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Einrichtung einer Einigungsstelle zur Implementierung und Nutzung eines IT-Systems zur Erfassung von Arbeitszeiten

Landesarbeitsgericht Köln (9. Kammer), Beschluss vom 28.01.2025, Aktenzeichen 9 TaBV 88/24

Leitsätze: 

1. Komplexe technische und ungeklärte rechtliche Fragen, von deren Beantwortung die Zuständigkeit einer Arbeitnehmervertretung (hier: Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat bei Einführung einer Arbeitszeiterfassung im Ein-Mandaten-Modell) abhängt, sind nicht im Einigungsstelleneinsetzungsverfahren nach 100 ArbGG abschließend zu klären, sondern fallen in die Vorfragenkompetenz der Einigungsstelle.

2. Sind weder Konzernbetriebsrat noch Gesamtbetriebsrat offensichtlich unzuständig, können zwei Einigungsstellen zur Regelung derselben Angelegenheit eingesetzt werden.

3. Zur Vermeidung divergierender Einigungsstellenbeschlüsse ist es in diesen Fällen angezeigt, jeweils denselben Einigungsstellenvorsitzenden zu bestellen.

Sachverhalt: 

Die Parteien streiten darüber, ob eine Einigungsstelle eingesetzt werden soll, um die Einführung und Anwendung eines IT-Systems zur Arbeitszeiterfassung zu regeln.

Die Arbeitgeberin ist Teil des D-Group-Konzerns, zu dem auch die D E GmbH und die D A GmbH gehören. Zusammen mit anderen Unternehmen des Konzerns und der Arbeitgeberin bilden sie die Division “E”.

Der Antragsteller, der als Gesamtbetriebsrat fungiert, vertritt basierend auf einem Zuordnungstarifvertrag gemäß § 3 BetrVG die Bereiche Vertrieb, Zentrale und Operationeller Bereich mit 14 betriebsverfassungsrechtlichen Betrieben sowie das HUB S. 

Die Arbeitgeberin plant, das IT-System “U” in den Unternehmen der Division E einzuführen. Es handelt sich um ein Cloud-System, das als Software-as-a-Service (SaaS) genutzt wird, um Anwesenheits- und Abwesenheitszeiten zu erfassen und die Personaleinsatzplanung zu unterstützen. Das System soll konzernweit einheitlich als Ein-Mandanten-Lösung implementiert werden.

Die D AG, als Konzernobergesellschaft, forderte den Konzernbetriebsrat zu Verhandlungen über die Einführung von U auf. Der Konzernbetriebsrat lehnte dies ab, da er sich nicht zuständig fühlte und die Zuständigkeit entweder bei den örtlichen Betriebsräten oder dem Antragsteller sah.

Daraufhin beantragte die D AG beim Arbeitsgericht B die Einsetzung einer Einigungsstelle, deren Einsetzung mittlerweile durch einen rechtskräftigen Beschluss erfolgte.

Der Antragsteller sieht seine Zuständigkeit als gegeben an und forderte Verhandlungen über eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Einführung und Nutzung von U. Nachdem die Arbeitgeberin die Verhandlungen ablehnte, beschloss der Gesamtbetriebsrat, das vorliegende Verfahren einzuleiten.

Der Antragsteller argumentiert, dass die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig sei, da es technisch möglich sei, eine Mandantentrennung zwischen den Gesellschaften vorzunehmen. Denn es stehe nicht hinreichend sicher fest, ob sich das Mitbestimmungsrecht auch auf die Frage beziehe, ob eine Ein-Mandanten-Lösung oder eine Mehr-Mandanten-Lösung eigeführt werde. Da auch die Schichtplanung mit dem System vorgenommen werden solle, seien Eingriffe in bestehende Betriebsvereinbarungen auf lokaler und gesamtbetrieblicher Ebene zu erwarten. Letztendlich basiert die Entscheidung für eine einheitliche Regelung im Konzern nicht auf einer Anweisung des Vorstandes, sondern ist das Ergebnis einer Entscheidung des lokalen Managements.

Herr Dr. H wird als geeignet für die Einigungsstelle angesehen, und die Anzahl der Beisitzer wird auf fünf pro Seite festgelegt, um die Komplexität der Angelegenheit zu berücksichtigen. Es wird angestrebt, dass aus jeder Region ein Mitglied in der Einigungsstelle vertreten ist und externer Sachverstand hinzugezogen wird.

Der Gesamtbetriebsrat hat den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht N Dr. T H als Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung der Thematik “Einführung und Anwendung des IT-Systems U” vorgeschlagen und beantragt, die Anzahl der von den Beteiligten zu benennenden Beisitzer auf fünf festzusetzen, da es wichtig sei, dass aus jeder Region ein Mitglied in der Einigungsstelle vertreten ist und zudem externer Sachverstand hinzugezogen wird. 

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzulehnen, oder alternativ, den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht D O K als Vorsitzenden einer Einigungsstelle zu bestellen und die Anzahl der Beisitzer auf drei festzulegen. Sie argumentierte, dass der Konzernbetriebsrat für die Mitbestimmung bei der Einführung und Nutzung des IT-Systems zuständig sei, da die Software in mehreren Unternehmen des Konzerns eingesetzt werden solle und eine unternehmensübergreifende Regelung notwendig sei.

Um mögliche Zuständigkeitskonflikte beider Einigungsstellen zu vermeiden, schlug die Arbeitgeberin vor, beide Einigungsstellen mit demselben Vorsitzenden, Herrn K, und jeweils drei Beisitzern zu besetzen.

Das Arbeitsgericht hat am 05.12.2024 beschlossen, Herrn K zum Vorsitzenden der Einigungsstelle zu bestellen und jeweils drei Beisitzer festzulegen. Die Begründung lautet, dass die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig ist, da bei der Einführung des IT-Systems U ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht. Es ist nicht eindeutig, ob dieses Mitbestimmungsrecht dem Konzernbetriebsrat oder dem Gesamtbetriebsrat zusteht. Herr K wird zum Vorsitzenden ernannt, da er bereits in der ähnlichen Einigungsstelle, die die Arbeitgeberseite bereits einsetzen ließ, tätig ist. 

Die Arbeitgeberin hat am 24.12.2024 beim Landesarbeitsgericht Beschwerde eingelegt und argumentiert, dass aufgrund der einheitlichen Einführung des IT-Systems U für drei Konzernunternehmen des Teilkonzerns E die Regelung mit dem Konzernbetriebsrat erfolgen müsse.

Die gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zulässige, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Arbeitgeberin wie das Landesarbeitsgericht Köln als unbegründet ab und führte aus, dass das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt habe, dass die vom Gesamtbetriebsrat angerufene Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig im Sinne von § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist, da die Einführung und Anwendung des IT-Systems U der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegt. Es wurde auch korrekt angenommen, dass es sich hierbei nicht um eine Angelegenheit handelt, die offenkundig mehrere Konzernunternehmen betrifft im Sinne von § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, sodass diese nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden kann.

Weiter führte es aus, dass es zwar gewichtige Argumente dafür gäbe, dass eine einheitliche Einführung und Anwendung des IT-Systems U für drei Konzernunternehmen in Form einer Ein-Mandanten-Lösung sowie die Erfassung sämtlicher Arbeitszeitstamm- und Bewegungsdaten in einer zentralen Datenbank eine Regelung mit dem Konzernbetriebsrat erforderlich macht. Es sah aber auch, wie das Arbeitsgericht jedoch richtig dargelegt hat, dass im vorliegenden Verfahren ohne tiefere Analyse des Systems nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne, welche Daten auf welchen Servern von welchen Arbeitnehmern für andere Unternehmen (potenziell) verarbeitet und eingesehen werden können. Zudem ist unklar, ob die Administration der Software nur einheitlich für das gesamte Unternehmen erfolgt und ob die Administrationsrechte zentral vergeben werden. Auch die Fragen, ob die Entscheidung zur Einführung des IT-Systems als Ein-Mandantenlösung lediglich auf Zweckmäßigkeitserwägungen eines lokalen Managements beruhte oder ob sich aus einer bindenden Organisationsentscheidung der Konzernspitze ein objektiver Zwang zu einer unternehmenseinheitlichen Regelung ergibt, können im beschleunigten Verfahren nach § 100 ArbGG nicht abschließend geklärt werden. Gleiches gilt für die rechtliche Frage, ob die Entscheidung für das Ein-Mandanten-Modell ohne Mitbestimmung getroffen werden durfte. All dies wird die Einigungsstelle im Rahmen ihrer Vorfragenkompetenz selbst prüfen müssen, bevor sie eine Regelung in der Sache trifft (vgl. BAG, Beschluss vom 28. Mai 2002 – 1 ABR 37/01 -, BAGE 101, S. 203-215, Rn. 60; BAG, Beschluss vom 22. Oktober 1981 – 6 ABR 69/79 -, BAGE 36, S. 385-392, Rn. 19).

In Anbetracht dieser Umstände ist es laut Landesarbeitsgericht Köln nicht nur vertretbar, sondern auch sinnvoll, dass das Arbeitsgericht Herrn K., gegen dessen Eignung und neutrale Verhandlungsführung keine wesentlichen Bedenken bestehen, als Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt hat. Dies gewährleistet am ehesten, dass die zur Einführung und Anwendung von U eingesetzten Einigungsstellen zu konsistenten Bewertungen gelangen.

Aus Sicht des Landesarbeitsgerichts Köln, hat das erstinstanzliche Gericht zudem richtigerweise die Anzahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf jeweils drei festgelegt. Eine höhere Anzahl ist nicht notwendig, da U nur bei drei Konzerngesellschaften eingeführt wird und – wie das Arbeitsgericht überzeugend dargelegt hat – bei den technischen Gegebenheiten keine abweichenden Auffassungen oder umfangreiche Diskussionen zwingend zu erwarten sind. Lokale Besonderheiten können gegebenenfalls bereits vor den Sitzungen von der Einigungsstelle erfasst werden und entsprechend berücksichtigt werden.