Hessisches Landesarbeitsgericht (10. Kammer), Urteil vom 08.11.2024, Aktenzeichen 10 Slalom 391/24
Leitsätze:
1. Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich gehalten, den Arbeitgeber binnen einer Frist von drei Wochen seit Ausspruch der Kündigung über einen Sonderkündigungsschutz nach § 168 SGB IX zu unterrichten, ansonsten ist dieser verwirkt.
2. Der Arbeitnehmer hat kein Wahlrecht, ob er bei einem beM seinen Hausarzt oder den Betriebsarzt hinzuziehen will. Hat der Arbeitnehmer grundsätzlich sein Einverständnis zu der Durchführung eines bEM erteilt, sieht § 167 Abs. 2 Satz 3 SGB IX nicht vor, dass der Betriebsarzt nur nach einer gesonderten Einwilligung – wie bei der Beteiligung des Betriebsrats oder der Schwerbehindertenvertretung nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX – hinzugezogen werden dürfte.
3. Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn nach § 615 BGB, weil es die Arbeitgeberin unterlassen hat, ihm eine bestimmte, aus seiner Sicht leidensgerechte Beschäftigung zuzuweisen. Dem Arbeitnehmer steht in solch einem Fall aber evtl. ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB zu, weil die Arbeitgeberin aus ihrer Fürsorgepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB gehalten sein konnte, von ihrem Direktionsrecht Gebrauch zu machen, um eine leidensgerechte Beschäftigung zu ermöglichen.
Ein solcher Schadensersatzanspruch kann nach § 254 Abs. 1 BGB wegen eines überwiegenden Verschuldens des Arbeitnehmers ausgeschlossen sein, wenn sich die Arbeitgeberin lediglich an einen Weiterbeschäftigungstitel gehalten hat, den der Arbeitnehmer in einem Vorprozess erstritten hat.
Sachverhalt:
Die Klägerin, geboren 1968, war seit dem 1. August 1988 auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags, der am selben Tag datiert ist, bei der Beklagten als Montagehelferin in der Pumpenmontage tätig. Sie ist verheiratet und hat ein Kind.
Die Beklagte ist ein Produktionsunternehmen mit Sitz in A, das regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Betriebsrat wurde eingerichtet.
Ursprünglich war die Klägerin in der Produktion tätig. Ihre Aufgaben als Montagehelferin umfassten das Heben von gestapelten Behältern mit Produktionsteilen auf einen Tisch sowie das Sortieren dieser Teile, was auch schweres Heben erforderte.
Während ihrer Zeit in der Produktion hatte die Klägerin häufige Fehlzeiten aufgrund von Rückenbeschwerden; zwischen 2003 und 2007 betrugen ihre Fehlzeiten stets über 100 Tage pro Jahr. In einem Vorverfahren vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden wurde ein Sachverständigengutachten zur Prognose der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin eingeholt. Der Gutachter B stellte am 5. März 2009 fest, dass bei der Klägerin keine organisch bedingten Rückenleiden vorliegen, empfahl jedoch gleichzeitig, Zwangshaltungen sowie das Heben und Tragen von mehr als 10 bis 15 kg zu vermeiden.
Seit dem 4. Januar 2010 ist die Klägerin als Qualitätskontrolleurin in der Abteilung Wareneingangskontrolle eingesetzt. Ihre Aufgaben umfassen die Durchführung und Dokumentation von Qualitätsprüfungen.
In den vergangenen Jahren war die Klägerin wie folgt arbeitsunfähig erkrankt:
2012 | 2013 | 2014 | 2015 | 2016 | 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | |
krank-heitsbe-bedingte Fehlzei-ten | 60 | 89 | 227 | 161 | 195 | 105 | 153 | 210 | 283 | durch-gängig | 210 | 110 |
davon mit Entgelt-fortzah-lung | 60 | 89 | 171 | 75 | 17 | 105 | 125 | 82 | 156 | 82 | 42 | 18 |
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 28. Juli 2021 aus krankheitsbedingten Gründen. In einem Vorverfahren entschied das Arbeitsgericht Wiesbaden am 6. April 2022 zugunsten der Klägerin und gab ihrem Antrag auf Kündigungsschutz statt. Auf ihren Antrag hin wurde die Beklagte verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Montagehelferin weiter zu beschäftigen. Dieses Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 9. Juni 2022 forderte die Beklagte die Klägerin auf, um die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil abzuwenden, am 13. Juni 2022 um 8:30 Uhr zur Arbeit zu erscheinen. Am besagten Tag erschien die Klägerin nach dem erfolgreichen Kündigungsschutzverfahren wieder an ihrem Arbeitsplatz und absolvierte zunächst eine Schulung. Ihr wurde die Tätigkeit als Montagehelferin in der Produktion zugewiesen, wie im Vertrag vorgesehen.
Zwischen den Parteien entwickelte sich eine Korrespondenz über die Art und Weise ihrer angemessenen Beschäftigung. In einem Schreiben vom 21. Juli 2022 forderte die Beklagte die Klägerin auf, gemäß dem titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch ihre Tätigkeit im Betrieb wieder aufzunehmen, wobei sie ihren Arbeitsplatz am 25. Juli 2022 wieder einnehmen sollte. Aufgrund ihres Nichterscheinens am 27. Juli 2022 erhielt die Klägerin eine Abmahnung.
Am 1. August 2022 erschien sie erneut am Arbeitsplatz, erhielt jedoch eine Abmahnung, da sie erst um 8:20 Uhr eingetroffen war. Eine weitere Abmahnung folgte am selben Tag, weil sie den Hygienebereich mit Straßenschuhen betreten hatte; unbestritten hatte sie vergessen, Überschuhe anzuziehen.
Für den Zeitraum vom 3. August bis zum 15. August 2022 legte die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor und war ab dem 3. August erneut arbeitsunfähig erkrankt, mit Entgeltfortzahlung bis zum 13. September 2022. Bis Ende des Jahres blieb sie arbeitsunfähig und erschien nicht mehr am Arbeitsplatz.
Am 9. August 2022 beantragte die Klägerin im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens ihre Beschäftigung in der Wareneingangskontrolle; dieses Verfahren blieb in beiden Instanzen erfolglos.
Mit Schreiben vom 16. November 2022 leitete die Beklagte ein erneutes betriebliches Eingliederungsmanagementverfahren (bEM) ein. Am 29. November fand ein Erstgespräch zwischen den Parteien statt, bei dem die Klägerin anmerkte, dass sie überwiegend im Sitzen arbeiten müsse und nicht mehr als fünf Kilogramm heben könne. Daraufhin reichte sie ein Attest vom 19. Dezember ein, das bestätigte, dass sie leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ausführen sollte und nicht mehr als fünf Kilogramm heben dürfe.
Ab dem 1. Januar bis zunächst zum 2. April war die Klägerin erneut arbeitsunfähig erkrankt und erhielt eine Einladung zu einem weiteren Gespräch am 6. Januar 2023, in dem eine Wiedereingliederung ab dem 14. Februar vereinbart wurde; ihr wurde ein Arbeitsplatz in der Handmontage von Schutzkappen angeboten, ohne Heben und mit ständiger Sitzarbeit.
Die Beklagte erinnerte die Klägerin mit Schreiben vom 22. Februar an die Rückmeldung bezüglich der Wiedereingliederung; daraufhin legte die Klägerin einen Wiedereingliederungsplan vor. In einer E-Mail vom 8. März teilte sie mit, dass sie den für ihre Wiedereingliederung vorgesehenen Arbeitsplatz in der Montage als leidensgerecht ansehe.
Am 13. März2023 wurde die Klägerin schriftlich aufgefordert, zur Spätschicht zu erscheinen. Die Arbeitgeberin forderte sie auf, am 3.April zur Spätschicht mit Beginn um 14 Uhr zu erscheinen und sich bei Schichtbeginn zu melden. Bis zum 30. April absolvierte die Klägerin das Wiedereingliederungsprogramm. Bei der Beklagten wird im Schichtsystem gearbeitet (Früh-, Spät- und Nachtschicht im Wechsel); unstreitig wurde die Klägerin nicht in der Nachtschicht eingesetzt.
Mit ärztlicher Bescheinigung vom 11. Mai 2023 teilte sie mit, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, im Schichtdienst zu arbeiten. Vom 2. Mai bis 15.Mai arbeitete die Klägerin in der Montageabmeldung und war anschließend vom16. Mai bis zum 2. Juni erneut arbeitsunfähig erkrankt, mit Entgeltfortzahlung. Die Kliniken des C bescheinigten am 19. Mai, dass sich die Klägerin in stationärer Behandlung befand.
Mit Schreiben vom 23. Mai hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung an. Das Anhörungsschreiben enthielt auch eine Anlage zur Betriebsratsanhörung vom 16. Juli2 021 bezüglich der vorhergehenden Kündigung.
Der Betriebsrat nahm mit Schreiben vom 30. Mai zu dieser Kündigung Stellung und widersprach ihr. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. Mai 2023 aus personenbedingten Gründen zum 31. Dezember 2023.
Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage am 13. Juni 2023 und stellte einen Antrag auf Gleichstellung bei der Bundesagentur für Arbeit. Durch Bescheid vom 13. Oktober 2023 wurde die Klägerin mit Wirkung ab dem 1. Januar 2023 als schwerbehinderter Mensch gleichgestellt.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin als Mitarbeiterin in der Wareneingangskontrolle zu beschäftigen,
hilfsweise,
1a) sie als Qualitätskontrolleurin in der Wareneingangsabteilung im Wesentlichen mit folgenden Tätigkeiten zu beschäftigen:
§ Handmontage von Baugruppen zur Vorbereitung von Prüfungen;
§ Durchführung von Prüfung entsprechend der Vorgabedokumentation
§ Visuelle Kontrolle am Mikroskop der angelieferten Ware gemäß der aktuell gültigen Verfahrensanweisung
§ Anlernen neuer Mitarbeitenden
§ GMP-konformes Führen der Prüfdokumente
§ Bedienen von Messgeräten (Messschieber und Messuhr) und Prüfmaschinen (Projektor, Druckluftpistolen mit Manometer) nach entsprechender Einweisung
§ Kontrolle von Zukaufteilen gemäß Spezifikation und Prüfplan.
2. festzustellen, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, im Schichtbetrieb zu arbeiten und ihre tägliche Arbeitszeit von 07.00 Uhr bis 15.30 Uhr beträgt;
3. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 25. Juli 2022 und vom 01. August 2022 (hier zwei Abmahnungen vom selben Tag), also insgesamt drei Abmahnungen, aus der Personalakte zu entfernen und zu erklären, dass die zugrundeliegenden Vorwürfe nicht mehr aufrechterhalten werden;
4. die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.306,00 EUR brutto zu zahlen nebst 4 % Zinsen über 1.000,00 EUR seit dem 01. April 2022, über 306,00 EUR seit dem 30. Juni 2022 und über 2.000,00 EUR seit dem 31. Juli 2022;
5. festzustellen, dass die Beklagte an sie für die aus den rechtswidrigen Arbeitsanweisungen vom 13. Juni 2022, vom 21. Juni 2022 bis zum 27. Juni 2022 und vom 01. und 02. August 2022 erlittenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen schadensersatzpflichtig ist;
6. festzustellen, dass das Anstellungsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. Mai 2023 nicht zum 31. Dezember 2023 endet sowie dass das Anstellungsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31. Dezember 2023 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 13. März 2024 die Klage der Klägerin abgewiesen. In seiner Begründung führte das erstinstanzliche Gericht im Wesentlichen aus, dass die Kündigungsschutzklage unbegründet sei, da die ordentliche krankheitsbedingte Kündigung vom 30. Mai 2023 das Arbeitsverhältnis zum Ende des Jahres 2023 beendet habe.
Aufgrund der bisherigen Fehlzeiten sei von einer negativen Krankheitsprognose auszugehen, und es könne nicht angenommen werden, dass alle gesundheitlichen Probleme der Klägerin vollständig ausgeheilt seien. Insbesondere der Verdacht auf eine Herzerkrankung sowie die Diabetes-Typ-2-Erkrankung würden typischerweise länger anhalten. Der Sachvortrag der Klägerin lasse nicht erkennen, welche Krankheiten geheilt seien und welche Therapien erfolgreich verlaufen seien. Zudem gebe es kein milderes Mittel als die Beendigungskündigung.
Die Beklagte habe seit November 2022 ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchgeführt, das in einer Wiedereingliederungsmaßnahme ab dem 3. April 2023 mündete. Nach dieser Wiedereingliederung habe sich die Klägerin jedoch umgehend erneut krankgemeldet, was die negative Prognose rechtfertige. Sie sei zudem leidensgerecht eingesetzt worden, auch im Schichtbetrieb. Der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden, und die Kündigung sei nicht aufgrund mangelnder Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung oder des Integrationsamtes unwirksam. Obwohl ein Bescheid vom 13. Oktober 2023 vorliege, wonach die Klägerin ab dem 30. Januar 2023 als schwerbehindert gilt, habe sie diesen erst am 10. November 2023 bei Gericht eingereicht und hätte den Arbeitgeber innerhalb von drei Wochen nach Ausspruch der Kündigung über ihre Schwerbehinderung informieren müssen.
Die Anträge auf Entfernung der Abmahnungen und auf Beschäftigung seien obsolet geworden, da das Arbeitsverhältnis bereits beendet war.
Die Klägerin könne auch keine Zahlung von 3.306 Euro für den Zeitraum vom 28. Juni bis zum 31. Juli 2022 verlangen, da sich dieser Anspruch nicht aus § 615 BGB ableite; sie habe böswillig unterlassen, eine zumutbare anderweitige Tätigkeit als Montagehelferin im Betrieb der Beklagten aufzunehmen. Auch einen Anspruch auf eine Corona-Prämie in Höhe von 1.000 Euro habe sie nicht, da diese – laut Arbeitgeber – nur an Mitarbeiter ausgezahlt wurde, die im Zeitraum vom 1. März 2021 bis zum 28. Februar 2022 tatsächlich gearbeitet hätten, was auf die Klägerin nicht zutreffe.
Schließlich habe sie keinen Anspruch auf Feststellung eines Schadensersatzanspruchs gegenüber der Beklagten.
Das Hessische Landesarbeitsgericht hat die von der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegte zulässige Berufung als unbegründet zurückgewiesen und in seiner Entscheidung festgehalten:
Es ist von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen und die Einwände in der Berufungsschrift ändern daran nichts. Ein zumutbarer, leidensgerechter Arbeitsplatz steht nicht zur Verfügung. Auch die Zahlungsanträge der Klägerin bleiben erfolglos.
Das Landesarbeitsgericht sieht die Kündigung wie das erstinstanzliche Gericht nicht als nicht sozialwidrig im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG an. Sie ist auch nicht unwirksam wegen mangelhafter Anhörung des Betriebsrats, weil im vorliegenden Fall die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Mit Schreiben vom 23. Mai 2023 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der beabsichtigten ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung an. Das Anhörungsschreiben enthielt die Sozialdaten der Klägerin sowie die Kündigungsfrist von sieben Monaten und beschrieb ausführlich das im Jahr 2022 gestartete bEM-Gespräch sowie den gescheiterten Wiedereingliederungsversuch am 3. April 2023, nach dem die Klägerin erneut arbeitsunfähig wurde.
Die Klägerin rügt aus Sicht des Landesarbeitsgerichts fälschlicherweise, dass ihre genauen Fehlzeiten in den Jahren 2022/2023 nicht detailliert aufgeführt wurden; jedoch war für den Arbeitgeber entscheidend, dass es in den Jahren zuvor erhebliche Fehlzeiten gab und dass der Wiedereingliederungsversuch gescheitert war. Das Landesarbeitsgericht stellte auch fest, dass die die einwöchige Frist nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG bei der Kündigung nicht verletzt wurde. Der Betriebsrat hatte am selben Tag der Anhörung Stellung zu dieser genommen und widersprochen. Seine Erklärung stellt eine abschließende Stellungnahme dar; daher konnte der Arbeitgeber bereits vor Ablauf dieser Frist kündigen. Das Kündigungsschreiben datiert vom 30. Mai 2023 und wurde nach eigenen Angaben am Nachmittag desselben Tages im Briefkasten der Klägerin zugestellt; es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass dies vor dem Zugang der Stellungnahme des Betriebsrats geschah.
Das Landesarbeitsgericht bestätigte ebenso, dass die Kündigung nicht unwirksam ist, weil die Zustimmung des Integrationsamts gemäß § 168 SGB IX fehlte. Die Klägerin hätte zwar grundsätzlich Anspruch auf den Sonderkündigungsschutz gehabt, da sie den Antrag auf Gleichstellung mehr als drei Wochen vor der Kündigung eingereicht hat. Sie hat jedoch versäumt, die Beklagte innerhalb der ebenfalls dreiwöchigen Frist über diesen Umstand zu informieren. Nach § 168 SGB IX, der spezielle Verfahrensregelungen für schwerbehinderte Menschen enthält, ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Mitarbeiters durch den Arbeitgeber nur mit vorheriger Zustimmung des Integrationsamts zulässig. Diese Regelung gilt gemäß § 151 Abs. 1 SGB IX auch für gleichgestellte Personen (vgl. BAG, 2. Juni 2022 – 8 AZR 191/21). Gemäß § 173 Abs. 3 SGB IX findet § 168 SGB IX unter bestimmten Bedingungen keine Anwendung, etwa wenn zum Zeitpunkt der Kündigung kein Nachweis über die Schwerbehinderung vorliegt oder das Versorgungsamt aufgrund fehlender Mitwirkung keine Feststellung treffen konnte. Diese Vorschrift gilt sowohl für schwerbehinderte als auch für gleichgestellte Menschen. Der Sonderkündigungsschutz setzt voraus, dass entweder die Schwerbehinderung bereits festgestellt oder die Gleichstellung beantragt wurde, wobei der Antrag mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt worden sein muss (vgl. BAG, 2. Juni 2022 – 8 AZR 191/21 -). Im vorliegenden Fall war die Gleichstellung zum Zeitpunkt der Kündigung am 30. Mai 2023 noch nicht erfolgt. Allerdings hatte die Klägerin den Antrag auf Gleichstellung bereits mehr als drei Wochen vor der Kündigung gestellt. Gemäß § 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX ist eine rückwirkende Feststellung der Gleichstellung bis zum Eingang des Antrags des Arbeitnehmers zulässig. Der Bescheid zeigt, dass der Antrag der Klägerin bereits am 30. Januar 2023 datiert ist.
Der Sonderkündigungsschutz greift grundsätzlich zwar unabhängig von der Kenntnis des Arbeitgebers, um jedoch eine übermäßige Belastung des Arbeitgebers zu vermeiden, muss der Arbeitnehmer ihn innerhalb einer angemessenen Frist nach Zugang der Kündigung über die Schwerbehinderung oder die beantragte Gleichstellung informiert werden. Hierbei gilt die Dreiwochenfrist gemäß § 4 Satz 1 KSchG. Unterlässt der Arbeitnehmer dies, verwirkt er den Sonderkündigungsschutz nach § 242 BGB.
In dem Schriftsatz vom 13. Juni 2023, mit dem die Klägerin Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 30. Mai 2023 erhoben hat, hat sie nicht geltend gemacht, dass ihr ein (potenzieller) Sonderkündigungsschutz nach § 168 SGB IX zustehe, weil sie einen Antrag auf Gleichstellung gestellt habe. Zwar wurde bereits im Schriftsatz vom 9. August 2022 auf § 164 SGB IX verwiesen, um einen Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung zu stützen, jedoch reicht dies nicht aus, um sich konkret auf den Sonderkündigungsschutz zu beziehen. Zu diesem Zeitpunkt war der (erneute) Antrag auf Gleichstellung bei der Bundesagentur für Arbeit noch nicht gestellt. Erst mit Schriftsatz vom 10. November 2023 hat die Klägerin vorgebracht, dass sie durch Bescheid vom 13. Oktober 2023 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden sei, was jedoch zu spät war.
Die Kündigung ist auch nicht wegen fehlender Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam. Entscheidend ist hier, dass der Beklagten die Gleichstellung zum Zeitpunkt der Kündigung nicht bekannt war und die Klägerin die Beklagte nicht innerhalb der dreiwöchigen Frist auf den Sonderkündigungsschutz hingewiesen hat.
Die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung aufgrund häufiger Kurzerkrankungen gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sind gegeben. Das Arbeitsgericht habe dies zu Recht festgestellt, und die in der Rechtsmittelinstanz vorgebrachten Einwände sind für das Landesarbeitsgericht nicht überzeugend:
Zunächst ist eine negative Gesundheitsprognose anzunehmen. Zum Zeitpunkt der Kündigung müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Krankheitsausfälle im bisherigen Umfang rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können als Indiz für eine entsprechende künftige Entwicklung dienen (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – und BAG 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13 -). Bei häufigen Kurzerkrankungen, ähnlich wie bei langanhaltenden Erkrankungen, ist nicht die Erkrankung an sich der Kündigungsgrund, sondern die negative Prognose hinsichtlich der Gesundheit und die daraus resultierenden erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen. Diese Prognose kann sowohl auf einer einheitlichen Krankheitsursache als auch auf verschiedenen Erkrankungen basieren, die auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hinweisen (vgl. BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 -). Eine negative Prognose liegt jedoch nicht vor, wenn die Krankheiten vollständig ausgeheilt sind (vgl. BAG 7. November 2002 – 2 AZR 599/01 -). Der Prognosezeitraum erstreckt sich über drei Jahre bis zum Beginn der Betriebsratsanhörung (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 -).
Im Falle einer negativen Indizwirkung obliegt es dem Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb eine baldige Genesung zu erwarten ist. Dies kann er erreichen, indem er nicht nur die Behauptungen des Arbeitgebers bestreitet, sondern auch positiv vorträgt, dass die behandelnden Ärzte seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt haben, und indem er diese von der Schweigepflicht entbindet (vgl. BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 -).
Eine negative Prognose wird nicht dadurch entkräftet, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen basieren. Auch wenn die Krankheitsursachen variieren, kann dies auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die eine negative Prognose unterstützt (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 20, NZA 2015, 612; BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 -; LAG Köln 18. Mai 2007 – 11 Sa 632/06 -). Dies gilt auch für ausgeheilte Erkrankungen wie Erkältungen, da deren Wegfall die generelle Anfälligkeit nicht in Frage stellt.
Im Gegensatz dazu führen Fehlzeiten, die auf einmaligen Ereignissen beruhen oder nach erfolgreichen Therapien auftreten, nicht zu einer relevanten Prognose für die Zukunft (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 -).
Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze ist laut Landesarbeitsgericht im vorliegenden Fall eine negative Prognose gerechtfertigt. Die Arbeitgeberin hat ihrer Darlegungslast auf der ersten Stufe Rechnung getragen, indem sie die Fehlzeiten der vergangenen Jahre aufgelistet und daraus gefolgert hat, dass auch in den kommenden Jahren mit erheblichen Krankheitszeiten zu rechnen sei. Die Fehlzeiten der Klägerin beliefen sich wie folgt: 2018: 153 Fehltage; 2019: 210 Fehltage; 2020: 283 Fehltage; 2021: 365 Fehltage; 2022: 210 Fehltage. Die negative Prognose, die sich aus den Fehlzeiten ableitet, wurde von der Klägerin im Prozess nicht ausreichend widerlegt.
Die Einlassungen der Klägerin in ihrer schriftsätzlichen Stellungnahme zu den Krankheiten und Ursachen sind teilweise unvollständig und betreffen nicht entscheidungserhebliche Zeiträume. Die Behauptung der Klägerin, sie sei gesund und es liege keine negative Prognose vor, kann nicht unterstützt werden. Die negative Prognose, die die Arbeitgeberin geltend gemacht hat, wurde nach § 138 Abs. 2, 3 ZPO nicht ausreichend bestritten.
Für die negative Prognose sind die letzten Jahre vor der Kündigung entscheidend. Im Jahr 2017 verweist die Klägerin auf ein Myom an der Gebärmutter, hat jedoch nicht erläutert, welche Ursache für die Arbeitsunfähigkeit vom 5. bis 13. Dezember 2017 verantwortlich war.
Für das Jahr 2018 führt die Klägerin an, dass sie aufgrund einer Depression, die durch die schwere Erkrankung und den Tod ihrer Schwester ausgelöst wurde, arbeitsunfähig war. Da der Anruf aus Italien jedoch erst am 22. Mai 2018 erfolgte, hat sie nicht erklärt, warum sie in der Zeit vom 10. Januar bis 19. Februar 2018 arbeitsunfähig war. Laut eigenen Angaben erlangte die Depression Mitte 2019 mit hohem Blutdruck und Atemnot Krankheitswert, und sie sei erst ab Dezember 2020 wieder gesund und belastbar gewesen. Sie erwähnt in diesem Zusammenhang eine Handverletzung vom 14. November 2018 sowie eine Gehirnerschütterung mit Schädelprellung, die einen stationären Aufenthalt im Klinikum im August 2019 nach sich zog.
Diese drei Krankheitsursachen erklären jedoch nicht hinreichend die hohen Fehlzeiten in den Jahren 2018 bis 2020. Im Jahr 2018 erhielt die Klägerin für 125 Tage Entgeltfortzahlung. Hätte die Depression, ausgelöst durch den Tod der Schwester, im Vordergrund gestanden, hätte dies eine Fortsetzungserkrankung dargestellt, die nicht rechtfertigt, mehrere Erstbescheinigungen auszustellen. Entsprechendes gilt für die Gehirnerschütterung und die Handverletzung. Im Jahr 2019 erhielt die Arbeitgeberin für 82 Tage Entgeltfortzahlung und im Jahr 2020 war die Klägerin praktisch ein halbes Jahr vom 2. Januar bis 14. Juni 2020 arbeitsunfähig. Die Angaben für das Jahr 2021 sind ebenfalls unzureichend und nicht nachvollziehbar. In diesem Jahr war die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig. Sie gab an, am 22. Juli 2021 an Corona erkrankt zu sein, während die Depression ab Dezember 2020 verschwunden war. Es wird nicht erklärt, warum sie in der ersten Hälfte des Jahres 2021 durchgehend arbeitsunfähig war. Nach Angaben der Klägerin endete der Arbeitsunfähigkeitszeitraum am 31. Dezember 2021, was darauf hindeutet, dass ihre Coronaerkrankung ausgeheilt war. Dennoch war die Klägerin auch im Jahr 2022 vom 1. Januar bis 28. Februar arbeitsunfähig, insgesamt an 210 Tagen in dem Jahr. Zu den Krankheiten und Ursachen der Fehlzeiten im Jahr 2022 fehlen vollständig relevante Angaben. Im Jahr 2023 war die Klägerin ebenfalls wiederholt arbeitsunfähig und fehlte bis zu ihrer Freistellung 110 Tage. Laut einer Bescheinigung des Klinikums J war sie vom 16. bis 19. Mai 2023 stationär aufgenommen worden, wobei festgestellt wurde, dass sie an Diabetes Typ 2 leidet. Zudem gab es einen Verdacht auf eine kardiologische Erkrankung, der jedoch im Krankenhaus ausgeräumt werden konnte.
Neben der Tatsache, dass die Klägerin nicht ausreichend zu den Ursachen ihrer Fehlzeiten und dem Verlauf ihrer Erkrankungen Stellung genommen hat, lassen sich aus den Akten auch zahlreiche Hinweise ableiten, die eine negative Prognose stützen. Die Klägerin war aufgrund ihrer Depression über einen längeren Zeitraum hinweg arbeitsunfähig. Es wurde jedoch nicht vorgetragen, dass sie sich erfolgreich einer Psychotherapie unterzogen hat, obwohl diese Erkrankung typischerweise langwierig sein kann. Gleiches gilt für ihre Diabeteserkrankung. Zusätzlich leidet sie an Rückenbeschwerden. Das von der Klägerin vorgelegte Gutachten des B bestätigt, dass sie nach einem Bandscheibenvorfall über mehrere Jahre am Lumbalsyndrom litt. All diese Faktoren sprechen insgesamt eher gegen eine positive Krankheitsprognose. In diesem Zusammenhang lässt sich auch der erfolgreiche Antrag der Klägerin auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen interpretieren. Wäre sie tatsächlich wieder vollständig gesund und belastbar, wie sie im Prozess behauptet, wäre nicht nachvollziehbar, warum die Bundesagentur für Arbeit sie einem schwerbehinderten Menschen gleichstellt.
Das Gericht sah keinen Bedarf, Beweise zu erheben. Es war weder notwendig, ein Sachverständigengutachten einzuholen, noch die behandelnden Ärzte als Zeugen zu vernehmen. Ein Beweis ist erst dann erforderlich, wenn das Bestreiten der Klägerin hinsichtlich der negativen Gesundheitsprognose als erheblich angesehen werden kann, was in diesem Fall aufgrund der oben genannten Gründe nicht zutrifft.
Auch die zweite Stufe der Prüfung im Rahmen einer krankheitsbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen kann von der Arbeitgeberin erfüllt werden. Zum einen sind erhebliche wirtschaftliche Belastungen durch die Fehlzeiten der Klägerin entstanden, zum anderen können diese Fehlzeiten nicht durch alternative Maßnahmen wie eine Versetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz vermieden werden. Daher erweist sich die Kündigung auch als verhältnismäßiges Mittel.
Die prognostizierten Fehlzeiten müssen nur dann eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Hierbei können neben Störungen im Betriebsablauf auch wirtschaftliche Belastungen, wie beispielsweise Entgeltfortzahlungskosten, die einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr überschreiten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen – dies stellt die sogenannte zweite Stufe dar (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 -).
Im vorliegenden Fall sind in den letzten fünf Jahren erhebliche Entgeltfortzahlungskosten aufgrund von Krankheit angefallen, die jeweils mehr als sechs Wochen im Jahr betrugen.
Eine andere leidensgerechte Beschäftigung ist im vorliegenden Fall nicht möglich. Eine Verschärfung der Darlegungslast für die Beklagte trat nicht deshalb ein, weil diese ihren Pflichten gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX nicht nachgekommen ist.
Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG und kann sich im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich darauf beschränken, zu behaupten, dass für den Arbeitnehmer keine alternative, seinem Gesundheitszustand entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Kommt der Arbeitgeber jedoch seiner Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht nach, muss er darlegen und beweisen, dass ein bEM nicht dazu beigetragen hätte, künftige Arbeitsunfähigkeitszeiten zu vermeiden und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Die Durchführung eines bEM ist zwar nicht per se ein milderes Mittel als die Kündigung, konkretisiert jedoch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Durch ein bEM können mildere Maßnahmen als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses identifiziert und entwickelt werden (vgl. BAG 15. Dezember 2022 – 2 AZR 162/22 -). Ein neuerliches bEM ist grundsätzlich durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM`s erneut länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt.
Hat der Arbeitgeber nicht vollständig darauf verzichtet, ein bEM anzubieten, sind ihm dabei jedoch Fehler unterlaufen, ist für den Umfang seiner Darlegungslast entscheidend, ob diese Fehler Einfluss auf die Möglichkeit hatten, Maßnahmen zu identifizieren, die die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers hätten signifikant reduzieren können (vgl. BAG 15. Dezember 2022 – 2 AZR 162/22 -).
Nach diesen Grundsätzen hat die Arbeitgeberin das bEM ordnungsgemäß eingeleitet. Aus dem Einladungsschreiben vom 16. November 2022 geht hervor, welche Ziele das bEM verfolgt, welche personenbezogenen Daten zu welchem Zweck verarbeitet werden und welche Personen hinzugezogen werden. Zudem war ein fünfseitiges Informationsblatt zum Ablauf des Verfahrens beigefügt.
Die Klägerin moniert, dass das bEM-Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Sie sei zu Beginn nicht darauf hingewiesen worden, dass sie auf die Hinzuziehung des Betriebsrats verzichten und die benötigten arbeitsmedizinischen Informationen auch über einen anderen Arzt ihres Vertrauens einholen könne. Im Einladungsschreiben sei vielmehr festgelegt, dass die Werksärztin (Frau D) dem bEM-Team angehöre. Eine Ablehnung der Werksärztin sei ihr nicht möglich gewesen, zudem habe sie nur das von der Beklagten benannte Mitglied des Betriebsrats, Herr E, hinzuziehen dürfen.
Gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hat der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, und mit Zustimmung der betroffenen Person die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden kann. Der Zustimmungsvorbehalt des Arbeitnehmers bezieht sich laut Gesetzeswortlaut auf die Hinzuziehung der Interessenvertretung, was bedeutet, dass die Klägerin hätte widersprechen können, dass ein Mitglied des Betriebsrats anwesend ist (vgl. BAG 22. März 2016 – 1 ABR 14/14 -). Das Gesetz sieht jedoch kein Wahlrecht der Klägerin bezüglich der Person des Betriebsratsvertreters vor.
Bei der Arbeitgeberin war es so, dass der Betriebsratsvorsitzende Teil des bEM-Teams war, was objektiv nicht zu beanstanden ist. Die Klägerin hätte zudem die Möglichkeit gehabt, vor den bEM-Gesprächen um die Anwesenheit einer anderen Person aus dem Betriebsrat zu bitten, falls sie ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Person des Betriebsratsvorsitzenden hatte. Dies hat sie jedoch nicht getan und trägt auch nicht substantiiert vor, dass sie durch diesen vermeintlichen Fehler daran gehindert wurde, am Verfahren teilzunehmen. Im Gegenteil, sie hat freiwillig an dem Verfahren teilgenommen. Ein Verfahrensfehler kann daher nicht festgestellt werden.
Im Informationsblatt wurde auch die Möglichkeit erwähnt, dass weitere von der Klägerin benannte Teilnehmer am Prozess teilnehmen können. Tatsächlich nahm auch die Tochter der Klägerin an dem bEM-Gespräch teil. Dies zeigt, dass die Klägerin die Gelegenheit hatte, ein anderes Mitglied des Betriebsrats als Vertrauensperson zu benennen.
Hilfsweise ist darauf hinzuweisen, dass ein solcher Fehler – selbst wenn es sich um einen Verfahrensfehler handeln sollte – in diesem Fall keine kündigungsrechtlichen Auswirkungen haben würde. Angesichts der unterschiedlichen sozial- und kündigungsrechtlichen Bedeutung des bEM haben nicht alle Verfahrensfehler bei seiner Durchführung Einfluss auf eine später ausgesprochene Kündigung (vgl. BAG 15. Dezember 2022 – 2 AZR 162/22 -). Die Klägerin hat zudem nicht dargelegt, dass das Ergebnis des Verfahrens bei Anwesenheit eines anderen Betriebsratsmitglieds anders ausgefallen wäre.
Nach dem Gesetzeswortlaut besteht auch kein Wahlrecht hinsichtlich der Hinzuziehung eines Werksarztes. Der Zustimmungsvorbehalt in § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX findet sich nicht in § 167 Abs. 2 Satz 3 SGB IX, wo lediglich festgelegt ist, dass der Werks- oder Betriebsarzt, soweit erforderlich, hinzugezogen wird (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 -). Die Hinzuziehung eines Werksarztes ist somit – vorausgesetzt, die grundsätzliche Zustimmung zu einem bEM liegt vor – nicht mehr abhängig von der Zustimmung des Arbeitnehmers zur konkreten Beteiligung des Arztes.
Die Wiedereingliederung der Klägerin verlief zwar erfolgreich, doch wurde sie kurze Zeit später erneut arbeitsunfähig auf ihrem Arbeitsplatz. Eine wesentliche Hürde stellt nicht die Schichtarbeit dar. In der Folge kam es zwischen den Parteien zu einem Streit darüber, ob die Klägerin im Schichtbetrieb eingesetzt werden kann. Laut einer ärztlichen Bescheinigung vom 11. Mai 2023 sei die Klägerin krankheitsbedingt nicht für den Schichtdienst geeignet. Dies wurde von der Arbeitgeberin bestritten, die argumentierte, dass in der Produktion, abgesehen von einer Ausnahme, alle Arbeitsplätze im Schichtbetrieb betrieben werden. Vor der Wiedereingliederung wurde die Klägerin per E-Mail darauf hingewiesen, dass sie im Schichtdienst arbeiten müsse. Nach Angaben der Arbeitgeberin hat die Klägerin auch abwechselnd in der Früh- und Spätschicht (ab 14 Uhr) gearbeitet, jedoch nicht in der Nachtschicht. Der Akteninhalt lässt nicht nachvollziehen, warum die Klägerin krankheitsbedingt nicht in der Lage sein sollte, abwechselnd in der Früh- und Spätschicht zu arbeiten. Es ist nicht erkennbar, ob dies mit psychischen oder physischen Ursachen zusammenhängt. Allein der Umstand, dass die Klägerin zuletzt in der Wareneingangskontrolle nicht im Schichtdienst tätig war, rechtfertigt nicht die Annahme, dass ein solcher Einsatz für sie unzumutbar wäre. Die Gewöhnung an bestimmte Arbeitszeiten schränkt das Direktionsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO nicht ein. Zudem hat die Klägerin im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme ausdrücklich zugestimmt, diesen Arbeitsplatz als leidensgerecht anzusehen. Obwohl die Klägerin pauschal bestritt, im Schichtdienst gearbeitet zu haben, hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 5. Oktober 2023 konkret dargelegt, an welchen Tagen sie in Früh- und Spätschicht tätig war, was nicht substantiell bestritten wurde (§ 138 Abs. 2, 3 ZPO).
Hilfsweise ist anzumerken, dass eine positive Prognose in Frage steht, wenn die Klägerin, wie sie behauptet, aus medizinischen Gründen nicht in Wechselschicht arbeiten kann. Wäre dies zutreffend, wäre sie gesundheitlich für diesen Arbeitsplatz ungeeignet. Es kann auch nicht angenommen werden, dass es der Arbeitgeberin zumutbar war, die Klägerin ausnahmsweise außerhalb eines Wechselschichtmodells einzusetzen. Nach dem nicht substantiell bestrittenen Vortrag der Beklagten arbeiten alle Mitarbeiter in der Produktion im Schichtbetrieb, mit Ausnahme der weiblichen Vertrauensperson des Betriebsrats, Frau H. Es ist evident, dass die von der Klägerin erbrachten Zuarbeiten in der Produktion dem Arbeitsrhythmus der Abteilung folgen müssen. Eine Ausnahme für die Klägerin wäre der Arbeitgeberin nicht zumutbar.
Angesichts der erheblichen Fehlzeiten der Klägerin in der Vergangenheit kann auch nicht nachvollzogen werden, dass die Tätigkeit auf dem neuen Arbeitsplatz in der Produktion, selbst wenn sie außerhalb des Schichtdienstes erfolgt, als leidensgerecht betrachtet werden kann. Die Klägerin hat ein diffuses Krankheitsbild mit multiplen Ursachen, das, wie die letzten Jahre gezeigt haben, immer wieder zu Ausfallzeiten führt. Auch in der Wareneingangskontrolle wies die Klägerin hohe Fehlzeiten auf, obwohl sie dort unstreitig nicht im Schichtdienst arbeitete. Dies spricht stark dagegen, dass die Klägerin selbst bei einer Tätigkeit außerhalb des Schichtdienstes in Zukunft keine Arbeitsunfähigkeitszeiten haben wird.
Das Hessische Landesarbeitsgericht bestätigt zudem die zutreffende Feststellung des Arbeitsgerichts, dass es in der Wareneingangskontrolle keinen alternativen leidensgerechten Arbeitsplatz mehr gibt. Die Arbeitgeberin hat in diesem Zusammenhang behauptet, dass die Klägerin fachlich die dort herrschenden Anforderungen nicht mehr erfüllen könne, da sie der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sei. Das Gericht teilt diese Auffassung. Die Klägerin argumentiert zwar, dass die Tätigkeit durch Neuerungen einfacher geworden sei, geht jedoch nicht auf den konkreten Sachvortrag der Arbeitgeberin ein, dass sie Probleme mit der deutschen Sprache habe.
Darüber hinaus müsste ein Arbeitsplatz in der Wareneingangskontrolle auch verfügbar sein, was hier nicht erkennbar ist. Der maßgebliche Zeitpunkt ist der Zugang der Kündigung, also der 30. Mai 2023. Soweit die Klägerin vorträgt, dass Stellen in der Wareneingangskontrolle nachträglich besetzt worden seien, bleibt unklar, auf welchen Zeitpunkt sich dies bezieht.
Hilfsweise ist festzustellen, dass auch ein Arbeitsplatz in der Wareneingangskontrolle nicht als leidensgerecht betrachtet werden kann, da die Klägerin über Jahre hinweg dort tätig war und in jedem Jahr überdurchschnittliche Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen aufwies. Obwohl die Klägerin den Wunsch äußerte, auf diesen Arbeitsplatz „zurückversetzt“ zu werden, legt sie nicht dar, aus welchen Gründen dies eine angemessene und leidensgerechte Beschäftigung darstellen soll. Im Jahr 2021 hat sie an keinem einzigen Arbeitstag gearbeitet. Zu diesem Zeitpunkt war auch noch nicht strittig, ob sich an der Arbeitspflicht aufgrund des Weiterbeschäftigungsantrags etwas geändert hat. Zwar ist es richtig, dass dieser Arbeitsplatz relativ schonend ist, da dort keine Schichtarbeit erforderlich ist und keine schweren Lasten zu heben sind. Umso mehr müsste jedoch erläutert werden, weshalb die Klägerin auch an diesem Arbeitsplatz erhebliche Fehlzeiten hatte.
Der Vorwurf, die Arbeitgeberin habe rechtsmissbräuchlich gehandelt, indem sie die Klägerin aufgrund eines fehlerhaft gestellten Weiterbeschäftigungsantrags im Kündigungsschutzverfahren von der Wareneingangskontrolle in die Produktion versetzte, ist im Hinblick auf die negative Prognose und den Ausgang dieses Kündigungsschutzverfahrens nicht entscheidend.
Letztlich fällt die Interessenabwägung zulasten der Klägerin aus.
Zwar spricht zu ihren Gunsten, dass sie seit 1988 im Betrieb ist, also zum Zeitpunkt der Kündigung fast 33 Jahre dort beschäftigt war. Bei der Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin nicht gesund war, sondern, wie sich rückblickend herausgestellt hat, als „schwebender Mensch“ anzusehen ist. Zum Zeitpunkt der Kündigung war die Klägerin 55 Jahre alt, was ebenfalls im Rahmen der sozialen Abwägung zu ihren Gunsten spricht.
Gegen die Klägerin spricht jedoch der Umstand, dass sie über viele Jahre hinweg erhebliche und weit überdurchschnittliche Krankheitszeiten aufwies. Das Arbeitsverhältnis war bereits im Jahr 2011 gestört, als die Parteien erstmals einen Arbeitsgerichtsprozess führten. Die Arbeitgeberin musste in jedem Jahr deutlich mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten. Im Jahr 2021 hat die Klägerin keinerlei Arbeitsleistung erbracht. Selbst bei einer rückblickenden Betrachtung von zehn Jahren ergibt sich eine erhebliche Störung des Äquivalenzverhältnisses im Arbeitsverhältnis. Auf Dauer ist dies der Arbeitgeberin nicht mehr zumutbar.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf (weitere) Beschäftigung bei der Beklagten gemäß §§ 611a, 242 BGB. Daher sind die Anträge zu 1. und 1a, die auf eine leidensgerechte Beschäftigung abzielen, unbegründet. Das Arbeitsverhältnis ist aufgrund der Kündigung vom 30. Mai 2023 mit Ablauf des 31. Dezember 2023 beendet worden.
Der Feststellungsantrag zu 2., mit dem die Klägerin die Feststellung begehrt, dass sie nicht verpflichtet sei, im Schichtbetrieb zu arbeiten und ihre tägliche Arbeitszeit von 7:00 Uhr bis 15:30 Uhr beträgt, ist bereits unzulässig. Ein anzuerkennendes Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO bezüglich einzelner Arbeitsbedingungen besteht nicht mehr, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist. Dies würde auf ein reines Rechtsgutachten hinauslaufen.
Die Klägerin kann auch nicht verlangen, dass die Abmahnungen vom 25. Juli 2022 und die beiden Abmahnungen vom 1. August 2022 aus ihrer Personalakte entfernt werden. Wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat, besteht hierfür kein Rechtsschutzbedürfnis, nachdem das Arbeitsverhältnis beendet ist.
Die Klägerin kann auch nicht verlangen, dass die Beklagte an sie 2.306 Euro für den Zeitraum vom 28. Juni bis 31. Juli 2022 zahlt.
- Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 611a Abs. 2 BGB, da die Klägerin zu dieser Zeit keine Arbeitsleistung erbracht hat.
- Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 3 EFZG, da die Klägerin in diesem Zeitraum – nach eigenen Angaben – nicht arbeitsunfähig war.
- Der Anspruch folgt auch nicht aus § 615 BGB i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB.
Wie das Arbeitsgericht korrekt festgestellt hatte, ist die Beklagte grundsätzlich in Annahmeverzug geraten, da sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. Juli 2021 gekündigt hatte. Der Kündigungsschutzklage wurde mit Urteil vom 6. April 2022 stattgegeben. In diesem Verfahren wurde die Beklagte verurteilt, die Klägerin als Montagehelferin weiterzubeschäftigen. Dieser Titel war für die Arbeitgeberin von Bedeutung und zunächst verbindlich.
Allerdings lagen die Voraussetzungen für einen Annahmeverzug in dieser Situation nicht vor, da die Klägerin gemäß § 297 BGB nicht in der Lage war, als Montagehelferin zu arbeiten. Das Urteil legte zunächst fest, wie die Beschäftigung der Klägerin zu erfolgen hatte. Die Klägerin konnte jedoch, wie sie selbst angibt, aus gesundheitlichen Gründen die Tätigkeit als Montagehelferin nicht ausüben. Bei ihrem Antrag hat sie sich nach eigenen Angaben geirrt. Es wäre die Aufgabe der Arbeitgeberin gewesen, durch die erneute Ausübung ihres Weisungsrechts gemäß § 106 GewO eine leidensgerechte Beschäftigung für die Klägerin zu gewährleisten, was zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht geschah.
In der Folgezeit vertrat die Arbeitgeberin die Ansicht, dass es korrekt sei, die Klägerin gemäß ihrem Antrag im Kündigungsschutzprozess als Montagehelferin in der Produktion zu beschäftigen. Mit Schreiben vom 9. Juni und 21. Juli 2022 forderte die Arbeitgeberin die Klägerin auf, ihre Tätigkeit im Betrieb gemäß dem titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch wieder aufzunehmen. Damit machte sie von ihrem Weisungsrecht gemäß § 106 GewO Gebrauch.
In diesem Zusammenhang hat die Klägerin keinen Anspruch auf Annahmeverzug wegen unterbliebener Beschäftigung in der Wareneingangskontrolle, solange der Arbeitgeber die Beschäftigungspflicht durch sein Direktionsrecht nicht konkretisiert hat. Unterlässt es der Arbeitgeber schuldhaft, dem Arbeitnehmer eine leidensgerechte und vertragsgemäße Arbeit zuzuweisen, kann dies lediglich einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB begründen (vgl. BAG 14. Oktober 2020 – 5 AZR 649/19 -). Der Arbeitnehmer kann jedoch nicht direkt auf Vergütung aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs klagen. Kann der Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts wirksam näher bestimmte Tätigkeit aus persönlichen Gründen nicht mehr ausüben, ist das Angebot einer anderen Tätigkeit ohne Belang, solange der Arbeitgeber nicht durch eine Neuausübung seines Direktionsrechts diese zu der gemäß § 294 BGB zu erbringenden Arbeitsleistung bestimmt hat. Andernfalls könnte der Arbeitnehmer den Inhalt der arbeitsvertraglich nur rahmenmäßig umschriebenen Arbeitsleistung selbst konkretisieren, was § 106 Satz 1 GewO widerspricht (vgl. BAG 14. Oktober 2020 – 5 AZR 649/19 -).
Mit dem Antrag zu 5. verlangt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die sie aufgrund der rechtswidrigen Arbeitsanweisungen vom 13. Juni, 21. Juni bis zum 27. Juni 2022 sowie vom 1. und 2. August 2022 erlitten hat, schadensersatzpflichtig sei. Auch dieser Antrag ist unbegründet.
Die Anspruchsgrundlage für einen solchen Schadensersatzanspruch sind die §§ 280 Abs. 1, 611a, 241 Abs. 2, 242 BGB. Unterlässt der Arbeitgeber schuldhaft, dem Arbeitnehmer eine leidensgerechte und vertragsgemäße Arbeit zuzuweisen, kann dies unter Umständen einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB begründen (vgl. BAG 14. Oktober 2020 – 5 AZR 649/19 -).
Das Gericht teilt grundsätzlich die Auffassung der Klägerin, dass es eigentlich die Verantwortung der Arbeitgeberin gewesen wäre, die Klägerin wieder auf den weniger belastenden Arbeitsplatz in der Wareneingangskontrolle zu setzen, den sie bis 2011 innehatte. Allerdings ist zu beachten, dass die Klägerin im vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren selbst um die Beschäftigung als Montagehelferin in der Produktion gebeten hatte. Daher herrschte aus Sicht der Arbeitgeberin eine unklare Lage, und es ist für sie nachvollziehbar, dass sie davon ausging, die Klägerin wolle in der Produktion arbeiten. Über die genauen gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin war die Beklagte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht informiert.
Mit Schreiben vom 9. August 2022 stellte die Klägerin einen Antrag, die Beklagte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu verpflichten, sie als Mitarbeiterin in der Wareneingangskontrolle zu beschäftigen. Erst mit diesem Antrag machte die Klägerin deutlich, dass sie keine Beschäftigung als Montagehelferin wünschte, sondern ausschließlich auf ihrem alten Arbeitsplatz in der Wareneingangskontrolle arbeiten wollte. Zwar könnte man argumentieren, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits in einem Schreiben vom 1. Juli 2022 auf einen Verstoß gegen die Fürsorgepflicht hingewiesen hat, jedoch wurde der aus Sicht der Beklagten entstandene Widerspruch nicht eindeutig geklärt.
Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz geltend gemacht, die Beklagte habe sie in Kenntnis ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, insbesondere darüber, dass sie keine Lasten über 5 kg heben sollte, zwei Tage in der Produktion eingesetzt. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden, da die Klägerin erst mit dem ärztlichen Attest vom 19. Dezember 2022 dargelegt hat, dass sie aus gesundheitlichen Gründen keine Lasten über 5 kg heben dürfe. Mitte 2022 konnte die Beklagte dies noch nicht eindeutig erkennen.
In Anbetracht dieser Situation muss sich die Klägerin ein überwiegendes Verschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen. Durch die irrtümliche Antragstellung hat sie den Eindruck erweckt, dass sie in der Produktion beschäftigt werden möchte. Die Beklagte hatte naturgemäß keine genauen Kenntnisse über den Gesundheitszustand der Klägerin zu diesem Zeitpunkt. Die Klägerin hat ab dem 13. Juni 2022 auch teilweise im Montagebereich gearbeitet, was darauf hindeutet, dass dieser Arbeitsplatz zumindest teilweise leidensgerecht war. Daher ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte zunächst der Meinung war, das durch die Klägerin erstrittene Urteil müsse gelten.
Die Klägerin hat zudem vorgetragen, dass sie am 25. Juli 2022 nicht zur Arbeit erschienen sei, weil sie unsicher war, ob das Urteil im Kündigungsschutzverfahren rechtskräftig war. Dies ist jedoch unerheblich, da der Weiterbeschäftigungsanspruch ihr jedenfalls eine vorläufige Beschäftigung sicherte. Wenn die Klägerin der Arbeit fernbleibt, weil sie annahm, nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet zu sein, kann auch im Sinne des Annahmeverzugs von Leistungsunwilligkeit ausgegangen werden.
Schließlich hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung einer sogenannten Corona-Prämie in Höhe von 1.000 Euro.
- Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus dem Arbeitsvertrag, da dort kein entsprechender Anspruch verankert ist.
- Ein Anspruch besteht auch nicht aufgrund einer Kollektivvereinbarung, wie etwa einer Betriebsvereinbarung, auf die sich die Klägerin nicht beruft.
- Der einzige Anknüpfungspunkt für einen Anspruch auf Zahlung der Corona-Prämie ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.
Die Kammer hat keinerlei Zweifel an den Ausführungen der Beklagten, dass die Auszahlung der Corona-Prämie nicht nach dem Gießkannenprinzip an alle Mitarbeiter verteilt wurde, sondern an bestimmte Bedingungen geknüpft war. Da es sich hierbei um eine freiwillige Leistung handelt, auf die weder ein Anspruch aus dem Arbeitsvertrag noch aus Kollektivregelungen besteht, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Auszahlung an spezifische Voraussetzungen zu binden. Diese Voraussetzungen umfassten, dass ein Arbeitnehmer im Zeitraum vom 1. März 2021 bis zum 28. Februar 2022 mindestens einen Arbeitstag anwesend war und sich in ungekündigter Position befand. Dies sollte die zusätzliche Belastung durch das Tragen von FFP2-Masken würdigen. Es ist naheliegend, dass der Arbeitgeber derartige sachbezogene Anforderungen für eine Corona-Prämie festlegt.
In der Berufungsbegründung wird lediglich der Satz angeführt, dass die Klägerin mit Nichtwissen bestreitet, die Prämie sei nur an Mitarbeiter ausgezahlt worden, die tatsächlich anwesend waren. Dies stellt jedoch keine angemessene Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Beklagten gemäß § 138 Abs. 2, 3 ZPO dar. Die Klägerin hätte sich zumindest mit dem Argument des Arbeitsgerichts auseinandersetzen müssen, dass sie konkrete Arbeitnehmer benennen sollte, die die Prämie erhalten haben, obwohl sie im fraglichen Zeitraum nicht gearbeitet hatten. Insgesamt ist der Vortrag der Klägerin zu unsubstantiiert. Sie gibt nicht einmal an, in welchem Kalenderjahr die Auszahlung erfolgen sollte. Darüber hinaus hat sie nicht bestritten, dass die Beklagte die Voraussetzung aufgestellt hat, dass die Mitarbeiter in ungekündigter Position sein mussten, was bei der Klägerin nicht der Fall war.