Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 04.02.2025, Aktenzeichen 10 SLa 470/24
Leitsätze:
- Die Einführung von Kurzarbeit bewirkt eine Herabsetzung der arbeitsvertraglich geschuldeten und betriebsüblichen Arbeitszeit, mit der eine proportionale Verkürzung der vertraglich geschuldeten Arbeitsvergütung einhergeht. Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers wird für die Dauer der Kurzarbeit ganz oder teilweise suspendiert. Diese vergütungsrechtliche Folge der Einführung von Kurzarbeit stellt sich jedenfalls dann als Abweichung von § 611a BGB dar, wenn die Verminderung des Entgeltanspruchs unabhängig von der Bewilligung von Kurzarbeitergeld eintreten soll.
- Im Hinblick auf die existenzsichernde Funktion des Arbeitsentgelts geht es zu weit, wenn sich der Arbeitgeber vorbehält, die Arbeitszeit ohne Einhaltung einer Ankündigungsfrist “wöchentlich anzupassen” sowie die Kurzarbeit “sofort” abzubrechen und den Arbeitnehmer “jederzeit zur Wiederaufnahme der vollen Tätigkeit zurückrufen” zu können.
- Allgemeine Geschäftsbedingungen zur Einführung von Kurzarbeit haben deren voraussichtliches Enddatum zu benennen.
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in dem Umfang stattgegeben, der Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Zur Begründung führte es aus, dass die Beklagte 54 Urlaubstage aus den Jahren 2020 bis 2022 mit jeweils 122,24 Euro brutto abzüglich des bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 2.219,94 Euro netto abgelten müsse.
Der Anspruch sei nicht verfallen, da die Beklagte den Kläger nicht entsprechend informiert habe. Zudem mindere sich der Anspruch nicht aufgrund von Kurzarbeit, da die diesbezügliche Vereinbarung den Kläger wegen mangelnder Bestimmtheit unangemessen benachteilige und daher unwirksam sei. Es fehle an Angaben zur potenziellen Dauer sowie an einer Ankündigungsfrist für den Abbruch und die Wiedereinführung der Kurzarbeit.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte Berufung eingelegt. In ihrer Berufung führt sie aus, dass der Anspruch auf die Agentur für Arbeit übergegangen sei, wodurch dem Kläger die Aktivlegitimation fehle. Die Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit sei wirksam; das Fehlen einer Ankündigungsfrist führe nicht zur Unangemessenheit, da betroffene Arbeitgeber aufgrund der COVID-19-Pandemie schnell auf häufige Änderungen reagieren mussten. Die Angabe eines konkreten Enddatums wäre überflüssig gewesen, da eine Entscheidung über eine Verlängerung oder Aufhebung der Kurzarbeit ohnehin nicht vor einem angekündigten Endtermin hätte getroffen werden können. Daher stünde dem Kläger für das Kalenderjahr 2020 lediglich ein Urlaubsanspruch von vier Tagen und für das Jahr 2021 von zehn Tagen zu; für das Jahr 2022 bestehe kein Anspruch. Im Falle seiner Aktivlegitimation könne der Kläger somit nur einen Betrag von 1.711,36 Euro verlangen.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass die Urlaubsabgeltung für den Zeitraum vom 1. März 2020 bis zum 31. Juli 2021 sowie vom 1. Januar 2022 bis zum 31. März 2022 dem Kläger nicht zugesprochen wird und die Klage in diesem Umfang abgewiesen wird.
Der Kläger hingegen beantragt, die Berufung zurückzuweisen und verteidigt das angegriffene Urteil gemäß seiner Berufungserwiderung und führt insbesondere aus, dass die übergegangenen Ansprüche bereits abgezogen worden seien. Zudem sei die Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit unwirksam, da deren Ende völlig unbestimmt sei, was für die betroffenen Arbeitnehmer zu einem Verlust jeglicher Planungssicherheit führe. Darüber hinaus hätte die Vereinbarung konkrete betriebliche Gründe angeben müssen.
Entscheidungsgründe:
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat die fristgerecht eingelegte und statthafte Berufung als unbegründet zurückgewiesen.
Die Beklagte richtet ihre Berufung nicht gegen das erstinstanzliche Urteil in Bezug auf die Verurteilung zur Zahlung von 1.711,36 Euro brutto nebst Zinsen. Der Antrag in ihrer Berufungsbegründung deutet ausdrücklich darauf hin, dass sie das Urteil nur insoweit anfechten möchte, als es dem Kläger Urlaubsabgeltung für die konkret genannten Kurzarbeitszeiträume zuspricht. Dass in der Berufungsbegründung erwähnt wird, dem Kläger stünden die verbleibenden 1.711,36 Euro zu „wenn er aktivlegitimiert wäre“, steht dem nicht entgegen. Zum einen ist der Wortlaut des Antrags eindeutig und lässt keine andere Auslegung zu. Hätte die Beklagte eine andere Intention gehabt, hätte es nahegelegen, mit einer üblichen Formulierung zu beantragen, das Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Zum anderen enthält die Berufungsbegründung keine Argumente dafür, dass weitere Ansprüche auf die Agentur für Arbeit übergegangen sein sollten, abgesehen von den bereits vom Kläger abgezogenen Ansprüchen.
Aufgrund dieser unzureichenden Auseinandersetzung mit dem angegriffenen Urteil wäre eine weitergehende Berufung unzulässig gewesen. Dieser Umstand spricht zusätzlich gegen eine abweichende Auslegung des Antrags im Widerspruch zu seinem Wortlaut, insbesondere da die Beklagte anwaltlich vertreten ist.
Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist in dem vom Arbeitsgericht zugesprochenen Umfang begründet. Eine Kürzung für die Zeiträume vom 1. März 2020 bis zum 31. Juli 2021 und vom 1. Januar 2022 bis zum 31. März 2022 hat nicht stattgefunden, da die „Ergänzungsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit“ unwirksam ist und den Kläger unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Arbeitsgericht habe dies im Ergebnis und in wesentlichen Teilen zutreffend erkannt. Zudem wird auch die Einführung der zweiten Kurzarbeitsphase ab dem 1. Januar 2022 durch diese Vereinbarung nicht gedeckt.
Das Berufungsgericht schließt sich nach eigener Prüfung daher den zutreffenden Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils an und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Es sieht zudem, dass auch die Argumente der Berufung zu keinem anderen Ergebnis führen. Dies deshalb, weil es sich bei der „Ergänzungsvereinbarung“ um allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) handele. Bereits aus dem äußeren Erscheinungsbild geht hervor – etwa durch handschriftlich auszufüllende Leerstellen –, dass der Text für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert wurde; dies ist zwischen den Parteien unstrittig.
Und zum anderen, weil die Kurzarbeitsvereinbarung den Kläger unangemessen benachteiligt.
Eine unangemessene Benachteiligung wird gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel dann angenommen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar ist, von der abgewichen wird; in diesem Fall wird eine unangemessene Benachteiligung vermutet.
Die Einführung von Kurzarbeit führt zu einer Reduzierung der vertraglich geschuldeten und betriebsüblichen Arbeitszeit sowie einer entsprechenden Kürzung des Arbeitsentgelts; die Vergütungspflicht des Arbeitgebers wird während der Kurzarbeit ganz oder teilweise ausgesetzt. Diese vergütungsrechtliche Folge stellt eine Abweichung von § 611a BGB dar (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Oktober 2010 – 2 Sa 1230/10 – Rn. 28 f.). Dies gilt jedoch nicht, wenn die Anordnungsbefugnis für Kurzarbeit an die Bewilligung und Gewährung von Kurzarbeitergeld durch die Agentur für Arbeit gekoppelt ist (vgl. LAG Berlin-Brandenburg a.a.O., Rn.30 mwN). Im vorliegenden Fall liegt jedoch keine solche Kopplung vor: Die „Ergänzungsvereinbarung“ sieht lediglich vor, dass die Beklagte unverzüglich die erforderlichen Anträge stellen muss; die Minderung des Entgeltanspruchs sollte unabhängig von der Bewilligung eintreten, wodurch das Lohnausfallrisiko beim Kläger verblieb solange wie unklar war, ob Kurzarbeitergeld gezahlt werden würde.
Aus Sicht des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen hat das erstinstanzliche Gericht zu recht das Fehlen einer Ankündigungsfrist für Änderungen der Arbeitszeit als unangemessene Benachteiligung gewertet: Die „Ergänzungsvereinbarung“ sollte es der Beklagten ermöglichen, die Arbeitszeit „wöchentlich“ anzupassen; eine Ankündigungsfrist geht daraus jedoch nicht hervor und sie sollte zudem die Kurzarbeit „sofort“ abbrechen können und den Kläger jederzeit zur Wiederaufnahme seiner vollen Tätigkeit zurückrufen können – was angesichts der existenzsichernden Funktion des Arbeitsentgeltes (vgl. LAG Berlin-Brandenburg a.a.O., Rn.32) über das vertretbare Maß hinausgeht.
Schließlich liegt nach dem Landesarbeitsgericht auch eine unangemessene Benachteiligung dahingehend vor, dass kein voraussichtliches Enddatum für die Kurzarbeit angegeben wurde; es bleibt völlig unklar, wann sich die Beklagte entscheiden würde, den „gewohnten Arbeitsablauf“ wieder aufzunehmen und wie lange der Kläger ohne Entgeltanspruch bleiben würde – dies wiegt umso schwerer angesichts dessen, dass diese weitreichende Dispositionsbefugnis nicht dadurch gemildert wird, dass sie an den Bezug von Kurzarbeitergeld gebunden wäre.
Darüber hinaus erlaubt die „Ergänzungsvereinbarung“ bereits ihrem Wortlaut nach nicht die Einführung von Kurzarbeit vor dem 17. März 2020 sowie während einer zweiten Phase vom 1. Januar bis zum 31. März 2022. Die Vereinbarung bezieht sich ausschließlich auf die Einführung von Kurzarbeit „mit Wirkung vom 17. März 2020 bis zur Wiederaufnahme des gewohnten Arbeitsablaufs“. Damit fehlt es laut Landesarbeitsgericht sowohl an einer Regelung für den Zeitraum vom 1. bis zum 16. März 2020 als auch an einer Einigung über eine erneute Einführung von Kurzarbeit nach Wiederaufnahme des „gewohnten Arbeitsablaufs“ nach dem 31.Juli 2021.