724 S. 19) und legte den Inkrafttretentag auf den Tag nach der Verkündung am 25. April 2019 fest. Es wurde keine spezielle Regelung für sogenannte Altfälle geschaffen, bei denen die rechtsverletzende Handlung vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes stattfand. Somit ist seit dem 26. April 2019 im Hinblick auf Unterlassungsansprüche ausschließlich § 6 GeschGehG anzuwenden (vgl. BayObLG 22. Februar 2023 – 102 AR 73/22 – zu II 2 f aa der Gründe).
bb) Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass Rechtsverletzungen, die unter Geltung der §§ 17 bis 19 UWG aF begangen wurden, keine Relevanz mehr haben sollen. Ein Unterlassungsanspruch, der sich nach § 6 Satz 1 GeschGehG auf Wiederholungsgefahr stützt, besteht, wenn das beanstandete Verhalten sowohl zum Zeitpunkt seiner Ausführung als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz rechtswidrig war (BGH 16. Dezember 2021 – I ZR 186/20 – Rn. 22; OLG Düsseldorf 11. März 2021 – I-15 U 6/20 – zu B I 1 der Gründe; Keller/Schönknecht/Glinke/Keller, GeschGehG, Einleitung Rn. 18; Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus/Ohly, GeschGehG, § 6 Rn. 14).

Für Altfälle genügt es daher für einen Unterlassungsanspruch, dass vor dem Inkrafttreten des GeschGehG ein Verstoß gegen die §§ 17 ff. UWG aF festgestellt wurde und zum Zeitpunkt der Entscheidung die weiteren Voraussetzungen des § 6 Satz 1 GeschGehG erfüllt sind (vgl. Hoppe/Oldekop GRUR-Prax 2019, 324, 325; MüKoUWG/Hauck 3. Aufl. GeschGehG vor § 1 Rn. 23). Diese „Doppelprüfung“ verhindert einerseits eine verfassungsrechtlich bedenkliche Rückwirkung, da die Rechtmäßigkeit eines Sachverhalts, der vor dem 26. April 2019 abgeschlossen wurde, ausschließlich nach den damals geltenden §§ 17 ff. UWG aF beurteilt wird. Andererseits wird der Bedeutung des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen in Bezug auf den Zeitpunkt der letztinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung Rechnung getragen, da der Unterlassungsanspruch zukunftsgerichtet ist.

b) Im vorliegenden Fall besteht kein Unterlassungsanspruch aufgrund von Wiederholungsgefahr gemäß § 6 Satz 1 GeschGehG.
aa) Zu Gunsten der Klägerin kann angenommen werden, dass der Beklagte im Jahr 2015, während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, durch den Versand von E-Mails an die potenzielle Wettbewerberin unter falschem Namen gegen § 17 Abs. 1 UWG aF verstoßen hat. In diesem Zusammenhang könnte die Klägerin aufgrund indizierter Wiederholungsgefahr einen Unterlassungsanspruch geltend gemacht haben (vgl. hierzu BAG 19. Mai 1998 – 9 AZR 394/97 – zu C II der Gründe).
bb) Allerdings kann die Klägerin die begehrte Unterlassung nicht nach § 6 Satz 1 GeschGehG verlangen. Nach dieser Vorschrift ist es dem „Inhaber des Geschäftsgeheimnisses“ vorbehalten, den Rechtsverletzer bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Die Klägerin ist jedoch nicht Inhaberin eines Geschäftsgeheimnisses im Sinne dieser Regelung, da die betreffenden technischen Daten nicht als Geschäftsgeheimnisse gemäß § 2 Nr. 1 GeschGehG gelten.

(1) Es kann offenbleiben, ob diese Daten als Informationen im Sinne von § 2 Nr. 1 Buchst. a GeschGehG zu betrachten sind. Die diesbezügliche Verfahrensrüge ist daher nicht entscheidungserheblich. Das Landesarbeitsgericht hat unter Verweis auf die ausführlich begründete Entscheidung der ersten Instanz ohne revisiblen Rechtsfehler festgestellt, dass es basierend auf dem Vortrag der Klägerin jedenfalls an „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ gemäß § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG mangelt.

(a) Die erforderlichen Geheimhaltungsmaßnahmen hängen von der Art des Geschäftsgeheimnisses und den spezifischen Umständen seiner Nutzung ab. Hierzu können sowohl Zugangsbeschränkungen als auch vertragliche Sicherungsmechanismen zählen (vgl. BT-Drs. 19/4724 S. 24; LAG Baden-Württemberg 18. August 2021 – 4 SaGa 1/21 – zu B I 1 c der Gründe; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, 42. Aufl., GeschGehG, § 2 Rn. 48 ff.). Im vorliegenden Fall muss die Person, die sich auf den Schutz eines ihr zustehenden Geschäftsgeheimnisses beruft, sowohl darlegen, welche Geheimhaltungsmaßnahmen sie getroffen hat, als auch deren Angemessenheit im konkreten Einzelfall nachweisen (BeckOK GeschGehG/Fuhlrott Stand 15. September 2024, GeschGehG § 2 Rn. 66 mwN).

(b) Ob im Einzelfall angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen im Sinne von § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG getroffen wurden, ist eine Tatsachenfrage, die von den Tatsachengerichten nur eingeschränkt revisionsrechtlich überprüfbar gewürdigt wird. In der Revisionsinstanz kann lediglich geprüft werden, ob der unbestimmte Rechtsbegriff der „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ missverstanden wurde, ob gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungsgrundsätze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen wurde oder ob wesentliche Umstände nicht berücksichtigt wurden (vgl. zu § 22 Abs. 2 BDSG BAG 9. Mai 2023 – 1 ABR 14/22 – Rn. 72).

(c) Dies trifft hier nicht zu. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die von der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin vorgebrachten Sicherungsmaßnahmen in Anbetracht des behaupteten wirtschaftlichen Wertes der technischen Daten keinen angemessenen Schutz des Geheimnisses bieten. Es fehle an arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitsklauseln für spezifische Informationen sowie an der Implementierung eines Kontrollsystems. Der Vortrag der Klägerin zu technischen Sicherheitsmaßnahmen und einer angemessenen IT-Sicherheit beschränke sich auf allgemeine Behauptungen, die eine Beurteilung der Angemessenheit des Geheimnisschutzes nicht zulassen. Diese Bewertung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, und die Revision erhebt diesbezüglich auch keine Einwände.

(2) Es kann daher offenbleiben, ob bei Altfällen im oben beschriebenen Sinne (vgl. Rn. 19) die nach § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG erforderlichen Geheimhaltungsmaßnahmen bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen getroffen werden mussten (so OLG Stuttgart, 19. November 2020 – 2 U 575/19 – zu D I 6 a der Gründe; Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus/Ohly, 2. Aufl., GeschGehG, § 6 Rn. 14) oder ob erst der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist. Die Klägerin war zu keinem Zeitpunkt in der Lage, „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ im Sinne von § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG nachzuweisen.

c) Da kein Geschäftsgeheimnis vorliegt, besteht auch keine erstmalige Rechtsverletzung im Sinne von § 6 Satz 2 GeschGehG.

2. Ein Unterlassungsanspruch kann nicht auf § 11 des Arbeitsvertrags vom 5. Dezember 2008 gestützt werden. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass die unbeschränkte Geheimhaltungsverpflichtung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus unwirksam ist.

a) Dies ergibt sich jedoch nicht aus dem GeschGehG. Der Gesetzgeber beabsichtigte mit dem GeschGehG keine Änderungen der Anforderungen an vertragliche Verschwiegenheitsverpflichtungen und nachvertragliche Wettbewerbsverbote (vgl. BT-Drs. 19/4724 S. 27). Nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG bleiben die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis unberührt. Unionsrechtliche Vorgaben stehen dem nicht entgegen (vgl. EuArbRK/Schubert, 5. Aufl., RL (EU) 2016/943 Art. 1 Rn. 17). Daher ist es möglich, den Geheimnisschutz über die Bestimmungen des GeschGehG hinaus vertraglich zu erweitern (Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, S. 583, S. 585). Dies betrifft insbesondere den Schutz von Informationen, die nicht als Geschäftsgeheimnisse im Sinne von § 2 Nr. 1 GeschGehG gelten (vgl. Preis/Seiwerth, RdA 2019, S. 351, S. 357).

b) Die vereinbarte Geheimhaltungsverpflichtung ist jedoch unwirksam. Es handelt sich um eine sogenannte Catch-all-Klausel, die uneingeschränkt und unbegrenzt zur Verschwiegenheit verpflichtet. Dadurch wird der Arbeitnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligt (vgl. auch LAG Köln, 2. Dezember 2019 – 2 SaGa 20/19; Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, S. 809, S. 812; Thüsing in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 11. Aufl., § 611a BGB Rn. 504; Kuß/Lorbach/Thönißen, DB 2024, S. 864, S. 866).
aa) Unabhängig davon, ob die Klausel in § 11 des Arbeitsvertrags vom 5. Dezember 2008 für eine Vielzahl von Verträgen gemäß § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB vorformuliert wurde oder ob es sich um eine sogenannte Einmalbedingung im Sinne von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB handelt, unterliegt sie den Auslegungsmaßstäben für Allgemeine Geschäftsbedingungen (vgl. hierzu BAG, 20. Oktober 2022 – 8 AZR 332/21 – Rn. 24) sowie einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, was die Revision nicht bestreitet.
bb) Der klare Wortlaut der Klausel lässt sie als umfassende Verpflichtung zur Stillschweigen über alle internen Vorgänge verstehen. Sie bezieht sich sowohl auf „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ als auch auf „alle sonstigen … im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangenden Angelegenheiten und Vorgänge der Gesellschaft“ und sieht in Satz 3 eine zeitlich unbegrenzte Ausdehnung der Geheimhaltungspflicht über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus vor.
cc) Diese Regelung benachteiligt den betroffenen Arbeitnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 BGB.

(1) Gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders in einer Weise benachteiligen, die gegen die Gebote von Treu und Glauben verstößt. Eine Benachteiligung gilt als unangemessen, wenn sie ein rechtlich anerkanntes Interesse des Arbeitnehmers beeinträchtigt, ohne dass dies durch nachvollziehbare und angemessene Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Um eine unangemessene Benachteiligung festzustellen, müssen die rechtlich anerkannten Interessen beider Vertragspartner wechselseitig berücksichtigt und bewertet werden. Dies erfordert eine umfassende Würdigung der Positionen beider Seiten unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Bei der Beurteilung der Unangemessenheit ist ein allgemeiner, typisierender Maßstab anzulegen, der vom Einzelfall unabhängig ist. Die Interessen des Verwenders sind gegen die Interessen der typischerweise beteiligten Vertragspartner abzuwägen. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind zudem Art und Gegenstand, Zweck sowie besondere Merkmale des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen (BAG, 23. Januar 2024 – 9 AZR 115/23 – Rn. 37).

(2) Eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht kann sich, sofern das Interesse des Arbeitgebers am Schweigen des Arbeitnehmers überwiegt, höchstens auf bestimmte, konkret benannte Geschäftsgeheimnisse beziehen (vgl. Clemenz/Kreft/Krause/Klumpp, 3. Aufl., BGB § 307 Rn. 292). Im Gegensatz dazu schränkt eine umfassende Verpflichtung zur Verschwiegenheit, wie sie hier vorliegt, die durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufsfreiheit des betroffenen Arbeitnehmers unangemessen ein und steht im Widerspruch zum gesetzlichen Rahmen für nachvertragliche Wettbewerbsverbote gemäß §§ 74 ff. HGB (vgl. ErfK/Preis/Greiner, 24. Aufl., BGB § 611a Rn. 817).
(a) Wenn – wie in diesem Fall – kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot im Sinne der §§ 74 ff. HGB vereinbart wurde, ist der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich nicht mehr verpflichtet, dem Arbeitgeber keinen Wettbewerb zu machen (BAG, 11. Dezember 2013 – 10 AZR 286/13 – Rn. 28). Im Rahmen einer neuen Tätigkeit darf er sein im vorherigen Arbeitsverhältnis erworbenes Erfahrungswissen, einschließlich der Kenntnisse über Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, nutzen und in den Kundenkreis des Arbeitgebers eindringen (BAG, 19. Mai 1998 – 9 AZR 394/97 – zu C I der Gründe; 15. Juni 1993 – 9 AZR 558/91 – zu I 2 b aa der Gründe, BAGE 73, 229; zur Beschränkung auf Gedächtniswissen vgl. BGH, 22. März 2018 – I ZR 118/16 – Rn. 46).
(b) Die hier zu bewertende Klausel ist äußerst weit gefasst und würde bei ihrer Gültigkeit einem ehemaligen Arbeitnehmer faktisch verbieten, sein Wissen bei einem neuen Arbeitgeber in einer vergleichbaren Position zu nutzen.

Das Gleiche gilt für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. In diesem Fall würde die Klausel ohne jegliche zeitliche Einschränkung einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot gleichkommen (vgl. zu sogenannten Kundenschutzabreden: BAG, 16. August 1988 – 3 AZR 664/87 – zu B I 1 der Gründe; 15. Dezember 1987 – 3 AZR 474/86 – zu B I 1 b der Gründe, BAGE 57, 159). Diese Regelung berücksichtigt die Interessen des Arbeitnehmers in keiner Weise. Hätte die Klägerin beabsichtigt, eine zeitlich begrenzte Nutzung von Wissen zu verhindern, hätte sie ein wirksames nachvertragliches Wettbewerbsverbot gemäß §§ 74 ff. HGB vereinbaren und eine Karenzentschädigung zahlen müssen (vgl. Kuß/Lorbach/Thönißen, DB 2024, S. 864, S. 869; Schaub, ArbR-HdB/Linck, 20. Aufl., § 53 Rn. 48; Staudinger/Fischinger [2022], BGB § 611a Rn. 1265). Dadurch wären die wechselseitigen Interessen gesetzeskonform gewahrt worden. Die streitgegenständliche Klausel hingegen dient ausschließlich den Interessen der Klägerin.

3. Ein Unterlassungsanspruch kann auch nicht auf § 241 Abs. 2 BGB gestützt werden.

a) Gemäß § 241 Abs. 2 BGB kann das Schuldverhältnis jeden Vertragspartner dazu verpflichten, die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen zu berücksichtigen. Die spezifischen Rücksichtnahmepflichten lassen sich jedoch nicht in einem abschließenden Katalog festlegen, sondern müssen im Kontext der jeweiligen Umstände des Einzelfalls bestimmt werden. § 241 Abs. 2 BGB verlangt nicht, dass eigene Interessen verleugnet werden; vielmehr fordert es eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite (BAG, 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 33, BAGE 165, 315).

b) Grundsätzlich kann § 241 Abs. 2 BGB die Verpflichtung zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen begründen (vgl. BAG, 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 26; 23. Oktober 2008 – 2 ABR 59/07 – Rn. 23; vgl. bereits BAG, 15. Dezember 1987 – 3 AZR 474/86 – zu B I 2 a der Gründe, BAGE 57, 159). Unabhängig davon, ob sich eine solche Pflicht auf Geschäftsgeheimnisse im Sinne von § 2 Nr. 1 GeschGehG bezieht (vgl. hierzu Schmitt, NZA-Beilage 2020, S. 50, S. 53), ist bei der Bewertung einer nachvertraglichen Verschwiegenheitsverpflichtung das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse des Arbeitnehmers an der Nutzung seines Wissens zu berücksichtigen (vgl. BeckOK GeschGehG/Fuhlrott, Stand: 15. September 2024, GeschGehG § 1 Rn. 38; Preis/Seiwerth, RdA 2019, S. 351, S. 358). Dieses Interesse des Beklagten überwiegt aus den oben genannten Gründen das Geheimhaltungsinteresse der Klägerin.

4. Vor diesem Hintergrund ist auch eine deliktische Anspruchsgrundlage für einen Unterlassungsanspruch ausgeschlossen.